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Europe: Aufruf zu einem EU-weiten Schueler- und Studentenstreik während des EU-Gipfels!

Aufruf zu einem EU-weiten Schüler- und Studentenstreik!

Studiengebühren, Sparmaßnahmen, Uni-Privatisierung... Die Ziele der Bildung ändern sich rapide, stellen sich in den Dienst der privaten Wirtschaft. Europaweit sehen sich Studenten und Schüler mit ähnlichen Problemen konfrontiert. Die Ursachen sind in der EU-Politik zu suchen. Dortmunder Studenten rufen deshalb zu einem EU-weiten Schüler- und Studentenstreik vom 10. bis 14. Dezember 2001 auf. Dabei sollen in den ersten Tagen des Streikes Aktionen in den Städten, Unis und Schulen stattfinden, am 14. Dezember gibt es dann eine große gemeinschaftliche Abschluss-Demo während des EU-Gipfels in Brüssel.

Zorn an deutschen Unis

"Wir werden darauf drängen, dass jetzt eine entsprechende Kampagne gegen die Gebühreneinführung und für den Rücktritt der Ministerin vorbereitet wird. Im Wintersemester muss es dann entsprechende Protestaktionen gegen die Gebühreneinführung geben", sagt Georgios Kaimakamis, Mitglied im Bundesvorstand des Bündnisses linker & radikaldemokratischer Hochschulgruppen (LiRa). "Die Regierungsparteien sollten sich überlegen, ob sie kurz vor der Bundestagswahl einen Großkonflikt an den Hochschulen haben wollen. Sie sollten nicht vergessen, dass es wegen der rot-grünen Versprechen bei der letzten Bundestagswahl viel Unterstützung aus der Studierendenschaft gab.", betont der Sprecher des größten linken Studierendenverbandes der BRD. Was den Studentensprecher so aufregt, ist die wieder brandaktuell aufgeflammte Diskussion um Studiengebühren, an der sich auch Politiker der Koalitionsparteien eifrig beteiligen. Und das, obwohl unter der Führung von Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn noch im Wahlkampf ein auch im Koalitionsvertrag zumindest bis zum Jahr 2002 festgeschriebenes Verbot eben solcher Gebühren versprochen worden war. Auslöser der aktuellen Diskussion ist unter anderem das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes, das die Einführung von Studiengebühren von 1.000 DM pro Semester für "Langzeitstudenten", also für Studenten, die die Regelstudienzeit um mehr als vier Semester überschreiten, wie sie in Baden-Würtemberg seit 1998 praktiziert wird, für rechtens erklärt hat.

Wahlversprechen gebrochen? Studiengebühren für alle?

Niedersachsens Wissenschaftsminister Thomas Oppermann (SPD) plädierte längst öffentlich für die Einführung von Studiengebühren. Beträge von bis zu 3.000 DM pro Jahr stehen im Raum. Saarland und Bremen planen ebenfalls Gebühren für Langzeitstudenten. In Bayern wird schon jetzt beim Zweitstudium hingelangt. 1000 Mark pro Semester müssen die Studenten ab dem ersten Semester zahlen. Bundesweit bieten die Hochschulgesetze mehrerer Bundesländer die Möglichkeit, Gebühren für Aufbau- oder Ergänzungsstudiengänge zu erheben. Auch in Rheinland-Pfalz ist man dieser Möglichkeit aufgeschlossen. Der zuständige Minister, Jürgen Zöllner, hatte vor eineinhalb Jahren die Diskussion um Studiengebühren mit einem ganz neuen Vorschlag belebt: Gutscheine fürs Studium.
Öffenlich verteidigte Bundesbildungsministerin Bulmahn die Württembergischen Studiengebühren. Damit, so werfen ihr mehrere Studentenorganisationen vor, habe sie ein zentrales Wahlversprechen von 1998 ebenso gebrochen wie den Koalitionsvertrag zwischen SPD und Grünen, in dem es heisst: "Wir werden das Hochschulrahmengesetz im Einvernehmen mit dem Bundesrat weiterentwickeln und dabei die Erhebung von Studiengebuehren ausschliessen".

Bildung für elitäre Zirkel

Damit so scheint es, ist der Damm gebrochen: Das "Nein zu Studiengebühren", das lange Zeit für ein vergleichsweise hohes Maß an Chancengleichheit in Deutschland sorgte, ist nicht mehr unumstößlich. Die Konsequenzen aus der "kalten" Verteuerung des Studiums aus Semesterbeitragen, unzureichenden Bafög-Sätzen, etc. zeigen sich schon jetzt in einer aktuellen Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks: Die Studierneigung sinkt, insbesondere bei den Kindern aus einkommensschwächeren Familien, z.B. aus Arbeitnehmerfamilien, die nicht zuletzt durch den Zwang zum Jobben während des Studiums bevorzugt zu "Langzeitstudenten" werden.
Es liegt auf der Hand: Studiengebühren in welcher Form auch immer können diese Situation nur verschärfen. Deutschlands im internationalen Vergleich niedrige Akademikerquote ist so jedenfalls kaum zu heben. Während Bafög-Reformen scheitern, konzentriert man sich im Bundesbildungsministerium verstärkt auf die Forschungsförderung.

Mehr Geld für die Forschung gegen überfüllte Hörsäale? - oder warum Unis sponsorenreif gespart werden

Nach dem rigorosen Kurswechsel der Ministerin in Sachen Studiengebühren, stellt sich natürlich die Frage nach dem Warum? Längst so scheint es, liegt die Weichenstellung in der Hochschul- und Bildungspolitik nicht mehr in den Händen der Bundespolitiker. Warum sonst dieser Eiertanz. Und tatsächlich schaut man genauer hin, liegt der Schlüssel zur ministeriellen Wahlkampflüge in Brüssel - in den Händen der EU und nicht zueletzt bei der WTO (World Trade Organisation). Mit dem 1994 beschlossenem internationalen Handelsabkommen "GATS" ist man dort zur Zeit auf dem Wege, den Schul- und Hochschulsektor in die Hände der privaten Wirtschaft zu legen. Dienstleistungen darunter auch Gesundheitsfürsorge und Bildung werden unter GATS als handelbaren Ware deklariert. Unter der Schirmherrschaft der WTO vorbei an der demokratischen Kontrolle nationaler Parlamente soll GATS (General Agreement of Trade in Services) Unternehmen die Möglichkeit eröffnen, weite Teile der Öffentlichen Dienste wie Verkehr, Touristik, Gesundheit, Telekommunikation, Transport, Wasserversorgung etc. nicht nur auf nationaler Basis sondern grenzüberschreitend zu übernehmen. Die EU-Länder haben sich gemeinschaftlich diesem Abkommen angeschlossen, das diejenigen Länder mit Handelssanktionen bedroht, die ihre Märkte in diesem Fall den Dienstleistungssektor nicht im vertraglich vereinbarten Maße für ausländische Unternehmen öffnen. Geöffnet werden müssen früher oder später alle Sektoren, die nicht monopolistisch, staatlich geführt werden, so auch der Schulsektor, auf dem ja in Deutschland bereits einige private Einrichtungen tätig sind. Ausländische Unternehmen können sich mit dem GATS-vertraglich gesicherten Anspruch auf Gleichbehandlung mit Hilfe der WTO den Zugang zum öffentlichen Sektor eines Landes einklagen. Zur Zeit wird im Rahmen von GATS sowohl über die Liberalisierung des Gesundheitssektors als auch über Bildungspolitik verhandelt. Gleichzeitig werden in Deutschland für Unternehmen schon mal alle Wege in den Bildungssektor geebnet. So werden deutsche Un
chon jetzt für Wettbewerbsbedingungen "fit" gemacht. Mit der Umwandlung von staatlichen Hochschulen in Stiftungen wird es den Unis ermöglicht, in weit größerem Maße als bisher, Sponsorengelder einzusammeln und privatwirtschaftlich tätig zu werden. Nicht umsonst sitzt seit Mitte dieses Jahres mit der Uni Witten/Herdecke zum ersten Mal eine in Wissensvermarktung und Spendensammeln erfahrene Privat-Uni in der deutschen Hochschulrektorenkonferenz. Staatliche Hochschulen werden nun per bildungsministerieller Förderung dazu angehalten, eigene Patente professioneller zu vermarkten. Ein Gesetz zur Hochschulautonomie soll es den Unis ermöglichen, in noch weiterem Umfang als bisher - nach wirtschaftlichen Kriterien so ist zu vermuten - selbst Studenten auszusuchen und Studienschwerpunkte zu setzen. Mit allgemeinen Studiengebühren muss bei solchen marktorientierten Stiftungen natürlich gerechnet werden.
Die Öffnung des Bildungssektors laut GATS wird auf nichts anderes als eine Privatisierung hinauslaufen und diese ist in ihren Grundzügen längst im Rahmen der EU ausgehandelt und auf nationaler Ebene nur noch umzusetzen. Eine Rückführung des Schul- und Hochschulbetriebes in staatliche Hände ist, sind diese Bereiche einmal für die Privatwirtschaft freigegeben, laut GATS-Vertrag praktisch unmöglich.
Im Hinblick auf einen harten Wettbewerb um Sponsorengelder und einträgliche Koalitonen mit der freien Wirtschaft macht es in ministerieller Logik also durchaus Sinn, zur Attraktivitätssteigerung mehr Geld in die Forschung zu pumpen, während der Lehrbetrieb weiter sponsorenreif gespart wird. Also weiterhin volle Hörsäale trotz Förderspritzen für die demnächst auch privatfinanzierte Forschung.

Human Ressources - wie der Mensch zum Rohstoff wird

Längst sind in offiziellen Dokumenten und internationalen Verträgen innerhalb der EU Arbeitnehmer, Schüler oder Studenten zur Humanressource geworden. Der Sprachgebrauch spricht Bände: Da die Hauptaufgabe der Bildung nunmehr darin bestehen soll, Humanressourcen im Dienste der Unternehmen auszubilden, verwundert es nicht, dass das Privatkapital - entsprechend seiner Marktlogik - dem Bildungswesen die eigenen Ziele und Prioritäten aufzuzwingen sucht. Bildung wird zusehends als Marktsegment behandelt. Politiker akzeptieren bereitwillig, dass der Markt über Ziele und Organisation der Bildung bestimmt. Auch das in weiten Teilen noch staatliche Bildungswesen versteht sich zunehmend als Zulieferbetrieb für maßgeschneiderte Humanressourcen. Überflüssiger Ballast wie soziale Fertigkeiten und allgemeine Bildung werden konsequent aus den Lehrplänen getilgt.
So wird das Bildungswesen nach und nach zu einem "Ort" mit Kriegskultur. Die Trennlinie zwischen Gewinnern und Verlierern verläuft zwischen den Inhabern umfangreicher und zunehmend teurer erkaufter Bildung und ungebildeten Humanressourcen. Trotz der Bemühungen zahlreicher Erzieher wird in unserem Bildungssystem die Auswahl der Besten immer wichtiger, die Förderung des Einzelnen und seiner Fähigkeiten treten in den Hintergrund. Die Bildung von Eliteschulen und die lange verpönte Hochbegabtenförderung sind dagegen längst wieder gesellschaftsfähig. Das Wissen, so die landläufige Rechtfertigung der neo-liberalen Globalisierung, ist zur bedeutendsten Ressource der "neuen Wirtschaft" geworden. Darin wird das Wirtschaftsunternehmen und nicht die Schule zum Hauptort der menschlichen Förderung, die Wirtschaft und nicht mehr der gesellschaftliche Konsens über wünschenswerte Fähigkeiten definiert die Organisation, Produktion, Aufwertung und Verbreitung des "Wissens, das zählt. Bildung ordnet sich zumehmend der Technologie unter. Zunehmend lässt sich die Politik dazu einspannen, in Forschung und Unterricht vornehmlich Unternehmergeist und Wirtschaftsdienlichkeit zu fördern.

Nein zu den EU-Bildungsplänen!

Wollen die Europäer dieser Entwicklung entgehen, "..dürfen sie gewiss nicht den Leitlinien der Staats- und Regierungschefs der 15 EU-Länder folgen, die im März 2000 bei der Sondertagung des Europäischen Rates in Lissabon festgelegt und im Juni 2000 vom Europäischen Rat in Feira in einem Aktionsplan konkretisiert wurden", warnt Riccardo Petrella, Berater der Europäischen Kommission, Professor an der Université catholique in Löwen (Belgien). Nach diesen Leitlinien gehe es in den kommenden 15 Jahren zuvorderst um den Aufbau von "e-Europe", damit Europa bis zum Jahre 2015 zur fähigsten "e-economy" der Welt avancieren kann, so Petrella weiter. Vorrangiges Ziel der Bildungspolitik solle es sein, allen Europäern vom Vorschul- und Grundschulalter an den Zugang zur digitalen Alphabetisierung zu ermöglichen, "...damit auf diese Weise konkurrenzfähige Humanressourcen gebildet werden können - konkurrenzfähig vor allem in Hinblick auf die Humanressourcen Nordamerikas, die derzeit einen Vorsprung von etwa zehn Jahren haben sollen", berichtet Petrella.

Neo-Liberalismus - eine Lösung für die "Chosen Few"

Verkauft wird diese Logik des Neo-Liberalismus, als Weg zu Vollbeschäftigung und Gerechtigkeit. Welcher Irrtum, zeigt doch gerade das Beispiel USA, wo der Weg hinführt: Trotz eines beispiellosen Wirtschaftsboomes in den 90ern, trotz geringer Arbeitslosigkeit, trotz des wohl weltweit höchsten Entwicklungsstandes in der Informations- und Kommunikationstechnologie, trotz Spitzenuniversitäten bleibt das allgemeine Schulbildungsniveau erbärmlich.
Gespalten wird die Gesellschaft in der Folge in produktive und unnütze Humanressourcen. Ein neo-liberales Kastenwesen entsteht, aus dem es für die Angehörigen des neuen Proletariats der "Nichwissenden" kein Entrinnen gibt. Da in der Kaste der Wissenden nur beschränkte Humanressourcen benötigt werden, muss der Zugang zu ihr elitär sein. "Moderne" Ausländerpolitik zeigt, wo der Weg hinführt: Green-Cards für die Kaste der Wissenden, Abschiebungen für unnütze Humanressourcen.

Internationale Aktionen sind sinnvoller

Bislang haben Studenten immer auf nationaler Ebene agiert. Die immer weiter abnehmenden Entscheidungsbefugnisse der Nationalstaaten macht es notwendig gegen das "Diktat der internationale Handelsabkommen" auch international vorzugehgen. Und zwar jetzt, ist die WTO nach dem Scheitern der Verhandlungen in Seattle doch gerade wieder in eine erneute GATS-Runde eingetreten. Die Bereiche Gesundheit und Bildung stehen diesmal auf der Tagesordnung. Da die Europäische Union, offiziell beraten von einer europäischen Lobbygruppe der Dienstleister, in der beispielsweise die Privat-Uni berfürworter der Bertelsmannstiftung sitzen, in ihrer Gesamtheit am GATS-Verhandlungstisch sitzt, ist es unbedingt notwendig, dass Europäische Studenten gemeinsam gegen die Liberalisierung ins Ungewisse vorgehen, sind doch nicht nur in Deutschland sondern bereits in vielen EU-Ländern die vorbereitenden Mechanismen einer Marktöffnung am Werke.

Streikbereitschaft quer durch Europa?

Während in Österreich in diesem Semester zum ersten Mal Studiengebühren zu zahlen sind und die Entwicklung in Deutschland ebenfalls darauf zuläuft, ist die Privatisierung der Bildung in England so gut wie abgeschlossen. In Österreich wird deshalb die Idee eines EU-weiten Schüler- und Studentenstreikes gut aufenommen. GRAS (Grüne und Alternative StudentInnen), die zur Zeit den Vorsitz der Österreichischen HochschülerInnenschaft innehat und vermutlich auch die AKS (Aktion kritischer SchülerInnen) werden sich am Streik beteiligen.
Auch aus Deutschland sind trotz vorlesungsfreier Zeit schon die ersten zustimmenden Reaktionen eingetroffen.
Es macht immer weniger Sinn, nur auf nationaler Ebene zu agieren, da die wesentliche Beschlüsse zur Bildungs- und Hochschulpolitik in Brüssel bei der EU getroffen werden. Zur Zeit wird deshalb gezielt Kontakt zu allen europäischen Studentenorganisationen aufgenommen. Eine spezielle Website mit umfangreichen Informationen zum EU-weiten Streik wird in Kürze online gehen. Meinungsaustausch und Koordination werden mehrsprachig über neue Mailinglisten laufen.

Kontakt:  eu-studentenprotest@firemail.de

Um ein möglichst umfassendes Bild der europäischen Schul- und Hochschulsituation zu erhalten und einen EU-weiten Erfahrungsaustausch zu ermöglichen, suchen wir noch Lagebeschreibungen und Situationseinschätzungen aus allen EU-Ländern. Hilfreich wären Übersetzer, die in und aus europäischen Sprachen übersetzen können.

Vorläufige Mailinglist: groups.yahoo.com/group/euderbuerger
Website:  http://euforthepeople.tripod.com

 

19.08.2001
EU For The People   [Aktuelles zum Thema: Bildung]  [Schwerpunkt: EU-Gipfel in Brüssel]  Zurück zur Übersicht

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