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Berlin: Prozessbericht 24.08.01

In der ersten Hälfte des heutigen Prozesstages führte die Verteidigung die
intensive Befragung Tarek Mouslis von Gestern fort. Schwerpunkt waren dabei
weitere Widersprüchen zwischen den Aussagen des Kronzeugen und Angaben, die
seine ehemalige Lebensgefährtin Karmen T. gemacht hatte. Auf Nachfrage von
Rechtsanwalt Euler, gab Mousli an, gegenüber Frau T. nicht gelogen zu haben.
Trotzdem konnte er keine weitere Erklärung für die Widersprüche zwischen ihren und
seinen Aussagen liefern.

Widersprüche

So hatte Karmen T., wie heute vorgehalten wurde, in einer vierstündigen
Vernehmung am 22.7.99 berichtet, dass sie zum Zeitpunkt ihres Zusammenwohnens in
einem Karton Mouslis eine Brille sowie zwei gefälschte Pässe entdeckt habe.
Auf Nachfrage, so hatte Frau T. angegeben, hätte Mousli ihr gegenüber gesagt,
beide Utensilien früher für Reisen in die DDR unter falschem Namen benutzt zu
haben. Mousli bestritt heute jemals Besitzer von falschen Papieren gewesen
zu sein. Auch sei er nie unter falschem Namen in die DDR eingereist.

Bundesanwalt Bruns beanstandete die anschließende Frage von Rechtsanwalt
Euler, wie es denn sein könne, dass Frau T. glaube, Mousli hätte ihr gesagt,
unter falschem Namen in die DDR eingereist zu sein. Dies führte zu einer
Unterbrechung der Verhandlung, weil die Verteidigung mit Vehemenz forderte, die
Beanstandung unter Ausschluß des Zeugen erörtern zu wollen, damit dieser keine
Rückschlüsse ziehen könne. Das Gericht ließ schließlich die Frage von
Rechtsanwalt Euler zu, die Mousli mit den Worten beantwortete: "Das kann ich mir so
nicht erklären, das ist mir schleierhaft".
In einer kurzen Erklärung äußerte Rechtsanwalt Becker seinen Unmut über das
"absolut unerträgliche" Verhalten des Beisitzenden Richter Alban, der das
Ansinnen der Anwälte, Mousli zur Erörterung der Beanstandung herauszuführen,
empört zurückgewiesen hatte und im gesamten bisherigen Verhandlungsverlauf eine
"verteidigerfeindliche Einstellung" gezeigt habe.

Auf die Frage, wie er nach dem Einbruch den verbliebenen Sprengstoff aus
seinem Keller entsorgt habe, sagte Mousli aus, dass er diesen noch am selben
Abend ins Auto geladen und ohne Verzögerung an einer ihm bereits bekannten
Stelle in einem Wassergraben versenkt hätte. Auch hierüber habe er mit Frau T.
gesprochen. Diese hatte jedoch ausgesagt, so hielt ihm Rechtsanwalt Euler vor,
dass sich bei dem Sprengstoff nach Mouslis Angaben auch "Zünder" befunden
haben sollen. Außerdem hätte er ihr gesagt beides zunächst in sein Sportstudio
verbracht und erst später versenkt zu haben. Auch diese Aussage von Frau T.
konnte sich Mousli heute nicht erklären.

Weiterhin sagte Mousli auf Nachfrage aus, dass er 1994 einmal kurz mit dem
Auto in Frankfurt/Oder auf einer Karate-Reise gewesen sei. Die Frage, ob er
Mitte 1996 für die RZ einen Schaltplan angefertigt habe, verneint er hingegen.
Dies hatte aber wiederum Karmen T. in ihrer Vernehmung ausgesagt. Mousli
führte dazu aus er hätte in dieser Zeit wiederholt Schaltpläne für eine andere
Funkgruppe entworfen, dies hätte jedoch nichts mit der RZ zu tun gehabt.

Vor- und Nachbereitung der „Aktion Korbmacher“

Erneut wurde Mousli von Rechtsanwalt von Schlieffen zur Probefahrt mit dem
Motorrad gefragt, mit dem der Anschlag auf Korbmacher verübt worden sein soll.
Auf Nachfrage präzisierte Mousli, dass zunächst er und dann "Sebastian" je
etwa eine Viertelstunde in Schöneberg umhergefahren seien. Regenkombis und
Helme für die Fährt hätten sie selbst aus einer Wohnung in der Oranienstraße in
Kreuzberg mitgebracht und auch wieder mitgenommen.

Im Anschluss befragte Rechtsanwalt Becker den Kronzeugen zum
"Nachbereitungstreffen" zur Aktion Korbmacher, wobei sich Mousli jedoch kaum an konkrete
Dinge erinnern konnte. Er schlussfolgerte vielmehr aus allgemeinen Erfahrungen,
dass das Treffen wohl zwei bis drei Stunden gedauert haben müsse, in einem
Cafe stattgefunden habe und dass dort wohl auch etwas gegessen und getrunken
worden sei. "Jon" habe vom Ablauf der Aktion erzählt. Auf weitere Nachfrage gab
Mousli an, zu allen Beteiligten ein herzliches Verhältnis gehabt zu habe,
ausser zu "Judith", die immer "dazwischengefunkt" und sich schnell aufgeregt
hätte. In diesem Zusammenhang wollte Rechtanwalt Becker wissen ob und in
welcher Form "Jon" bei diesem Treffen von der Person gesprochen habe, die das
Motorrad gefahren hatte. Mousli sagte erneut, dass er dies nicht mehr
rekonstruieren könne, sich aber absolut nicht vorstellen könne, dass er sich damit
gebrüstet haben könnte, es selbst gewesen zu sein. Auch der Beisitzende Richter
Hanschke harkte an diesem Punkt noch einmal ein und wollte wissen, ob Mousli
ausschließen könne, dass ihm der Fahrer des Motorrads benannt worden sei, was
der Zeuge verneinte.

Auch die Frage von Rechtsanwalt Becker, ob seine heutige Haltung zu
politischen Aktionen, bei denen Menschen verletzt werden, eine andere sei als damals,
verneinte der Zeuge. Vielmehr, so führte Mousli aus, habe er "immer Angriffe
auf Personen abgelehnt" und könne sich auch nicht erinnern dies einmal
anders dargestellt zu haben. Kurz vor der Mittagspause kam der Beisitzende Richter
Lechner noch einmal auf den Ort zu sprechen, wo das Auto für die Aktion
entwendet worden war. Auf Nachfrage gab Mousli an, dass der entsprechende
Parkplatz nicht überdacht gewesen sei.

Beginn mit Tatkomplex ZSA

Nach der Mittagspause begann Frau Hennig mit der Befragung des Kronzeugen
zum Anschlag auf die Zentrale Sozialhilfestelle für Asylbewerber (ZSA) vom
Februar 1987. Mousli gab an, dass 1986 innerhalb der Gruppe damit angefangen
worden sei, über diese Aktion intensiv zu diskutieren. Ihm sei aus Erzählungen
bekannt, dass der Anschlag im Sommer 1996 auf einem überregionalen Treffen
besprochen wurde, an dem "Jon" und "Judith" teilgenommen hätten. Diese hätten
dann die Idee zu der Aktion in die Gruppe getragen. Ziel des Anschlages sei
gewesen, durch die Zündung eines Sprengsatzes an der Außenmauer des Gebäudes den
Zentralrechner zu zerstören. Von "Jon" habe er erfahren, dass die
Hintergrundinformationen zur ZSA von "Heiner" zusammengetragen worden seien. Auch die
später verschickte Erklärung sei wahrscheinlich von "Heiner" unter Mitarbeit
von "Judith" verfaßt, jedoch auch in der Gruppe diskutiert worden. Mousli
führte weiter aus, dass zum Zwecke der Erstellung eines "Zeitschemas" das Gelände
über mehrere Wochen beobachtet worden sei. Er selbst habe dazu gemeinsam mit
"Sebastian" über einen längeren Zeitraum regelmäßig abends zwischen 22.00 Uhr
1.00 Uhr an einem, dem ZSA-Gelände gegenüberliegenden Ufer gesessen, um
Polizeibewegungen zu beobachten. Im Januar sei nach seiner Erinnerung auch "Sigi"
bei dieser Observation zugegen gewesen. Von "Jon" wisse er, dass sich auch
die zweite RZ-Gruppe an den Vorbereitungen beteiligt habe. Die verschiedenen
Erkenntnisse seien dann von "Jon" zusammengetragen worden.

Mousli gab weiter an, dass der Sprengsatz von "Jon", wenige Tage vor dem
Anschlag, unter Anwesenheit von "Judith", "Sebastian" und ihm selbst,
zusammengebaut worden sei. "Jon" habe als Brandbeschleuniger Unkrautex und Puderzucker
verwandt. Als Zünder seien mit Streichhölzern umwickelte Blitzbirnen, die mit
einem Wecker verbunden waren, benutzt worden. Der Zeuge verneinte die
Zwischenfrage von Rechtsanwalt Euler, ob in der Gruppe jemals als Konsequenz zum
Unfall von Hermann Feiling darüber gesprochen worden sei, wieviel Leute beim
Zusammenbauen eines Sprengsatzes in einem Raum sein sollten. Über den
Tathergang berichtete Mousli, dass er sich am gegenüberliegenden Ufer aufgehalten
habe. "Jon" und "Sebastian" hätten den Sprengsatz an der Außenmauer des Gebäudes
angebracht. Allerdings habe er dies nicht sehen können. Von der "zweiten
RZ-Gruppe" seien "weitere Leute" auf einem dem Gelände naheliegenden Bahndamm
anwesend gewesen. Man hätte mit drei Amateurfunkgeräten in Verbindung gestanden.
Nach einem vereinbarten Signal, dass er über das Funkgerät empfangen habe,
wäre er dann, wie zuvor vereinbart, mit der letzten U-Bahn nach Hause
gefahren. Ihm sei bekannt, dass "Judith" an dem Anschlag nicht teilgenommen habe. Auf
Vorhalt von Frau Hennig räumte Mousli ein, dass er in ersten polizeilichen
Vernehmungen angegeben hatte, auch "Sigi" sei an dem Anschlag beteiligt
gewesen. Heute wisse er, so führte Mousli aus, dass "diese Erinnerung" falsch
gewesen sei. "Mir wurde in den Vernehmungen schon gesagt, dass dies gar nicht sein
kann", weil "Sigi" zum Zeitpunkt des Anschlages in Polizeihaft saß.

Mousli konnte sich weder an den Ort noch an die näheren Umstände des
"Nachbereitungstreffens" erinnern. Ihm sei jedoch noch in Erinnerung, dass "Jon"
sich eher unzufrieden geäußert habe. Ansonsten habe man sich über den Verlauf
der Aktion ausgetauscht. Dort hätte er auch erfahren, dass sich "Judith" und
"Jon" schon mit "Heiner" von der anderen Gruppe getroffen hätten, um die Aktion
zu besprechen und das "Bekennerschreiben" zu verschicken.

Wie an den bisherigen Freitagen unterbrach Frau Hennig die Hauptverhandlung
um 14.30 Uhr. Der Prozess wird Donnerstag, den 30.8. zur um 9.15 Uhr
fortgesetzt.

 

26.08.2001
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