Berlin: Ziviles Handeln verlangt Besonnenheit
Berlin, 14.09.2001
Gemeinsame Presse-Erklärung von
- Gustav Heinemann-Initiative (GHI)
- Humanistische Union (HU)
- Komitee für Grundrechte und Demokratie
- Pro Asyl
- Republikanischer Anwaltsverein (RAV)
- Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen (VDJ)
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Ziviles Handeln verlangt Besonnenheit
Die unterzeichnenden Organisationen, die für Menschenrechte, Frieden und
Gerechtigkeit eintreten, erklären:
Wir sprechen allen, die Verwandte und Freunde verloren haben, unser
Beileid und Mitgefühl aus. Den Verletzten wünschen wir die baldige
Wiederherstellung ihrer Gesundheit. Wir hoffen, daß alle Überlebenden
die erlittenen schweren äu-ßeren und inneren Schäden überwinden können.
Um derartige Verbrechen zu bestrafen, sind angemessene rechtsstaatliche
Sanktionen notwendig. Die Ausführenden der verbrecherischen Anschläge
haben sich selbst umgebracht und dabei Tausende mit in den Tod gerissen.
Es ist des-halb nur noch möglich, eventuelle Anstifter und Helfer
ausfindig zu machen und zu bestrafen. Daß das notwendig ist, kann
niemand bestreiten.
Auch schwerste Verbrechen rechtfertigen es jedoch nicht, die notwendige
Suche nach Anstiftern und Helfern und das Bemühen um ihre Bestrafung zum
Krieg eskalieren zu lassen. Der Beschluß der NATO, die Anschläge in den
USA als Bündnisfall zu behandeln, ist unangemessen und weit überzogen.
Wer wissen will, was die Eskalation eines Verbrechens zum Krieg
bedeutet, sollte sich an den Beginn des ersten Weltkriegs erinnern, der
unendliches Leid über die Menschheit gebracht hat.
Ebenso wichtig, wie die Suche nach Mitschuldigen ist die Frage nach den
Ursachen von Haß, religiösem Fanatismus und darauf basierender Gewalt.
Wer solche Verbrechen verhindern will, muß weltweit für mehr soziale
Gerechtigkeit sorgen. Solange die reichen Industriestaaten mit
erheblicher struktureller, vor allem wirtschaftlicher, oft auch mit
direkter Gewalt verhindern, daß den hungernden und verhungernden
Millionen in armen Ländern geholfen wird, düngen sie selbst den Boden
aus dem Haß, Fanatismus und blindwütige Gewalt hervorgehen. Nicht Krieg
sondern gerechte Strafe, nicht neue Gewalt sondern eine Außen- und
Entwicklungspolitik, die der Gewalt den Boden entzieht, sind jetzt
notwendig.
Die Verfolgung schwerer internationaler Verbrechen verlangt politisches
Tun. Dabei ist besonders darauf zu achten, daß nicht wegen einzelner
Verbrechen ganze Länder, Bevölkerungen oder Religionsgemeinschaften
diffamiert oder sogar angegriffen werden. Wir rufen dazu auf, das
internationale Recht zu stär-ken und die voreilige Eskalation der
Verfolgung dieser schweren Verbrechen zum NATO-Bündnisfall und damit zum
Krieg zurückzunehmen.
Darüber hinaus weisen wir darauf hin, daß alle Pläne, Krieg gegen
Afghanistan zu führen, wie es derzeit diskutiert wird, zweierlei
übersehen. Viele Taliban in Afghanistan wie der dort lebende angebliche
Anstifter der Anschläge, Osama bin Laden, sind nach Pressemeldungen von
der CIA unterstützt oder sogar aus-gebildet worden und haben mit
USA-Hilfe den größten Teil Afghanistans er-obert. Die große Mehrheit der
afghanischen Bevölkerung, insbesondere alle Frauen und Mädchen, werden
von ihnen auf das Übelste unterdrückt. Jeder An-griff auf das Land würde
diese Unterdrückten am schlimmsten treffen. Ein sol-ches Unrecht müßte
Haß, Fanatismus und gewalttätiges Aufbegehren gegen den reichen Teil der
Erdbevölkerung weltweit verstärken und religiösen Fundamen-talisten in
die Hände arbeiten.
Wer das nicht will, ist aufgerufen, der emotionalen
Kriegsvorbereitung Besonnenheit und rechtsstaatliches und
freiheitliches Denken entgegen zu set-zen. Wir wollen Gerechtigkeit
statt Rache und weltweite Hilfe statt Krieg gegen die Armen.
Unterzeichner:
Gustav Heinemann-Initiative, Sprecher: Ulrich Finckh
Humanistische Union, Vorsitzender Dr. Till Müller-Heidelberg
Komitee für Grundrechte und Demokratie,
Vorstand: Prof. Dr. Wolf-Dieter Narr, Prof. Dr. Roland Roth
Pro Asyl, Sprecher: Heiko Kauffmann
Republikanischer Anwälteverein, Vorsitzender: Wolfgang Kaleck
VDJ – Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen:
Sprecher Prof. Dr. Martin Kutscha
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