Bremen: Redebeitrag zur Demo am 22.9
Zur Rolle des Fernsehens in der Kriegspropaganda
von Menschen, die sich in Genua zusammengefunden haben
11. September. Es ist kaum zu glauben, was passierte. Die meisten sind bestürzt.
Alle wollen jetzt Informationen. Wer von uns hat nicht den Fernseher
angeschaltet? In unserer durchgestylten Medienwelt können wir die Katastrophe
fast live verfolgen .
Egal, auf welchem Sender: unzählige Male, immer wieder, sehen wir das Flugzeug
in den zweiten Turm des WorldTradeCenter stürzen und explodieren. Wir sehen
dieses Bild so lange und so oft, bis, ja, bis was in unseren Köpfen passiert?
Was für Bilder bekommen wir in diesen Tagen zu sehen und warum?
Dieses Bild von den jubelnden Palästinensern: Man sieht maximal 15 Menschen, im
Blickfeld drei jubelnde Jungs, eine Frau, dann ein Mann mit etwas zu essen in
der Hand. Diese kurze Filmaufnahme müssen für die Schlagzeile herhalten: " Die
Welt trauert, die Palästinenser feiern." Wir sehen sie Dutzende von Malen, immer
und immer wieder, auf allen Sendern.
Damit werden Emotionen geweckt. Denn, so erschließt es sich aus der Rhetorik von
US-Präsident Bush: Die Welt wird aufgeteilt in Gut und Böse.
Bereits am ersten Tag der Berichterstattung kommt der Name Osama Bin Laden ins
Spiel. Am nächsten Tag wird er bereits als der vermeintliche Attentäter bzw.
Drahtzieher verhandelt - und das, obwohl keine neuen Erkenntnisse vorliegen. Am
übernächsten Tag fällt das kleine und entscheidende Adjektiv "vermeintlich"
manchmal weg - Bin Laden wird es schon gewesen sein - man braucht nur lang genug
darüber berichten!
Schließlich muss ein lebender für die Verkörperung des Oberbösen herhalten,
damit es sich überhaupt bekämpfen lässt.
Es heißt: Der Angriff auf NY war ein Angriff auf die ganze, sogenannte
zivilisierte Welt. Überhaupt zu sagen, dass es zivilisierte und
nicht-zivilisierte Menschen gäbe, zeugt vom Macht- und Überlegenheitsdenken in
den Industrienationen. Das ist ein unglaublicher, rassistischer Affront!
Als ein Angriff auf die Freiheit, auf die gesamten selbsternannten freiheitlich
organisierten Gesellschaften, wird stündlich berichtet - das tut in der Seele
weh!
Ist damit die Freiheit der Menschen gemeint, die auf der ganzen Welt für einen
Hungerlohn schuften, oder deren Existenz von den Regierungen der
Industrienationen als überflüssig angesehen wird? Ist die Freiheit derjenigen
gemeint, die aus solch einer Situation noch nicht einmal dort hingehen dürfen,
wo sie ein menschenwürdiges Leben führen könnten, weil die Länder, in denen dies
möglich wäre ihre Grenzen dicht machen?
Und wie viel Freiheit erleben die Menschen in den Metropolen, deren Leben nur
noch von Arbeit, von Leistungsdruck und Funktionieren müssen dominiert wird?
Kein Sender erinnert uns in diesen Tagen, dass die sogenannte zivilisierte Welt
seit Jahrzehnten wenn nicht seit Jahrhunderten Krieg gegen die Menschen in
anderen Teilen der Welt führt. Eine Geschichte, die lang ist und blutig,
die bei der Ausrottung indigener Bevölkerungen anfängt und bei Hiroshima,
Vietnam, Chile und Irak noch nicht aufhört. Überall in der Welt leben Menschen
in einer Situation der permanenten Demütigung und des ökonomischen Desasters! Im
Namen der Freiheit werden Kriege inszeniert und Hungersnöte in Kauf genommen.
Täglich sterben allein 24000 Kinder durch Hunger oder an den Folgen der Armut,
die von den Industriestaaten bewusst produziert und ausgenutzt wird. Meistens
sterben die Menschen jedoch stiller und nicht so spektakulär.
Darüber berichten die Medien in diesen Tagen nicht.
Dieses Weglassen von Informationen ist gewollt.
Schon in den ersten Tagen setzt sich in den Fernsehanstalten das Motto durch
"Heute sind wir alle Amerikaner". Werden wir alle Afghanen und Afghanerinnen
sein, wenn dort die Bomben niedergehen? Bildmaterial soll es zu diesem
Kriegsgeschehen nicht geben, hat die US-Regierung angekündigt. Warum bloß? Wir
erinnern uns: Im Jugoslawienkrieg hießen die von den Natobomben getöteten
Menschen Kollateralschaden.
Am dritten Tag sehen wir im Fernsehen die Betroffenheit der Menschen. Da ist die
Straßenbahnfahrerin in Leipzig, die etwas aufgeregt ihren Mitfahrern und
Mitfahrerinnen die Schweige- und Fahrpause erklärt, die Feuerwehrleute in
Berlin, die ihren Kumpels in New York gedenken, die Schüler und Schülerinnen,
die Schule schwänzen, um in der Kirche zu beten.... Mikel Jackson nimmt einen
neuen Song auf, um Spenden zu sammeln, Heino sagt einen Musikabend ab, Fußballer
wollen nicht spielen... Eine Omi weint, weil sie an die Care-Pakete erinnert
wird. Es wird das humanitäre Terrain besetzt
Das hat wenig mit der Geschichte des Attentats und viel mehr mit uns selbst zu
tun. Das hemmungslose Durcheinander aller privaten und öffentlichen Gefühle
funktionalisiert diese Katastrophe und dient dem Zweck: die Menschen in ihrer
Fassungslosigkeit zu belassen und nicht nach Hintergründen zu fragen, die über
die Personen der Attentäter hinausgehen.
Das belässt die Menschen in ihrer Ohnmacht - es wird suggeriert, dass es keine
Alternative gibt dazu, dass der Staat nach Innen mit mehr Kontrolle und
Überwachung und nach Außen mit Krieg reagiert.
Diese Emotionalisierung der Medien ist Methode.
So reichen sachlich-souverän inszenierte Nachrichten- und Sondersendungen aus -
offene Kriegshetze ist dann nicht mehr nötig.
Eine einsame Wahrheit: Krieg beginnt mit Worten und mit Bildern. Wir
konstatieren: Aus der Form der Berichterstattung wird deutlich: Kein einziger
Fernsehsender hat eine Antikriegshaltung!
Kritische Stimmchen am Rande sind das höchste der Gefühle.
Was wir in diesen Tage in Fernsehen beobachten, dient vielfach der
Kriegspropaganda!
Daher fordern wir Euch auf:
Schluckt nicht die scheinbar neutralen und objektiven Berichterstattungen!
Hinterfragt das vom Fernsehen dargestellte Gut-Böse-Schema!
Lasst euch nicht Aufhetzen zum Krieg!
Bleibt aktiv gegen innere und äußere Kriegsführung!
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