Donna Haraways postmoderner Feminismus
Der Feminismus Donna Haraways und die materialistisch-feministische Kritik der Postmoderne
1. Donna Haraways postmoderner Feminismus
Cyborgs jenseits von Mensch und Maschine
Donna Haraway verwendet das Bild des Cyborgs: "Cyborgs sind kybernetische Organismen, Hybride aus Maschine und
Organismus, ebenso Geschöpfe der gesellschaftlichen Wirklichkeit wie der Fiktion" (Haraway 1995a, S. 33). Cyborgs sind
also Mischungen aus Maschinen und Menschen, die es derzeit tatsächlich und in Vorstellungen oder Zukunftsvisionen gibt.
Dies deutet auch bereits Haraways Faible für Science Fiction an. In der Science Fiction gibt es unzählige Cyborgs,
beispielsweise die Borgs bei Star Trek. Derzeit käme es beispielsweise in Militär, Medizin oder in der Form von Cybersex
zur Überschreitung der Grenze zwischen Mensch und Maschine:
Der Virtual Reality-Operationssaal ist zwar noch nicht Standard, aber es gibt immer mehr Versuche, Operationen derart
computerunterstützt durchzuführen, daß der Chirurg eine Cyberbrille am Kopf hat, durch die ihm spezielle Patientendaten, die
vom Rechner erhoben werden, zur Verfügung gestellt werden. Dadurch soll der Eingriff erleichtert werden.
"Beim Frauenhofer-Institut in Darmstadt wird z.B. eine chirurgische Ausbildung am künstlichen Knie vorgenommen. Mit
Hilfe eines VR-Trainingssystems können angehende Chirurgen Knie-Untersuchungen üben. Der Rechner zeigt die momentane
Position der chirurgischen Instrumente im Knie an. [...] Virtual Reality, Vernetzung und Digitalisierung sind auch in der
High-Tech-Medizin die zentralen Schlüsselwörter. [...] Der Operationssaal der Zukunft könnte einer elektronischen
Schaltzentrale gleichen, jeder chirurgische Eingriff wird dann mit umfassenden Patientendaten abgestimmt, die der Rechner
liefert" (Bühl 1997, S. 177f).
Haraway erwähnt immer wieder, daß der moderne Krieg eine "Cyberorgie" (Haraway 1995a, S. 34) sei. Dies zeige sich z.B.
an Hand von C³I (Command-Control-Communication-Computers-Intelligence). Haraways Cyborg-Manifest ist in englischer
Originalfassung 1985 entstanden. Inzwischen wird von C4I (Command-Control-Communication-Computers-Intelligence)
gesprochen. Command and control (C²) meint dabei Mechanismen der Führung und Kontrolle, die den Einsatz des Militärs
im Kriegsfall steuern. Dazu gehört z.B. eine hierarchische Organisation, um Befehle weiterzuleiten. Communication (C³)
bezeichnet die Nachrichtenübertragung zwischen Kommandozentralen und Einheiten. Es wird versucht, möglichst genaue
Informationen über gegnerische Ziele, Organisation, Ausrüstung, Geographie des Kriegsschauplatzes, Ziele der Zerstörung,
usw. zu erheben. Diese Aufgabe erfüllt die Nachrichtenbeschaffung (Intelligence) - C³I. Mit Computereinsatz (Computers,
C4I) wird versucht, die militärische Zerstörungskraft und Kommunikation so effizient wie möglich zu gestalten.
Der Golfkrieg 1991, also die Aktion "Desert Storm", wird allgemein als der erste virtuelle Krieg gesehen, da "die
US-amerikanischen Piloten zuvor an dreidimensionalen Computergrafiken übten, die das zu überfliegende Gelände
wiedergaben. Die Computergrafiken wurden anhand von Satellitenbildern erstellt und bei Nachtflügen auf Sichtgeräten
eingeblendet" (Bühl 1997, S. 168). Der Welt wurden per CNN Radaraufnahmen und feuerwerksartig anmutende
Luftaufnahmen gezeigt, die den Eindruck erwecken sollten, es handle sich hier um einen Hochtechnologiekrieg, in dem es
keine zivilen Opfer mehr gibt. Bilder der Zerstörung und des Leides wurden konsequent negiert. Erst einige Zeit später
wurde klar, daß dies bewußte Täuschungsmanöver waren und daß die Zerstörungskraft des virtuellen Krieges zahllose zivile
Opfer zu Folge hatte. Vom "Kollateralschaden" war im Kosovokrieg die Rede, als ein NATO-Bomber einen
Flüchtlingskonvoi bombardierte und etliche Menschen dabei ums Leben kamen. All dies wirft die Frage auf, ob der virtuelle
Krieg, der sich immer mehr an die Situation annähert, daß der Pilot in seinem Kampfjet eine Virtual Reality-Situation
simuliert bekommt, die der Außenwelt exakt gleicht, zur Vermeidung ziviler Opfer und Zerstörungen beiträgt oder ob jeder
Krieg nicht derart zu qualifizieren ist, daß Zerstörung ohne Rücksichtnahme das Hauptziel ist und daher C4I und
Cyberwarfare genutzt werden, um das Zerstörungsausmaß zu maximieren.
Überwindung von Gender-Grenzen durch Cyborgs
Cyborgs überwinden Grenzen. Nicht nur (wie bereits erläutert) die Grenze zwischen Mensch/Tier/Organismus einerseits und
Maschine andererseits, sondern auch jene zwischen Mensch und Tier werde immer durchlässiger, indem z.B. die
Tierrechtsbewegung die Verbundenheit von Mensch und Tier betone (Haraway 1995a, S. 36f).
Auch die Grenze zwischen Physikalischem und Nichtphysikalischem werde immer unschärfer, da moderne Maschinen
vorwiegend mikroelektronische Geräte seien, die immer kleiner werden. Das Physikalische sei daher allgegenwärtig, werde
aber immer unsichtbarer. Dies nennt Haraway "Miniaturisierung" (siehe ebd., S. 38f).
Mit der Cyborgmetapher versucht Haraway Veränderungen in unserer Gesellschaft zu beschreiben und Vorstellungen über
die Zukunft zu entwickeln. Dazu gehört die Vorstellung, daß Cyborgs "Geschöpfe in einer Post-Gender-Welt" (Haraway
1995a, S. 35) sind. Es geht ihr also um die Auflösung der Grenze zwischen Mann und Frau, da unter den herrschenden
Bedingungen das Geschlecht (Gender) eine Kategorie ist, entlang derer sich Ungleichheiten manifestieren. Es geht ihr also
um eine Vision, in der diese Ungleichheiten, die Unterdrückung und Diskriminierung von Frauen zu Folge haben, aufgehoben
sind.
Verhältnis und Kritik verschiedener Strömungen des Feminismus
Es ist üblich, den Feminismus in mehrere Strömungen einzuteilen: Die Grundidee des bürgerlichen/liberalen Feminismus ist
die angestrebte Gleichheit von Mann und Frau. Er versucht diese Gleichheit innerhalb des bestehenden Gesellschaftssystems
durch Reformen durchzusetzen. Der radikale Feminismus (Vertreterinnen sind z.B. Catherine McKinnon oder Andrea
Dworykinare) betont die Verschiedenheit von Mann und Frau und daß der einzige Weg aus der männlichen Herrschaft über
Frauen eine Separation sei. Der marxistische Feminismus begreift die Unterdrückung von Frauen als Bestandteil des
Kapitalismus, der auf Ausbeutung und Klassenunterschieden basiere. Nur eine revolutionäre Veränderung, die sich gegen den
Kapitalismus stellt, sei als Basis einer Gesellschaft ohne Frauenunterdrückung möglich. Der postmoderne Feminismus
beschäftigt sich vorwiegend mit der sozialen Konstruktion von Gender sowie mit sich verändernden Identitäten und
kulturellen Kategorien, die Frauen betreffen. Donna Haraway wird i.A. als postmoderne Vertreterin des Feminismus
gesehen.
Sie meint, daß sie in ihrem Cyborg-Manifest versucht, "einen ironischen, politischen Mythos zu entwickeln, der Feminismus,
Sozialismus und Materialismus die Treue hält" (Haraway 1995a, S. 33). Diese Treue gleiche jedoch eher der Blasphemie als
der reinen Lehre. Dies kann so verstanden werden, daß sie sich als eine Kritikerin des traditionellen Dogmatismus des
Marxismus-Leninismus, der sich auch im materialistischen Feminismus manifestierte, versteht und daß sie sich aber einer
marxistischen Tradition verbunden fühlt. Jedoch einer, für die Marx und Engels keine Heiligen sind und "Das Kapital" sowie
das "Kommunistische Manifest" nicht als Evangelium unkritisch rezipiert werden. Sie betont auch "die Notwendigkeit von
Solidarität" (ebd.), und: "Blasphemie ist nicht Apostasis" (ebd., Apostasis=Abfall vom Glauben).
Haraway spricht von einer "Krise der politischen Identität" (Haraway 1995a, S. 41). Beispielsweise ist die Identität von
vielen politischen Menschen als Linke, MarxistInnen, SozialistInnen, KommunistInnen, usw. nach dem Umbruch im Osten
brüchig geworden, da der Kapitalismus als historischer Sieger und daher als einzig akzeptable Gesellschaftsform gilt. Diese
Identitätskrisen führen nach Haraway zu Segmentierungen in der Linken und im Feminismus, gemeinsame Perspektiven und
Identitäten oder eine Einheit der FeministInnen seien immer undenkbarer. Es sei aber in der derzeitigen politischen Situation
immer notwendiger, daß eine politische Einheit hergestellt werden könne.
Der sozialistische/marxistische/materialistische Feminismus übernimmt Marx Analyse, daß die Lohnarbeit den Kapitalismus
als ausbeuterische Klassengesellschaft konstituiere, da sie entfremdete Arbeit darstelle, in der der Arbeiter von seinem
Produkt getrennt wird und als Produzent von Mehrwert vom Kapitalisten ausgebeutet wird. "In getreuer Töchterlichkeit
schritt der sozialistische Feminismus voran und übernahm die grundlegenden analytischen Strategien des Marxismus. Die
wichtigste Errungenschaft sowohl marxistischer als auch sozialistischer Feministinnen war die Ausdehnung des
Arbeitsbegriffes auf die Tätigkeiten (einiger) Frauen, auch wenn die Lohnarbeit einer erweiterten Sicht auf Arbeit im
kapitalistischen Patriarchat untergeordnet wurde" (Haraway 1995a, S. 44f). Die Arbeit von Frauen als Mütter sei damit als
Reproduktionsarbeit in die marxistische Analyse aufgenommen worden.
Donna Haraway kritisiert am Marxismus dessen "Unvermögen, diejenigen Tätigkeiten von Frauen zu historisieren, die nicht
für Lohnarbeit in Frage kommen" (Haraway 1995b, S. 77).
Die radikale Feministin Catherine MacKinnon betonte, daß eine vom Marxismus verschiedene Strategie, die nicht
vorwiegend die Klassenstruktur betrachtet, im Feminismus notwendig sei. Ihre Theorie sei eine "Theorie des Bewußtseins",
in der Feminismus als die Bewußtmachung weiblicher Erfahrungen mit der Unterdrückung durch Männern, sexueller Gewalt,
usw. gilt. Eine Frau existiere nicht als Subjekt, sondern nur als das Objekt sexueller Aneignung durch Männer, sie werde
durch männliches Begehren konstituiert.
Haraway kritisiert an MacKinnon, daß diese totalisierend andere Sichtweisen der Rolle von Frauen in der Gesellschaft nicht
gelten lasse, indem sie sagt, die Erfahrung von Frauen bestünde ausschließlich darin, Produkt männlicher Begierde zu sein.
Andere Erfahrungen betrachte sie nicht als gültig (siehe Haraway 1995a, S. 46).
Donna Haraway bemängelt am marxistischen und am radikalen Feminismus, daß beide die Unterdrückung von Frauen an
Hand grundlegender Kategorien (Klasse, Lohnarbeit und Entfremdung beim marxistischen Feminismus; Sexualität, sexuelle
Aneignung und die sexuelle Rolle von Frauen im radikalen Feminismus) betreiben und totalisierend andere Kategorien
ausschließen. "Das peinliche Schweigen über Rasse bei weißen, radikalen und sozialistischen Feministinnen war eine
entscheidende, verheerende politische Konsequenz davon" (ebd., S. 47). Eine politische Einheit sei damit ausgeschlossen,
sondern die Abgrenzung und Betonung von Differenzen zu anderen stünden im Feminismus im Vordergrund.
Informatik der Herrschaft
Donna Haraway plädiert für eine politische, feministische Einheit. Dazu sei es notwendig, die Veränderung von Klasse,
Rasse und Gender in unserer Gesellschaft zu analysieren.
Sie beschreibt den Übergang des fordistischen Kapitalismus, der auf Massenproduktion- und Massenkonsum sowie dem
Wohlfahrsstaat basierte, zum postfordistischen Kapitalismus, der durch Schlagworte wie Informationsgesellschaft,
Dienstleistungsgesellschaft, Neoliberalismus, diversifizierte Qualitätsproduktion (kundenorientierte Fertigung mit kleinen
Stückzahlen, hoher Qualität und flexibler Produktionsweise - Just-in-Time-Production, Lean Management) oder nationaler
Wettbewerbsstaat (Vgl. Hirsch 1995, Hirsch 1998) charakterisiert werden kann.
Unter den wesentlichen Veränderungen, die sie auflistet (siehe Haraway 1995a, S. 48f), findet sich der Übergang von der
tayloristischen Arbeitsorganisation in der Fabrik (Massenproduktion, Fließband, Optimierung der Abläufe durch Zeit- und
Bewegungsstudien) zur "globalen Fabrik" und zum "elektronischen Dorf", von der Lohnarbeit zur Robotik (womit die
zunehmende Computerisierung und Automatisierung von Produktionsabläufen beschrieben ist) und vom Geist zur Künstlichen
Intelligenz (dies zeigt die zunehmende Bedeutung der KI z.B. in Virtual Reality-Anwendungen, die stetig in alle Bereiche der
Gesellschaft diffundieren).
Der kommerzielle Aufstieg des Internets in den 90ern hat deutlich gemacht, daß die weltweite Vernetzung die Möglichkeit
globaler Kommunikation bietet und daß die Globalisierung der Kommunikation Medium und Resultat der ökonomischen
Globalisierung ist.
Auf jene Veränderung des Kapitalismus, die durch Begriffe und Metaphern wie Informationsgesellschaft,
Wissensgesellschaft (Stehr), Data Highway (Clinton/Gore), Cyberspace (Gibson), digitale Stadt/Telepolis, globales Dorf
(McLuhan), virtuelle Gemeinschaft (Rheingold), postindustrielle Gesellschaft (Bell) oder virtuelle Gesellschaft (Bühl)
bezeichnet wird, nimmt Haraway mit ihrer analytischen Kategorie "Informatik der Herrschaft" Bezug: "Die konkrete Situation
von Frauen ist ihre Integration/Ausbeutung in ein weltweites System der Produktion/Reproduktion und Kommunikation, das
als Informatik der Herrschaft bezeichnet wird. Haushalt, Arbeitsplatz, Markt, öffentliche Sphäre, sogar der Körper - alles
kann in nahezu unbegrenzter, vielgestaltiger Weise aufgelöst und verschaltet werden" (Haraway 1995a, S. 51).
Vor allem die Kommunikations- und Biotechnologien seien jene Werkzeuge, die weltweit neue gesellschaftliche Verhältnisse
für Frauen erzwingen. Die Mikroelektronik sei beispielsweise die Basis militärischer Macht, multinationaler Konzerne,
moderner Staaten, politischer Prozesse oder der Arbeitsüberwachung. Durch die Mikroelektronik werde Arbeit zu Robotik,
Fortpflanzung zu Gen- und Reproduktionstechnologien und Geist zu Künstlicher Intelligenz (vgl. Haraway 1995a, S. 53). In
den Bereichen der Biologie und der Kommunikationswissenschaft zeige sich eben auch jene Veränderung, die Haraway
durch die Cyborgmetapher beschreiben will: Das Verschwimmen der Grenze zwischen Mensch und Maschine durch
Gentechnologie, KI, Virtualisierung sowie Cyber-Technologien.
Frauen befänden sich in einem "integrierten Schaltkreis", einer Welt, die durch Wissenschaft und moderne Technologien
grundsätzlich umstrukturiert wird.
Diese technologischen und damit verbunden gesellschaftlichen Veränderungen schaffen, so Haraway, eine neue
ArbeiterInnenklasse. Die neue Situation könne mit dem Begriff "Hausarbeitsökonomie" beschrieben werden. Schlechte
Arbeitsverhältnisse, in denen sich früher vor allem Frauen befanden, seien nun weltweit zu finden. Hausarbeitsökonomie
bezeichnet "eine weitreichende Umstrukturierung der Arbeitsverhältnisse, in der diese in einem umfassenden Sinn die
Charakteristika der vormals tatsächlich nur von Frauen ausgeübten Tätigkeiten annehmen" (Haraway 1995a, S. 55). Prekäre
Arbeitsverhältnisse (Teilzeitjobs, Zeitarbeit, geringfügige Beschäftigung, usw.), die Deregulierung der Arbeitszeit, immer
mehr Arbeit für immer weniger Geld, Dequalifizierung, Anstieg von Arbeitslosigkeit und Armut, die Verschärfung der Kluft
zwischen Arm und Reich sowohl innerhalb der sogenannten "1. Welt" als auch zwischen dieser und der "3. Welt" sind
neoliberale Realitäten. Darauf verweist Haraway mit der Kategorie "Hausarbeitsökonomie": Soziale Ungleichheit betraf
füher vorwiegend Frauen, heute sind immer mehr Menschen damit konfrontiert. Das heißt aber nicht, daß es keine Armut
unter Frauen mehr gibt, sondern nur, daß die Anzahl jener Menschen, die in prekären sozialen Verhältnissen leben müssen,
stetig steigt.
Die Hausarbeitsökonomie sei die internationale Organisationsstruktur des Kapitalismus und werde durch die neuen
Technologien ermöglicht, aber nicht verursacht. Die neue Situation zeichne sich durch den Zusammenbruch des
Wohlfahrtsstaates aus. Damit verbunden sei eine "Intensivierung der Anforderungen an Frauen, ihr tägliches Leben, das der
Männer, der Kinder und der Alten aufrechtzuerhalten" (Haraway 1995a, S. 55).
Immer mehr schwarze Frauen in den USA seien zwar berufstätig, dies bedeute jedoch quasi keinen Fortschritt, sondern eine
Zunahme der erzwungenen Armut unter Schwarzen trotz Erwerbsarbeit. Eine große politische Gefahr sieht sie in einer
Sozialstruktur, in der die Mehrheit der Frauen und Männer - vor allem aber Schwarze - mit Arbeitslosigkeit, Machtlosigkeit
und einem hochtechnologischen Repressionsapparat konfrontiert sind.
Die westliche Welt sei durch Dualismen gekennzeichnet, wobei jeweils eine Seite Herrscher und die andere Knecht sei:
"Die wichtigsten dieser problematischen Dualismen sind Selbst/Andere, Geist/Körper, Kultur/Natur, männlich/weiblich,
zivilisiert/primitiv, Realität/Erscheinung, Ganzes/Teil, HandlungsträgerIn/Ressource, SchöpferIn/Geschöpf, aktiv/passiv,
richtig/falsch, Wahrheit/Illusion, total/partiell, Gott/Mensch" (Haraway 1995a, S. 67). Mit einem Dualismus von
Selbst/Andere werde die Herrschaft über Frauen, Farbige, Natur, ArbeiterInnen und Tiere legitimiert, da die Herrschaft über
Menschen, die als anders gelten, als selbstverständlich und legitim gilt. Der/Die Cyborg helfe mit, all diese Dualismen
aufzulösen.
Im Kampf gegen die Zunahme der Ungleichheiten seien, so Haraway, "gender- und rassenübergreifende Allianzen" (Haraway
1995a, S. 57) und "neue Formen solidarischer Einheit über die Grenzen von Rasse, Gender und Klasse hinweg" (Haraway
1995a, S. 61) notwendig. Begeistert ist sie z.B. von schwarzen Feministinnen, die ihre Identität und Unterdrückung sowohl
als Frauen als auch als Schwarze betonen ("women of color"). Eine Vernetzung des politischen Widerstandes sei notwendig.
SciFi-Ästhetik
In vielen Science Fiction-Filmen oder -Romanen gibt es Charaktere oder Lebewesen, die kein eindeutiges Geschlecht haben,
eine Mischung aus Mensch/Maschine, Tier/Maschine oder Mensch/Tier sind. "Die feministische Science Fiction ist
bevölkert von Cyborgs, die den Status von Mann oder Frau, Mensch, Artefakt, Rassenzugehörigkeit, individueller Identität
oder Körper sehr fragwürdig erscheinen lassen" (Haraway 1995a, S. 68).
Donna Haraway verbindet mit der Metapher des Cyborgs und ihrer Begeisterung für Science Fiction die Vision einer Welt
ohne Gender, in der das Geschlecht keine Rolle mehr spielt und in der es keine Unterdrückung von Frauen mehr gibt: "Die
Cyborg-Monster der feministischen Science-Fiction definieren politische Möglichkeiten und Grenzen, die sich stark von den
profanen Fiktionen &lsquoMann&rsquo und &lsquoFrau&rsquo unterscheiden. [...] utopischen Traum, die Hoffnung auf eine
monströse Welt ohne Gender" (Haraway 1995a, S. 71).
Als Beispiele für Texte, mit denen Haraway quasi eine Post-Gender-Cyborg-Romantik verbindet, nennt sie "The Ship Who
Sang" von Anne McCaffrey, "Gaia" von John Varley, "The Adventures of Alyx of the Female Man" von Joanna Russ,
"Superluminal" von Vonda McIntyre oder "Sister Outsider" von Audre Lorde. "The Ship Who Sang" ist beispielsweise die
Geschichte einer Cyborg, die aus einer Maschine und dem Gehirn eines Mädchens besteht, das nach der Geburt schwer
behindert war.
Dekonstruktivismus
Donna Haraway meint in Haraway 1995b, daß sie Wahrheitsansprüche der Wissenschaft dekonstruieren wollte und daher
den sozialen Konstruktivismus verwendete. Andererseits sei auch die herrschaftskritische Tradition des Marxismus für sie
von Bedeutung gewesen. Sie meint, daß sie auch in dem Sinn objektiv sei, daß sie eine bessere Welt für Frauen möchte. Das
Problem dabei sei, einerseits die historischen Objektivitätsansprüche der Wissenschaft zu dekonstruieren, aber andererseits
den eigenen feministischen Objektivitätsanspruch aufrechtzuerhalten. Deshalb sei ein neuer Objektivitätsbegriff notwendig.
Dies müsse ein Begriff sein, der "den Standpunkt der Unterworfenen" einnimmt und "eine Perspektive aus der Position der
weniger Mächtigen" (Haraway 1995b, S. 83) sei. "Unterworfene Standpunkte werden bevorzugt, weil sie angemessenere,
nachhaltigere, objektivere, transformierendere Darstellungen der Welt zu versprechen scheinen" (Haraway 1995b, S. 84).
Totalisierung sowie die Betonung einer einzigen Sichtweise und Ablehnung anderer Sichtweisen (dies wirft sie dem
radikalen und dem marxistischen Feminismus vor) seien der falsche Weg, notwendig seien politische Solidaritätsnetzwerke,
"heterogene Vielheiten" (ebd., S. 86) und die "Verknüpfung partialer Sichtweisen und innehaltender Stimmen zu einer
kollektiven Subjektposition" (ebd., S. 91).
Dem Konstruktivismus bleibt Haraway treu, die Widerspiegelungstheorie ist für sie keine gangbare epistemologische
Argumentationsweise: "Situiertes Wissen erfordert, daß das Wissensobjekt als Akteur und Agent vorgestellt wird und nicht
als Leinwand oder Grundlage oder Ressource und schließlich niemals als Knecht eines Herrn" (Haraway 1995b, S. 93). Mit
Leinwand verweist sie auf eine Projektion von Normen, Werten und Regeln. Gegen die Möglichkeit einer solchen
Widerspiegelung spricht sie sich aus.
Mit "situiertem Wissen" meint Haraway, daß Wissen von Forschenden nur in Bezug auf deren politische Position gebildet
werden kann. Sie sieht also feministisches Wissen als eine Kategorie, die nur möglich ist, wenn sie sich auf
gesellschaftspolitische Veränderungen bezieht.
Zusammenfassung
Ich möchte die wesentlichen Thesen des "Manifest für Cyborgs" zusammenfassen:
Sowohl marxistischer als auch radikaler Feminismus analysieren die Unterdrückung von Frauen nur an Hand von sehr
engen Kategorien (Klasse/Lohnarbeit im ersten Fall, Sexualität im zweiten) und grenzen sich von anderen Richtungen
ab. Eine Einheit sei aber in der derzeitigen gesellschaftlichen Situation mehr als notwendig.
Eine solche Einheit könne unter der Verwendung der Cyborg-Metapher geschaffen werden, da es damit möglich sei,
Veränderungen von Klasse, Rasse und Gender zu analysieren und so umfassende politische Identitäten zu schaffen.
EinE Cyborg überschreitet Grenzen, ist ein Hybrid aus Mensch und Maschine.
Durch Biotechnologie und neue Kommunikationstechnologien wird der "rassistische, männlich dominierte
Kapitalismus" (Haraway) so verändert, daß eine "Informatik der Herrschaft" entsteht, in der Frauen mit neuen Formen
der Unterdrückung konfrontiert sind. Vernetzung wird dabei zu einem immer wichtigeren Moment. Durch die neuen
Technologien verwischen sich zunehmend die Grenzen zwischen Mensch und Maschine.
Die feministische Science Fiction liefert Erzählungen, die Basis für eine Vision einer zukünftigen Cyborg-Gesellschaft ohne
Gender sein können, in der es also keine Grenzen und Unterschiede zwischen Mann und Frau und somit auch keine
Frauenunterdrückung gibt. Die Arbeit Haraways kann als Vermischung von Theorie und Fiktion gesehen werden.
Der marxistische Feminismus und seine Kritik der Postmoderne
Marxismus
Der Marxismus versteht gesellschaftliche Ungleichheiten als immanente Bestandteile des Kapitalismus. Demnach besitzt eine
Minorität, die kapitalistische Klasse, die Produktionsmittel, Böden, Ressourcen und Geld, während andere davon abhängig
sind. Durch das Privateigentum an Produktionsmittel und Kapital entsteht, so der Marxismus, eine Klassenstruktur, der zu
Folge die Arbeitenden ihre Arbeitskraft den Kapitalisten auf dem Arbeitsmarkt anbieten müssen, um das eigene Überleben
durch Lohnarbeit zu finanzieren.
Es bestehe ein Widerspruch zwischen den beiden Klassen Kapital und Lohnarbeit, da der Kapitalist nur durch die
Ausbeutung der Arbeitskraft des Arbeiters am Markt konkurrenzfähig bleiben kann. Dies nimmt die Form an, daß der
Lohnarbeiter mehr arbeitet als er bezahlt bekommt, er produziert einen Überschuß, den sogenannten Mehrwert. Dieser
Mehrwert ist die Basis der Kapitalakkumulation durch den Kapitalisten.
Wird das Produkt verkauft, so verwandelt sich der Mehrwert in Profit. MarxistInnen argumentieren, daß die kapitalistische
Klassenherrschaft durch staatliche Gewalt (Polizei, Militär, Justiz, Gefängnisse, usw.) aufrechterhalten werde.
Der dialektische und historische Materialismus von Marx und Engels erfaßt Widersprüche in der kapitalistischen Ökonomie:
Widersprüche zwischen Reich und Arm, Besitz und Besitzlosigkeit an Waren, Produktionsmittel, Kapital, Ressourcen;
Produktivkräften (Arbeit, Technik, Wissenschaft) und Produktionsverhältnissen (Verhältnisse zwischen Klassen) sowie
zwischen den Klassen Kapital und Lohnarbeit werden analysiert und.
Dabei gelten die ökonomischen Beziehungen als die materielle Basis der Gesellschaft; Kultur, Religion, Politik, Recht und
Ideologie werden als sozialer Überbau betrachtet, der nur auf der Grundlage der materiell-ökonomischen Basis existieren
kann. Hier kommt Engels&rsquo Verständnis des Materialismus zum Tragen: die Produktion und Reproduktion (Basis)
bestimmen die Struktur des Überbaus. Letztere spiegelt also die materiellen Verhältnisse wider. Um einer mechanistischen
Kausalität auszuweichen, in der jede Wirkung eine Ursache hat und jede Ursache eine Wirkung, sprechen MarxistInnen wie
Louis Althusser davon, daß es Rückwirkungen vom Überbau auf die Basis gibt. Althusser nennt dies die
"Overdetermination" der Basis durch den Überbau (vgl. Althusser 1976, S. 177). Für Engels ist die Grundfrage der
Philosophie das Verhältnis von Denken und Sein (siehe MEW Band 21, S. 274). Der dialektische Materialismus propagiert
diesbezüglich, daß das Sein das Bewußtsein bestimmt.
Marx verwendete Hegels dialektische Methodologie, um den Kapitalismus zu analysieren. Diese Analyse basiert auf den
Kategorien, Wert, Gebrauchs- und Tauschwert. Er wollte herausfinden welche Gesetze und Kräfte soziales Handeln und
soziale Beziehungen beeinflussen und wie Arbeit, Wissenschaft und Technik als Produktivkräfte sozio-ökonomische
Widersprüche des Kapitalismus entwickeln und war daran interessiert, die Bewegungsgesetze und Strukturen der
kapitalistischen Produktionsweise sowie der geschichtlichen Entwicklung zu analysieren.
Marxistischer/Materialistischer Feminismus
Donna Landry und Gerald Maclean sehen Klassenanalyse und das Aufzeigen von Klassenwidersprüchen als wesentlich für
den marxistischen Feminismus. Sie argumentieren für einen Klassenbegriff, der sich nicht klassisch marxistisch auf Kapital
und Arbeit beschränkt, sondern eine Pluralisierung der Klassengesellschaft beschreiben kann: "Marxist feminism holds class
contradictions and class analysis central [...] we are arguing that materialist feminism should recognize as material other
contradictions as well. These contradictions also have histories, operate in ideologies, and are grounded in material bases
and effects [...] these categories would include [...] ideologies of race, sexuality, imperialism and anthropocentrism"
(Landry/Maclean 1993, S. 229).
Christine Delphy argumentiert in Delphy 1975, daß feministische und proletarische Wissenschaften Unterdrückung erklären
müßten. Materialistischer Feminismus müsse sich daher mit der Unterdrückung und Beherrschung von sozialen Gruppen
durch andere befassen. Materialismus sei traditionell eine Geschichtstheorie gewesen, in der Geschichte als die Geschichte
der Klassenkämpfe gesehen wird. Frauen seien aber als Klasse von diesen Analysen ausgeschlossen geblieben (Delphy
1975, S. 62). Ähnlich wie Landry und Maclean sieht also auch Delphy Männer und Frauen als Klassen, zwischen denen es
widersprüchliche Verhältnisse gibt: "the only groups materialist theory recognized as classes: proletarians and capitalists.
For so long only these groups were recognized as classes [...] Sexuality is, however, very much a place of class struggle. It is
one of the fields of confrontation of two groups; but the groups are not the proletarians and the capitalists, but social men and
social women" (Delphy 1975, S. 63).
Die Begriffe "marxistischer Feminismus" und "materialistischer Feminismus" werden weitgehend gleichbedeutend
verwendet. Hennessy/Ingraham 1997b betont jedoch, daß es Ansätze gibt, deren AnhängerInnen sich zwar als
materialistische FeministInnen verstehen, daß es sich jedoch um postmoderne Theorien handle, für die Klassenanalysen
irrelevant seien. Annette Kuhn und Ann Marie Wolpe sprechen sich für die Verwendung von Engels&rsquo Verständnis des
Materialismus im Feminismus (Kuhn/Wolpe 1978, S. 86) aus. Diese lautet: "Nach der materialistischen Auffassung ist das in
letzter Instanz bestimmende Moment in der Geschichte: die Produktion und Reproduktion des unmittelbaren Lebens. Diese ist
aber selbst wieder doppelter Art. Einerseits die Erzeugung von Lebensmitteln, von Gegenständen der Nahrung, Kleidung,
Wohnung und den dazu erforderlichen Werkzeugen; andrerseits die Erzeugung von Menschen selbst, die Fortpflanzung der
Gattung" (Engels 1946, S. Vf) Der Begriff Reproduktion, der eine wesentliche Rolle im marxistischen Feminismus spielt,
wird hier also als die Erzeugung von Menschen durch Fortpflanzung definiert.
Reproduktion ist für feministische MarxistInnen ein wichtiger Begriff, da die traditionelle marxistische Analyse die
Unterdrückung von Frauen als Nebenwiderspruch abtat, der im Überbau der Gesellschaft angesiedelt sei. Sei aber erst
einmal die ökonomische Basis des Kapitalismus beseitigt, so verschwinde diese Unterdrückung ganz von alleine.
Marxistische FeministInnen lehnen diese Analyse ab, sie sehen die Aufhebung des Kapitalismus lediglich als die Basis einer
Gesellschaft ohne Herrschaft über Frauen.
Kuhn und Wolpe definieren materialistischen Feminismus als eine Position, die die Rolle der Frau in der Gesellschaft im
Rahmen der Produktions- und Reproduktionsverhältnisse in verschiedenen Phasen der Geschichte analysiert (Kuhn/Wolpe
1978, S. 86).
|