Italy: Wasserdiebe, Erdschänder, Globalisierer
Wasserdiebe, Erdschänder,
Globalisierer
Die italienische Linke fordert eine europäische
Intervention gegen den Judenstaat
Wie sehr ehemals der „Linken“
vorbehaltene völkische Manien wie der Antizionismus und der Antiamerikanismus
mittlerweile die ideologische Produktion der gesamten Gesellschaft bestimmen,
läßt sich nicht nur in Deutschland feststellen. Auch in Italien kreist das
Zusammenspiel zwischen linker Parolendrescherei und Presseschlagzeile ganz
unverhohlen um das „Volk“.
Jegliche soziale Gruppe, und
sei sie noch so kontingent, wird dabei als „Volk“ definiert. Diese an sich
idiotische Unsitte steht aber im bitterernsten Kontext der sich durch die ganzen
90er Jahre hindurch steigernden Hetze der Mainstream-Medien und des Mobs gegen
Sinti und Roma. Eine Hetze, die schließlich auch auf Slawen ausgedehnt wurde,
welche als „von Natur aus“ kriminelle (Sexual-)Triebtäter dargestellt werden;
eine Hetze, deren scheußlichste Hervorbringung ausgerechnet eine Titelseite der
Unitá – Parteizeitung des PDS, heute DS, vormals PCI – Anfang der 90er
vorstellte: Neben dem fetten Titel „Ich, serbischer Vergewaltiger“ ist ein
großformatiges Foto von einem gefoltert erscheinenden Mann plaziert.
Es überrascht also nicht, daß
alles, was irgendwie als „linke“ Öffentlichkeit firmiert, sich am Wettbewerb der
Volkserfinder beteiligt: vom „Volk der Linken“ ist die Rede, vom „Volk von
Seattle“, vom „ Volk Bertinottis“, vom „Volk der centri sociali“, vom „Volk der
DS“; aber auch vom „Volk der Alleanza nazionale“, vom „Volk der Lega“. Man
steigert sich noch zum „Volk der Badenden“, zum „Volk der Diskotheken“, dem
„Volk der Nacht“, bis hin zum „Volk der Schlauchboote“ und zum „Volk der
befristeten und Teilzeit-Verträge“.
Das Copyright für die beiden
letztgenannten Kreationen hat das wichtigste Organ der italienischen „Linken“:
il manifesto. Einst entstanden aus dem linken Flügel des PCI, leitet das
Blatt heute das „No-Global-Volk“ – wie es in Italiens Presse inzwischen
einhellig genannt wird – maßgeblich ideologisch an. In einem Punkt allerdings
hat il manifesto sich nie geändert: Von Beginn an verfolgte die Zeitung
akribisch die Untaten des unechten „Global-Volks“ im Nahen Osten. Immer schon
lieferten authentische „Betroffene“ die Stichworte der Anklage. Das gilt noch
heute. So verkündete am 18. Juli die Sprecherin der arabischen Liga, Hanan
Ashrawi, im Interview mit il manifesto, die Regierung von Ariel Sharon
führe „auch – und es ist mir wichtig, dies zu unterstreichen – dank des
Schweigens Europas und der Komplizenschaft der USA offensichtlich Operationen
ethnischer Säuberung durch: Die jüngsten Zerstörungen palästinensischer Häuser
sind Verbrechen gegen die Menschheit.“ Nicht nur, daß sich der Interviewer in
keiner Weise an den von Ashrawi verwendeten Begriffen störte: Er schob zudem
gleich die Frage hinterher, ob es denn ausreiche, die arabischen Länder zu
stärken, da diese doch selber „eng mit den USA verbunden“ seien, ob die
europäische Politik nicht vielmehr noch weiter gehen müsse. Eine Frage, die zu
beantworten Ashrawi sicherlich nicht leichtgefallen ist, mußte sie den
Interviewer doch mäßigen: Der Kampf gegen Israel sei nunmal ein langwieriger
Prozess, und – welch Eingeständnis – die arabischen Länder müssten erst einmal
auch noch wirklich demokratisch werden.
Die regelmäßig für die
„kommunistische Tageszeitung“ schreibende Abgeordnete des Europäischen
Parlaments, Luisa Morgantini (Rifondazione Comunista, PRC), vergleicht hingegen
auf ihrer Homepage nicht nur mittels eigener früher Kindheitserinnerungen die
israelische Armee mit Nazis, die italienische Partisanen verfolgten, sondern
macht Israel auch gleich noch für die in Genua angewandte Polizeitaktik
verantwortlich: „Ich komme in Genua an, gehe in Richtung jenes Hauses, das mich
in diesen Tagen der ‚Globalisierung von unten‘ beherbergen wird. Es befindet
sich mitten im Zentrum, gleich hinter der roten Zone, daneben sehe ich einen
enormen Metallzaun, schwer, unüberwindlich wie die vielen, die es davon im
Stadtzentrum gibt. Hat sich die israelische Politik also globalisiert?
Ich denke an den Metallzaun um das Flüchtlingslager von Deisheh und den Zaun des
Gazastreifens in Rafah an der Grenze zu Ägypten; Mütter und Kinder, durch die
Besetzung im Jahre 1967 getrennt, haben die Grenzen nie überschreiten dürfen, um
sich zu umarmen. Die Bürger Genuas, auch sie eingeschlossen wie die zur Umgehung
der Metallzäune und der Sperren gezwungenen Palästinenser, werden sich in diesen
Tagen nicht bewegen können. Gewiss ist es nicht dasselbe, denn: hier sind die
Zäune sauber, neu, gut gebaut, die Soldaten schießen (noch) nicht, auf jeden
Fall werden aber auch hier die Menschen zurückgejagt.“ (Hvhbg. R.R.)
Daß tatsächlich in Genua einer
der Demonstranten, Carlo Giuliani, erschossen werden würde, konnte Morgantini
vorab nicht wissen, präsentierte aber nichtsdestotrotz schon einmal den
eigentlichen Verantwortlichen für jede potentielle Leiche: „Es scheint, dass die
Reise des Premierministers Ariel Sharon in Italien mit dem Austausch von
Komplimenten und warmem Händedruck mit dem Regierungschef Silvio Berlusconi auch
zum Austausch von Erfahrungen und Methoden bei der Bewältigung von Problemen der
Kontrolle und der Sicherheit geführt hat“. Nicht genug, daß diese
patriarchalischen „Nazizionisten“ - wie Anhänger der Gruppe „Socialismo
rivoluzionario“ die Israelis nennen – nicht davor zurückschrecken, aus reiner
Boshaftigkeit ganze Stadtbevölkerungen festzusetzen und Mütter eiskalt von ihren
Kindern zu trennen, obendrein noch schwul zu sein scheinen; nein, wie jeder
Antisemit, pardon: Antizionist, „weiß“, ziehen die Juden bei den schlimmsten
Dingern, die gerade gedreht werden, auch stets im Hintergrund die Fäden, wenn es
oberflächlich betrachtet auch nach dem Gegenteil aussieht: „Ich hatte jedoch
nicht den Eindruck, daß Sharon auch die Minister Umberto Bossi und Claudio
Scajola getroffen und ihnen davon erzählt hätte, wie die israelische Armee mit
der Entwurzelung von Ölbäumen, von Palmen, von Orangenbäumen und Weinbergen [!]
die Probleme der Kontrolle über die Bewegungen der Palästinenser in jenen Zonen
löst, die sich in der Nähe der Kolonien und der (illegalen) Straßen befinden,
die Israel weiterhin in den besetzten Gebieten des Westjordanlands und Gazas
baut.“ Nicht nur hinter den Carabinieri steckte Sharon also, er verbirgt sich
auch hinter der Maske des nordischen Separatisten Bossi. Alles hängt global
miteinander zusammen, aber was alles mit allem verbindet, ist für die
„antiglobale Linke“ längst nicht mehr das Kapital und der Staat, sondern Sharon
und „seine“ Israelis, der „Jude“ also, der in der Verkleidung als „Umberto Bossi
dem Innenminister Claudio Scajola, während sie die vier Grenzübergänge
(Sloweniens) nach Italien – in dem Streifen, der die Stadt 54 Jahre lang in
Gorizia und Novo Gorica teilte – gemeinsam durchkämmten, (anscheinend) empfohlen
(hat), daß jene so stark bewaldete, von Maulbeerbäumen gesäumte Grenze gesäubert
werden müsse. Zu viele Immigranten, denen es gelingt, sich zu verstecken und
dann die Grenze zu Italien zu überwinden.“
Es ist Leuten vom Schlage
Morgantinis völlig gleichgültig, worum es im einzelnen geht: Um
Polizeiabsperrungen im Zuge einer Demonstration, um Immigrantenabwehr oder um
die Selbstverteidigung Israels gegen antisemitischen Terror. Es gibt stets nur
noch geschichtslos Gutes auf der einen Seite – die Natur, die Erde und der
Bauer, kurz: der Archetyp des fest in seiner Scholle verwurzelten Volkes, der
diese mit zusammengebissenen Zähnen, aber ohnmächtig gegen den Angriff des bösen
Widernatürlichen auf der anderen Seite, verteidigt: „Wie traurig und wie
entmenschlichend – die Bilder vom Gazastreifen schieben sich bei mir
übereinander, die von den entwurzelten Bäumen mit [!] den unbeweglichen Bauern,
die sogar unfähig sind zu fluchen, die verletzte Erde und der Illegale, der auf
der radarüberwachten, entwaldeten Erde herumstreift.“ Weil auch der
„illegalisierte“ Flüchtling gemeinsam mit der Erde und den Maulbeerbäumen ein
Opfer der von den Juden zu verantwortenden destruktiven technischen
Naturbeherrschung ist, darf auch er zu denen gehören, die von dem – Zäune durch
Völker ziehenden und sich selbst hinter Zäunen verschanzenden – Bösen zu Brüdern
im Leid gemacht werden. Getötete Juden allerdings kommen in dieser reaktionären
Seifenoper nicht vor, Juden sind nur als brutale Täter existent. Die
Überlagerung der Bilder – das von den Zäunen im „vom G8 belagerten“ Genua, das
vom unbeweglichen Bauern in Palästina und schließlich das vom mittels
rationalisierter Überwachungstechnik noch effizienter abgewehrten „Illegalen“ –
dient dazu, jede Art durch den Kapitalismus hervorgerufener „Entwurzelung“ –
auch Morgantinis eigene effektvoll sentimentalisierte „Entfremdung“ – letztlich
den Juden anzulasten. Es ficht sie nicht an, daß dem Flüchtling nicht in erster
Linie die Ökologie, sondern das Gelingen seiner Flucht am Herzen liegt, und sie
scheut sich auch nicht, den Bauern in Palästina zur „verletzten Erde“ zu
versachlichen.
Von
Tschetschenien nach Palästina
Die Autoren von il
manifesto lassen sich in ihrer bedingungslosen „europäistischen“ Parteinahme
„für die Palästinenser“, das „palästinensische Volk“, auch durch blutige
Selbstmord-Massaker wie das in der Tel Aviver Diskothek vom 1. Juni 2001 nicht
beirren. Nur kurz durfte seinerzeit – man erinnerte sich plötzlich an die
Unterstützung des Pol-Pot-Regimes durch „die Linken“ – ein Zweifel aufblitzen,
durfte vor dem islamistischen „Fundamentalismus“ gewarnt und der „wahllose Mord
an Zivilpersonen“ angeprangert werden. Noch im selben Text jedoch war von dem
kürzlich verstorbenen Faisal Husseini, dem nachgesagt wird, noch kurz vor seinem
Tod die Vernichtung Israels als sein Ziel bezeichnet zu haben, als einem der
„bei der Suche nach einem Weg zu einem wahren Frieden am stärksten engagierten
Männer“ die Rede. In derselben Ausgabe von il manifesto berichtete Anna
Maria Merlo unter der Überschrift „Mittlerer Orient – Kann Europa wieder eine
Rolle spielen?“ begeistert, daß man sich auch auf einem in Paris abgehaltenen
europäischen Kongreß – „bei dem man ohne allzu große diplomatische Zurückhaltung
sofort zur Sache gekommen war: zur Frage der Entsendung einer internationalen
Streitmacht, die eine Pufferfunktion einnehmen soll“ – zugleich vielfach auf
diesen „Mann der Vermittlung“ besonnen habe.
Während des Kosovokriegs war
die antizionistische Linke Italiens in weit geringerem Ausmaß als die deutsche
zu begeistern für Menschenrechtsinterventionen und „Pufferstreitmächte“. Zwar
wurde Jugoslawien auch in Italien durch
die völkische Brille betrachtet und erschien als widernatürliche Konstruktion,
wurde aber eben auch als Gegner des „globalistischen“ Westens, insbesondere der
USA, geschätzt. Zu abgetrennten Demo-Blöcken für Serben oder gar zu Prügel für
Leute, die jugoslawische Fahnen mitführten, kam es in Italien nicht, ganz im
Gegensatz zu heute, wo solche, die es wagen, israelische Fahnen mitzuführen,
rabiat verscheucht werden. In unwillentlicher Übereinstimmung mit Sharon befand
damals eben auch auch il manifesto, dass es sich bei dem Nato-Angriff auf
Jugoslawien keineswegs um eine gute Sache handelte. Man lastete diesen aber
hauptsächlich den USA an, stufte die damalige italienische Mitte-Links-Regierung
lediglich als allzu hörige volks- und europaverräterische Mitbomberin ein und
war damit aus dem antiimperialistischen Schneider.
Auch der russische Nachfolger
des ehemaligen „Sozialimperialismus“ reiht sich aus dem Blickwinkel des il
manifesto-Spektrums unter die Erd- und Volksschänder ein: Gegen den
Tschetschenien-Krieg mobilisierte il manifesto Ende 1999 gemeinsam mit
anderen Gruppen wie dem PRC (Rifondazione Comunista), der ARCI (ehemals
KPI-Kulturorganisation), Assopace (Friedensvereinigung), Pax Christi und linken
DSlern zu einem Sit-in vor der russischen Botschaft in Rom. Hatte man sich nur
mäßig für die Sache der Kosovo-Albaner begeistern können, die zwar – was
prinzipiell Symphatien bringt – Moslems sind, aber eben – welch unverzeihlicher
Makel – von den USA unterstützt worden waren, so rührte
sich bei denselben Leuten nun umso
heftiger das „europäistische“ Gewissen. Das „Unterschriftenkartell“ und „die
Synthese vieler Stimmen, die sich während des Krieges im Kosovo bewegten“,
scherten sich wenig um die „wenige[n] politische[n] Argumente“, sondern zeigten
„viel menschliche Teilnahme“, was auch Vittoria, die „aus ,persönlicher
Verantwortung‘ dabei“ war, super fand: „Die großen Mobilisierungen“ würden
schließlich „auf der Welle der Emotionen“ stattfinden. Emotionen, die nach „mehr
Koordination unter den Bevölkerungen“ verlangen – in diesem Fall zwischen dem
„No-Global-Volk“ Italiens und dem der islamistischen Terroristen Tschetscheniens
–, bewegten auch die „Frauen in Schwarz“, die nach „Bewegungen wie [jener] für
die Frauen, die ohne parteiische Interessen umfassende Aufmerksamkeit für die
Plage des Krieges erregen können“ riefen. Auch Europas Gewissen war dabei:
„Luisa Morgantini, Europaparlamentarierin, noch mit dem Koffer an der Hand“,
stand da am Straßenrand, und man konnte von ihr sogleich erfahren, daß sie als
ethnische Angehörige des „Volks des Denkens und Handelns“ (il manifesto,
31.8.2001) bereits einiges an „Koordination“ in die Wege geleitet habe: „Im
Parlament haben wir die Aussetzung der Tacis-Vereinbarung [eines Programms der
EU zur technologischen Unterstützung Russlands; R.R.] verlangt, das ist ein
wichtiger Schritt, der Konsens stiftet“, sprich neo-völkische (EU-)Gemeinschaft
schmiedet: „Der Rat wird in wenigen Tagen dazu Stellung nehmen“. „Derweil“
hatten zudem „die Gruppen, die gestern das Sit-in angesetzt haben, ein
‚Ständiges Komitee für den Frieden in Tschetschenien‘ geschaffen. Ende des
Monats wird ein erstes Treffen mit einigen tschetschenischen Frauen stattfinden,
um über die Art der (friedlichen) Intervention nachzudenken.“
Zwar ist „Tschetschenien (...)
keine italienische Angelegenheit. Wir haben“ – dennoch, schließlich denkt man
global – „alle die Verantwortung, an die Personen zu denken, die dort sind“,
soll ARCI-Präsident Tom Bettenello bei der selben Demonstration gesagt haben.
Was für Tschetschenien gilt, wie sollte das nicht erst recht für Palästina
gelten, das unter dem „zionistischen“ Joch doch seit Jahrzehnten stöhnt!
Häufiger denn je trifft sich zwischenzeitlich das „Volk des Denkens und
Handelns“, getragen von jener „Welle der Emotionen“, immer lokal, immer von
unten. Beispielsweise am 31. August in Rom, wo „heute Abend von 19 bis 21 Uhr
(...) auf der Piazza Campo di Fiori ein Sit-in für einen internationalen Einsatz
zum Schutz des palästinensischen Volkes unter der israelischen Besatzung
veranstaltet werden (wird)“, zu dem das gewohnte „Unterschriftenkartell“ im
Verein mit der palästinensischen Gemeinschaft in Italien und dem „Comitato Al
Awda“ aufrief. Dieses „Comitato“, bezeichnenderweise von Naom Chomsky
mitbegründet, unterzeichnete neben dem zitierten Aufruf auch eine Erklärung, in
der von nichts geringerem als vom „Verbrechen des Jahrhunderts, begangen von der
zionistischen Bewegung zum Schaden des palästinensischen Volkes“ die Rede ist.
Eine Erklärung, in der nur der Ball aufgenommen wurde, den il manifesto
mittels seiner Berichte vom antizionistischen Weltkongreß in Durban ins Spiel
gebracht hatte: „Es gibt Schilder mit dem Davidstern neben einem Hakenkreuz; ein
Poster besagt: ‚Besatzung gleich Kolonialismus gleich eine neue Form der
Apartheid‘. Die Union der arabischen Anwälte verteilt eine Broschüre auf
arabisch, französisch und englisch, um mit Argumenten zu belegen, warum der
Zionismus eine Form des Rassismus ist. ‚Das zionistische Projekt ist ein Projekt
auf religiöser Grundlage, nur für die Juden. Daraus ergibt sich, dass es alle
übrigen, die Nicht-Juden, die Minderwertigen, ausschließt‘, erklärt Imam Gad,
Forscher in Politischen Wissenschaften, Ägypter“ – und stellt damit
universalistisch klingende Ideologie für den völkischen Kampf bereit. „Die
Zionismusfrage gehört zu jenen Fragen, die seit den ersten Vorbereitungstreffen
diese Konferenz ins Rampenlicht gestellt haben. Im offiziellen Sprachgebrauch
steht die Gleichung zwischen Zionismus und Rassismus außer Frage [!], und die
Menschenrechtskommissarin der UNO Mary Robinson hat sich (bislang vergeblich)
dafür eingesetzt, nach Kompromißformeln zu suchen: Hinweise auf die ‚Politiken
der Diskriminierung‘ gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, Hinweise auf
das Leid der Palästinenser. ‚Das reicht nicht, das politische Projekt Zionismus
muß verurteilt werden‘, sagt Gad.“ Und nicht weniger fordert die „kommunistische
Tageszeitung“ von den Regierungen der Welt: „Man wird sehen, ob und inwieweit
die Konferenz der Regierungen das Forum der Bewegungen anhören wird.“ (il
manifesto, 31.8.2001)
Sozusagen den italienischen
Joschka Fischer im Wartestand gibt Adriano Sofri, Mitbegründer von Lotta
Continua und Ikone der Ära des militanten Kampfes im Italien der 70er Jahre.
Kaum aus langjähriger Haft entlassen, hatte er sich zunächst für das unabhängige
Bosnien und dann für die Selbständigkeit Tschetscheniens stark gemacht. Nunmehr
– inzwischen wieder im Gefängnis – gibt er zwar zu bedenken, daß die
allenthalben geforderte Rückkehr sämtlicher von der PLO als solche definierten
palästinensischen Flüchtlinge das Ende Israels bedeuten würde, bietet sich aber
recht staatsmännisch als völkischer Vermittler in der „Israel-Frage“ an. Israel
solle nicht direkt zerschlagen werden, aber unter die Kuratel der EU statt unter
den Schutz der USA gestellt werden: „Es gelingt mir nicht, die Lage Israels in
der Welt, die es umgibt, entweder allein auf den Aspekt der militärischen
Überlegenheit oder auf den der Bedrohung seines Existenzrechts zu reduzieren:
Der Nexus zwischen beiden ist es, der das israelische Paradox kennzeichnet, und
die Art und Weise, in der es uns betrifft. Aus diesem Grunde scheinen die
Israelis zwischen den beiden Extremen des totalen Krieges und der Verzweiflung
zu schwanken. Sie aus jenen herauszuholen, sollten wir, die Europäer, einen
Beitrag leisten, während wir uns in ihrem Spiegel betrachten.“
(il
manifesto, 30. Juni 2001)
Damit suggeriert Sofri, daß
der „Nexus“ zwischen der militärischen Überlegenheit Israels und der Bedrohung
seines Existenzrechts Israel eben in seiner Existenz bedrohe; daß also der Grund
der Bedrohung Israels von Israel selbst zu verantworten sei, weil es eben
militärisch überlegen und wahrscheinlich deswegen allzu arrogant sei. Sofri
schreibt den Israelis, den „Spiegelbildern“ der Europäer der kolonialistischen
und faschistischen Ära, damit schon vorsorglich die Schuld dafür zu, dass er und
geläuterte „Europäer“ die paradoxerweise einerseits Verzweifelten und
andererseits zu hoch Gerüsteten notfalls gern auch mittels Bodenkrieg aus
solcherlei Extremen herausholen müßten. So wie Fischer in den Serben die „Fratze
der eigenen Geschichte“ gesehen hatte, zielt auch Sofris herrenmenschliche
Verzweiflung auf einen Präventivkrieg gegen die „europäische“ Vergangenheit, die
jetzt in Israel inkarniert; es müsse gehindert werden, einen „totalen Krieg“ zu
führen. Daß il manifesto Shaul Mofaz, den Stabschef der israelischen
Armee, in „Dottor Stranamore“ umbenannt hat, also nach dem Namen des
vernichtungsgeilen, rassistischen, atombombenbesessenen General des Films
„Doktor Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, ist, nebenbei gesagt,
auch auf diesem Mist gewachsen.
Auf einer kaum beachteten
Tagung zur Revision der Geschichte, die nach dem 11. September in Triest
stattfand, ist Israel ebenfalls die Absicht unterstellt worden, auf einen
„totalen“ Krieg aus zu sein, ganz so, als wäre dieser nicht bereits vor
Jahrzehnten gegen die „Juden“ geführt worden. In der antizionistischen Einigkeit
des „No-Global-Volk“ verschwinden eben die Widersprüche der Vergangenheit. Eine
Einigkeit, die auch faschistische Fußballfans der Hauptstadt demonstrierten: Ihr
Transparent trug die Aufschrift: „Verschiedene Ideale (...) Ehre für Carlo
Giuliani“ (jungle world,
5.9.2001). Blut
und Erde contra Geld und Macht
Der Haß gegen das
Nicht-Verwurzelte, Nicht-Völkische ist gegen den Einspruch allein nur
beobachtender Verstandestätigkeit vollkommen gefeit. Keinen Anstoß nimmt il
manifesto daran, daß die PLO „ihre“ in aller Welt verstreut lebenden
palästinensischen Flüchtlinge zur Heimatscholle zurückführen möchte, das
schlesische Prinzip also im Nahen Osten verfolgt. Umso mehr erregen sie sich
aber darüber, daß diese Scholle „nicht jenen gehört, die in Palästina geboren
sind,“ – was ja auch für einen Teil der „Palästinenser“ gilt – „sondern jenen,
die überall auf der Welt der jüdischen Religion anhängen“, so daß „der in
Brooklyn geborene Kolonist in Palästina leben darf, während die Palästinenser
aus Jaffa unter untermenschlichen [!] Bedingungen in den im Mittleren Osten
verstreuten Flüchtlingslagern leben“ (il manifesto, 10. August 2001). Daß
diese Lager allenfalls beweisen, wie schlecht die Palästinenser von ihren
„Brüdern“, der PLO und den Arabern, im allgemeinen behandelt werden, sehr viel
schlechter übrigens als von den Israelis, kümmert sie nicht. Die Verbindung von
„Lager“ mit „Juden“ ist zu unwiderstehlich: Gilt es doch, den „privilegierten“
Juden, die den „Europäisten“ der Naziherrschaft nicht einmal als Untermenschen,
sondern als „Widersacher jedes Menschentums“ (Hitler) galten und als solche
vernichtet wurden, zu unterstellen, dass sie den Nazis ähnlicher seien als die
Nazis selbst, nicht Opfer, sondern doch auch bloß Täter seien. Fakten wie die,
daß Israel mehr denn je aus Furcht vor Selbstmordattentaten einem Groß-Ghetto
sich angleichen muß, daß es auch Palästinensern, darunter Jugendlichen, die
nicht mit der Hamas oder anderen Gotteskriegern kollaborieren, oftmals an den
Kragen geht, all das kann die völkische Rage nicht hemmen.
Nicht nur schreien die
„schrecklichen Lebensbedingungen“ der Palästinenser „weiterhin nach Rache“,
verlangen geradezu nach „Auge um Auge“, um „die Toten auszugleichen“
(18.8.2001), kräht die Politikberatungsagentur von PLO und Hamas: Zudem wird die
„Wiederannäherung“ zwischen Arafat und dem syrischen Präsidenten Bashar Assad
bejubelt und frohlockt, daß „das Klima für diejenigen, denen Kriegsverbrechen
vorgeworfen [!] werden, sich verändert hat.“ – als ob nicht Arafat, Assad und
dessen Vater selber Verbrecher eines schmutzigen, unerklärten Krieges wären. So
klopft man sich selbst die Schulter, weil „die palästinensischen und
libanesischen NGOs“, die, indem sie einen dahingehenden Vorschlag von il
manifesto aufnahmen, inzwischen „einen ‚Tag der Erinnerung‘ ausgerufen“
hatten, um „des Massakers von 1982 zu gedenken“. Gedacht wird an diesem Tag
zukünftig selbstverständlich nicht den 20.000 Menschen, die dem von Assad Senior
höchstpersönlich angeordneten Bombardement der nordsyrischen Stadt Hama zum
Opfer fielen (jungle world, 18.7.2001), sondern denen, die bei dem von
christlichen Milizen begangenen Massaker von Sabra und Shatila zu Tode kamen.
Massaker, von denen verkündet wird, daß das israelische Regierungsoberhaupt sie
angeblich wissentlich geduldet habe, da selbstverständlich „der Absicht Sharons
nach der Libanon von den Palästinensern und von der PLO ethnisch [!]
‚gesäubert‘ werden sollte“.
So unverblümt antiisraelisch
sich zu äußern, getraut sich die offizielle Politik nicht, wenngleich auch sie
kaum noch ein Blatt vor den Mund nimmt. Obwohl beispielsweise am 6. September
2001 der rechtsliberal-katholische Präsident der italienischen
Abgeordnetenkammer, Pierferdinando Casini (CCD-CDU), nicht ohne zuvor politisch
korrekt „Respekt“ für Israel zu heucheln, „bedingungslose Hilfen für die
Palästinenser“ forderte und sich dafür aussprach, „Israel auf den Weg des
Friedens zu zwingen“, hält sich das „No-Global-Popolo“ vom Torino Social Forum
immer noch für oppositionell: „Wir verurteilen die Politik der bedingungslosen
Unterstützung der italienischen Regierung für die israelische Regierung“,
schrieben sie in einer „Absichtserklärung“ (il manifesto, 8.9.2001).
„Schluß mit dem komplizenhaften Schweigen, Schluß mit dem Massaker an wehrlosen
Menschen“, hieß es einen Tag bevor nicht etwa Massen von Palästinensern, sondern
„in drei Angriffen innerhalb einer Zeitspanne von fünf Stunden fünf Israelis
getötet und 84 verletzt wurden, wobei zwei der Angriffe innerhalb Israels
stattfanden“ (Ha’aretz, Online-Ausgabe, 10.9.2001) und drei Tage vor dem
11. September. Il manifesto feuerte das empörte „linke Volk“ noch
zusätzlich an: „Es stimmt nicht, daß in diesem Augenblick die ‚Bewegung der
Bewegungen‘ ‚nur‘ damit beschäftigt ist, über Genua nachzudenken, es stimmt
nicht, daß es nur die außerordentlichen Termine des Protests zum Nato-Gipfel in
Neapel (...) und der FAO gibt. Dies läßt das Torino Social Forum klar und
deutlich ausrichten, das heute für Palästina auf die Straße gehen wird.“ Was der
eingebildete Souverän ausrichten läßt, wird sowohl der Faschist als auch der
christdemokratische Parlamentspräsident verstehen: „Die Absichtserklärung“ des
Torino Social Forum ist auch im Hinblick auf den Nato-Gipfel in Neapel klar: Die
Globalisierungspolitik des „Kriegsverbrechers“ – so wird der Israeli Sharon
definiert – müsse gestoppt werden, weil sie, wie in einer Pressemitteilung zu
lesen ist, „die natürlichen (Wasser, Erde, Erdöl) und die menschlichen
Ressourcen auf Kosten der Völker der Region ausbeutet“.
Und wer durfte bei diesem
Aufzug gegen den ewigen Globalisierer Sharon und die übrigen Juden, die den
Völkern, solange sie sie nicht vergiften, das Wasser abgraben und deren
ureigenstes Erdöl anzapfen, „an der Spitze des Zugs“ stehen?
Die
Europarlamentarierin Luisa Morgantini (s. il manifesto, 8.9.2001).
Wie aktiv und breitgefächert die
„Bewegung der Bewegungen“ werden kann, sobald es Demos gegen Israel, nein, halt,
besser, „Solidaritätsmärsche“ für die Palästinenser gibt! Selbst die – ehemals
kommunistische – Gewerkschaft CGIL lud eine Woche nach den geschilderten
Ereignissen ihre Mitglieder ein, an solcherart Manifestationen „aktiv
teilzunehmen“. Doch damit nicht genug: „Die CGIL hat sich (...) entschlossen,
nach den Ereignissen von Genua als Bezugspunkt zu fungieren, um im Dialog
zwischen den Bürgern und den Ordnungskräften (insbesondere mit den Mitgliedern
der Polizeigewerkschaft der CGIL als Protagonisten) zu vermitteln, und ‚die
Ablehnung von Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung
bekräftigt.“
Nach den Anschlägen vom 11.
September durfte dann der „große Bruder des kleinen Teufels“, die USA, im linken
Weltverschwörungsszenario endgültig nicht mehr fehlen. Am 22. September bemerkte
Rossana Rossanda, eine der Mitbegründerinnen von il manifesto und eine
der bekanntesten Figuren der „Neuen Linken“ Italiens, daß sich „diejenigen von
uns täuschten, die dachten, daß die kapitalistische Vereinigung aus den USA ein
– sei es auch weniger [!] gebildet als das, welches schon Tacitus nicht gefiel –
Imperium machen würde, das jedoch eine assimilierende und vermittelnde Rolle
spielen würde“. Und sie fragte: „Wird man mich eine Antiamerikanerin nennen?“
- um trotzig zu verkünden: „Ja, ich bin
es, und ich bin erstaunt, daß viele Freunde, die es in der Vergangenheit mehr
als ich waren, so sehr zögern, es zu sein“. Ein Bekenntnis, dem, wie viele
Leserbriefe zeigten, sogleich tausend neue, wenig Zögerliche beisprangen. „Ich
bin Antiimperialistin, ein weiteres Wort, das mit einem Bann belegt ist.“ George
W. Bush dagegen sei „ein gefährlicher Verrückter, er wird nicht den Djihad
treffen, sondern viele Leute ohne Schuld, und die Vereinigten Staaten dazu
treiben, so zu leben, daß sie die Welt belagern und von ihr belagert werden.“ So
und nicht etwa umgekehrt.
Rossanda, die vor nicht allzu
langer Zeit noch gerade dem archaischen und antimodern scheinenden deutschen ius
sanguinis entgegentrat, schrieb damit die trotzige Identifikation des „Volks der
Linken“ mit den antisemitischen Aggressoren und deren „revolutionäre[n] Tugenden
archaischer Identitäten“ nochmals programmatisch fest. Tugenden, die, wie sie
ausführte, „uns als lobenswert erschienen, weil sie antimodernistisch waren“.
Das Lob alles Archaischen gehört zum Programm der Wiederaufwertung Deutschlands,
das gerade die italienische Linke, und damit auch il manifesto-Schreiber
und -Schreiberinnen, verfolgen. Wahrhaft tolle, aber ernstgemeinte Titel wie:
„Dannazione Sharon“ („Verdammnis Sharon“) und „Superiorità germanica“ sprechen
deshalb für sich, weil mit „Deutsche[r] Überlegenheit“ nichts anderes gemeint
ist, als die politisch-moralische Überlegenheit der Deutschen, die sich eben
darin zeige, daß sie die richtigen Lehren aus Faschismus und Nationalsozialismus
gezogen hätten. Und dieser urdeutsche Artikel wurde ausgerechnet am 1. Dezember
2001 veröffentlicht, als die Polizei vor einer Synagoge in Berlin Juden und
Linke gleichermaßen attackierte.
Ende Dezember letzten Jahres,
nachdem auch der Papst die Juden endlich wegen Herzlosigkeit gegen ihre
erklärten Todfeinde gemaßregelt hatte, konnte man den
manifesto-Kurznachrichten sogar entnehmen, daß endlich eine europäische
Vorhut, Sofris Wunsch gemäß, in Israel einmarschiert war – und sich damit als
die wahren Juden gegenüber den falschen Juden, den „Nazizionisten“, erwiesen
hatten. Diese gingen mit „israelischem Gas [!] gegen pazifistische Europäer“
vor, „darunter viele Italiener, an ihrer Spitze Luisa Morgantini“, die einen
israelischen Checkpoint gestürmt hatten. Ihr moralisches Mandat findet sich auf
derselben Seite: ein „vom Freundschaftsverein Italia-Palestina, von CGIL, CISL,
UIL, FIOM, FIM, UILM, ATTAC, ARCI, APASCI, ACLI und vom Brescia Social Forum“
verantworteten „Appell zur Beendigung der Gewalt und für eine Pufferstreitmacht
in Israel-Palästina“. Noch am selben Tag bekundeten die in diesem Aufruf
vertretenen großen Gewerkschaften Traditionsbewußtsein im staatsproletarischen
Kampf gegen das Weltjudentum: Sie riefen die Arbeiter in Brescia zu einem
„Fackelzug“ gegen Israel
auf.
Ralph Raschen, Bahamas Nr. 37 S. 44ff.
|