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Text zur Tagung 'Wiederholung wiederholt' | Sehr rasch und nicht zu innig. Diesseits der Überschreitung

von Katja Diefenbach


Dieser Text folgt einer Spur von Rissen, die zwischen den großen differenten Segmentblöcken race, class, gender, sexualities verlaufen, innerhalb derer in den cultural studies Macht verortet wird. Der afro-britische Theoretiker Kobena Mercer hat diese Beschreibungsnormalität, mit der über die Spalten zwischen den historischen Machtsedementierungen hinweg gesprungen wird, einmal als "Mantra von Rasse, Klasse und Geschlecht" beschrieben. Folgt man aber der Spur dieser Risse, werden vielfache Verbindungen unterschiedlicher Machtverhältnisse und die Familiarität zwischen Begehren und Unterwerfung deutlich, also die Art und Weise in der ein a-subjektiv gedachtes Begehren in einer reterritorialisierenden Rückwendung die sich in ihr aufrichtende Macht begehrt. Am Horizont dieser Perspektive zeichnet sich die Möglichkeit einer molekularen Geste ab, die in dieser Reterritorialisierungsbewegung eine minoritäre Intensität produziert. Während Ästhetiken der Befreiung zu oft von der Schönheit und Klarheit der Revolte, der Vernunft des neuen Menschen und dem wiedergewonnen Stolz der Subalternen und dabei von einer Komplizenschaft zwischen herrschender Moral und Militanz erzählen, widmet sich dieser Text Gesten, die obwohl sie das Feld des Politischen konstituieren nicht als 'politischer Widerstand' und 'Bruch mit den Verhältnissen' verdoppelt und repräsentiert werden können. Sie realisieren in den alltäglichen Sedimentierungen von Macht ein Begehren, das in dem Sinne minoritär zu nennnen wäre, wie es im 'Was ist, ist geil' nicht aufgeht. Vielleicht kann man diese Momente singuläre Kristallisierungen von Widerständigkeit nennen, die keinem Subjekt gehören, auch wenn sie eine dramatische Markierung in Teilen des Subjektes und das nachträgliche Gefühl einer konsumierten Aktualität 'Das also bin ich' hinterlassen.

In den verschiedenen Strömungen der cultural studies fallen Geste und Subjekt meist in eins. Eine Geste wird als Ausdruck subjektiver Handlungsfähigkeit im Register von Subversion/ Affirmation vermessen, also anhand des Ausmaßes, in dem ein Subjekt eine Norm, von der es nur unvollständig konstituiert wurde, im Akt ihrer Wiederholung unterlaufen kann..

Im folgenden Text geht es um eine nicht-subjektive Konzeption widerständiger Kristalle, die dem Register Subversion/Affirmation und der Logik der Überschreitung entgehen; ein Ausweichen, erstens, vor dem Konzept der "Großen Weigerung, der Seele der Revolte, dem Brennpunkt aller Revolutionen, dem reinen Gesetz des Revolutionärs"; zweitens, vor Transgressionsstrategien des Schocks, der Provokation, der Ironie usw., deren Effekt am pessimistischsten mit einem sekundären Transgressionsgewinn beschrieben wäre: 'Alles bleibt beim Alten, aber wir haben gut gelacht';
drittens geht es um ein Ausweichen vor dem Konzept der subjektiven Handlungsfähigkeit, das in den von Sprechakttheorie, Psychoanalyse und Dekonstruktion bestimmten cultural studies aufrecht erhalten wird. In diesem Konzept wird auf das Subjekt die unmögliche Möglichkeit abgewälzt, sich zu einem System in Opposition zu setzen, in dem dem Gesetz immer ein Rest entgeht. Da dieser Rest das Gesetz nicht aufheben kann, drängt die gesamte Konzeption, vor allem, solange in ihr eine "Perspektive der ersten Person" wieder eingenommen wird, zu der skandalösen Frage, "wie wir einen Widerstand zu verstehen [haben] der nur unterlaufen kann, jedoch keine Macht zu haben scheint, die Bedingungen, die mit Lacan symbolischen Bedingungen neu zu artikulieren, unter denen Subjekte konstituiert werden, unter denen die Unterwerfung in die Subjektbildung selbst aufgenommen wird.?" (85f.) Butler löst ihr selbst gestelltes Problem "Was ist Widerstand?" in einer Art pragmatischem Subjektreformismus, der auf eine Diskontinuität zwischen zwei Modalitäten von Machtwirkungen verweist, zwischen Macht "als [dem], was das Subjekt ermöglicht, als Bedingung seiner Möglichkeit und Gelegenheit seiner Formung und zweitens, als [dem], was vom Subjekt aufgenommen und im 'eigenen' Handeln wiederholt wird" (18). Diese Konzeption fällt unentschieden zwischen der Ambivalenz hin und her, dass das Subjekt nicht vollständig normiert sei, dass immer ein Rest bleibe und dem Hinweis, dass dieser Rest unbewusst sei, dass er die Grenze dessen markiere, was für das Subjekt reflektierbar, perfomierbar oder bewusst zu machen sei.
Dieses theoretische Setting dethematisiert die positive Intensität einer Geste oder eines Ereignisses, den Moment seiner raschen Dauer, den mit ihm verbundenen Genuss, die Produktion einer anderen Verschaltung von Subjekten, Objekten und Affekten; es bleibt um ein Subjekt zentriert und tendiert dazu, eine Ambivalenz am Grunde der Subjektivation ohne zeitliche, räumliche oder historische Spezifität zu universalisieren; und es ist dadurch nicht in der Lage, die Relativität der gesellschaftlichen Macht- und Begehrensformation und die Gleichzeitigkeit des Politischen, Ökonomischen, Psychischen und Sexuellen zu denken. Ob es zu einer Veränderung kommt, die nicht in einer Modernisierung des Systems aufgeht, ist eine Frage der Gleichzeitigkeit verschiedener Praktiken. Andersherum gesprochen, wäre es fatal, singuläre Praktiken an einem 'Widerstandsgradienten' negativ zu vermessen, weil er deren Produktivität in der Frage nach Revolution, nach Subversion, nach Anti-Normativität kolonisiert:

"Ein Begehren nach Macht, nach Selbstunterdrückung oder Unterdrückung der anderen existiert ebensowenig wie das Begehren nach Revolution. Vielmehr bilden Revolution, Unterdrückung, Macht etc. aktuelle Linien einer gegebenen Verkettung. Nicht, dass diese Linien präexistent wären; wechselseitig immanent, ineindander verwoben, zeichnen und bilden sie sich in dem Moment, da auch die Begehrensverkettung sich samt ihren gleichermaßen ineinander verschränkten Maschinen und sich überkreuzenden Plänen, Ebenen konstituiert."
Der hier vorliegende Text folgt auf mehreren großen Umwegen einer kleinen Figur, und zwar der der immanenten Geste diesseits der Überschreitung. Mit dem Begriff der Immanenz wird auf eine Vorstellung von Gesellschaftlichkeit verwiesen, die nichts anderes ist als ein relatives Strategem sich spezifisch überlagernde Gefüge von Macht und Begehren, die nicht von einem Gesetz oder Code strukturiert werden. Implizit antwortet die Figur der immanenten Geste außerdem auf die Schicksalswendungen, die Subversionen, Transgressionen, Ironien und Parodien in kapitalistisch überdeterminierten Systemen nehmen können, indem sie von der kapitalistischen Aufforderung zum acting out mitkonstituiert werden; diese kleine Figur reflektiert, inwieweit sich Überschreitung in der Einfachheit einer Umkehrung oder des anti-bürgerlichen Reflexes reterritorialisieren kann, wenn sie negativ an das gebunden bleibt, was sie überschreitet, wenn sie dem repetitiven Code 'Geil ist, was verboten wird' gehorcht und dafür wieder und wieder den Vater aufrichtet, um ihm sein Entsetzen genießend auf den Tisch zu kotzen. Deshalb geht es auf den folgenden Seiten um die Umwege, auf denen man Genet sein Schreiben, aber auch sein Leben als Praxis diesseits der Transgression erreichen kann.

Un chant d'amour ist eine lange tonlose Reise durch das Feld von Begehren, Unterwerfung und Anstalt. Es ist der einzige Film, den Jean Genet gedreht hat. Er wurde 1950 im Laufe von drei Monaten in Nico Papatakis Nachtclub La Rose Rouge in Saint-Germain-des-Pres gedreht. Die Schauspieler wurden wegen
des Verbots pornographischer Darstellungen geschmiert. Der Film, der nur in einigen abgenutzten Kopien existiert, wurde mehrfach konfisziert und avancierte zu einem dunkel und melancholisch gestimmten Klassiker des homosexuellen Kinos. Genet hat Un chant d'amour gedreht, nachdem er zwischen 1943 und 1949, Jahren die er abwechselnd im Gefängnis und draußen verbrachte, in hastiger Abfolge intensiver Produktivität seine fünf Romane Notre-Dame-des-Fleurs, Wunder der Rose, Querelle, Totenfest und Tagebuch eines Diebes geschrieben hatte.
Un chant d'amour bewegt sich wie die Romane Genets im Immanenzfeld einer sich im Begehren sedimentierenden gesellschaftlichen Macht und bespielt sowohl das normalisierende Einsperrungs- als auch das konsituierende Sexualitätsdispositiv als Schauplatz diesseitiger Überschreitung. Der Film zeigt kein anderes Ufer der Freiheit, sondern eine Abfolge singulärer Akte, in denen am Ort der disziplinierenden Normierung die melancholische Zone der in der Heterosexualität aufgehobenen Homosexualität und die fetischistische Zone rassifizierter Stereotype (der ultra-männliche Araber, der super-potente Afrikaner) bewohnt werden. Die imaginäre Verkennung, die das moderne Sexualitätspositiv hervorbringt, mit der Sex als unterdrückt als Außen der Macht, als von Verbot, Zensur und Prüfung umlagerte existentielle Kraft illusioniert wird, wird in eine Darstellung überführt, in der Sex kein innerstes Geheimnis mehr ausdrückt, sondern auf der Realität eines so reaktiven wie fliehenden Begehrens an den
Verbindungsstellen von Normierung und Heterosexualisierung insistiert. Wie soll das gehen? Kann man eine immanente Überschreitung erfinden, die nicht mehr die Rolle des Negativs der Norm, des Bösen für das humanistische Theater des Guten übernimmt; die ein nicht-relationales, einsames, lächerliches Böses produziert, das diesen Namen tendenziell verlieren würde? Gibt es eine Art immanenter Revolte, in der die sexy positivity einer intensiven Dauer minoritären Begehrens direkt genossen wird? Eine Intensität also, die nicht durch das strukturalistische Gesetz 'Das Begehren ist das Begehren des Anderen' beschrieben ist, die sich nicht über die zitternde Frage, 'Was will der Andere?', 'Was genießt der Andere', 'Was bin ich für den Anderen?' konstituiert? Dieser Text versucht Un chant d'amour als einen Film zu sehen, der im Gefängnis spielt und in den von Foucault analysierten Orten der modernen Disziplinarmacht und in der Ökonomie des Sexualitätsdispositivs eine Zone immanenter Intensität etabliert.

Wie hat Foucault moderne Disziplinarmacht konzipiert? Bis zum Beginn seiner Arbeit an Sexualität und Wahrheit hat er Schichtenanalyse betrieben und Macht als historische a-subjektive strategische Sedimentierung begriffen.
In einer Schichtung überlagern sich diskursive und nicht-diskursive Formationen, das Sagbare und das Sichtbare. Das Sagbare verweist auf die Aussagesysteme der Medizin, der Pädagogik, der Psychologie, des Strafrechts; das Sichtbare auf die Anstaltssysteme des Armenhauses, des Gefängnisses, der Klinik, der Schule usw. Diskursive und nicht-diskursive Formationen gehören nicht derselben Entwicklungslinie an. Das hôpital general entspricht als Anstalt nicht dem medizinischen Diskurs, sondern dem sich entwickelnden Polizei- und Einsperrungssystem. Ähnlich ist es mit dem Gefängnis, es gehört nicht dem Entwicklungsbereich des juridischen Diskurses an, sondern der nicht-juridischen Disziplin. Gleichzeitig beginnt das Strafrecht eigene Aussagen über Kriminalität und Delinquenz zu produzieren. Beide Formen, Jurisprudenz und Gefängnis, gehören zur selben Formation, haben aber eine andere Entstehungs- und Gestaltgeschichte. Die Schichtung der Macht ist deshalb so stabil, weil sich in ihr eine heterogene Verbindung realisiert, die Beziehung einer Nicht-Beziehung. In diesen Formationen von Aussage und Anstalt werden historisch die Körper subjektiviert und individualisiert: gerade sitzen, Hände falten, warten,
arbeiten. Macht als a-subjektive Strategie gedacht, bringt individualisierte Subjekte hervor, wird aber nicht von ihnen besessen, sondern verläuft asymmetrisch durch die Beherrschten wie die Herrschenden; sie geht durch alle in Beziehung stehenden Kräfte hindurch und ist in diesem Sinne diagrammatisch. Sie setzt Verhältnisse in ein Verhältnis zueinander, und zwar immer lokal, spezifisch, auf der untersten Ebene der Körper, der Gemeinden, der kleinen Verrichtungen ansetzend.
In dieser foucaultschen Perspektive gibt es keine Subversion der Macht, weil die Macht eine relative und damit nicht-subvertierbare diagrammatische Strategie darstellt. Widerstand äußert sich nicht als Subversion eines Kräfteverhältnisses, sondern als Verschiebung und Neuanordnung desselben. Eine Macht, die von unten her ihr Netzwerk aufbaut, konstituiert sich gleichzeitig mit der Möglichkeit von a-subjektiven vielfältigen Widerständigkeiten, die Subjekte durchkreuzen, zerspalten und transformieren:
"Es gibt einzelne Widerstände: mögliche, notwendige, unwahrscheinliche, spontane, wilde, einsame, abgestimmte, kriecherische, gewalttätige, unversöhnliche, kompromissbereite, interessierte oder opferbereite Widerstände, die nur im strategischen Feld der Machtbeziehungen existieren können. Aber das heisst nicht, dass sie gegenüber der eigentlichen Herrschaft eine Folgewirkung, eine Negativform darstellen." (117)
In diesem Sinne bleibt das Subjekt bei Foucault eine leere Durchgangsstelle disziplinärer Praktiken; ein Subjekt ohne Verbindung zur Psychoanalyse. Das Innen dieses Subjekts ist ein eingefaltetes Außen, körperliches Material, auf dem disziplinäre Mikropraktiken subjektivierend wirksam werden.

In seinem Essay Sehr innig und nicht zu rasch hat Slavoj Zizek die Konzeption eines leeren, nicht-psychischen Subjektes, eines Subjektes ohne Szene, ohne Drama bei Foucault kritisiert. Dieses Subjekt sei auf merkwürdige Weise nicht-selbstreflexiv und entwickele kein psychisches Verhältnis zu den Verhältnissen, die es hervor gebracht haben. Judith Butler teilt diese Argumentation und versucht deshalb, foucaultsches Denken in die Psychoanalyse einzuführen (vgl. PM 81-99) oder an die althussersche Formulierung der Anrufung aus Ideologie und ideologische Staatsapparate anzukoppeln, um eine Über-Ich-Struktur des Gewissens in die Subjektkonzeption einführen zu können (vgl. PM 101-123). Zizek hält Foucaults leeres Subjekt für ein Resultat seiner Machtkonzeption, deren blinde Stelle genau darin bestände, Widerstand als von der Macht produktiv hervorgebracht zu denken. Mit dem für ihn typischen Willen zum produktiven Mißverständnis, arbeitet er Foucaults These, dass Macht und Widerständigkeit gleichzeitig konstituiert werden, in die Aussage um, dass Macht eine Art hilflosen, immer unterlegenen Widerstand erzeuge und reguliere. Foucault, schreibt Zizek, "schliesst die Möglichkeit aus, dass das System selbst aufgrund seiner inneren Inkonsistenz eine Kraft gebären kann, deren Überschuss es nicht länger zu beherrschen imstande ist und die so seine Einheit, sein Vermögen sich selbst zu reproduzieren aufsprengt. Kurz: Foucault erwägt nicht die Möglichkeit einer Wirkung, die ihrer Ursache entkommt und über sie hinauswächst."
Das stimmt natürlich nicht, weil Foucault von einem radikalen Bruch in der Machtformation durch eine Konzentration und Übercodierung verschiedener Widerstandslinien spricht und das eherne Gesetze verneint, nach dem "die Macht die immer obsiegende Linie der Geschichte ist so wie die Geschichte die List der Vernunft ist" (WW 117). Aber das ist Zizek egal, weil die Kritik Foucaults ihm eine gute Vorlage verschafft, seine Theorie eines obszönen Supplements der Macht zu entwickeln, so dass wir für einige Zeit Zizeks hegelianisch-psychoanalytisches Modell einer inkonsistenten symbolischen Ordnung, die inmitten ihrer selbst eine überschreitende Protuberanz heranwachsen lässt, mit Foucaults Konzeption einer Immanenz von Macht und Widerstand vergleichen können um zu sehen, welche Implikationen beide Denkweisen für die Frage des Verhältnisses von Macht, Begehren und Überschreitung haben.

Zizek präsentiert in Sehr innig und nicht zu rasch das Modell eines sich selbst überschreitenden Systems, das sich der dialektischen Linie in seinem Denken verdankt, der er das Prinzip der Negativität und der Aufhebung verdankt, wobei sich sofort die Frage stellt, was den subjektiven Faktor in einer dialektischen Selbstbewegung des Systems ausmacht. Die marxistische Linie in seinem Denken führt dazu, die Dynamik eines selbstprozessierenden Systems als Bewegung des Kapitals zu begreifen, was die Frage, wie eine Ökonomie zu unterlaufen sei, zu deren Selbstbewegung Subversion gehört, da tendenziell alle gesellschaftlichen Bereiche unter das Kapital subsumiert werden, eher verneint. In der lacanianischen Perspektive seines Denkens geht Zizek von der Inkonsistenz der symbolischen Ordnung aus, die durch den nicht-symbolisierbaren Rest des Realen dynamisiert wird: eine Anordnung, in der der Mangel des Symbolischen einen Rest konstituiert, der die Logik des Systems gleichzeitig garantiert und bedroht.
Das Reale ist die leere Möglichkeitsbedingung des Begehrens, ein Mehr, ein Überschuss, ein nicht-diskursiver Attraktor, der die diskursive symbolische Ordnung in Bewegung hält. Das Begehren bringt in dieser Konzeption retro-aktiv seine eigene Objekt-Ursache als positiven phantasmatischen Inhalt hervor. Der Witz der lacanschen Psychoanalyse, betont Zizek, liege darin, dass das Begehren nicht vorab existiere, sondern konstruiert werden müsse. Das Phantasma leiht also dem Begehren ein Objekt und einen Ausdruck, was das subjektive Selbstmißverständnis bedingt, den phantasmatischen Ausdruck des Begehrens mit dem Begehren selbst zu verwechseln. So wird die sich permanent verschiebende Suchbewegung des Begehrens als dessen Aufschub gedacht, wo sie doch das Begehren selbst ist. Es wäre also fatal anzunehmen, Begehren könne erfüllt oder befriedigt werden; ganz im Gegenteil taucht Panik nicht dann auf, wenn uns ein Objekt des Begehrens fehlt, sondern wenn wir ihm zu nahe kommen und des Mangels verlustig zu werden drohen, was bedeuten würde, das Begehren verschwinden zu sehen. Wie konzipiert Zizek in dieser beweglichen Ökonomie des Mangels einen subjektiven Akt des Widerstands, den er bei Foucault so vermisst?
"Ist das nicht das Argument von Lacans Antigone-Lektüre? [...] Antigone setzt tatsächlich ihre ganze soziale Existenz aufs Spiel und trotzt der sozio-symbolischen Macht der im Herrscher (Kreon) verkörperten Stadt und fällt dadurch 'in eine Art Tod', das heisst sie erhält einen symbolischen Tod, den Ausschluss vom sozio-symbolischen Raum. Für Lacan gibt es keinen richtigen ethischen Akt, ohne das Risiko einer solchen momentanen Suspension des großen Anderen, des sozio-symbolischen Netzes, welches die Identität des Subjekts garantiert; ein authentischer Akt geschieht nur dann, wenn die Subjekte eine Geste aufs Spiel setzen, die nicht länger vom großen Anderen 'zugedeckt' wird." (SI 32)
Nicht zufällig präsentiert Zizek für diese pathetische Konzeption eines die Kraft des Todestriebes erbenden Aktes, mit dem in die Zone der Untoten, in die Zone zwischen Leben und Tod zu geraten riskiert wird, Beispiele aus Mythologie und Literatur: Antigone, Ödipus, King Lear und Edgar Allan Poes Mr. Valdemar. Vor Jahren hat mir Zizek in einem Interview die durchgeknallte stalinistische Guerilla Sendero Luminoso als Möglichkeit für eine passage =E0 l'acte genannt, die nicht mehr in die symbolische Ordnung reintegrierbar sei, was seine strukturelle Abwertung minoritärer Militanz und seine überbordende Lust an politischer Provokation zeigt, die auf eine bürgerliche Öffentlichkeit angewiesen ist, die bei dem Wort Guerilla zusammenschreckt und denkt 'Wie radikal er ist!'.

Gegen Foucaults leeres Subjekt bringt Zizek nicht nur Antigone ins Spiel, sondern ein Individuum, das auf seine Geburt im Panoptikon mit der Sexualisierung des Panoptikons reagiert:
"Foucaults Interpretation der die Sexualität disziplinierenden und regulierenden Diskurse lässt den Prozess außer acht, durch den der Machtmechanismus selbst erotisiert, das heisst von dem kontaminiert wird, was er zu unterdrücken trachtet. [...] Das Subjekt befindet sich per definitionem in einem Überschuss zu seiner Ursache, und es taucht als solches mit der Umkehrung der Repression von Sexualität in der Sexualisierung der repressiven Maßnahme selbst auf." (SI 19, 23)
Das, was Foucault als positive Produktion eines fetischisierten und hysterisierten Sexes beschrieben hat, die geständnishaften Prüfungen, die das Sexualitätsdispositiv den Individuen auferlegt 'Hast Du masturbiert?', 'Wie hälst Du Deine Hände beim Schlafen?' , eröffnen für Zizek die Möglichkeit, diesem Dispositiv zu entgehen. Die Sexualisierung der disziplinierenden Maßnahme bilde ein obszönes Supplement, eine Protuberanz im Herzen des Machtmechanismus, den die Macht nicht auf ewig kontrollieren könne (vgl. SI). Foucault argumentiert genau anders herum. Die Sexualisierung der Geständnisprüfungen ist für ihn ein Hegemonie-Effekt des Sexualitätsdispositivs, das die Illusion erzeuge, Sex sei etwas Unterdrücktes, der Macht Äußeres, etwas gegen die Macht gerichtetes Eigenes - eine Imagination, die den produktiven Prozess verdeckt, in dem die Lüste und die Körper in einer spektakulären Ökonomie des Ficken-und-Geficktwerden parzelliert werden.

An dieser Stellte taucht Genet als unausgesprochene Möglichkeit Foucaults auf. Ein Schriftsteller, der in den Machtbeziehungen die virtuell vorhandenen Stellen immanenter Dissidenz bezieht: in Raum und Zeit verteilte "Widerstandspunkte, -knoten und herde [...] mit größerer oder geringerer Dichte. Gelegentlich kristallisieren sie sich dauerhaft in Gruppen oder Individuen oder stecken bestimmte Stellen des Körpers, bestimmte Augenblicke des Lebens, bestimmte Typen des Verhaltens ab. [...] Häufig hat man es mit mobilen und transitorischen Widerstandspunkten zu tun, die sich verschiebende Spaltungen in eine Gesellschaft einführen, Einheiten zerbrechen und Umgruppierungen hervorrufen." (WW 117f.)
Genet taucht an einer blinden Stelle von Foucaults Gefängnis auf. Er steht nicht auf der Seite der Körper und der Lüste, sondern auf der des Sexes, aber die Sexualisierung ist kein Rest, keine Protuberanz, sondern eine Fülle fetischistischer Handlungen. Sie bleiben im Diesseits, diesseits des Ersatzes, diesseits der Entfremdung, diesseits der Unterwerfung und verneinen damit die Option des Jenseits, der Nicht-Entfremdung, des Nicht-Ersatzes, was dazu führt, dass diese Kategorien tendenziell ihre Bedeutung verlieren. Genet erotisiert die Anstalt, ohne einen Befreiungskult des Sexes gegen die militärische Aksese der Einsperrung zu behaupten. In einer Art übertriebenen Lesweise könnte man bei Genet etwas aktualisiert sehen, das eher Deleuze und Guattari als Foucault beschrieben haben: eine molekulare Linie, die die Segmentierung durchkreuzt, mit der die Macht zur Affektion des Begehrens wird. Genet kehrt nicht die Werte der Macht um, in dem er wie Balzac von der Ehre der brothers in crime spricht, die der anständigen Gesellschaft eine Lektion in Sachen Loyalität und Treue erteilen. Genet verweist auf eine molekulare Insistenz des Begehrens in der Macht, mit der eine Zone einer so schönen wie kalten, ornamentalen Intensität in der Unterwerfung eröffnet wird; Blumen und Gefängnis;
Arschficken im gelbgrünen Schein einer von Efeu abgeblendeten Sonne. Und doch erzeugt er dabei keinen Monumentalismus der Gosse. Seine Welt ist voll mit kleinen, schmutzigen Ereignissen und Dingen, niedrigem Barock, Streichholzschachteln, Pisse, Brotkrusten; eine Welt, die ihre Heiligkeit aus Banalität und Lächerlichkeit bezieht, die eine Passage zum Sexuellen vollzieht, mit der Subjekte, Dinge, Situationen und Institutionen in ein Gefüge transformiert werden, in dem ein Mensch sich nicht romantisch an einen anderen verliert, sondern durch eine intensive Entäußerung an die Welt. Genet beginnt seinen Roman Wunder der Rose mit den Worten:
"Von allen Zentralgefängnissen Frankreichs ist Fontevrault das erregendste. Es geschah dort, dass ich den tiefsten Eindruck der Bedrängnis und Trostlosigkeit empfing, und ich weiss, dass die Häftlinge, die andere Gefängnisse kennengelernt hatten, schon bei dem Namen allein die gleiche Erschütterung und gleichen Schmerz empfangen haben wie ich. Ich werde nicht versuchen, das Wesen jener Macht, die Fontevrault über uns hatte, zu ergründen: ob es sie von seiner Vergangenheit erhalten hat, von seinen Klöstertöchtern Frankreichs, von seinem Äußeren, seinen Mauern, seinem Efeu, dem Durchgang der Zwangsarbeiter, die nach Cayenne kommen, und den Häftlingen, die böswilliger sind als anderswo, oder einfach von seinem Namen, das ist nicht wichtig; aber zu allen diesen Gründen kommt, was mich betrifft noch ein weiterer hinzu; denn schon während meines Aufenthalts in der Erziehungsanstalt von Mettray war Fontevrault das Heiligtum, auf das die Träume unserer Kindheit gerichtet waren. Ich fühlte, dass seine Mauern wie die Spitzendecke des Hostienschreins das Brot die Gestalt der Zukunft selbst umschlossen. Als das Kind, das ich mit fünfzehn Jahren war, sich in seiner Hängematte um einen Freund schlang, wusste es bereits, dass seine endgültige Gestalt hinter diesen Mauern lag und dass dieser dreißigjährige Häftling, die äußerste Verwirklichung seiner selbst war, die letzte Wandlung, die der Tod beenden würde. Schließlich aber erstrahlte Fontevrault in dem blassen und sanften Schein des Lichts, das in seinem dunklen Innern, in seinen Kerkerzellen von Harcamone ausging, dem zum Tode verurteilten."
Auf Batailles stilistische Kritik, die Darstellung von Harcamones Hinrichtung sei kalter Barock, "zu überladen und von schlechtem Geschmack", Wortgeklingel, das "Genets Scheitern" bezeuge, antwortet Derrida: "Genets Scheitern. Was für ein Titel. Eine magische animistische angsterfüllte Denunziation, was ist der angestrebte Effekt? Das Scheitern, plante Genet es nicht ein? Er sagte immerzu, er wollte im Scheitern erfolgreich sein."

Wenn man Genets Romane in einem bestimmten Neigungswinkel liest, kann man eine homosexuelle Geste einer diesseitigen Transgression in den Anstalten
der foucaultschen Machtanalyse auftauchen sehen; eine Geste, die Deleuze' Einsicht "Ein erfolgreiches Leben ist auch kein bessres" sexualisiert, mit der die Gefängnismauern nicht niedergerissen werden, der Verbrecher nicht rehabilitiert, sondern die Deliquenz homosexualisiert wird. Genet hat die Anstalten durchlaufen, die Foucault kartographiert hat. Als Jugendlicher wurde er in die landwirtschaftliche Strafkolonie Mettray eingewiesen, der er den Essay Das kriminelle Kind und den Roman Wunder der Rose widmete. Mettray war eine Muster-Anstalt humanistischer Disziplinierung und Subjektproduktion. Die Kolonie wurde 1839 von reformerisch und philantropisch orientierten Beamten für Kinder eingerichtet, die 'aus der Bahn geraten' waren, Vagabunden und Waisen, die in den wachsenden Industriestädten bettelten und klauten und von den Gefängnissen allmählich nicht mehr aufgenommen werden konnten. Mettray, das hieß, acht Mal am Tag Beten, ganztägige Landarbeit, lückenlose Beaufsichtigung. Als Genet 1926 nach Mettray kam und dort zweieinhalb Jahre eingesperrt blieb, wurde die Anstalt schon von einem immer repressiveren und aggressiverem Regime geprägt. Der letzte Verwaltungsrat der Strafkolonie wurde später Jusitzminister der Vichy-Regierung. 1982 begann Genet mit Aufnahmen für Die Sprache der Mauern, einen nie fertig gestellten Film über die Geschichte Mettrays, für dessen Vorbereitung er auch Foucaults Überwachen und Strafen las. Nachdem Genet aus Mettray abgehauen war, saß er drei Monate in La Petite Roquette, einem panoptischem Gefängnisbau, über den Foucault in jenem Buch geschrieben hatte. Anfang der 70er Jahre pflegten beide einen engeren Kontakt miteinander. Foucault unterstützte Genets Solidaritätsaktionen für die Black Panther. Genet interessierte sich für die Gefängnis-Informations-Gruppe, an der Foucault beteiligt war. Als Daniel Defert Genet einmal fragte, warum er eigentlich nie einen politischen Text über das Gefängnis geschrieben habe, antwortete er ihm:
"Man hat mir gesagt, es wäre die Hölle. Ich habe geantwortet, ich mache das Paradies daraus." Genets prunkvolle, gänzlich unironische, nicht-parodistische und sexualisierte Liebe zu den Anstalten, in die er jahrelang eingesperrt war, verweist auf eine Linie des Ernstes, die Gesten diesseits der Überschreitung auszeichnen und die sich auch im Camp wiederfindet in Quentin Crisps Antwort, new experiments with eyeshadows, auf die Frage, was er vor dem Spiegel mache, oder in Jack Smiths magic believe systems, in denen er Maria Montez feierte, einen Kurzzeit-Star des Hollywood-Schwarz-Weiss-Films der vierziger Jahre. Gegenüber dem anti-fetischistischen Aufklärungsgestus des strukturalistischen, des feministischen und des marxistischen Films der siebziger Jahre öffnete Smith die fetischistische Oberfläche von exotic beauty und splendid narcissism, die Maria Montez auf der Leinwand herstellte, für low camp Drag Performances.

Eine weitere Spur, die zu Genet führt, findet sich in den Arbeiten von Gilles Deleuze und Félix Guattari und dem, was sie über Un chant d'amour geschrieben haben. Un chant d'amour ist ein schwarz-weiss Film mit langen stills, close-ups auf Partialobjekte, Schwänze, Fussnägel, Knarren, Hosengürtel und Blumengirlanden. In dem Film gibt es eine Szene, in dem sich zwei Gefangene durch ein kleines Loch in der Wand den Rauch einer Zigarette teilen. An der Luke der Gefängnistür steht ein Wärter und guckt zu; er greift nach seinem Schwanz; später dringt er in die Zelle des einen Häftlings ein, verprügelt ihn, geht, kommt wieder und steckt ihm seine Knarre in den Mund. Der Wärter, schreiben Deleuze und Guattari, "ist gleichzeitig Anti-Produktionselement und Voyeurteil der Maschine: der Wunsch durchzieht alle Teile. Dies heisst, dass die Wunschmaschinen nicht befriedet sind: in ihnen existiert Herrschaft und Knechtschaft, herrschen tödliche Elemente, sadistische neben masochistischen Teilen. In der Wunschmaschine genau nehmen diese Teile und Elemente ihre eigentlichen sexuellen Dimensionen an."
Deleuze und Guattari wenden sich gegen eine freudsche Konzeption der Sexualität als Libido, die einem ödipalen Code unterworfen ist; und sie kritisieren die Überarbeitung der Psychoanalyse im Freudomarxismus der 60er Jahre, der jeweils getrennte Bereiche analogisierte hier Politik, da Phallus, indem er eine Art sexuellen Symbolismus etablierte. In dieser Ökonomie drückt der psychische Mechanismus der analen Fixierung die Dynamik eines warenproduzierenden Systems aus, das dem Imperativ der Kostenreduktion gehorcht. Mit dieser Art sexuellen Symbolismus' werden unablässig Analogieketten der Ordnung Geld-Signifikant-Phallus produziert, in denen Realitäts- und Lustprinzip, Außen- und Innenwelt voneinander getrennt bleiben. Immer gibt es eine Materialtiät des Außen - den Arbeitstag, das Wirtschaftssystem, die Institution - und einen zweiten, nachgelagerten Raum des Psychischen, in dem ein nicht-diskursiver, überschießender Rest der psychischen Ökonomie zur Symptombildung drängt.Dagegen behaupten Deleuze und Guattari:
"Sexueller Symbolismus existiert nicht; die Sexualität bezeichnet keine andere 'Ökonomie' oder 'Politik', vielmehr das libidinöse Unbewusste der politischen Ökonomie als solcher. Die Libido, Energie der Wunschmaschine, besetzt als sexuelle die gesamten gesellschaftlichen, klassen- oder rassenspezifischen Differenzen, um entweder im Unbewussten die Mauer des Geschlechtsunterschieds aufrechtzuerhalten, oder, im Gegenteil, diese Mauer zu sprengen, sie im unmenschlichen Geschlecht aufzuheben. Noch in ihrer Gewalt stellt die Wunschmaschine eine Prüfung des gesamten gesellschaftlichen Feldes durch das Begehren dar [...]." (519f.)
Diese Theorie eines a-subjektiven, a-signifikanten Begehrens ermöglicht es, Intensität zu theoretisieren. Deleuze und Guattari nennen die Dauer der Intensität Diesheit oder Singularität, eine begriffslose nicht-repräsentierbare Sinnlichkeit des Seins, die sich in der Veränderung eines Ereignisses aktualisiert.
Singularitäten sind immer präindividuel. Sie werden von Subjekten, von Teilen von Subjekten, nur aktualisiert. Sie sind eine Form der Individuation, die "sich sehr stark von dem einer Person, eines Subjektes, eines Dinges oder einer Substanz unterscheidet" und von einem Verhältnis von Geschwindigkeiten und Affekten bestimmt ist.
Die Gefängnisszene in Un chant d'amour stellt ein singuläres Gefüge dar, in der die Verbindung von zwei Zellen, einer Zigarette, zwei Mündern, einer Tür, einem Auge, einem Schwanz und einer Knarre durch Bewegungen des Affizierens und Affiziert-Werdens hergestellt wird.

Um einen Vergleich heranzuziehen, könnte man Schlingensiefs Arbeiten als eine Art Gegenmodell zur Figur der immanenten Geste benennen: ein Aufstand der Überaffirmation, der für sein Funktionieren eine lebendige Spießerumgebung braucht. Alle müssen da sein, der Vater, die Bürger, die Stammheim-Humanisten usw. Dabei zeichnen sich zwei Strategien ab; erstens eine metaufklärerische Überaffirmation, die einen heilenden, kathartischen Wahrheitseffekt zeitigen will und zweitens ein aggessives acting out, das den rasenden Rhythmus unterbrechen will, mit dem die Verklemmtheit der moral majority rassistische und sexistische Exzesse generiert.
Schlingensiefs erste Strategie baut auf der Möglichkeit auf, das Phantasma durchqueren und dadurch außer Kraft setzen zu können. Diese Maßnahme probierte er zum Beispiel bei seiner Bitte liebt Österreich! Erste Österreicher Konzentrationswochen-Aktion aus. Auf den Wiener Festwochen 2000 errichtete Schlingensief eine Art big brother-Container neben der Oper und hing ein Schild mit der Aufschrift Ausländer raus darüber, was Kurzform und Wahrheit der Haiderschen Politik ausdrücken sollte. Im Internet konnten nun alle, die an der Show teilnehmen wollten, die von SchauspielerInnen dargestellten AsylbewerberInnen zur Abschiebung aus dem Container herauswählen. Diese Strategie entspricht ungefähr dem meta-aufklärerischen Ansatz der Überaffirmation, den Zizek einmal an Laibach exemplifiziert hat. Die These dieses Ansatzes lautet, dass das Gesellschaftliche durch bestimmte unausgesprochene reaktionäre Phantasmen zusammengehalten wird, die eben gerade dadurch ihre Wirkmächtigkeit erhalten, dass sie ungenannt bleiben. Diese ideologietheoretische Erklärung gesellschaftlichen Kitts lässt sich aber kaum auf einen Staat mit spätkapitalistischer neoliberaler Codierung anwenden. Schlingensiefs Überaffirmationsstrategie, die Wahrheit Haiders auszusprechen, indem er Österreich "Ausländer raus" ins Gesicht brüllt, verpufft in einer Fehlzündung, da davon auszugehen ist, dass die ÖsterreicherInnen nicht stillklammheimlich, sondern erklärtermaßen für Rassismus votieren. So wird ein Nebeneffekt zum Haupteffekt: die Thematisierung des kulturellen Phänomens Christoph Schlingensief. Was will er? Was darf er? Ist das Kunst? Darf man sie zensieren?
Schlingensiefs zweite Strategie zeigt sich in seinem Film Terror 2000, dessen Subtext mit der Zeile: 'Nazis sind lustiger als Spießer' zusammengefasst werden könnte. In diesem Film reinszeniert Schlingensief rassistische Exzesse weniger in metaufklärerischer Absicht, sondern als volle Abfahrt anti-bürgerlicher Provokation, in der er den Hass gegen sein universalisiertes Elternhaus ausagieren kann. Das ist sehr lustig, reetabliert aber Einstellung für Einstellung seine negative Bindung zum Bürgerlichen, zum Drama seiner Kindheit usw. Im Laufe des Films, in der die Gladbeck-Entführer ein trashiges Sal=F2-Fascho-Regime in einer ostdeutschen Kleinstadt aufbauen und die BewohnerInnen eines Asylbewerberheims terrorisieren, wird unterstellt, dass das Sexuelle befreit, ausagiert, herausgeholt werden müsse aus seiner verklemmten Einsperrung. Kurz, der Film besagt: Die Nazis machen es wenigstens; sie lassen es raus, den Scheiss, den Sex, die Aggression; leider nur in ihrem dummen Nazi-Format. Trotzdem, sie haben wenigstens Spass, während die Spießer nur verklemmt sind. Diese anti-bürgerliche ödipale Version der Überschreitung wird gerade von der Bürgerkinderwelt wohlwollend aufgenommen wird, weil sie die allgemeine Langeweile in einem geilen Akt der Transgression für eine kurze Sekunde unterbricht und der abgespaltenen Selbstverachtung eine schnelle Abfuhr erlaubt. Erst in seinem 2002 an der Volksbühne inszenierten Stück Rosebud hat Schlingensief mitten in eine Schröders-Gattin-wird-entführt-alle-Ficken-miteinander-und-auch-die-RAF-ist-dabei-Berliner-Republik-Trash-Show eine Geste immanenter Intensität auf die Bühne gebracht. In dem Stück, in dem Volker Spengler mitspielt, der Hauptdarsteller von Fassbinders wohl melancholischstem Film In einem Jahr mit 13 Monden, hält Schlingensief einen Monolog über das Scheitern seiner Trash-Transgression, über die Langeweile repetitiver Aggression, seine Ermüdung, seine Integration.

Das erinnert beinahe an die Figur, die dieser Text andeuten möchte, eine Geste, die wenig mit Parodie zu tun hat, sondern mit der Dauer souveräner Lächerlichkeit, in die ein Leben verwickelt ist; ein auf- und abflackerndes Feuer aristokratischer Distinktion in der Subalternität, in der ein Leben selber brennt. Folgt man in dieser Richtung einer poststrukturalistischen Perspektive lässt sich insbesondere ein kapitalisiertes Feld weder subvertieren noch überschreiten, weil es ein expansives, selbst-subvertierendes System darstellt, das Schock und Skandal modernisierend integriert. Die Intensität molekularer Ereignisse würde dagegen einer anderen Ökonomie angehören, in der Subjekte, Objekte, Affekte und Institutionen vorübergehend different miteinander maschinisiert werden, was irreduzible Momente produziert veränderte diskontinuierliche Kollektivitäten und Ereignisse, vielleicht ein anderes Ausgehen, ein veränderter Sex, eine different gelebte Zeit, die ein System schwächen wie sie es stärken können. In dieser Ökonomie der Relativität konstituiert sich das Moment des Politischen.

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31.01.2003
Katja Diefenbach   [Aktuelles zum Thema: Gender & HERRschaft]  Zurück zur Übersicht

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