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Berlin: 151.Prozesstag | Über das "historische Verfallsdatum" des Besten


Anfangs schien sich dieser Verhandlungstag auf eine etwas länger andauernde Verleserunde, zum Thema Auflösung bzw. Nicht-Existenz der Berliner RZ und entsprechende Anwendbarkeit einer Regelung des §129a StGB in einem derartigen Fall, zu beschränken, am Ende allerdings kam noch eine Überraschung.

Den Beginn der Lesestunde machte die Angeklagte Sabine E. mit einer längeren Erklärung, in der sie der Stellungnahme der Bundesanwaltschaft (BAW) vom 30. Oktober (vgl. 149. Prozesstag) ihre eigene Interpretation über den Inhalt und die Zielsetzung des Papiers "Das Spiel ist aus. Anmerkungen zur Geschlechterdifferenz" (auch unter dem Titel "Was ist das Patriarchat" bekannt) entgegen zu setzen versuchte. Im Kern ging es darum, noch einmal zu betonen, wie sehr sie und ihr Ehemann Rudolf Sch. sich bereits 1987, nach dem Knieschussattentat auf den Asylrichter Dr. Korbmacher, für die Auflösung der RZ eingesetzt haben, deren "historisches Verfallsdatum" sie damals schon erkannt hätten. "Ich habe mein Bestes getan und wir sind nicht für Leute verantwortlich, die partout nicht aus ihrem sozialrevolutionären Denkschema herauskamen."

Ob ihre philosophischen Ausführungen zur Geschlechterdifferenz und ihr historischer Ausflug in die Zeit der Aufklärung im 17. und 19. Jahrhundert, um nur einige Beispiele zu nennen, den Adressaten, die BAW und das Kammergericht, erreicht haben und entsprechend honoriert werden, dürfte allerdings sehr zweifelhaft sein.

Der Angeklagten Sabine E. folgte als Vorlesender ihr Verteidiger Rechtsanwalt Nicolas Becker, der in, für dieses Gerichtsverfahren ungewöhnlich selbstkritischer Art, feststellte, "alle Verfahrensbeteiligten müssten eigentlich ehrlicherweise ein peinliches Versehen eingestehen, nämlich dass sie die Norm des §129 Abs. 6 letzter Satz StGB mit ihrem Verweis auf §129a StGB übersehen haben ... Erst der Beschluss des OLG Naumburg , die anschließende aufgeschreckte Reaktion BA Griesbaums sowie die letztlich bloß dialogische Zwischenentscheidung des BGH haben den §129 Abs. 6 auf die Tagesordnung gesetzt." (vgl. Stellungnahme von heute) Ergänzend zu den philosophischen Ausführungen seiner Mandantin versuchte RA Becker die BAW und deren Interpretation des §129a mit einer ausführlichen juristischen Argumentation zu widerlegen und insbesondere auf den "optimalen Einsatz" seiner Mandantin für eine Auflösung zu verweisen.

Als nächstes verlas RA Dr. Stefan König den Antrag als Sachverständigen Prof. Dr. Herfried Münkler zu laden, der aus der Analyse des Textes "Das Spiel ist aus" zur Schlussfolgerung kommen werde, dass der Text sich sehr deutlich von anderen RZ-Papieren unterscheiden würde und nur als ein "Auflösungspapier" bewertet werden könnte.

Die allgemeine Vorlesestunde wurde dann fortgesetzt durch Richter Alban, der verschiedene RZ-Diskussionstexte aus dem Jahre 1992 vortragen durfte. Angefangen von "Wenn die Nacht am tiefsten ... ist der Tag am nächsten" über "Tendenz für eine internationale soziale Revolution" bis zu "Wir müssen so radikal sein, wie die Wirklichkeit" sowie der dazugehörigen Vorbemerkung aus den "Früchten des Zorns". (alle Texte sind unter www.freilassung.de nachzulesen) Auch die Erklärung von RZ zu den Anschlägen 1993 auf Bundesgrenzschutz-Einrichtungen in Frankfurt/Oder und Rothenburg mussten sich die Prozessbeteiligten noch anhören.

Danach attestierte die BAW den Richter dieses Strafsenats noch genügend Sachkunde in Sachen RZ, die sie in immerhin 150 Verhandlungstagen gewonnen hätten, weswegen der heutige Antrag auf Ladung eines Sachverständigen abzulehnen sei. Ob die BAW an einem Verhandlungstag gefehlt hat oder schlicht nicht richtig zählen kann, wurde von OstA Bruns nicht beantwortet, da selbst der Senat auf 151 Verhandlungstagen bestand.

Die ruhige Vorlesestimmung wurde jäh unterbrochen, als die Vorsitzende für alle überraschend ihr Vorhaben ankündigte, den heutigen Verhandlungstag für zwei Stunden zu unterbrechen, danach Beschlüsse zu verkünden und am morgigen Freitag noch diverse Schriftstücke zu verlesen, um damit die Beweisaufnahme abzuschließen. Vorschläge von RA Johnny Eisenberg, die Beschlüsse doch vielleicht erst morgen zu verkünden, um damit ein Wiedererscheinen am heutigen Tag überflüssig zu machen, wurden in der bekannt charmanten Art der Vorsitzenden ("Das wird heute gemacht") und mit der ihr eigenen überzeugenden Argumentationsweise ("Ich muss das nicht begründen") beschieden.

Also wurden dann nach zwei Stunden Mittagspause noch zehn Minuten lang drei Beschlüsse verlesen, bevor das Ende für den heutigen Verhandlungstag verkündet wurde. Der Antrag des RA König wurde mit dem Verweis auf die Sachkunde des Senats abgelehnt, der Antrag von RA Eisenberg hinsichtlich der Anwendung eines persönlichen Strafaufhebungsgrundes nach §129a Abs. 5 i.V.m. §129 Abs. 6wurde abgelehnt, da die Einlassung der Angeklagten nicht geeignet seien, "ein auf das Nichtfortbestehen der Berliner RZ zielendes freiwilliges und ernsthaftes Bemühen zu belegen". Der ebenfalls auf die Strafaufhebung nach §129a zielende Antrag von RA Kaleck wurde ebenfalls abgelehnt, da "es der Beurteilung des Senats (unterliegt), ob den Angeklagten der Strafaufhebungsgrund nach §129a zur Seite steht. Die Auflösung der Berliner RZ oder Einstellung ihrer Aktivitäten allein sagt darüber ohnehin nichts aus".

Der Prozess wird morgen, Freitag, 14. November, zur gewohnten Stunde (9.15 Uhr fortgesetzt).

 

14.11.2003
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