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Leipzig: Warum sich Dataspace nicht über eine Auszeichnung freut?

Der Alternative Medienpreis und die Online-Datenbank für Infoläden und linke Archive

Am 7. Mai 2004 erhielt die Online-Datenbank Dataspace ( http://www.nadir.org/dataspace) den mit 500 € dotierten 3. Preis des „Alternativen Medienpreises“ ( http://www.alternativer-medienpreis.de). Eigentlich ein Grund zur Freude, möchte man meinen! Das Geld ist nicht zu verachten, die Anerkennung für das Projekt ebenso wenig – und wenn dann auch noch alles unter dem Label „Alternativ“ läuft, versteht man keineswegs auf Anhieb, warum die Menschen hinter Dataspace – nämlich hauptsächlich die MitarbeiterInnen des Leipziger Infoladens ( http://www.nadir.org/infoladen_leipzig) – sich wenig über die Auszeichnung begeistert zeigen. Zähneknirschend nahmen sie das Geld an, erschienen extra nicht zur Preisverleihung – und berichten nun exklusiv für den Feierabend über die „Machenschaften“ eines Projektes namens „Alternativer Medienpreis“.

Was aber ist Dataspace?

Ja, diese Frage soll natürlich vorab noch geklärt werden. Die Infoläden in den meisten größeren Städten der BRD ( http://www.infoladen.net) sind seit mehreren Jahrzehnten ein wichtiger Bestandteil einer autonomen, linken und alternativen Szene. Einerseits sind sie ein Anlaufpunkt für politische Gruppen und Einzelpersonen, bieten Räumlichkeiten für Treffen und Infrastruktur, andererseits stellen sie mit ihren Büchern, Zeitschriften, Broschüren eine Art Info-Kiosk, Bibliothek und Archiv für die linke Szene und soziale Bewegungen dar. Darüber hinaus fungieren in etlichen Städten die Infoladenkollektive als eigenständige politische Gruppen, die Veranstaltung durchführen, Aktionen organisieren und Broschüren publizieren.
Der Leipziger Infoladen existiert seit 1991 und befindet sich seit 1994 im Conne Island ( http://www.conne-island.de). Recht schnell ergab sich für die MitarbeiterInnen das Problem, dass die Unmengen an Zeitschriften, Büchern, Videos und sonstigen Materialien nur sinnvoll genutzt werden können, wenn sie in irgendeiner Weise elektronisch katalogisiert werden. So begann der Infoladen 1995 mit der Erfassung seines Bestandes, im Jahr 2000 geht die Datenbank unter dem Namen Dataspace online. Inzwischen besteht auch für andere linke Archive und Infoläden die Möglichkeit, ihren Bestand in Dataspace einzugeben – dies nutzt z.B. auch die Libelle seit November 2003 ( http://ildb.nadir.org/standort.php?nr=9).
Da die MitarbeiterInnen des Leipziger Infoladens sich weder im Bibliothekswesen auskennen, noch die teure Bibliothekssoftware kaufen konnten, mussten sie nach und nach alles selber programmieren und basteln auch noch heute an der Datenbank. Glücklicherweise konnten sie dabei jedoch auf Open Source-Software ( http://de.wikipedia.org/wiki/Open_Source) zurückgreifen.
Das Besondere an Dataspace ist, dass die Datenbank Zeitschriften, Broschüren und Bücher verzeichnet, die sonst von keiner Bilbiothek, keinem Archiv oder Infoladen erfasst und im Internet zugänglich gemacht werden. Dies gilt vor allem für die verschlagwortete Eingabe von allen Aufsätzen aus über 50 linken Zeitschriften – und das teilweise bis zurück in die 70er Jahre. Damit ist Dataspace das Rechercheinstrument für linke Theorie und Praxis.

Und nun zum „Alternativen Medienpreis“...

Der Alternative Medienpreis wird seit 2000 für Radio- und Internetprojekte verliehen, die sich „unterbliebenen Informationen“ widmen und „die mit ihrer Arbeit einen emanzipatorischen Beitrag leisten“. Initiiert wurde er von dem Freien Radio Z ( http://www.radio-z.net) und der Nürnberger Medienakademie ( http://www.journalistenakademie.de). Soweit so gut. Allerdings: In der Jury sitzen u.a. zwei VertreterInnen der Stadt Nürnberg (die vor Jahren mit dem KOMM das letzte alternative Kultur- und Jugendzentrum in Nürnberg geschlossen hat) und einer vom mdr. Das Radio Z ist nicht vertreten – und es verwundert bei der Ausrichtung des Preises nicht, dass ihnen ihr Medienpreis inzwischen auch peinlich ist. Wie sollen nun bayerische BeamtInnen und die Mediendussel, die den tiefsten Osten für „Mitteldeutschland“ halten, über einen Medienpreis befinden, der sich alternativ nennt? Ganz einfach: In die engere Auswahl kommen seit Jahren alle möglichen Projekte, die weder alternativ noch politisch sind. Und zwar in keinerlei Hinsicht. D.h. sowohl was die Inhalte angeht, als auch was die Produktion betrifft. Das politischste Projekte ist dieses Jahr die Seite  http://www.al-asr.net, die einfühlsame Porträts von islamistischen Terroristen zeichnet und ansonsten recht offen antiamerikanisch und antizionistisch agitiert.
Und damit der ganze Schwindel nicht auffliegt, darf ab und zu mal ein wirklich alternatives Projekt gewinnen; allerdings natürlich nur den 3. Preis. Damit werden dann auch die wichtigsten Sponsoren, durchweg staatstragende Parteien und Stiftungen, nicht verärgert. Ärgern hingegen will man die politischen Projekte, die aus Alibigründen prämiert werden müssen. So wurde dem Infoladen Leipzig eine Woche vor der Verleihung mitgeteilt, dass er einen Preis gewonnen hätte. Als der Infoladen seine Teilnahme an der Preisverleihung absagte, kam nur eine hämisch Antwort, dass es den OrganisatorInnen egal wäre, ob der Infoladen sein Geld abholen würde oder nicht. Erst nach mehreren Emails und Telefonaten rückten sie jedoch mit der Wahrheit heraus: Das Geld bekommt nur, wer höchstpersönlich an dem Tag auch anwesend ist, um sich dem vermeintlichen Medienrummel um dem Preis, der mehr den Jury-Mitgliedern, der Medienakademie und den Sponsoren dient, zu stellen. Zum Glück hatte Radio Z genug schlechtes Gewissen und schickte eine Vertreterin für den Infoladen Leipzig. Und zum Glück fuhr niemand vom Infoladen Leipzig nach Nürnberg, denn die Laudatio für Dataspace hatte ihnen doch glatt die Sprache verschlagen.
Die Laudatio sprach padeluun ( http://www.padeluun.de) – der alternativste der JurorInnen, was sich schon darin ausdrückt, dass er sich einen Künstlernamen zugelegt hat. Alternativ auch, dass er alle Jahresangaben bezüglich Dataspace um eins erhöht. Ärgerlich, dass er behauptet, bestimmte Daten nicht in Dataspace gefunden zu haben, obwohl es sie gibt. Unverschämt allerdings, dass er es zu den Vorzügen von Dataspace zählt, dass die „mausgraue Oberfläche“ ein Kontrapunkt gegen die Spaßgesellschaft sei. Dataspace, so padeluun weiter, sei unkommerziell und werbefrei, weil hier „echte Menschen“ am Werkeln seien, „die (ihre) eigene Geschichte nicht anderen überlassen wollen“. „Die eigene Geschichte zu bewahren“ sei um so wichtiger „im Zeitalter der gleichgeschalteten Bilder von Pseudoevents“, in der uns „Frauen mit leuchtenden Augen und Cabriolets mit gegeelten Chauffeuren den Verstand rauben“ und „Handyklingeltonanbieter“ oder „Sportwagenfinanzierung“ zuspamt.
Hätte padeluun sich wirklich in Dataspace umgesehen, so hätte er bemerken können, dass es Dataspace nicht um die Bewahrung einer vermeintlich authentischen Geschichte geht, ja, er hätte sogar neben den richtigen Jahreszahlen auch genügend Material gefunden, welches sein dummes Gequatsche als typisch deutsche Lebensmythologie entlarvt, die sich zwar antikapitalistisch gibt, letztendlich aber einfach nur reaktionär ist.
Als wir die MacherInnen von Dataspace, darunter auch handybesitzende Frauen mit „leuchtenden Augen“, fragten, was sie nun mit den 500 € vorhaben, die nachweislich nicht stinken, antworteten sie lapidar, dass nach so einer Laudatio ihnen nichts anderes übrig bleibt, als für den nächsten Cabriolet zu sparen. Allerdings: Einen Chauffeur benötigen sie nicht – sie wollen selbst den Wind in den (Achtung Werbung!) mit Drei-Wetter-Taft ( http://www.schwarzkopf.de) gegeelten Haaren spüren!

Was ist noch alternativ am „Alternativen Medienpreis“? Diese Frage lässt sich abschließend folgendermaßen beantworten: Zum einen der Protest gegen den deutschen Arbeitswahn, der sich darin ausdrückt, dass zwei Monate nach der Verleihung noch nicht alle Laudatios im Internet veröffentlicht wurden. Zum anderen der subtile Verstoß gegen deutschen Gründlichkeit, der sich in etlichen nicht funktionierenden Links – und dass bei einer Medienakademie, die einen Internet-Preis vergibt! – ausdrückt. Das war’s aber leider auch schon...

Claudia Fritzsche

 

20.06.2004
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