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Betreff : "FAP-Aussteiger" Norbert Weidner; Bericht aus taz

Datum : Di 16.05.95, 00:00 (erhalten: 22.05.95)


Artikel: * "Es gibt keinen Untergrund" u. Der Aussteiger

Quelle : die tageszeitung - Samstag, 13.05.1995

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von Chistoph Seils

Der Aussteiger

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Bereits mit 15 stiess Norbert Weidner ueber die Wiking-Jugend

und die Skinheadszene zur kuerzlich verbotenen Freiheitlichen

Deutschen Arbeiterpartei (FAP) und machte schnell Karriere. Mit

seinen heute 22 Jahren gehoerte er zuletzt zum engsten Fuehrungszirkel der militanten deutschen Neonaziszene. Er war in der FAPParteileitung zustaendig fuer Auslandskontakte, Landesgeschaeftsfuehrer der FAP in NRW, zaehlte zu den fuehrenden Koepfen der

Initiative Gesamtdeutschland, war Mitglied im Vorstand der Hilfsgemeinschaft fuer nationale politische Gefangene (HNG). Weidner

sass im Wunsiedel-Komitee, das den jaehrlichen Rudolf-HessMarsch organisiert hat. Im Sommer 93 war er verantwortlich fuer

den Neonaziaufmarsch in Fulda, im letzten Sommer organisierte er

die Rudolf-Hess-Kundgebung vor der deutschen Botschaft in Luxemburg.

Jetzt will er aus der Neonaziszene aussteigen, sich zurueckziehen,

wie er es nennt. Fuer die ehemaligen Kameraden gilt Weidner als

"Abtruenniger" und als "Verraeter". Fuer den Verfassungsschutz kam

sein Ausstieg zwar ueberraschend. Aber, so heisst es dort, den

Ausstieg habe Weidner glaubhaft vollzogen, ohne dass er jedoch mit

seinem Weltbild gebrochen haette. Das Verbot der FAP habe sich

bislang als Erfolg erwiesen. Die FAP war nicht in der Lage, das

Verbot zu unterlaufen oder abgestimmt am Verbot vorbei politisch zu

agieren. Die Mitglieder haben keinen Zusammenhalt mehr und laufen

auseinander. Lediglich lokal schliessen sie sich teilweise anderen

Organisationen an.

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"Es gibt keinen Untergrund"

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>Das Verbot rechtsradikaler Organisationen zeigt Wirkung, seitdem habe

>sich in der Szene gar nichts entwickelt, meint der ehemalige

>Fuehrungskader der verbotenen FAP, Norbert Weidner, im Gespraech mit

>Christoph Seils.

taz: Jetzt, nachdem die FAP verboten ist und die Strukturen zerfallen

sind, da faellt es nicht besonders schwer abzuspringen.

Weidner: In der Szene ist seit Monaten bekannt, dass ich nicht mehr

taetig bin.

taz: Warum steigen Sie jetzt aus?

Ich steige nicht aus, ich ziehe mich zurueck.

taz: Was ist denn da der Unterschied?

Ich will raus, ohne jemanden zu verraten oder mich politisch zu

prostituieren wie etwa Hasselbach oder jetzt Althans.

taz: Weil die ehemaligen Kameraden Sie sonst ans Messer liefern

wuerden ...

Nein, ich habe keine Leiche mehr im Keller. Es ist sowieso alles

ueber mich bekannt.

taz: Was hat Sie bewogen auszusteigen?

Ich war in den letzten drei Jahren ausschliesslich politisch taetig.

Ich war noch keine 18, da zog ich bereits die Aufmerksamkeit der Behoerden auf mich. Die Medien interessieren sich fuer einen und natuerlich

die Linken. Es war schon ein erhabenes Gefuehl, in der Zeitung zu lesen,

man sei ein gefaehrlicher Neonazi. So wurde ich immer neu angespornt. Ich

habe mich um mein berufliches Fortkommen ueberhaupt nicht mehr gekuemmert

und die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen. In Zukunft will ich an

mich denken, meine Ausbildung beenden und mit meiner Freundin

zusammenziehen. Ausserdem habe ich die Tekkno- Szene fuer mich entdeckt.

taz: Statt am Wochenende singend durch die Waelder zu marschieren, ziehen

Sie jetzt lieber durch die Tekkno-Diskos und pfeifen sich Ekstasy rein?

Probiert habe ich es mal. Aber ich nehme nicht jedes Wochenende fuenf,

sechs Pillen, so abgefahren bin ich nicht.

taz: Die Kameraden konnten damit nichts anfangen?

Fuer die rechte Szene ist das ein Einbruch in ihre Weltanschauung.

taz: Man darf ja noch nicht mal Coca-Cola trinken?

Vor allem der letzte FAP-Vorsitzende Friedhelm Busse oder der Chef der

inzwischen verbotenen Wiking-Jugend, Wolfgang Nahrath, sahen das nicht

gern. Das sind Betonkoepfe und Moralapostel, da darf man keine Jeans

tragen und keine Ohrringe. Aber mit deren orthodoxen

nationalsozialistischen Ideen will ich nichts mehr zu tun haben.

taz: Ein bisschen weniger stramm, etwas weniger Hitlerverehrung und

Rassenideologie, dann waere die Sache also noch in Ordnung?

Die radikale rechte Szene bewegt sich im Ghetto. Ich bin kein Nationalsozialist, aber ich halte die Nation als Ordnungsmodell fuer akzeptabel.

Wer heute wie Busse sagt, jeder einzelne Auslaender muss raus aus

Deutschland, am besten mit Waggons, dann ist das nicht mehr akzeptabel. Es

laesst sich nicht mehr realisieren.

taz: Was machen die FAP-Mitglieder seit dem Verbot?

Die meisten machen nichts und warten darauf, dass irgend jemand vorbeikommt

und ihnen sagt, was sie zu tun haben. Es gab in der FAP vor dem Verbot

Diskussionen darueber, die NPD oder die Deutsche Liga zu unterwandern oder

regionale Organisationen aufzubauen. Aber daraus ist nichts geworden.

Schliesslich wurde darueber nachgedacht, ein Netz autonomer Gruppen

aufzubauen, aber Friedhelm Busse und andere waren dagegen.

taz: Warum?

Busse wollte der Fuehrer sein.

taz: Aber Friedhelm Busse ist doch nur die Karikatur von einem Fuehrer ...

... der hat absolute Profilneurosen, aber es gab genuegend Leute, die

ihm hinterhergelaufen sind. Bei vielen jedoch ist Busse jetzt unten durch.

Er hat die letzten tausendsechshundert Mark der FAP kassiert. Niemand

weiss, wo das Geld geblieben ist.

taz: Der Fuehrer ist mit der Parteikasse durchgebrannt?

So wuerde ich das nicht sagen, aber er hat sie nicht mehr abgerechnet.

taz: Ist in der FAP auch darueber diskutiert worden, in den Untergrund zu

gehen, militante oder terroristische Aktionen vorzubereiten?

Nein. Es gibt keinen Untergrund, in den die Rechten gehen koennten. Die

Szene ist viel zu transparent, ueberall sind Spitzel, ueberall werden wir

von Verfassungsschuetzern ueberwacht.

taz: Dann war der Staat im Kampf gegen den Rechtsextremismus also

erfolgreich?

Das sehe ich genau so. Gegner des Verbots sagen zwar, jetzt ist die Szene

nicht mehr so offen, jetzt koennte sich vielleicht ein Untergrund bilden.

Aber wenn man bedenkt: 1992 ist die Deutsche Alternative und dann die

Nationalistische Front verboten worden, und bis heute hat sich gar nichts

entwickelt. Dass jemand durchknallt, kann ich mir vorstellen, dass irgend

jemand "Bewegung in Waffen" liest und dann rumballert. Aber organisiert

passiert nichts.

taz: Aber wenn es entsprechende Strukturen gaebe, wenn die Bedingungen

andere waeren, dann wuerden ehemalige FAPler auch Anschlaege durchfuehren?

Es wuerden dann sicherlich einige Leute diesen Weg waehlen. Viele Rechte

distanzieren sich oeffentlich aus taktischem Kalkuel vom Terrorismus. Sie

wuerden es natuerlich insgeheim begruessen, wenn zum Beispiel Politiker,

Richter oder hoehere Polizeibeamte angegriffen werden. Aber ich lehne Gewalt

ab.

taz: Sie waren einer der Initiatoren der Anti-Antifa. Das war doch der

Versuch, militant gegen politische Gegner vorzugehen. Schliesslich galt da

das Motto "ausspaehen, oeffentlich machen, plattmachen"?

Aber wir konnten nur die beiden ersten Stufen durchfuehren, recherchieren

und oeffentlich machen. Selbst da hatten wir grosse Probleme. Unser

groesstes Ding war der "Einblick", aber der war doch ein Witz. Wenn ich

mir dagegen die ganzen Antifa-Broschueren ansehe, muss ich wirklich den

Hut ziehen, die sind echt klasse recherchiert.

taz: Aber die eindeutig zweideutige Aufforderung, jeder solle mit den

Adressen "verantwortungsvoll umgehen", war doch letztlich die Aufforderung

zum Plattmachen.

Es entzieht sich dann aber unserer Verantwortung.

taz: Sie haben doch einkalkuliert, dass Leute angegriffen werden, also

waren sie auch die geistigen Urheber.

Klar haben wir damit gerechnet, dass vielleicht etwas passiert. Aber

letztlich ist das doch eine Gewaltspirale, die nichts bringt. Solange sich

rechts und links bekriegen, kann der Staat und seine Behoerden sich das

von ferne anschauen. Ich haette mich gefreut, wenn es eine inoffizielle

Regel gegeben haette, die Linken lassen uns in Ruhe, wir lassen die Linken

in Ruhe. Die sollen gegen den Staat agieren, und wir agieren auch gegen

den Staat.

taz: Das ist doch naiv und weltfremd. Die Rechtsextremisten werden doch

zu Recht bekaempft. Wer Menschen als minderwertig bezeichnet, rassistische

Ideologien verbreitet, Menschen anzuendet oder zumindest geistig den

Weg dazu bereitet, der muss bekaempft werden, da gibt es kein Stillhalten.

Die Antifa versucht Menschen zu kategorisieren, und jeder, der in eine

bestimmte Kategorie faellt, der wird bekaempft. Eine Kategorie ist, du

bist Faschist, deshalb wirst du bekaempft, oder du bist Auslaender,

deshalb wirst du bekaempft. Oder die Juden ...

taz: Das ist doch infam, das kann man doch wohl nicht vergleichen?

Ich glaube schon.

taz: Sie stellen Taeter und Opfer auf eine Stufe. Neonazis und Rassisten

gehoeren bekaempft ohne Kompromisse.

Ich wuerde mich nie als Rassisten bezeichnen. Ich wuerde niemals sagen,

ein Mensch ist minderwertig.

taz: Aber Deutsche sind besser?

Wenn ich Deutscher bin, dann habe ich mehr Rechte innerhalb der BRD,

schliesslich trage ich auch eine groessere Verantwortung fuer diesen

Staat. Das ist doch ganz normal. Ich bin fuer eine Beschraenkung des

Asylrechts, aber Asylanten als minderwertig zu bezeichnen, das lehne ich

ab. Ich wuerde mich eher in der Tradition der neuen Rechten als

Ethnopluralist bezeichnen. Ich bin fuer die freie Entfaltung der Kulturen.

taz: Alain de Benoist verkoerpert mit seinem Ethnopluralismus doch den

modernisierten kulturellen Rassismus der neuen Rechten. Er sagt, der

Tuerke kann sich mit seiner Kultur nur in der Tuerkei frei entfalten, der

Deutsche nur in Deutschland. Das ist doch nur eine modernisierte

Ausgrenzungsideologie.

Wer sich als Tuerke fuehlt, kann sich auch nur in der Tuerkei entfalten.

Aber der kosmopolitische Tuerke, klar der kann sich in der Melting-potGesellschaft entfalten, nur damit vernichtet er die deutsche Kultur und

auch die tuerkische.

taz: In dem Buch "Bewegung in Waffen" gibt ein gewisser Hans Westmar Tips

unter anderem zum Bombenbauen oder zum Nahkampf mit politischen Gegnern.

Welche Rolle spielt dieses Buch in der rechtsextremen Szene?

Das Buch kursiert eher bei Journalisten.

taz: Es gibt aber Leute aus der Szene, die es besitzen?

Klar, das Buch ist von der NSDAP/AO rumgeschickt worden.

taz: Wer ist Hans Westmar?

Da sind die Behoerden natuerlich total heiss drauf. Hans Westmar gilt

als gefallen in Kroatien.

taz: ... so heisst es nur, um die Spuren zu verwischen ...

... also wenn ich sagen wuerde, wer Hans Westmar ist, bekaeme ich

tierischen aerger. Wenn ich Leute hochgehen lassen wuerde, dann koennten

die mich genauso an den Pranger stellen, darauf habe ich keinen Bock.

taz: Es ist aber jemand, der sich in der rechtsextremen Szene in

Deutschland bewegt?

Bewegt hat.

taz: Aber er ist nicht gefallen?

Auf jeden Fall ist er ausgeschaltet. Fuer die Szene ist er tot.

taz: Welche Rolle spielt der Amerikaner Gary Lauck fuer die deutsche

Neonazi-Szene?

In den letzten Monaten hat er eine ziemlich bedeutende Rolle uebernommen.

Durch die Verbote sind vielen Gruppen die Handlungsmoeglichkeiten genommen

worden. Seit den Verboten, so sagt es zumindest Gary Lauck, ist die Zahl

der Abonnenten des NS- Kampfrufes sprunghaft gestiegen. Aber jetzt sitzt

er ja in Daenemark in Abschiebehaft.

taz: Wie oft hatten Sie Kontakt mit Gary Lauck?

In der Regel haben wir einmal in der Woche telefoniert.

taz: Ueber welchen Zeitraum?

Intensiver im letzten Dreivierteljahr.

taz: Sie wollen sich jetzt ins Privatleben zurueckziehen?

Ich will mich nicht mehr in einer Szene bewegen, wo der Ruch von Straftaten oder Gewalt herrscht. Demonstrationen, Auseinandersetzungen mit

Linken, Repression und Verfolgung, diesen Stress will ich mir nicht

mehr antun.

taz: Nur weil Sie den Stress nicht mehr aushalten?

Nein, aber wenn ich mich entscheiden wuerde weiterzumachen, dann bliebe

ich beruflich eine Null. Dann wuerde ich irgendwann mal auf der Strasse

stehen. Es ist eine gesunde Portion Egoismus dabei, wenn ich jetzt nicht

mehr mitmache. Ich hab' noch ein Strafverfahren laufen und will nicht

irgendwann einmal im Knast enden. Das kenne ich von der HNG, die Leute,

die in den Knast gehen, kommen noch schlimmer zurueck.

Die Rechte wird immer nur wahrgenommen, wenn irgendwelche besoffenen

Glatzkoepfe gewalttaetig werden. So werden alle in eine bestimmte Ecke

gedraengt. Ich moechte mich nicht laenger mit dem schreienden, glatzkoepfigen Mob aus Hoyerswerda oder sonstwo identifizieren lassen. Ich

bin nicht der geborene Schlaeger.

taz: Aber schon dreimal wegen Körperverletzung verurteilt ...

In der rechten Szene ist das Faustrecht weit verbreitet. Als ich noch

Skinhead war, vor meiner Zeit in der FAP, da habe ich mitgepruegelt, dazu

stehe ich. Ich komme aus einer buergerlichen Familie, an und fuer sich

bin ich kein Typ fuer Gewalttaten. Ich hab nie Probleme mit Ausluendern

gehabt.

taz: Also ziehen Sie sich auch aus taktischen Gruenden aus der Szene

zurueck, weil Sie nicht in den Knast wollen?

Nein, ich muss wohl mit einer Haftstrafe rechnen, aber es gibt eine

Menge von Faktoren, die zu der Entscheidung des Rueckzuges gefuehrt haben.

-- b u n t e s a n t i f a f o r u m *

In der Kulturwerkstatt - Oberonstrasse 20-21

59067 Hamm

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