Nachbereitungspapier der Grenzcamp-AG Leipzig
Die Dokumentation beginnt mit diesem Nachbereitungspapier einer einzelnen
Gruppe, weil es wohl an den meisten Punkten von vielen aus dem
Vorbereitungskreis geteilt wird. Wir haben den Text um einige Punkte
gekürzt. Diese werden an anderer Stelle der Doku ausführlicher
beleuchtet.
Anspruch und Wirkung nach außen
Die Entscheidung nach FfM zu gehen, war die richtige. Denn entgegen
anfänglicher Befürchtungen sind wir im Rhein/Main Gebiet nicht
untergegangen, sondern konnten mit mehr als 1000 TeilnehmerInnen und mit
Aktionen an sensiblen Punkten wie z.B. dem Flughafen, dem Hauptbahnhof und der
Börse Aufmerksamkeit in Medien und der direkten Öffentlichkeit
erlangen. Eine Vereinnahmung wie letztes Jahr fand nicht statt, da wir erstens
sowohl inhaltlich als auch infrastrukturell besser vorbereitet waren.
Herausragend an diesem Punkt war die Pressegruppe. Zweitens gibt es die mediale
Inszenierung des zivilgesellschaftlichen Antifaschismus nicht mehr in dem
Maße wie im Antifa-Sommer 2000. Und drittens gibt es in der Metropole
Frankfurt am Main einfach eine liberalere Presse, die ein größeres
Interesse an unseren Themen und an kritischen Stimmen hat.
Die (überregionale) mediale Berichterstattung war gut, es wurde über
die meisten größeren Aktionen berichtet und dabei auch Inhalte
zitiert. Besonders viel Aufmerksamkeit fanden natürlich Aktionen am
Flughafen, hier mit freundlicher Unterstützung der Fraport AG. Besonders
weil in der Presse auch teilweise unsere Inhalte transportiert wurden, kann
mensch die Berichterstattung als positiver als die Jahre zuvor
einschätzen. Ein großes Manko war allerdings, dass wir häufig
auf unsere Position gegen Abschiebung und Flughafenverfahren reduziert wurden
und nur wenige Aktionen, wie z.B. die Börsenaktion zur Thematisierung der
ZwangsarbeiterInnenentschädigung und Genuaaktionen, Eingang in die
(überregionalen) Medien fanden. Die Schuld hier liegt allerdings nicht nur
an der Nicht-Beachtung seitens der Presse, sondern auch daran, dass wir,
entgegen anderslautender Bekundungen im Vorfeld, diese Thematik auch einfach
schwerpunktmäßig behandelt haben. Die Diskussion um politische
Schwerpunktsetzung vs. thematische Vielfalt wurde u.E. nie zu Ende geführt
und somit gab es innerhalb des Vorbereitungskreises keinen Konsens zur
Gewichtung der verschiedenen Themen. Und obwohl mehrfach die Wichtigkeit der
Themen Multikulti-Rassismus und Einwanderungsdebatte bestätigt wurde, gab
es zu beiden Themen zu wenig Aktionen.
(Wir sollten nicht zu einem alle Themenbereiche abdeckenden Camp
werden. Wir haben uns als antirassistisches Grenzcamp das
Herrschaftsverhältnis Rassismus herausgesucht und wollen natürlich
darüber eine grundsätzliche Gesellschaftskritik formulieren.
Allerdings haben wir uns sozusagen aus taktischen Gründen und weil es
anders gar nicht zu bewerkstelligen ist, das Thema Rassismus und dessen
Zusammenhang zu anderen Herr-schaftsverhältnissen herausgesucht.)
Der Erfolg eines Camps läßt sich jedoch nicht nur an
TeilnehmerInnenzahl, der Anzahl der durchgeführten Aktionen und dem
Presseecho messen, sondern es stellt sich auch die Frage, inwieweit politische
Forderungen erfüllt wurden oder wir ihnen zumindest ein Stück
näher gekommen sind. Ganz nüchtern betrachtet sind unsere Forderungen
z.B. nach Schließung des Internierungslagers und Abschaffung des
Flughafenverfahrens natürlich nicht erfüllt worden. Was wir
allerdings erreicht haben, ist an dem Image des sich weltoffenen gebenden
Rhein/Main Flughafens zu kratzen und somit auch am Image der Fraport AG und
diese in Bedrängnis zu bringen. Und auch wenn es keine direkten Erfolge
wie z.B. bei der deportation class Kampagne zu berichten gibt, sind wir nicht
total demotiviert und uns im Klaren darüber, dass wir nur in klein(st)en
Schritten vorwärts kommen werden.
Zusammenarbeit mit MigrantInnen
Trotz aller guten Vorsätze: Das 4. Grenzcamp war, wie seine
Vorgängerinnen auch, ein überwiegend weißes, deutsches Camp.
Die Beteiligung von MigrantInnen war zwar numerisch größer als in
früheren Camps, aber prozentual kaum höher und: sie beteiligten sich
nur am Rand. Inhaltlich waren Flüchtlingsgruppen dieses Mal aber
stärker präsent als in den Vorjahren, so wurde der inhaltliche
Schwerpunkt Residenzplicht von The Voice gesetzt und im Camp
aufgegriffen. The Voice muß sich in diesem Zusammenhang die Kritik
gefallen lassen, sich immerfort, also auch im Zusammenhang mit Themen, wo der
Schwerpunkt eindeutig anders lag, auf die Residenzpflicht zu beziehen.
Wo sich Flüchtlinge beteiligten, zeigte sich seitens der deutschen Antira
jedoch auch Schwierigkeiten, mit ihnen gleichberechtigt umzugehen. Das bezieht
sich nicht nur auf inhaltliche Zusammenarbeit, sondern auch auf den politischen
Umgang.
Einerseits ist das sicherlich ein Sprachproblem, die Übersetzung von
Redebeiträgen klappte mal wieder eher schlecht als recht, Diskussionen
kommen so gar nicht erst in Gang. Auch eine Übersetzung grundlegender
Papiere und Diskussionsbeiträge in schriftlicher Form gab es nicht, das
müsste verbessert werden.
Wir schlagen daher vor: Das Konzept eines Extratreffens zur Koordination
für potentielle ÜbersetzerInnen (Farbkennzeichnung, Übersetzung
von Diskussionsrunden und papieren), sollte im Vorfeld und zum Auftakt
eines Camps mehr gepusht werden, ruhig mit einer ordentlichen Portion
moralischen Drucks, damit diese Aufgabe (der Koordination) nicht von der
Vorbereitungsgruppe, sondern von den CampteilnehmerInnen selbst wahrgenommen
wird.
Aber das ist nur ein Schritt. Beispielhaft für bestehende
Kommuni-kationsbarrieren ist die Sexismus/Rassismusdebatte, wo seitens der
Flüchtlinge eine gemeinsame Veranstaltung über die spezifische
nordamerikanische-europäische Sexismusdiskussion eingefordert wird, die
sie oft nicht kennen. The Voice äußerte dann auch im Abschlussplenum
Verwunderung, dass vehement eine Diskussion über Sexismus auf dem Camp
eingefordert wurde, während die deutschen TeilnehmerInnen des Camps bei
der von The Voice vorbereiteten Dis-kussionsveranstaltung zu Rassismus und
Gender mit Abwesenheit glänzten. Und die wenigen von uns, die beim
Abschlussplenum bis in die frühen Morgenstunden ausharrten und mit
Flüchtlingen gemeinsam über Sexismus diskutierten, berichteten, dass
für die Flüchtlinge die von uns deutschen AntirassistInnen jeder
Diskussion als Grundlage dienende und für uns ganz
selbstverständliche Definition des Begriffes Sexismus/bzw. sexistischer
Verhaltensweisen ganz und gar nicht klar war. Für uns ein klares Beispiel
für mangelnden Austausch ganz grundlegender Definitionen und der daraus
entstehenden Missverständ-nisse, die ein Weiterdiskutieren von vornherein
dem Scheitern aussetzen. Der von The Voice geäußerte Vorschlag, vor
einem nächsten Camp, ein gemeinsames Diskus-sionswochenende zu Sexismus
und Rassismus zu veranstaltet, sollte von uns unterstützt werden, wenn wir
ein glaubwürdiges Interesse an zukünftigen gemeinsamen Diskussionen
und Zusammenarbeit haben.
Die Diskussionen über das Camp hinaus führen!
Die großen inhaltlichen Diskussionsveranstaltungen auf dem Camp selbst,
dienten eher der Information, der Vermittlung des Diskussionsstandes, sowie
dazu, bestimmte Themen oder Kampagnen zu pushen. Eine tiefergreifende Debatte
erscheint uns während des Camps aufgrund der begrenzten Zeit auch gar
nicht durchführbar warum sollten zum Beispiel Diskussionen, die
sonst (auch in bundesweiten Zusammenhängen) nicht befriedigend
geführt werden, nun plötzlich, nur weil der Rahmen
Grenzcamp heißt, anders laufen? Unabhängig von
zeitlichen limits spielen dabei auch Unterschiede im Wissens- und/oder
Diskussionsstand eine Rolle, die sich ebenfalls nicht innerhalb einer Woche
angleichen lassen. Und nicht zuletzt setzt auch die Anzahl der TeilnehmerInnen
der Diskussion von vornherein Grenzen. Umso wichtiger sind die zahlreichen im
Vorfeld auf Mailinglisten und den Vorbereitungstreffen und in den Workshops auf
dem Camp geführten Debatten und die sie begleitenden
Diskussionsmaterialien wie die Zeitung zur Podiumsdiskussion Jeder Mensch
ist ein Experte, die Diskussionen über das Camp hinaus anschieben
und Kampagnen anregen.
Einwanderungsdebatte
Jeder Mensch ist ein Experte - viel Kritik gab es an diesem Motto,
welches auch auf unseren Plakaten Verwendung fand. Allerdings hat wohl niemand
bemerkt, dass wir uns damit nicht in der kritisierten Art auf die
ExpertInnen-Diskussion bezogen. Vielmehr wollte der erklärende Text klar
machen, dass der ExpertInnen-Diskurs eine sehr zynische Komponente hat. Nicht
nur erst in neuester Zeit hilft der ExpertInnen-Bonus bei der Einreise nach
Deutschland, sondern schon immer verlangte das Grenzregime ein ExpertInnentum,
um überhaupt hier einzureisen. Auf dem Plakat stand: Um dieses
feinmaschige Netz der inneren und äußeren Grenzen zu
überwinden, bedarf es eines ganz besonderen Expertenwissens. Viele bleiben
dabei auf der Strecke. Sie sterben bei dem Versuch, die deutsche Grenze zu
überwinden, in deutschen Abschiebeknästen und bei ihrer
Abschiebung. Zugegebenermaßen ziemlich oldstyle, aber deswegen
nicht falsch. An genau diesem Punkt knüpften wir auch mit unserer
Arbeitsamt-Aktion in Frankfurt während des Camps an (siehe unten). Wir
vermittelten u.a. hochqualifizierte Jobs als SchlepperIn. Die
ursprüngliche Bedeutung Jeder Mensch ist ein Experte ist dabei
genauso systemimmanent wie Kein Mensch ist illegal - deswegen
verstehen wir auch die Aufregung der KMII-Gruppen auch nicht so recht.
Nun war das Camp allerdings auch mit den neueren Diskussionen um ExpertInnen
(oder genauer gesagt: der Einwanderungsdebatte) konfrontiert. Im Vorfeld wurde
dies als wichtiges Thema postuliert, welches auf dem ganzen Camp eine Rolle
spielen sollte. Als Höhepunkt war die Talkshow am Sonntag
Abend geplant. Da wir die Wichtigkeit dieser Debatte teilen, möchten wir
gesondert darauf eingehen.
Die Hoffnung, auf der Talkshow die Debatte führen zu
können, wurde durch die technischen Mängel, die schleppende
Übersetzung und den späten Beginn gründlich zerstört. Wir
hatten uns zwar mehr von der Veranstaltung erhofft, aber auch nicht viel mehr.
Bei einem so großem Thema und einer solchen Vielzahl von Leuten (sowohl
im Podium als auch im Publikum) ist an eine Diskussion nicht wirklich zu denken
- es hatte allenfalls Proklamationscharakter. Wir denken allerdings, dass durch
die Extra-Zeitung für die Veranstaltung (was eine sehr gute Idee war!),
die Folgeveranstaltungen und die Diskussionen vor und nach dem Camp eine gute
Grundlage für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema geschaffen
wurde. Das Camp hat also nicht viel gebracht, ohne Camp hätten sich aber
auch viele Gruppen gar nicht die Mühe gemacht, darüber zu
diskutieren.
Da wir uns selber noch in der Diskussion befinden, können wir inhaltlich
im Moment nicht viel beisteuern. Nur so viel: Zum einen sprechen wir der
aktuellen Entwicklung ab, neu zu sein. Bei unserer Beschäftigung mit der
AusländerInnenpolitik der letzten beiden Jahrhunderte (siehe unser Referat
auf von einer Veranstaltung in Leipzig: http://www.nadir.org/nadir/initiativ/ci/nf/79/23.html) haben wir mehr überraschende Kontinuitäten als Brüche entdeckt. Natürlich gibt es momentan gerade Diskursverschiebungen, die es aber schon immer mal gab
und nichts an den Grundlagen der herrschenden Politik ändern. Zum anderen
- und das folgt für uns unmittelbar daraus - teilen wir die momentane
Euphorie nicht. Da wird von vielen eine Chance für die Linke
gewittert, über Legalisierungskampagnen geredet, behauptet, dass wir
Diskurse bestimmen könnten, die soziale Frage neu ins Spiel gebracht, eine
zu nutzender Interessensgegensatz zwischen Staat und Kapital
herbeihalluziniert, der rassistische Konsens gilt als aufgebrochen, die
Abschottungs- müsse der gezielten Einwanderungspolitik weichen. Das
modernisierte Migrationsregime wird auf Erfolge der MigrantInnen
zurückgeführt, die mit ihren Kämpfen oder der einfachen Tatsache
ihres (vermeintlich ungewollten) Hierseins diese Änderung erzwungen
hätten. (All dies sind von vielen Gruppen geteilte
Meinungsäußerungen aus den Diskussionsbeiträgen in der
Mailingliste bzw. in der Zeitung zur Talkshow.)
Dass die aktuelle Politik nicht ein Ergebnis der Schwäche, sondern
vielmehr der Stärke des Systems ist, dämmerte einigen,
als Schily seinen Gesetzesentwurf präsentierte. Früher wurde noch zu
Recht kritisiert, dass die imperialistischen Verhältnisse Menschen zur
Flucht zwingen: aus wirtschaftlichen und ökologischen Gründen,
aufgrund von Bürgerkriegen etc. Die relative Armut auch der
indischen ComputerexpertInnen oder der polnischen
SaisonarbeiterInnen macht diese Menschen nun heute nicht plötzlich zu
selbstbestimmten Wesen, die durch ihre Migration hier die Verhältnisse zum
Tanzen bringen. Sie sind Spielball der staatlichen und ökonomischen
Interessen wie auch schon in den letzten Jahrhunderten. Natürlich gibt es
Kämpfe der MigrantInnen, welche Erfolge und Mißerfolge sie zu
verzeichnen hatte, lehrt ein Blick in die Geschichte. Und natürlich muss
darauf gesetzt werden, was anderes bleibt ja nicht übrig, allerdings
verwundert uns, warum jetzt plötzlich neue Interventionsmöglichkeiten
entstehen sollen. Es sieht doch eher danach aus, dass die bestehenden dicht
gemacht werden. Die Modernisierung des Migrationsregimes läuft ja gerade
darauf hinaus, die Migration den Bedürfnissen der deutschen Wirtschaft und
Gesellschaft anzupassen.
Vernetzung der Antirabewegung zu anderen Teilbereichsbewegungen
Obwohl es eingefahrene Positionen, Konkurrenzen und Eitelkeiten gibt: die
politisch-strategische Debatte wurde mehr als in anderen Jahren geführt,
nach Möglichkeiten der Zusammenarbeit wurde gesucht.
Zum Beispiel mit der Antifa: Schon immer begreift sich das Grenzcamp als
Experimentierfeld für eine bessere Zusammenarbeit von Antifa
und Antira. Bei den meisten TeilnehmerInnen und OrganisatorInnen wird Antifa
immer mitgedacht und als mit antirassistischer Politik verwobener
Politikbereich verstanden. Natürlich lag das Thema Antifa in diesem Jahr
nicht so sehr auf der Hand wie in den Jahren zuvor, als das Camp im Osten
stattfand. Dort standen antifaschistische Themen quasi zwangsläufig auf
der Tagesordnung: auf der einen Seite, weil der Begriff national
befreiter Zonen dort eine ganz andere, nämlich faktische Bedeutung
hatte, auf der anderen Seite, weil eher Leute aus dem klassischen
Antifaspektrum in die Campvorbereitung involviert waren. Und natürlich gab
und gibt es beiderseits unterschiedliche Herangehensweisen und
Vorurteile. Als Beispiel seien hier in praktischer Hinsicht die
vielfältigeren, bunteren, spaß- und
kommunikationsguerillaorientier-teren Aktionsformen antirassi-stischer Gruppen
genannt. Für die inhaltlichen Unterschiede ist beispielhaft die in
Antirakreisen immer noch stark präsente und von Antifagruppen kritisierte
sozialarbeiterische Ausrichtung bei der Zusammenarbeit mit Flüchtlingen.
Andersherum wird die Antifa von vielen Antiragruppen auf eine reine
Anti-Nazi-Bewegung reduziert, auch wenn in diesem Jahr gerade die vom Camp
ausgehenden Antifaaktionen einer solch verkürzten Sicht widersprachen, da
sie eher gesellschaftliche Zusammenhänge und die rechte Mitte
thematisierten.
Das Interesse an der Diskussion um Zusammenarbeit und an antifaschistischen
Themen war jedenfalls in Frankfurt ganz klar vorhanden. Zum ersten Mal fand auf
dem Camp eine von einer Antifagruppe (dem BGR Leipzig) vorbereitete
Veranstaltung statt, die sich nicht mit der Vermittlung klassisch
antifaschistischer Hintergrundinfos befasste, sondern die Analyse des BGR zu
Perspektiven gemeinsamer Antifa- & Antirapolitik zur Diskussion stellte.
Antirassistische Events wie das Grenzcamp zu promoten auf denen sich
Schnittpunkte und Diskussionen über eine Zusammenarbeit anbieten, war auch
die Intention die zur Antira-Antifa-Veranstaltung auf dem Kongress in
Göttingen führte, deren Fortsetzung die BGR-Veranstaltung auf dem
Camp war. Zwar wurde auch bei dieser Veranstaltung viel aneinander
vorbeigeredet und gegenseitige Vorurteile bedient. Die Anzahl der Teilnehmenden
sprach aber für ein breites Interesse an der Diskussion.
Ein praktischer Ansatz einer möglichen Zusammenarbeit könnte zum
Beispiel eine von Antira- und Antifazusammenhängen organisierte
Demonstration gegen das Ausländerzentralregister in Köln sein.
Auch mögliche Schnittstellen mit der
Antiglobalisierungsbewegung wurden diskutiert. Genua war
ständig präsentes Thema auf dem Camp. Viele der TeilnehmerInnen waren
dort, Genua wurde als Teil der internationalen Campkette betrachtet und mit der
Inhaftierung der Leute der Volxtheaterkarawane war die Repression für das
Camp ganz konkret spürbar: Die Beschäftigung mit der Thematik Genua
und darüber mit der Antiglobalisierungsbewegung lag erst mal klar
auf der Hand.
Wo sich in der Solidarisierung mit den in Italien inhaftierten noch alle einig
waren, gingen die Meinungen sonst jedoch weit auseinander. Viele begreifen sich
als Teil der Antiglobalisierungsbewegung und stellten das Camp in eine Reihe
mit den Protesten von Genua (die von MigrantInnengruppen getragene
Auftaktkundgebung in Genua, war über die Nennung bei unseren
Aktionen/Redebeiträgen hinaus leider kaum Thema). Andere distanzierten
sich von dieser sehr heterogenen Bewegung, aufgrund der nicht zu leugnenden
antisemitischen Konnotationen und positiven Bezüge auf den nationalen
Wohlfahrtsstaat. Besonders deutlich wurde das an der Diskussion im
Abschlussplenum über den offenen Brief an die Antiglobalisierungsbewegung.
Wir halten es für sehr wichtig, die Entwicklung kritisch zu begleiten und
zwar über die eingeforderte und bisher zu wenig geführte inhaltliche
Auseinandersetzung. Ob die Antiglobalisierungsbewegung über den
möglichen Wegfall der Gipfeltreffen hinaus überhaupt fortbesteht und
inwieweit sie im nächsten Jahr und damit für ein nächstes Camp
eine Rolle spielt, wird sich zeigen.
Anlaufstelle
Das mögliche Vorhandensein der Anlaufstelle wurde schon im Vorfeld
für ein lustfeindliches Camp verantwortlich gemacht (Kurt und Lotte
Rotholz, camp01-Mailingliste, 25.07.01). Die selbsternannten
Sexismus-ExpertInnen holen also dass ganz alte Totschlagsargument aus dem
Keller der Backslash-Bewegung: Feminismus und Antisexismus ist lustfeindlich
und repressiv. Dabei war es einer der ersten Erkenntnisse der Frauenbewegung,
dass Sexismus soviel mit Sexualität zu tun hat, wie ein Grenzcamp mit
einem real-sozialistischen Ferienlager. Sexismus ist ein gewalttätiger
Ausdruck des patriarchalischen Herrschaftsverhältnis. Antisexismus und
Feminismus ist somit die Grundbedingung für eine befreite Sexualität
(und nicht ihr Gegenteil!), auch wenn über bestimmte Formen, dies in der
Praxis umsetzen, diskutiert werden kann und muss. Eine Form davon sollte die
Anlaufstelle sein. Am ersten Konzeptpapier zum ursprünglich so genannten
Konfliktgremium hatten wir Kritik (Grenzcamp AG Leipzig,
camp01-Mailingliste, 13.06.01), wir stimmten mit den grundsätzlichen
Überlegungen allerdings überein. Uns ist es wichtig, in diesem
Zusammenhang zu betonen, dass solche Sachen wie Definitionsrecht und Sanktionen
natürlich nichts emanzipatorisches an sich haben und einer linken
Utopie-Vorstellungen zuwider laufen. Allerdings leben wir noch nicht ganz in
der Utopie. Und somit müssen wir uns mit den herrschenden
Verhältnissen auseinandersetzen. Das quasi militärisch organisierte
Schutzkonzept (mit Funkkennungen aus dem NATO-Alphabet!) wird auch von
niemanden in Frage gestellt. Ähnlich verhält es sich mit der
Anlaufstelle. Wir hielten sie in der abschließenden Konzeption
(camp01-Mailingliste, 16.07.01) für ein angemessenes und
diskussionswürdiges Instrumentarium, um - so steht es im Konzept - eine
Sensibilisierung alle Teilnehmenden zu bewirken, einen
Schutzraum für Betroffene zu gewährleisten ,
professionelle ... Hilfe zu organisieren, mit Anbindung an das
Delegierten-Plenum und nur eingreifend, wenn das ... Umfeld nicht mehr
weiter weiß oder wenn eine betroffene Person vertrauenswürdigen
Schutz sucht. Wir lesen dort also nichts von einem totalitärem
... Fürsorgeregime mit politischen Repressionswillen,
Polizeijargon und Gewaltfantasien, die einer
rechten Ideologie entspringen würden (alle Zitate: Kurt und
Lotte Rotholz). Diese Vermischung von zwei Diskussionen, die nicht viel
miteinander zu tun haben (nämlich: Umgang mit sexistischem Verhalten in
der Praxis einerseits und anderseits eine theoretische Diskussion über
eine befreite Gesellschaft mit einer emanzipatorischen Sexualität), sorgt
dafür, dass die DiskutantInnen permanent aneinander vorbeireden. Dies ist
unserer Meinung nach aber nur selten ein dummer Zufall, sondern der leicht zu
durchschauende Versuch, sich der Auseinandersetzung zu entziehen. Denn jene,
die immer, wenn es um Sexismus geht, lauthals einfordern, mensch müsse
lieber darüber reden, wie mensch sich ein gutes Leben für sich
selbst vorstellt, können dies ja gern tun, nur tun sie dies nicht -
dieser Wunsch, sich über linke Sexualität, Beziehungen u.ä.
auseinanderzusetzen, funktioniert nämlich nur als antifeministischer
Reflex.
Wir finden es schade, dass der Versuch Anlaufstelle nicht gewagt
wurde. Alle zukünftigen Diskussionen über ein solches Gremium
entbehren nun einer praktischen Grundlage. Uns ist nicht ganz klar, warum kurz
vor dem Camp ein Rückzieher von den Anlaufstellen-Personen gemacht wurde.
Wir können allerdings verstehen, wenn sie sich aufgrund der massiven
Kritik und der kontroversen Diskussionen im Vorfeld sowie die mangelnden
Beteiligung bei einer konstruktiven Auseinandersetzung verunsichert
gefühlt haben. Wir halten es allerdings für unehrlich, so zu tun, als
ob die Umsetzung der Anlaufstelle offen sei und am Dienstag auf dem Camp
diskutiert werden könnte. Zu Beginn des Camps war uns bei dieser
Ausgangslage klar, dass es die Anlaufstelle nicht geben wird. Die Diskussion um
die Anlaufstelle hat sich damit für uns natürlich nicht
erübrigt.
Symptomatisch ist natürlich auch die geringe Beteiligung an der Diskussion
nach dem Camp. Im ersten Beitrag (08.08.01) werden aus einer solidarischen
Perspektive berechtigte Einwände gegen die Anlaufstelle eingebracht:
Könnte ich das denn machen. Gefragt wird nach der
Qualifikation der Anlaufstellen-Menschen. Fazit: Die
Kompetenz des Umgangs mit sexistischen Übergriffen ... stellt sich meiner
Meinung nach nur über eine Debatte wie die geführte her, nicht
über Anlaufstellen. Doch die Anlaufstelle sollte nicht mehr sein,
als genau solche Debatten auf dem Camp anzuschieben und vorzubereiten. Und da
wären wir wieder bei organisatorischen Fragen und der Konsumhaltung. Wir
sind nicht so weit, eine solche Debatte ins Blaue hinein zu führen. Es war
also gut, dass die Diskussion vorbereitet wurde.
Aktionen
Im großen und ganzen meinen wir ein breitgefächertes Spektrum an gut
vorbereiteten und in der Konsequenz gelungenen Aktionen gesehen zu haben. Dies
bezieht sich sowohl auf die inhaltliche Ausrichtung, als auch auf die konkrete
Ausgestaltung. Teilweise hat sich mensch Themenkomplexen von verschiedenen
Richtungen genähert. Beispiel hierfür ist das Thema Zwangsarbeit, das
durch eine Kombination inhaltlicher Veranstaltungen (sowohl für
GrenzcamperInnen, als auch für Leute von außerhalb) und konkreter
Aktionen aufgegriffen wurde.
Hinter den eigenen Ansprüchen zurückgeblieben sind wir, was die
Schwerpunktsetzung anbelangt: so ist es leider nicht gelungen sämtliche,
im Vorfeld formulierten, Schlüsselthemen in ähnlich wirksamer Weise
aufzugreifen. Während etwa der Komplex Flughafen-Innere
Grenzen-Abschiebung die ihm gebührende Aufmerksamkeit erhielt, sind die
Themen Multikultirassismus, Arbeitsmigration und Entwicklungen auf EU-Ebene
eher randständig geblieben.
Ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung von Aktionen ist deren konfrontativer
Gehalt bzw. deren Offensivität. Wenn mensch Konfrontation nicht
kurzschlußartig mit Militanz gleichsetzt, sondern darunter ein
konsequentes, bewußt die inhaltlichen Differenzen (und damit verbundenen
unterschiedlichen Legitimitätsauffassungen) betonendes Auftreten versteht,
so hatten viele Aktionen einen offensiven Charakter. Als Beispiele könnten
die Aktionen auf dem Flughafen oder auch die im Hauptbahnhof genannt werden.
Aufgrund des größtenteils eher auf Deeskalation ausgerichteten
Verhaltens der Ordnungshüter ist es vermehrt möglich
gewesen, Inhalte zu vermitteln.
Organisierung/Vorbereitung/Technik
In einem Nachbereitungspapier aus Berlin ist die Rede davon, dass das
Camp eher den Charakter eines real-sozialistischen Ferienlagers mit
informeller Hierarchie hatte, als einem emanzipatorischen,
selbstorganisierten Experiment von temporär anderer Gesellschaft zu
gleichen. Die Diffamierung mit dem Ferienlager können wir postwendend
dementieren, denn dafür sind wir ExpertInnen. Was es mit einem
emanzipatorischen, selbstorganisierten Experiment auf sich hat, ist
uns dagegen nicht so ganz klar. Wenn es der Traum ist, dass 1.500 Menschen in
einer Woche mit weniger als der vorhandenen Vorbereitung und Struktur alles
geregelt bekommen, dann würde das unserer Meinung nach eher in einen
Albtraum münden. Will heißen: Wir denken, dass alles recht gut
gelaufen ist. Die (nicht organisierten oder in die Vorbereitung eingebundenen)
Camp-TeilnehmerInnen haben sich insoweit eingebracht, wie es ihnen möglich
war (Vokü, Schutz, Diskussionen, Aktionen etc.) - mehr zu erwarten, ist
illusionär. Wir denken, dass sich das Camp sehr deutlich von einem
Festival unterschied - und die wenigen Sachen, die mehr oder
weniger wie auf einem Festival funktionierten (Dixi-Klos u.ä.), waren gut,
dass sie so funktionierten. Wir hatten nicht den Eindruck, dass die
Konsumhaltung stärker war als die Jahre zuvor. Wir finden es
gut, wenn Leute auch nur ein paar Tage vorbeikommen und halb Urlaub machen.
Noch besser finden wir es, wenn strategische Überlegungen ... von
den jeweiligen Aktionsgruppen überlegt werden und im Deli-Plenum zur
Kenntnis genommen (was in oben genannter Mail kritisiert wird). Denn wir
denken, das Camp steht und fällt nicht unbedingt mit den TeilnehmerInnen,
deren Motivationen und Erfahrungen zu heterogen und deren Anzahl einfach zu
gross ist, sondern mit den organisierten Gruppen, jenen Gruppen, die auch in
der Vorbereitung eingebunden sind und auf dem Camp mehr oder weniger die
Verantwortung für alles tragen. Eventuell entstandener Frust über
Vorbereitung und Ablauf des Camps trifft also eher diese Gruppen als die
Gesamtheit der CampteilnehmerInnen. Wir denken allerdings, dass auch da alles
recht gut geklappt hat, auch wenn die Überlastung der Frankfurter Gruppen
einerseits logisch, anderseits milderbar gewesen wäre. Kritik am
Konsumverhalten darf unserer Meinung nach maximal dazu dienen, mehr
Gruppen dazu zu bewegen, sich in die verbindlich Vorbereitung einzuklinken.
Zum Delegierten-Plenum möchten wir noch anmerken, dass das Vorhaben, dort
inhaltliche Diskussionen zu führen, sich leider nicht realisieren
ließ. Es war eher ein Organisations-Plenum. Wir halten das
diesjährige Konzept (nur 3 große Plenas, ansonsten Deli-Plenum mit
Rückkopplung an die Städte-Plenas) jedoch für das Beste. Ein
großes Plenum ist noch ungeeigneter für Diskussionen als ein
Deli-Plenum. Als kleines Manko des Deli-Plenums sehen wir allerdings an, dass
wichtige Punkt (wie die Abschluss-Demo) oft relativ spät thematisiert
wurden, so dass eine Rückfrage der Delegierten in ihren Städten nicht
mehr möglich war - dies sollte nächstes Jahr verbessert werden.
Außerdem sollte möglich sein, auf dem Deli-Plenum wenigstens
politische Einschätzungen für gelaufene und kommende Aktionen
vorzunehmen - eine Arbeit die diesmal weitestgehend an der Pressegruppe hingen
blieb.
Wir wissen nichts über die Qualität der anderen Städte-Plenas,
können nur sagen, dass wir gut damit gefahren sind. Natürlich war
unser tägliches Leipzig-Plenum (mit Bericht von den Delegierten) auch mehr
von Infos und organisatorischen Fragen geprägt, inhaltliche Diskussionen
wurden hier aber noch besser und mit mehr Beteiligten geführt als das auf
dem großen Plenum möglich gewesen wäre. Aus eigener Erfahrung
würden wir anderen Städten für das nächste Mal allerdings
einen festen Städte-Plenumstermin und eine kleine Stadt-Infotafel für
die nicht Anwesenden empfehlen.
Grenzcamp-AG Leipzig
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