F E S S E L N D E S G L U E C K S =================================== Aus: medium 3/93 Möglichkeiten des Journalismus in der totalen Mediengesellschaft von Siegfried von Kortzfleisch Bei dem folgenden Text handelt es sich um einen leicht gekürzten Vortrag, den der Autor im Rahmen der Vorlesungsreihe ,,Medienkult - Medienkultur'' 1992 an der Universität Hamburg gehalten hat. I. S u c h g ä n g e Wir haben einen unerhörten Wandel der Medienverhältnisse hinter uns. Ich nenne es gerne eine Kulturrevolution. Doch wir hinken mit unserem Bewußtsein noch hinter den neuen Verhältnissen her. Das wurde mir immer deutlicher, während ich diesen Text vorbereitete. Mir schien deshalb, daß noch dringlicher als das neuerliche eintreten für die Freiheit der Journalisten derzeit sei, den Beruf des Journalisten in der hochentwickelten Mediengesellschaft erst wieder neu zu bestimmen. Das ist nun gewiß ein hohes Ziel, und ich bilde mir nicht ein, es werde mir zureichend gelingen. Aber ich will einige behutsame ,,Suchgänge'' unternehmen, und ich möchte einladen, dabei mitzugehen. Im übrigen, während ich die ,,Suchgänge'' bedachte, wurde mir klar, daß auch andere öffentliche Berufe in der Mediengesellschaft vermutlich neu zu beschreiben wären, zum Beispiel der des Politikers und der des Pfarrers. II. W i r k u n g e n d e r M e d i e n g e s e l l s c h a f t 1. Unausweichliche Welt der Signale Die bürgerlichen Bildungsideale können kaum noch gelten. Man wußte, was man lesen mußte, und tat es säuberlich. Es gab noch nicht das Überangebot. Die Entwicklung zur Mediengesellschaft fing ja so sachte an. Zeitungen und Bücher, Flugblatt und Plakat. Dann der Film mit Flimmer und Klavier. Der Rundfunk bot schon einen sensationellen Aufbruch in eine neue Welt an. Doch der eigentliche Durchbruch geschah erst mit dem Aufkommen des Fernsehens und allerlei anderem elektronischen Gerät. Und zwar in der ungezähmten Vervielfachung des Angebots von Programmen. Da wird aus der Quantität eine neue Qualität! Wie lauten die jüngsten Zahlen? In Westeuropa waren 1991 über die Satelliten 138 Fernsehkanäle verfügbar. Fast jeder Haushalt hat einen Fernsehapparat, und er wird durchschnittlich täglich vier Stunden und 18 Minuten lang eingeschaltet (so in Westdeutschland 1990). Man sei aber nicht nur auf das Leitmedium Fernsehen fixiert, sagen uns die Medienforscher. Man sehe etwa die Lebenswelt eines Jugendlichen: Er wächst auf inmitten eines reichen Gefüges von Medien und Kommunikationsgeräten. Kassetten, Disketten, CD; Rekorder, Video, Disko uznd Dudel; Musik von allen Seiten. Werbesprüchen hinten und vorne. Sie dringen auf ihn ein und gehen in seine Alltagssprache ein. Signale und Botschaften also von überall her, aufdringlich, unausweichlich, ein selbstverständliches Grundelement des Lebens - das ist Mediengesellschaft. Sie besteht nicht als Zierat oder Beigabe des Lebens, auf die man nach Gutdünken auch verzichten könnte. Sie macht vielmehr das Leben in unserer industriell geprägten westlichen Welt recht eigentlich aus. Das muß ja wohl Auswirkungen haben. Die Warner haben immer gefürchtet, alle Kultur gehe nun baden und die Seelen würden zerstört, der Große Bruder werde künftig über alle Kanäle alles manipulieren und so fort. All das ist nicht eingetreten. Die große menschliche Katastrophe blieb aus -- oder sind wir nur zu blind, um sie wahrzunehmen? Gewiß, die von David Riesman einst beschriebene Außenlenkung hat sich erheblich verstärkt. Doch haben sich auch die Fähigkeiten ausgebildet, damit einigermaßen angemessen fertig zu werden. Es sind Fähigkeiten der Abwehr. Der Mensch lernt, sich auf vieles einzulassen, aber möglichst selten sich an eine mediale Verlockung zu verlieren. Er trainiert es abzuschalten, umzuschalten, abzuwechseln. Da wird dann von den Zeitgenossen vieles nur noch vage wahrgenommen. Was hat das für Folgen für den Beruf des Journalisten? 2. Sieg der Unterhaltung Die Verhältnisse in den Medien haben sich auf den Kopf gestellt. Als ich das Handwerk des Journalismus erlernte, hatten sich gerade eben wieder edle liberale Grundsätze durchgesetzt. Man versuchte Nachricht und Kommentar voneinander zu trennen. Man rechnete mit Lesern, die urteilsfähig, mündig waren oder werden sollten. Endlich der Wahrheit dienen! war die Maxime, der ideologischen Manipulation wehren, sich nicht zum Büttel der Propaganda machen lassen! Nun endlich sollte sich das Prinzip der Öffentlichkeit durchsetzen, und jede Zeile eines Journalisten sollte dazu beitragen. Man erinnere sich: Es war die Epoche des Aufbaus. Es ging um das Dach über dem Kopf und die notdürftige Ausstattung. Ein Moped galt als gehobenes Glücks-Gut, und erst wenige konnten sich Scharnows Reise nach Rimini leisten. Das war auch die Zeit, als man unter ,,Massenmedien'' noch vorzugsweise die Zeitungen verstand und allenfalls den Hörfunk mit einbezog. Die ZUeit der dürftigen Geräte, die man Volksempfänger genannt hatte, lag noch nicht lange zurück. Da war also die frisch gewonnene Journalisten-Moral ebenso streng, wie die Lebensumstände karg waren. Vielleicht liegt eine Regel darin, daß die strenge Observanz ein Spiegel des allgemeinen Mangels ist. Wer heute das Handwerk des Journalisten erlernt, tut dies in einer völlig anderen Welt. Er lebt in Fülle. Unüberschaubarkeit viele Medien; Sender und Gazetten. Eine weitreichende Diversifikation der journalistischen Berufe. Es lernt einer die Zeitung oder Hörfunk machen oder Filme drehen. Man trainiert das flotte Plaudern eines Begleiters von Magazin-Sendungen im Hörfunk. Man wird Show-Master, das heißt: das Gegenteil eines Dompteurs, denn der Showmaster ist glücklich, wenn es ordentlich wild zugeht in der Exoten-Runde. Die Unterhaltung ist längst nicht mehr die kleine Prise Gewürz in der Öde der seriösen Information, sie ist die Hauptsache geworden. Unterhaltung macht Medienarbeit geradezu aus; denn nur so kann man auch die allgemeine Kommerzialisierung der Medien durchhalten. Wer trägt schon mit einem Kommentar zur besseren Verkäuflichkeit einer Zeitung oder eines Tagesschau bei. Der Journalist wird häufig selbst zur Ware im Medium.; sein Lächeln, das Design seiner Pullover, die für den Auftritt frisch gewellte Frisur, sie bekommen einen hohen Rang, womöglich noch vor gutem Stil oder der Klarheit der Gedanken. Aufzusteigen auf die Bühnen des Show-Biz gleicht einer Nobilitierung. Und die Leute mit dem altmodischen Pathos, die davon reden, Presse sei eigentlich eine vierte Gewalt, denn ohne sie sei Demokratie gar nicht denkbar, diese Spezies der Zunft muß nun immer wieder von neuem darum kämpfen, daß ihnen genügend Raum bleibe. Sensation, daß ist eine Spielart der Unterhaltung. Hitler-Tagebücher - wir verheißen euch, dem Publikum, Einblicke in das Innenleben des Diktaors. Reporter auf den Fersen der Geiselgangster -- ihr könnt das Glänzen sehen in den Augen des Verbrechers und den Haß und die Angst in seiner Stimme hören. Oder reden wir von der gegenwärtigen Jagd auf jedermann mit Hilfe von Stasi-Akten. Ist es nicht prickelnd schön zu sehen, wie sündig alzumal jedermann ist, besonders die da drüben? Da sage mir einer der Verantwortlichen aus diesen Medien, es ginge ihm um demokratische Öffentlichkeit, um Aufklärung oder gar um die Gerechtigkeit und um nichts sonst. Das glaube, wer will. Der alte liberale Auftrag des Journalismus, sein Anteil am ,,Prinzip Öffentlichkeit'', wird immer mehr dem Prinzip Marktgängigkeit unterworfen. 3. Unfreiheit von innen Das Problem der Freiheit stellt sich neu und anders. Gewiß, es gibt sie wirlich, die Helden der Meinungsfreiheit. 109 Journalisten und Autoren sind 1991 getötet worden, teilte der Welt-PEN-Club mit. Außerdem säßen rund 400 Autoren aus politischen Gründen im Gefängnis. Doch das ist nicht die Lage in unseren Breiten. Es kann bei uns erstaunlich viel, schier alles, irgendwo gesagt, gedruckt, gesendet werden, es sei wahr oder verzerrt oder gar falsch. Nichts, was es nicht gibt, wenn auch nicht immer da, wo man es gerade sucht. Zensur? Kaum eine Spur. So grob wird unsere Freiheit, die wir genießen, nicht mehr bedroht. Aber den sehnlichen Wunsch, die Freiheit anzufechten, gibt es gleichwohl, und viele Methoden dafür, Tricks und Verführungen. Sie sind meist subtiler als die der Autokraten, Diktatoren und Geheimdienste, oft sehr feinsinnig verhüllt und getarnt. Wie man das macht? General Schwarzkopf könnte uns mitteilen, wie er Reporter lange Zeit, ohne daß sie es merkten, zu ,,Lakaien der Regierung'' (so eine Studie der Washingtoner ,,Center of Public Integrity'') gemacht hat. Feineres Garn hätten die Parteienvertreter in deutschen Rundfunkräten aus ihrem Nähkästchen abzuspulen. Die Genralsekretäre, Spitzenmanager, Pressechefs und auch einige Oberkirchenräte könnten etliche Kapitel hinzufügen. Eigentlich brauchen wir nicht zu klagen. Die Freiheit der Journalisten ist nicht schon dadurch angefochten, daß es Versuche gibt, auf sie Einfluß zu nehmen oder ihnen Informationen vorzuenthalten. Soclhe VErsuche sind doch sozusagen normal. Angefochten wird die Freiheit erst wirklich, wenn Redaktionen oder Journalisten nicht den Anfängen wehren oder wenn sie leichtfertig hinnehmen, was man mit ihnen macht, oder wenn sie gar im vorauseilendem Gehorsam gegenüber irgendwem vorwegnehmen, was irgendwelche Mächtigen vielleicht tun könnten. Da sind dan Haltung gefragt und aufrechter Gang und ein bißchen Selbstbewußtsein: Wir haben doch einen öffentlichen Auftrag, und warum sollten wir uns das schmälern lassen. So wird die Freiheit -- auch -- zur Charakterfrage. Doch es ist an den schon skizzierten Wandel der Verhältnisse zu erinnern: Der Mut der Journalisten ist ja im Spektrum a l l e r Medien immer seltener gefragt. Je mehr sie im Dienst stehen der tausend bunten Blätter - je mehr sie sich der Unterhaltung widmen und der Vermittlung all der banalen Dinge, desto gleichgültiger wird das alte Ziel, mitzuweben an einer mündigen politischen Öffentlichkeit. Das heißt: das Problem der Freiheit gerät, sieht man auf die ganze Breite der Publizistik, zum Problem einer Minderheit unter den Journalisten. Und diese Minderheit kann mit der Solidarität der Mehrheit unter den Medienschaffenden nur sehr eingeschränkt rechnen. Und das schwächt sie, wenn sie versichen, sich zu wehren gegen die Anfechtungen der Freiheit. 4. Fragmentierte Botschaften oder Abschied von umfassenden Konzepten Da trauern manche Journalisten, und haben sie nicht manche guten Gründe dafür? Man hat sein Publikum nicht mehr vor sich wie in einer Klasse. Die Leute gehen ihrer Wege: Sie ,,flanieren'' zum Beispiel durch die Fernseh-Programme. Nur jeder dritte bleibt einer einer Sendung von Anfang bis Ende treu. Nicht mehr von Einschaltquoten wäre künftig zu reden, sondern von ,,Kontaktquoten''. Da wird bald die Werbeindustrie anfangen mitzutrauern. Und in einer bestimmten Zeit, die einer täglich fernsieht, nimmt er nicht mehr etwa 20 Prozent des verfügbaren Programmangebots wahr, sondern nur noch etwa drei Prozent. Noch immer gilt zwar, Gelesenes bewirkt mehr als Gehörtes, und Gehörtes läßt mehr Phantasie frei als die laufenden Bilder. Doch hier wie da wird die Welt als Kaleidoskop dargeboten. Sie ist bunt, vielfältig, zufällig zusammengesetzt, wird ständig von neuem verrüttelt. Daran zu erinnern, ganz ohne Klage und ohne Satire, hat einen Nutzen. Es erleichtern uns, Abschied zu nehmen von ganzheitlichen Modellen. Ist jedermann -- angesichts der Überfülle der Medienangebote -- sein eigener Programm-Macher geworden, so wird sicher der Jedermann in mancher Hinsicht emanzipieren können. Keiner schreibt ihm mehr so leicht vor, was er denken muß. Er bastelt sich seine Weltanschauung, wie er mag. Er entfaltet ein Christentum nach seinem eigenen Bilde. Er verzichtet darauf, eine edle, vollreife, rundum gemeißelte Persönlichkeit zu werden, wie es sich noch die Großväter vorstellten. Wenn die Botschaften -- benutzen wir ruhig das große Wort -- nur noch fragmentiert auftauchen, dann können wir mit dem großen Zapfenstreich und allen Posauen Abschied nehmen von allen Versuchen, die große Aufklärung zu planen oder den Katechismus für Erwachsene oder ein wunderbares Curriculum der Demokratie. Ende aller übergestülpen Volksbeglückung. Nichteinmal Schulen schaffen das noch, auch nicht Klosterschulen. Sie halten es am Ende nicht durch. Es bleibt beim Stückwerk. Das politische Bewußtsein wird weiter vage sein. Die Kirche gibt es nicht mehr anders denn als ,,Markt der Möglichkeiten''. Und die Rolle des Journalisten? Tritt er als Missionar irgendeiner dieser Lehren, als einer, der sein Medium konspirativ nutzt, um seinen Glauben, seiner Kirche, seiner Partei zum Sieg zu verhelfen, so wird er auflaufen, und seine etwaigen geheimen Auftraggeber werden es nicht minder. Mit leisem Vergnügen können wir dies allen großen Vorsitzenden und geistlichen Eminenzen in ihr Stammbuch schreiben. III. J o u r n a l i s t s e i n i n d e r t o t a l e n M e d i e n g e s e l l s c h a f t 1. Eine Sonderstellung behaupten. DEN Journalisten gibt es nicht mehr. Der Beruif hat sich in viele Medienberufe auseinandergefaltet, die oft wenig miteinander zu tun haben. Da sind Filmemacher und Musikpräsentatoren, Unterhalter und Conférenciers; manche betreiben das redaktionelle Begleiten der Werbung als journalistischen Beruf; manche hüten eine Nische in lauter speziellen Zeitschriften und leben dabei fröhlich; viele lassen sich anheuern als Medienberater oder Pressesprecher von Institutionen und KOnzernen. Ach, es ist ein buntes Volk geworden, und das Maß ihrer gemeinsamen Interessen und also ihrer Solidarität miteinander nimmt immer mehr ab. Freilich gibt es auch die klassichen Journalisten noch; sie melden und berichten, kommentieren und erklären. Sie tun es über Äther und auf PApier. Sie sind es, deren Freiheit am ehesten zu bedenken ist, deren etwaige Gängelung am ehesten eine Gefahr für die demokratische Öffentlichkeit zu werten ist. Aber sie sind eine Minderheit geworden in der Familie der Medienberufe. Die Gewerkschaft faßt alle Medienberufe zusammen -- um der sozialpolitischen Ziele willen. Das mag recht sein. Den ,,klassischen'' Journalisten aber täte es gut, ihren Beruf im übrigen abzusetzen von anderen Medienberufen. Das entspräche besser ihrer LAge im diffusen Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung. Sie wären leichter als Träger eines demokratischen öffentlichen Auftrages zu identifizieren. 2. Multimediales Vermarkten Diese Minderheit der politisch interessierten und in den öffentlichen Dingen engagierten Journalisten, sie ist, so haben wir gelernt, relativ ohnmächtig geworden. Die PR-Leite, stellt Ulrich Saxer, der Züricher Medienforscher, cool fest, seien längst schon viel mächtiger. Sagen wir es etwas schlichter: Die durchschnittliche persönliche Reichweite hat abgenommen. Darin gleichen die Journalisten den Politikern, die nunmehr siebenmal in Talkshows erscheinen müssen, um dieselbe Berührungsquote mit dem Publikum zu erreichen wie früher mit einer Talkshow. Es handelt sich um einen strukturell bedingten Einflußverlust des Journalisten. Also muß er, wenn er nicht zufällig in prominenten Leitmedien wie ,,Stern'', ,,Spiegel'', ,,Zeit'' steckt und gleichwohl etwas bewirken will, auch auf Quantität schauen, nicht nur auf Qualität. Er muß sich frei fühlen, seine Recherchen und Texte von vornherein multimedial zu verwerten, sie zu vermarkten. 3. Bescheidenheit und Werktreue Gedanken in größeren Zusammenhang haben es zunehmend schwerer, über die großen elektronischen Medien zum Publikum zu gelangen. Das ist die Folge der Fragmentierung der ,,Botschaften''. Man kann nicht alles in Einsdreißig sagen und auch nicht in zwei oder vier Minuten. Nicht alles paßt in scherzhafte Zwischenmoderation zwischen die Fischer-Chöre und das Hafenkonzert. Dennoch gilt, der Journalist wird sich einzustellen haben auf durchschnittlich kürzere Stilformen, auch im Hörfunk, und auf Themen im Ausschnitt. Auch erhabene Inhalte sind nur portionsweise zu vermitteln. Da ist es gewiß mühsam, einer großen Linie zu folgenoder am ausgereiften Gestus der Weltveränderung festzuhalten. Der Journalist wird genötigt, im Kleinen und im Detail seine Kunst zu beweisen und sein Profil als Autor zu gewinnen. Das ist so neu nicht, es liegt in der Tradition des Schreibens für den Tag. Immer lag darin der Zwang zur Bescheidenheit und zur Werktreue. Nur ist dieser Geist zwischendurch einmal verlorengegangen. Es schadet nicht, ihn wiederzufinden. Die Situation in der Mediengesellschaft zwingt uns dazu. 4. Zwang zur Wiederholung Neu ist das ,,diffuse Nebeneinander der Zeichen, Bilder und Töne'', wie Dieter Baacke es nannte. Die allgemeine Ungenauigkeit beim Wahrnehmen. Man weiß oft nicht mehr, wo man etwas angefangen hat. Manchmal verkehrt sich das nebenbei Gehörte im Kopf in sein Gegenteil. Die Informationen vernebeln sich, ehe sie dort ankommen, wo sie etwas auslösen könnten. Daraus leite ich ab, daß die alte Faustregel ,,Informieren heißt wiederholen'' weiterhin richtig ist. Darin steckte ursprünglich eigentlich nur eine selbstkritische Beobachtung: Leider wird so viel wiederholt. Künftig werden wir uns vornehmen müssen, bestimmte Informationen und Einsichten immer wieder darzubieten, bewußt und geplant. Die hochentwickelte Mediengesellschaft lebt von den vielen Wiederholungen. Der Autor fühle sich frei, sich selbst zu variieren und zu plagiieren. Es liegt kein Makel darin. Dergleichen ist notwendig geworden. 5. Doppelstrategie gegen die Untreue Nei ist eine weitere Kehrseite der Mediengesellschaft, die prinzipielle Untreue der Rezipienten. Sie hat zwei Aspekte. Der eine: das mit der Fernbedienung eingeübte ,,Flanieren'' des Rezipienten von Welle zu Welle, das Weiter-Blättern bei den Printmedien. Der andere Aspekt: der drohende Vertrauensverlust. Bleiben wir beim Flaneur. Intendanten, Verleger und viele Journalisten sind sich darin einig: Sie wollen ihr Publikum festhalten. Die Leute sollen treu bleiben, sollen bei der Sendung bleiben, einen Text möglichst bis zu Ende lesen. Eben das sollen ja nun die Unterhaltung oder die Sensation leisten. Selbst innerhalb der unterhaltsamen Programme paßt sich die Dramaturgie an: Nach einer Viertelstunde folgt in Wetten, daß... der nächste Gag. Gag auf Gag, um die Zuschauer zu halten. Kurzatmige Anreize. Die Methode stellt sich möglicherweise als kontraproduktiv heraus. Wenn ich merke, der nachfolgende Amüsier-Reiz gleicht dem vorherigen - warum soll ich eigentlich dabei bleiben? So könnte Anpassung der Medienmacher an das Flanieren der Rezipienten ihre Untreue verstärken, statt sie zu überwinden. Solche Skepsis erreicht aber die Produzenten offenbar noch nicht. Bisher gilt, was ein Rezensent schrieb: ,,Die Kapitulation vor dem Moloch ,,Unterhaltung'', den man beser ,Zerstreuung' nennen sollte, scheint komplett (Fritz Wolf, KiFu, 8.4. 1992) Was tun? Ich sympathisiere mit der folgenden Antwort, so ungenau sie auch klingt. Nämlich: Laß uns eine Doppelstrategie fahren. Erstens, wir versuchen, den Moloch Unterhaltung mit Sinn zu unterwandern; wir schleusen ernsthafte Information ein; wir präsentieren, mittendrin in all den Spielchen, vernünftige Menschen mit vernünftigen Meinungen zu den Problemen, die auch das Amüsier-Publikum im Grunde sehr interessieren. Und zweitens: In all den anderen so ungeheuer seriösen Medien wie, sagen wir, der ,,Zeit'', dem ,,Deutschen Allgemeinen Sonntagsblatt'' oder dem ,,Bayerkurier'' wollen wir so kommunikativ wie möglich sein. Auch schwierige und ernsthafte Inhalte lassen sich sozusagen verkäuflich darbieten, ohne Allotria und Albernheiten, vielmehr durchaus spannend. Man setze darauf, daß sich irgendwann unter den Rezipienten die Fähigkeit durchsetzt zu unterscheiden: Sie mögen es alles gerne unterhaltsam, weil sie ja so vieles unterhaltsam geboten bekamen; sie wollen aber keineswegs alles albern serviert bekommen. Es ginge um einen faßlich, vielleicht gar mit leichter Hand dargebotenen ernsthaften Stoff. Kommen solche guten Absichten an gegen die Allotria- Kultur? Es könnte sein, daß es ein Versuch bleibt von Minderheiten unter den Journalisten für Minderheiten im Publikum. Doch da ist eine Warnung geboten: 6. Vertrauen wiederherstellen Es schmähe niemand voreilig die angeblich ver-amüsierten Mehrheiten. Es handelt sich um Wähler und um Medien-Verbraucher zugleich. Man sagt, es sei ein gewaltiger Vertrauensverlust eingetreten gegenüber den Medien und gegenüber ALLER Politik. Diese beiden Lebenswelten ahben einiges gemeinsam. Erstens, ein quantitativer Maßstab wird zunehmend bestimmend: hier die Auflage, die Einschaltquote; dort die demoskopischen Zahlen und die Kontaktquote. Das System verlangt aber offenbar, darauf zu achten. Nach den Wählerstimmen und der zählbaren Wählersymphatie bemißt sich die Macht; nach den Auflagen und Einschaltquoten bemißt sich über die Werbung finanzieller Erfolg. Doch steckt im Gebrauch solcher Maßstäbe zugleich, daß man Menschen in der Menschenmasse nicht richtig achtet. Das bleibt auf die Länge der Zeit nicht verborgen. Mißtrauen keimt. Also arbeiten Medien-Unternehmer und Parteistrategen, seltsam vereint, zusammen an dem Vertrauensverlust, den die Institutionen der Politik und der Publizistik gleichzeitig erleiden. Das ist, wenn denn diese These stimmt, wunderbar absurd. Wir müssen befürchten, der Verlust an Vertreuen ist keine modische Strömung, die wieder vergeht. Ohne ein gewisses Vertrauen aber keine dauerhaften Auflagen, keine Publikumstreue -- und keine politische oder irgendwie aufklärerische oder zuverlässige demokratische Wirkung der Medien. Ich postuliere: Wer als Journalist so arbeitet, daß Vertrauen wächst und nicht abschmiltz, der hat auch in der Mediengesellschaft die besseren Aussichten. Ich nehme damit Abstand ein zu jenen, die billige, durchsichtige Sensationen einmalig und teuer verkaufen oder dies es schon für einen großartigen Journalismus halten, wenn sie stolz wie ein Terrier einen Prominenten einmal ans Bein gepinkelt haben. Nicht jede Freiheit, die ich mir herausnehme, ist auch schon ein Beitrag zur stets gefährdeten Freiheit des Journalismus.. 7. Position beziehen Ich sehe nicht, wie die postmoderne bruchstückhafte Identität durch ein ganzheitliches Angebot wirksam zu ersetzen wäre -- solange denn die Menschen in der Mediengesellschaft leben. Daran sei erinnert, weil zu fragen ist: Wie gehen Journalisten damit um? Erste Antwort: Der Wandel hin zur Mediengesellschaft entlastet die Journalisten von zu erhabenen Erwartungen. Sie sind nicht verantwortlich zu machen für das Seelenheit der Menschen, nicht für ihr gelingendes Leben. Sie können mit ihrem Metier niemanden zu dieser oder jener wahren Lehre führen. Will sagen, die Medien und die Medienmacher sind nicht verfügbar als die großen Menschen-Erzieher. Was sie leisten können und sollen, ist dies: zum Einzelproblem und zum Teilthema Impulse geben, Informationen, Denkhilfe. Zweite Antwort: Diese Impulse müssen nicht beliebig bleiben. Sie sollten in sich schlüssig oder überzeugend sein. Wenn man auch verzichten muß, ganze Lehrgebäude vor sich herzuschieben oder das ganzheitliche Heil zu garantieren, so dürfen doch Positionen erkennbar sein. Ich begleite niemals einen Rezipienten auf seinem langen Lebensweg, aber doch vielleicht von hier auf gleich. Für einige Augenblicke des sachgemäßen Assoziierens. Eine kleine Wegstrecke des Nachdenkens. Da darf das, was ich sage oder schreiben, den richtigen Beiklang haben. Einen Drall zum Menschlichen etwa. Es darf ein Problemzusammenhang erkennbar sein, der das Detail transzendiert. Da dürfen Positionen einer komperativen Ethik erkennbar sein, etwas so: Im Zweifel auf seiten der Opfer stehen, nicht der Nutznießer und Täter; im Zweifel auf seiten der Menschen gegen die angeblichen Sachzwänge, wenn sie die Humanität mißachten; im Zweifel auf seiten der Gerechtigkeit, nicht aber der Gewalt, sofern sie das Recht mißachtet, oder gar der Willkür; im Zweifel für mehr Demokratie und gegen ihren Mißbrauch. Ich weiß nicht, ob der Mensch dazu bestimmt ist, rundum edel und gut zu werden; ich hege Zweifel, daß er es werden kann. Aber sich dem Besseren zuwenden und einen kleinen Schritt dorthin zu tun, das mag doch angehen. Soviel möchte ich hoffen dürfen. Denn sonst verfiele ich in Zynismus. So nötigt mich die Realität des Menschen in der Mediengesellschaft zu einem realistischen und behutsamen Kompromiß zwischen Zynismus und Schwärmerei. Das klingt bescheiden und ist doch immer noch sehr anspruchsvoll.