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Subversives Blätterrauschen
Stand und Zustand autonomer Printmedien
Wer durch die Geschichte der antiautoritären und autonomen Bewegungen in
der BRD streift, gelangt immer wieder an die verschiedenen Eckpfeiler, an denen
sich die Bewegten Gedanken um die Vermittlung ihrer Ideen, ihrer Aktionen,
sozialen und politischen Organisationsformen und ihrer mehr oder weniger
revolutionären Gesellschaftsvorstellungen machen. Im Zentrum dieser
Gedanken steht der Begriff der Gegenöffentlichkeit, wobei es
schwerfällt, diesen Begriff in seiner Spannbreite zu füllen. Klar ist
die Öffentlichkeit - im Sinne von herrschender Meinung - nicht nur als der
Raum des politischen Gegners zu sehen, vielmehr sind die Bemühungen immer
auch darauf ausgerichtet, diese herrschende Öffentlichkeit zu
beeinflussen, um nicht im eigenen linksradikalen Sumpf/Ghetto zu versinken. In
diesem Spannungsfeld liegt die konzeptionelle Grundlage vieler linker
Öffentlichkeitsprojekte, die mehr oder weniger Rücksicht darauf
nehmen, wie sie in der gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit mit
gegenöffentlichen Thesen und Praxisvermittlungen ankommen.
Die Entwicklung der taz zu einem Teil der liberalen Öffentlichkeit
ist die eine Variante im Spannungsfeld von Öffentlichkeit und
Gegenöffentlichkeit, während die radikal, die mit einem
Karl-Kraus-Zitat wie "Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns
sehr gut: sie hört nicht, was ich sage, und ich sage nicht, was sie
hören will", selbstbewußt die andere Variante vertritt. Die
radikal wird eben (fast) ausschließlich in der linksradikalen
autonomen Szene gelesen und die taz vorrangig von rot-grünen
Intellektuellen. Und dennoch versuch(t)en autonome Bewegungen immer wieder auch
in der taz ihre Inhalte unterzubringen, weil mensch sie als Brücke
zur Öffentlichkeit benutzen zu können glaubt - und vor allem aus dem
Mangel an eigenen Alternativen hierzu.
Gegenöffentlichkeit wäre aber als Standpunkt autonomer Negation zu
kurz definiert. Gegenöffentlichkeit bestimmt sich vielmehr durch die Ideen
und Utopien, die gegen den Status quo gesetzt werden. So, wie es die
vielfältigsten Strömungen und Begriffe von dem gibt, was sich
autonome Bewegung nennt, gibt es ebenso viele denkbare Medienkonzepte, von der
überregionalen Strömungszeitung bis hin zum alternativen
Stadtblättchen, vom monatlichen Fanzine bis zum internen Rundbrief. Die
Vermittlung von Theorie und Praxis via Gegenöffentlichkeit muß Teil
jeder politischen und soziokulturellen Bewegung sein, die über ihren
Tellerrand hinaus wirken will.
Wenn es im folgenden um die Konzepte, Ideen und ihre Verwirklichung, die
Schwierigkeiten und Auflösungstendenzen subversiver Medien der letzten 20
Jahre gehen soll, so sei banal gesagt, daß sich die medialen Projekte
nicht von den politischen Entwicklungen trennen lassen, die einerseits durch
die autonomen Bewegungen selbst und andererseits durch den Staat mit seinen
repressiven und vereinnahmenden Reaktionen bestimmt wurden. Aktion und
Reaktion, Angriff und Repression veränderten sowohl den gesellschaftlichen
Umgang mit unseren Medien als auch die Bewegungen, die sich mit ihren Medien zu
vermitteln versuch(t)en.
Hinzu kommt die Vielfältigkeit autonomer Bewegungen in ihren ideologischen
Ausrichtungen und thematischen Spezialisierungen, ebenso in ihren praktischen
Umsetzungen.
Der Begriff der "Autonomen" ist ein Versuch, die Aktiven der
achtziger Jahre von Anti-Akw bis Häuserkampf in einer politischen Klammer
zu fassen. Von der Organisation und den Aktionsformen her sind die Autonomen
die Nachkommen von Antiautoritären der 60er Jahre und der Spontis der 70er
Jahre. Das Primat der direkten Aktion und die häufig beklagte
Theorielosigkeit, die Subjektivität der Politik in erster Person und die
rein informelle Organisierung in kleinen unabhängigen Gruppen bestimmen
einen Rahmen zur Beschreibung der Autonomen in Abgrenzung zu ideologisch und
organisatorisch festgelegten Gruppierungen, wie den K-Gruppen einerseits und
antiimperialistischen bzw. anarchistisch-libertären Zusammenhängen
andererseits. Allerdings wirken diese - auch wenn sie sich nur in Teilen den
Autonomen zuzählen - stark auf die politisch-ideologische Ausrichtung
einzelner lokaler Szenen, ebenso einzelner Teilbereichskämpfe. Dies
drückt sich ganz entscheidend in den verschiedenen Medienprojekten der
radikalen Linken insgesamt aus.
Ein Blick in die Geschichte subversiver Medien
Nach der Machtübertragung auf die NSDAP 1933 wurden
sozialrevolutionäre ProtagonistInnen und PublizistInnen vertrieben,
verhaftet und ermordet. Erich Mühsam, Mitarbeiter von Der Syndikalist
(wöchentliche Auflage 1920: 120.000) und Die Weltbühne
(Aufl. 16.000), sowie Herausgeber von anarchistischen Zeitschriften, wie
KAIN (1911-1919, Aufl. 3.000) und der von 1926 bis 1931 herausgekommenen
Fanal, wurde im Februar 1933 verhaftet und 1934 im KZ Oranienburg
ermordet. Das gleiche Schicksal erfuhr der Sozialist und Antimilitarist Carl
von Ossietzky, bis zu seiner Verhaftung 1933 Chefredakteur der
Weltbühne.
Im nationalsozialistischen Deutschland gab es subversive linksradikale
Schriften, die konspirativ - oft getarnt - von KommunistInnen, aber auch
AnarchistInnen und anderen Widerstandsgruppen verbreitet wurden. KPD-Texte auf
der Rückseite eines ganz normalen Stadtplans oder in der Verkleidung
einer Kakteenzüchterbroschüre; ein
"Schwarzwaldreiseführer" führte den/die LeserIn bei
genauerer Lektüre in das revolutionäre Spanien.
Vereinzelt gelang es nach 1933 auch, Zeitungen zu machen, wie die von 1933 bis
1934 auf einer Handabzugsmaschine gedruckte und vor allem im Rheinland
verbreitete vierseitige Direkte Aktion. Trotz Verhaftungen und
Auflösung der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter Union
Deutschlands (FAUD) im März 1933 konnten
AnarchosyndikalistInnen bis 1937 ein funktionsfähiges Widerstandsnetz
aufbauen. Exilierte AnarchosyndikalistInnen, die sich 1933/34 in Amsterdam zur
Gruppe Deutsche Anarcho-Syndikalisten (DAS) zusammengeschlossen hatten,
unterstützten diese Aktivitäten. Anarchosyndikalistische Exilgruppen
entstanden in Barcelona, Paris und Stockholm. Koordiniert wurde ihre Arbeit von
der im Exil arbeitenden Internationalen Arbeiter Assoziation (I.A.A.). Sie
schmuggelte Publikationen ins Deutsche Reich, wie den Pressedienst der I.A.A.
(1923-1939), sowie Deutschtum im Ausland, dem abwechselnd von 1934 bis
1935 in Stockholm, Paris und Barcelona gemachten Nachfolgeblatt der
Internationale, der bis Februar 1933 wichtigsten Publikation der
FAUD/AS. Unter strengster Geheimhaltung richteten die im deutschen Untergrund
arbeitenden AnarchistInnen "lokale Lesekreise" ein, in denen die
aus dem Ausland eingeschmuggelten Schriften gelesen und diskutiert wurden.
Als im Juli 1936 der Spanische Bürgerkrieg begann, ging ein Teil der
anarchosyndikalistischen Auslandsorganisation nach Spanien, um an der Seite der
spanischen AnarchistInnen am Bürgerkrieg teilzunehmen.
Die vor 1933 sehr hohe Auflage von kommunistischen Zeitungen, z. B. der
Arbeiter Illustrierte Zeitung AIZ, ließ sich vom Exil aus nicht
halten. Dennoch sorgte besonders Willi Münzenberg, vorher Leiter der
KPD-Presse, durch Veröffentlichungen wie den Braunbüchern,
z.B. einem über den Reichstagsbrand, für einigen Imageschaden des um
internationale Anerkennung bemühten Nazi-Deutschlands. Als Vertreter einer
wirklichen Volksfrontpolitik stieß er mit der Führung der Exil-KPD
bis zu seinem Parteiausschluß 1937 immer wieder zusammen. 1938 erschien
als neues Zeitungsprojekt von ihm noch Die Zukunft im Pariser Exil, er
wurde jedoch 1940 in Frankreich interniert und kam kurz danach um - ob durch
Selbstmord oder durch stalinistische Agenten, wurde nie geklärt.
Sozialrevolutionäre Medien im Nachkriegsdeutschland
Im Westen erschienen ab Mai 1945 wieder anarchistische Zeitungen, wie
z.B. die von 1947 bis 1978 von wechselnden Redaktionen mit Auflagen von 250 bis
1.500 überregional verbreitete BEFREIUNG. Der Freie
Sozialist (1947-48), die von der Kulturföderation Freier Sozialisten
und Antimilitaristen herausgegebene, aufwendig gemachte deutschsprachige
Ausgabe der heute noch in Holland erscheinenden Zeitung De Vrije
Socialist brachte es wie viele Nachkriegsblätter nur auf wenige
Ausgaben, während die professionelle jeweils 34 Seiten umfassende
Monatsschrift für Gesellschaftskritik und freiheitlichen Sozialismus
Die Freie Gesellschaft von 1949 bis 1953 erschien. Bis zur
Radikalisierung der Neuen Linken, die neolibertäre und andere
antiautoritäre Gruppen und Zeitschriften ab 1967 hervorbrachte, blieb der
Einfluß der anarchistischen Gruppen in Westdeutschland jedoch minimal.
Erheblich verbreiteter waren bis zum KPD-Verbot 1956 die verschiedenen
kommunistischen Wochen- und Tageszeitungen, besonders auch Betriebszeitungen,
die in oft hunderttausendfacher Auflage erschienen. Da sie jedoch kaum als
Vorläufer autonomer Medien eine Rolle spielen, werden sie hier nicht
weiter behandelt.
Die 1955 gegründete "unabhängige Zeitschrift für Politik
und Kultur" Konkret entwickelte sich in den 60er Jahren dank der
Kolumnistin und Chefredakteurin (1962-64) Ulrike Marie Meinhof zum wichtigsten
Sprachrohr der Neuen Linken, die den Widerstand gegen Notstandsgesetzgebung und
Vietnamkrieg in der BRD organisierte.
Westberlin, 2. Juni 1967: Während Ex-KZ-Baumeister Heinrich Lübke
(Bundespräsident, CDU), Ex-NSDAP-Mitglied und Bundeskanzler Kiesinger
(CDU) und Willy Brandt (SPD) in der Deutschen Oper gemeinsam mit dem
Massenmörder Schah von Persien Reza Pahlewi Mozarts Zauberflöte
lauschen, wird eine Demonstration gegen den iranischen Despoten von der
Polizei niedergeknüppelt und der Student Benno Ohnesorg von dem Polizisten
Kurras hinterrücks erschossen.
Große Teile der um den Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS)
entstandenen Außerparlamentarischen Opposition (APO)
radikalisierten sich. Die Herrschenden und ihre Massenmedien geiferten gegen
die "langhaarigen verdreckten Vietkonganhänger, die da
öffentlich Geschlechtsverkehr treiben unter Bäumen" (F. J.
Strauß 1967).
Die ersten Kommunen, antiautoritären Kinderläden, Alternativprojekte
und andere Versuche von Gegenstrukturen entstanden. Tomaten trafen bald die
SDS-Macker und Frauen gründeten überall in der Republik
"Weiberräte", weil sie mit der Zerschlagung des Patriarchats
nicht mehr auf die Zeit nach der Revolution vertröstet werden wollten.
Nach dem Attentat eines BILD-Lesers auf Rudi Dutschke kommt es Ostern
1968 zu den bis dahin größten Straßenschlachten bei dem
Versuch, die Auslieferung der hetzerischen BILD zu verhindern:
"Enteignet Springer!" war die Parole, unter der Diskussionen um
Medienmacht und bürgerliche Öffentlichkeit massenhaft geführt
wurden.
Gleichzeitig wurde versucht, Gegenöffentlichkeit an Themen wie
Vietnamkrieg und Notstandsgesetzgebung gegen die vom Springerkonzern dominierte
Presse aufzubauen. In den Groß- und Unistädten erschienen
undogmatisch antiautoritäre Blätter.
Nach der Spaltung des SDS in Antiautoritäre, Traditionalisten und die Neue
Frauenbewegung entstanden diverse K-Gruppen und Parteiinitiativen mit Zeitungen
wie Roter Morgen, Rote Fahne, Kommunistische Volkszeitung und
Arbeiterkampf.
Aber auch die undogmatisch-linksradikale Szene hatte ihre Zeitschriften.
Die anarchistische linkeck erschien ab Mai 1968 neunmal mit Auflagen
zwischen 3.000 und 8.000 und wurde bundesweit bekannt, nicht zuletzt durch
Hetzartikel in BILD. Vier linkeck-HerausgeberInnen wurden wegen
Beleidigung und "Verbreitung unzüchtiger Schriften"
verurteilt.
Ebenfalls in Berlin erschien ab Februar 1968 alle 10 bis 14 Tage in einer
Auflage von bis zu 7.000 Exemplaren die 883 - Kampfblatt der
kommunistischen Rebellen. Das Redaktionskollektiv bekam im Rahmen der
Fahndung nach dem im April 1970 von Ulrike Meinhof und anderen aus dem Knast
befreiten Andreas Baader zeitweise jeden zweiten Tag Besuch von den Herren des
Morgengrauens und schrieb im Juli 1970: "Warum wird die 883
beschlagnahmt? Warum soll die 883 verboten werden? Weil die
Konterrevolution begriffen hat, daß die 883 nicht nur von
Studenten gelesen wird.(...) Je besser die 883 wird, je mehr das, was
auf dem Papier steht, Tat wird, umso mehr werden sie versuchen, uns zu
illegalisieren."
Nach 88 Nummern stellte die 883 am 16.2.1972 ihr Erscheinen ein.
Das Redaktionskollektiv hatte sich zerstritten und gespalten. Redakteure wie
Peter Paul Zahl gründeten das Nachfolgeblatt Fizz.
Die aktions- und praxisorientierte Fizz aus dem Sozialistischen
Zentrum veröffentlichte "Handwerkertips",
Bombenbauanleitungen ... Sieben von insgesamt zehn erschienenen Ausgaben wurden
beschlagnahmt. Relativ kurzlebige Nachfolgeblätter der Fizz waren
der Berliner Anzünder (1972, Aufl. 3.000), die Hundert Blumen
(1972-73) und Bambule (1972-74).
Seit Ende der 60er Jahre war ein Netz von gegenöffentlicher
Kommunikation außerhalb der Universitäten entstanden. Wesentlich
dazu beigetragen hatten linksradikale Verlage, Druckereien, Büchertische
und Buchläden, die sich Anfang der 70er Jahre als Verband Linker
Buchhändler (VLB) zusammenschlossen und den Vertrieb der in der
bürgerlichen Öffentlichkeit nicht erhältlichen Schriften
organisierten.
Regionale Alternativpresse und überregionale Theorieorgane
Die 70er Jahre waren das Jahrzehnt der Alternativpresse linker
Prägung, die Hochzeit der Stadt- und Stattzeitungen. Sie wurden
geprägt durch die historische Erfahrung der 60er, die von der Subkultur
der Beatnik-Generation bis zu den Barrikaden von `68 reichte. Teile der
revolutionären Linken wählten als Konsequenz das Konzept
Stadtguerilla nach dem Vorbild der Tupamaros in Uruguay. Die Aktionen der Roten
Armee Fraktion, der Bewegung 2. Juni und der Revolutionären Zellen und
Rote Zora bestimmten viele Diskussionen der radikalen Linken, die sich klar von
den K-Gruppen abgrenzte, die aus der Spaltung der APO
(Außerparlamentarische Opposition) hervorgegangen waren. Die
marxistisch-leninistischen Kader forderten in ihren Parteiorganen Roter
Morgen, Rote Fahne, Kommunistische Volkszeitung etc. die
"Liquidation der antiautoritären Phase", während die
undogmatischen Gruppen in ihren Szeneblättern Gegenöffentlichkeit
verwirklichten und unterbliebene Nachrichten verbreiteten. Die Themen
orientierten sich an der Auseinandersetzung mit den militanten Gruppen und
Knast - Stichwort Isolationsfolter und "Sympathisantensumpf"- und
an subversiven Praktiken wie "Klau mich" und
Schwarzfahrkampagnen.
Zu den wichtigsten Publikationen gehörte neben dem an anderer Stelle
erwähnten ID das wöchentlich erscheinende, von Berliner
undogmatischen Gruppen ab 1973 herausgegebene InfoBUG (3.300), das 1978
aufgrund zunehmender Verfolgung eingestellt wurde. Wichtig waren auch die
Hamburger Große Freiheit, das Nürnberger Sponti-Info,
und der Gießener Anzünder. Die Revolutionären
Zellen/Rote Zora hatten ihre eigene Zeitung, den Revolutionären
Zorn, dessen neunmaliges Erscheinen von 1975 bis 1986 mehrere bundesweite
Razzien gegen Buchläden nach sich zog.
Einen meist höheren Verbreitungsgrad hatten die in der linken Szene
verankerten Stadtzeitungen, die auch wegen ihres Kleinanzeigenteils mit
WG-Zimmervermittlung und - es lebe der Kleinhandel und die Schwarzarbeit -
Kleingewerbe gelesen wurden. Nicht zu vergessen die kostenlosen Knastabos. Zu
den Klassikern dieser Spezies gehörte das 1973 gegründete
Münchner Blatt. Als es 1984 pleite ging, verlor ein speziell mit
dem Lesen der vierzehntägig erscheinenden Zeitschrift betrauter
Justizbeamter seine Stelle.
Die Abschiedszeilen eines Mitglieds des Blatt-Kollektivs lauteten so:
"1973, was bleibt im Kopf hängen: die Streiks der
türkischen Fordarbeiter in Köln und nicht die der in Ingolstadt bei
Audi oder hier in München bei BMW. Wenig später die Gasteigbesetzung
... Es folgte Brokdorf, 'Legalize Haschisch' und steigende Auflage. Ein
Höhepunkt dann 1977, RAF und so, Pressezensur, da waren wir fast die
größten. (Während der Nachrichtensperre 1977 erreichte das
Blatt ein Auflage von ca. 20.000) (...) Die Kids der frühen 80er, Berlin,
Freizeit, hätten wir fast verpaßt, doch verankert in den Revolten
der 'Zeitgeschichten' fuhr auch dieser Zug mit uns ab; zwar vermeinten
wir im Speisewagen zu sitzen - wahrscheinlich wars doch mehr der Frachtwaggon -
aber was solls."
Die beginnenden 80er markierten das Ende der linken, alternativen
Stadtzeitungs(sub)kultur. Das entstandene Netzwerk bröckelte, und die Zeit
der genialen Dilettanten ging zu Ende. Der Mainstream der
Zeitgeistpublikationen à la Tempo und Wiener übernahm
das Terrain. Andere wie das Stuttgarter s'blättle zeigten dem
anpasserischen Professionalismus die kalte Schulter und trugen die
unvermeidlichen Konsequenzen ökonomischer Probleme und staatlicher
Repression. Aus.
Der aus der Frankfurter Spontiszene stammende Pflasterstrand
(1976-85), bei dem der heutige olivgrüne Realo Daniel Cohn-Bendit die
große Feder führte und zum Herausgeber wurde, markiert eine andere
Entwicklung der Spontis und ihrer Medien auf dem Weg in die 80er Jahre.
Angefangen als alternatives (und das war seinerzeit noch kein Schimpfwort)
Stattblatt mit einigem Verständnis für Straßenmilitanz,
wandelte er sich zu einem an Realpolitik und Kommerzkultur orientierten
Metropolenmagazin, mußte aber 1985 dennoch aufgeben.
Insgesamt konnten Medienprojekte der 70er Jahre kaum bis heute überleben,
die meisten der lokal oder regional ausgerichteten Zeitungen mußten durch
den Eiertanz zwischen ökonomischen Anforderungen und politischer
Identität in den 80er Jahren ihr Erscheinen einstellen.
Als überregionale Organe der Spontis und Autonomen entstanden z.B. Wir
wollen alles (1973-75) und die Autonomie (1975-85) sowie der
ID (Informationsdienst zur Verbreitung unterbliebener Nachrichten),
dessen Archiv heute Teil des Internationalen Instituts für
Sozialgeschichte in Amsterdam ist.
Wir wollen alles war das Kommunikationsprojekt von Betriebsgruppen wie
Revolutionärer Kampf Frankfurt oder Arbeitersache München und
Proletarische Front Hamburg, die durch direkte Fabrikintervention
klassenkämpferische Politik auszulösen versuchten. So verstand sich
die WWA als Zeitung für "Arbeiterautonomie, Primat der
Praxis und der Betriebsarbeit, radikale Gewerkschaftskritik, Einbeziehung der
Ausländer in den nationalen Klassenkampf, praktische Bezugnahme auf den
proletarischen Lebenszusammenhang". (Selbstdarstellung WWA,
zit. nach Geronimo: Feuer und Flamme, S.37).
Wichtiger für die Entwicklung eines autonomen Selbstverständnisses
jenseits der rein proletarischen Orientierung war die Autonomie, die von
einigen ehem. WWA-Gruppen gemacht wurde. Unter dem Eindruck des aufkeimenden
Massenwiderstandes gegen die Atompolitik, der in Frankfurt, Hamburg und anderen
Städten tobenden Häuserkämpfe verfolgte die Autonomie
einen breiteren Ansatz, ohne dabei den Blick auf die kapitalistische
Fabrikgesellschaft zu verlieren.
Im Verlauf der allgemeinen Aufsplitterung der Linken Ende der 70er Jahre zog es
die Frankfurter Autonomie-Redaktion zu selbstbespiegelndem
Subjektivismus und einzelne ihrer Schreiber landeten später sogar bei FDP
und 'neuen Rechten'. Die Hamburger Redaktion vollzog 1979 den Bruch mit
den Frankfurtern, und als die alte Autonomie nach zwei weiteren Heften
aufgab, setzten die Hamburger das Projekt als "Neue Folge" bis
1985 fort. "In gewisser Weise stellt die AUTONOMIE - Neue Folge - in
der personellen Kontinuität einzelner MitarbeiterInnen so etwas wie die
historische Brücke von der Studentenrevolte bis zur autonomen scene in den
80er Jahren dar. In einer Zeit des theorieabgewandten Pragmatismus stellten sie
mit ihren Beiträgen eine Orientierung dar, die Räume weit über
die unmittelbare Alltagsarbeit der autonomen Gruppen öffnen
konnte." So urteilt Geronimo über das Projekt und seine
zentrale Bedeutung für die Entstehung der autonomen Bewegungen der 80er
Jahre.
Die Erfahrung des "deutschen Herbstes" 1977, als die Hetze der
bürgerlichen Medien gegen Linke allgemein, und gegen die RAF und alles,
was darunter einfach subsumiert wurde, ein nicht wieder erreichtes Ausmaß
annahm, prägte auch die linken MedienmacherInnen auf Jahre. Während
der Schleyerentführung wurde von der SPD/FDP-Regierung in Absprache mit
Chefredakteuren und Herausgebern aller bürgerlichen Zeitungen, Radio- und
TV-Sender eine sog. Nachrichtensperre verhängt. Es wurde nichts anderes
als das geschrieben und gesendet, was die Regierungssprecher verlauten
ließen. Diese freiwillige Gleichschaltung funktionierte perfekt. Die
"freie Presse" hielt das Maul, und mehr noch, sie machte sich zum
Regierungslautsprecher. Alle, die sich nicht daran hielten, bekamen die
Repression zu spüren, ob es linke Druckereien oder das Info-BUG
waren. Seit Ende 1977 ist klar, wie wenig die bürgerliche
Öffentlichkeit in "Notstandszeiten" wert ist, und
Medienleute wissen, was ihnen blühen kann, wenn sie im Ernstfall gegen den
Mainstream schwimmen wollen.
Der Anfang der 80er Jahre war der Frühling von "Neuen Sozialen
Bewegungen" wie HausbesetzerInnen-, Anti-AKW- und Friedensbewegung.
Bundesweit eskalierte in den Städten der Häuserkampf. In Westberlin
waren Anfang der 80er zeitweise 140 Häuser von mehr als 3.000 Leuten
instandbesetzt und bewohnt. Während sich die 1978 als linksradikales
Tageszeitungsprojekt entstandene taz zum Sprachrohr der
"Verhandler" und später der grünen Realos machte,
entwickelte sich die 1976 gegründete radikal zur Zeitung
von der Bewegung für die Bewegung, in der unzensiert über
Militanz und radikale Systemopposition diskutiert werden konnte und kann.
Gruppen aus verschiedensten Bereichen, von der Startbahn-West,
Anti-AKW-Bewegung, Anti-Militarismus, Volkszählungsboykott und
Internationalismus bis zu Antifa, radikalisierten sich in militanten
Auseinandersetzungen mit der Staatsgewalt. In Westberlin z.B. im Zuge der
Häuserkämpfe und nachdem der Hausbesetzer Klaus Jürgen Rattay
bei einem Knüppeleinsatz unter einen Bus getrieben und getötet worden
war. Solche sich als Autonome begreifende Gruppen wuchsen zur bedeutendsten
außerparlamentarischen Bewegung heran.
Bundesweit entstandene Autonome/Libertäre Zentren und Infoläden haben
seitdem eine wichtige Freiraum- und Kommunikationsfunktion für die
autonome Szene. (In diesen Zusammenhängen entstanden auch zahlreiche neue
linksradikale Zeitungsprojekte, wie z.B. die AKTION.)
Ein wichtiges bundesweit redaktionell erstelltes Autonomes Info war die
von 1986 bis 1988 elfmal erschienene UNZERTRENNLICH: Die Diskussion um
das Konzept der UNZERTRENNLICH bestimmte fast jedes Editorial. In der
Ausgabe Nr.7/Jahreswende 87/88 - die unzertrennlich hat sich im
Untertitel vom "Autonomen Info" zum "Autonomen
Blatt" emporgeschwungen und auf die "rev.
kleinschreibweise" verlegt - findet ein erneuter Anlauf statt, diese
internen Diskussionen den LeserInnen genauer zu vermitteln:
"zum einen haben wir den aufbau einer zeitung wie der 'u' immer
als prozess begriffen, als entwicklung, die zwischendrin immer wieder
überprüft werden muss, zum anderen wollen wir uns nicht im selbstlauf
des zeitungsmachens scheuklappen anlegen, die es uns nicht mehr gestatten, nach
wirkung und nützlichkeit der zeitung zu fragen."
Entsprechend dem Anspruch der unzertrennlich, antiimperialistische,
sozialrevolutionäre und anarchistische Positionen in einer
solidarisch-kritischen Diskussion einander näher zu bringen, liegt hier
der Schwerpunkt der internen Konzeptdiskussion. Gegen Anfeindungen und
Schubladendenken, entlang der kontroversen Linien innerhalb der breit
gefächerten Autonomen Bewegung formuliert die unzertrennlich die
Notwendigkeit "eine (originär) autonome linie zu entwickeln,
eine umfassendere, gleichermaßen sozialrevolutionäre und
antiimperialistische politikvorstellung zu füllen". Doch
bereits bei dieser Ausgabe ist eine Berliner Redaktionsgruppe aus dem
föderalen Konzept ausgestiegen.
Mit der übernächsten Ausgabe Nr.9/Sommer 88 (Schwerpunkt Knast und
Repression) legten die unzertrennlich-Redaktionen eine der besten
Ausgaben vor. Inhaltlich wirkt sie so, als ginge das Konzepot auf. Jedoch:
"der schein trügt - und zwar gründlichst! das projekt
unzertrennlich steht - zum zweiten mal in ihrer kurzen geschichte - vor
der möglichen auflösung. anstrengende konzeptdiskussion und z.t.
mühselige artikelbearbeitungen haben unsere widersprüche und
grundprobleme nicht auflösen können. sie wirk(t)en chronisch und
haben sich eher verschärft.(...) zwei weitere gruppen sind deshalb
ausgestiegen und die löcher kann der rest beim besten willen nicht
stopfen."
Und tatsächlich ist die Doppelnummer 10/11 Winter 1988 der letzte Versuch,
eine autonome Bewegung inhaltlich unzertrennlich zu begleiten. Unter der
Überschrift "Die Hose war zu gross" heißt es:
"das ewige krisenmanagement hat ein - vorläufiges - ende. die
unzertrennlich wird auf eis gelegt, das projekt - bundesweite autonome
zeitung - wird bis auf weiteres eingestellt." Letztlich ist die
unzertrennlich mit ihrem Anspruch gescheitert, über die Zeitung
bundesweite Vernetzung zu organisieren und dabei eine Einigkeit
unterschiedlicher Strömungen der autonomen Linken zu erreichen. So eine
Zeitung möglichst alle zwei Monate und (mitsamt Vertrieb und
Geldeintreiberei) auch noch nebenbei zu machen (damit die lokale Verankerung
der Gruppen nicht wegbricht und Zeitungsmachen nicht zum Selbstzweck wird), das
war nicht durchhaltbar.
Seit Einstellung der UNZERTRENNLICH gibt es zwar autonome
Zeitschriften mit überregionaler Bedeutung, sie begreifen sich aber meist
als Regionalzeitungen. Die Berliner INTERIM schrieb in ihrer ersten
Ausgabe zum 1. Mai 1988:"Die Zeitungen und Zeitschriften der
undogmatischen Linken in der BRD kommen und gehen. Sie begleiten die
Entwicklung und Verwicklung dieser Politik: einige kommen gar nicht zur
Geltung, viele überleben ihre politische Notwendigkeit.
Es ist aber gerade die Kurzlebigkeit und Spontaneität dieser linken
Medien, die ihre Stärke ausmacht. Sie sind keine Institution, sondern das
Produkt eines politischen Prozesses und gleichzeitig ihr Spiegel. (...) Wir
denken, daß diese Zeitung gebraucht wird. Die "radikal" ist
weg, und nicht erst seit der letzten Nummer. Sie hat sich in der
Illegalität versteinert. Die "unzertrennlich" hat ihr
Versprechen, Diskussionsforum zu werden, nie eingelöst. Sie scheint sich
in ihrem Anspruch, allen Seiten gerecht zu werden und nur fertige Positionen
weiterzugeben, selbst mundtot gemacht zu haben. Die "Wildcat" und
die Wiederaufstehung der "Autonomie" sind zu Fachschriften der
TheoretikerInnen geworden. Die verschiedenen anarchistischen Medien
beschäftigen wenig mit der Analyse des politischen Alltags. Über die
"taz" brauchen wir in diesem Zusammenhang gar nicht mehr zu
reden. (...) Um der Lebendigkeit der Auseinandersetzungen gerecht zu werden,
haben wir uns für eine wöchentliche Erscheinungsweise entschieden.
Wir sehen uns aber nicht als die neueste Dienstleistung der Berliner Linken.
Deswegen werden wir ein Minimum an Arbeit reinstecken. Wir schreiben keine
Artikel, das Layout geht uns einen Scheißdreck an, und die Inhalte wollen
wir schon gar nicht bestimmen."
Repression gegen Medien der Bewegungen
In den 80er Jahren wurden Bewegungsmedien in großem Ausmaß
zum Ziel staatlicher Kriminalisierung. Hebel für diese Verfolgung war oft
der Abdruck von Aktionserklärungen der Stadtguerillagruppen. Aber auch nur
die Wiedergabe von Hungerstreikerklärungen der RAF-Gefangenen führte
mittels SS 129a zu Ermittlungsverfahren und Durchsuchungen. Veranstaltungen zur
Zusammenlegungsforderung politischer Gefangener wurden teils ganz verboten,
teils als "Unterstützung einer terroristischen Vereinigung"
mit Knaststrafen geahndet. Die radikal erfuhr eine besondere Beachtung
durch die Obrigkeit, und es wurden nicht nur vermeintliche RedakteurInnen und
DruckerInnen vom Staatsschutz angegangen, sondern auch
WeiterverkäuferInnen, Buchhandlungen, Infoläden und
Kommunikationszentren.
Die staatliche Absicht war deutlich: Inkriminierte
"Druckwerke" sollten ihr Erscheinen einstellen.
Zeitschriften wie die Anti-WAA-Zeitung RadiAktiv und der
Freiraum, die Zeitschrift der Anarchistischen Föderation
Südbayern (bis zu 1.500 Aufl.) wurden damals vom Staatsapparat
regelrecht zur Aufgabe getrieben. Fast alle Ausgaben wurden beschlagnahmt und
die "Verantwortlichen im Sinne des Presserechts" mit Prozessen,
hohen Geldstrafen wegen "Verunglimpfung des Staates und seiner
Symbole" (SS 90a) und "öffentlicher Aufforderung zu
Straftaten" (SS 111 StGB) genervt.
Das von 1979 - 1983 mit einer Auflage von 20.000 erscheinende und der
radikal sowie der Berliner Stadtzeitung zitty beigelegte
Knastblatt wurde de facto verboten. Der Herausgeber wurde als
"Überzeugungstäter" im Januar 1983 zu einer Haftstrafe
von 16 Monaten ohne Bewährung verknackt. Während einer kurzzeitigen
Haftverschonung schrieb er: "Wenn ich so zurückblicke,
könnte ich eigentlich zufrieden sein: nicht nur, daß ich in zeiten
schwerster arbeitslosigkeit arbeitsplätze auf seiten der
staatsanwaltschaft und des staatsschmutzes geschaffen habe - immerhin haben
sich ganze abteilungen nur mit mir beschäftigt und nicht nur eine
schlaflose nacht gehabt - sondern ich habe auch mit den knastblättern eine
gesamtauflage von über einer million erreicht und über 100.000 DM
für die knastarbeit erarbeitet und ausgegeben, und dazu wurde ich noch mit
der höchsten auszeichnung geehrt, die dieser scheiß-staat zu
vergeben hat - ich erhielt berufsverbot und habe mir knaststrafen eingefangen -
kann man in fünfeinhalb jahren mehr gegen diesen staat erreichen? auch
wenn ich jetzt hier von der bühne des erweiterten hofgangs abtreten
muß, so möchte ich nicht, daß eine beerdigungsstimmung
aufkommt. Ich wußte von anfang an, worauf ich mich einließ, ich
habe es nie bereut, es hat mir wirklich spaß gemacht, sand im getriebe
der macht zu sein(...)." (R. A. Simon: "Ich habe
keine Chance, aber die werde ich um so konsequenter nutzen".
Knastblatt-Flugi, Februar 1983)
Die sabot - Hamburger Infosammlung stellte vier Jahre nach ihrer
Gründung mit der Nr. 23 vom März 1989 das Erscheinen ein. Zuvor
mußte ihr angeblicher Mitarbeiter Fritz Storim nach einem politischen
Prozeß, der SS129a-Verfahren gegen 30 Menschen nach sich zog, eine
Haftstrafe antreten, weil ihm die in der sabot enthaltenen
Forderungen nach Zusammenlegung von politischen Gefangenen aus RAF und
Widerstand angelastet wurden.
Drei Jahre dauerte es dann, bis 1992 mit dem Untertitel Spannung,
Stärke, Widerstand die Ohm als autonomes Hamburger Info
herauskam. Ohm erreichte eine Auflage von 400 Exemplaren und nach
elf Ausgaben löste die Redaktion ihr Projekt auf und forderte die
LeserInnen auf, die Zeck, das auch heute noch monatlich
herauskommende Info aus der Flora, als Diskussionsorgan für Hamburg
zu nutzen.
Der 1985 gegründete überregionale Kriminalisierungsrundbrief
wurde Opfer einer Denunziation durch Altlinke aus dem KBW: "Nach
unseren Informationen wollte die politische Polizei (LKA und Staatsschutz) am
23.5.89 mit einem Durchsuchungsbeschluß des Oberlandesgerichtes Frankfurt
die Büroräume der Kühl KG (ehemals KBW Firma) durchsuchen, um
Informationen über die Herstellung und Verbreitung des
Kriminalisierungsrundbriefes Nr 22/23 zu finden. Der Kriminalisierungsrundbrief
hat ja dort seit Dezember 1988 eine Postkastenadresse. (...) Was passierte am
23.5.89? Den Bullen wurde von den anwesenden Vertretern der Kühl KG ein
Name genannt, welcher Inhaber oder Mieter des Briefkastens vom
Kriminalisierungsrundbrief sein soll. Die Denunziation erfolgte nach
Abwägung ihrer 'Geschäftsinteressen' und dem Datenschutz der
Mieter. Nach Beratung mit ihrem Anwalt entschloß sich die Kühl KG,
eine schriftliche Aussage zu machen. Freiwillig ging ein Hausmeister der
Kühl KG auf das Polizeipräsidium und machte dort Aussagen sowie eine
Identifikation. Zur Kühl KG muß gesagt werden, daß sie die
kommerzielle Nachfolgegesellschaft des KBW (Kommunistischen Bundes
Westdeutschland) ist.
Fast alle der an der Denunziation beteiligten Beschäftigten und
Anteilseigener der Kühl KG haben eine über 15jährige politische
Geschichte bis jetzt. Die Situation, daß Bullen kommen und fragen, war
ein Normalzustand in diesem Haus. Sie bekamen aber nie eine Antwort auf ihre
Fragen und mußten meistens unverrichteter Dinge wieder abziehen. Das
ehemalige KBW Haus bietet und bot den politischen Schutz ja auch immer an. Die
jetzt erfolgte Denunziation stellt einen Einschnitt dar !!! (...) Wir wollen
auf alle Fälle weiter machen. Der Kriminalisierungsrundbrief ist
wichtig als Instrument für eine Gegenöffentlichkeit und für
unsere Diskussionen." (Aus einem Informationsblatt des
Kriminalisierungsrundbriefs 1989)
Danach erschien der seit April 1992 schweigende Krimirundbrief mit
wechselnden Kontaktadressen in Holland.
Der linksradikale Blätterwald 1996
Hunderte Periodika aus den sozialen Bewegungen sind in den letzten
dreißig Jahren verschwunden. Die radikal hat trotz Repression
überlebt und ist für die autonome Szene - nicht nur im Westen - mehr
als nur ein Mythos und Symbol für hartnäckigen Widerstand. So
schreibt ein Redakteur der ostdeutschen Szenezeitschrift inALLERhand im
Januar 1996 über die Bedeutung der radikal:"Ich denke,
daß diese Zeitung eine der wenigen Möglichkeiten ist, Diskussionen
über Ansätze linksradikaler Politik zu führen. Die
radikal wurde sicher durch die 80er geprägt. Sie ist aber auch die
einzige Zeitung, die diese Zeit überdauert hat, und heute ist sie,
vielleicht abgesehen von der Unfassba, die einzige Zeitung dieser Art.
Sie ist wichtig, weil sie durch ihre verdeckte Herstellung Diskussionen
möglich macht, ohne dabei Zensur oder Selbstzensur zu unterliegen.
Inwieweit die radikal interessant und realitätsnah ist, liegt
zuallererst an uns."
Neben der radikal gibt es linksradikale Publikationen, die z.T.
heftigen Ärger mit den staatlichen Repressionsorganen hatten und trotzdem
weitermachen. Ins weniger repressive Holland abgewandert sind der bereits
erwähnte Kriminalisierungsrundbrief, die seit Frühjahr 1994
nicht mehr erschienene antiimperialistisch-autonom orientierte
internationale (Infoladen) Zeitung CLASH und die
anarchistisch-autonome Unfassba. Die Unfassba erblickte
Anfang 1990 als lokal orientiertes chaotisch-schmuddeliges Nachfolgeblatt der
im Juni 1989 gegründeten Unnaer HausbesetzerInnenzeitung Unslhausn
das Licht der Welt. Sie hat sich dann zunächst zu einem Regionalblatt
gewandelt, das in den ersten beiden Erscheinungsjahren Kontaktadressen in Unna,
Gelsenkirchen, Münster und Bochum hatte, und entwickelte sich später
zu einem überregionalen Sprachrohr anarchistischer und autonomer Gruppen
mit einem manchmal abgedrehten Layout. Nach der Kriminalisierung der
Unfassba Nr. 7/8, 9, 10 und 11 mit Hilfe der SSSS 129a, 130a und 111
StGB und Razzien in Münster, Bremen und Aachen wanderte die Redaktion
über Dänemark ins holländische Utrecht ab.
Im April 1995 erschien nach zweijähriger Funkstille die 80seitige
Nr. 16/17(Auflage: 1.500). In ihr setzt sich ein
"Ex-Alien" mit der Geschichte der Zeitung für
leere Versprechungen und den durch die Kriminalisierung entstandenen
Ängsten der RedakteurInnen auseinander: "Nach der
Kriminalisierung (...) waren wir so eingeschüchtert, daß wir beinahe
das Handtuch geworfen hätten. Schließlich zeigen die in der
Vergangenheit gefällten Urteile gegen angebliche Redakteure z.B. der
radikal oder des Hamburger Infos sabot, daß das
'Grundrecht auf freie Meinungsäußerung' nur Makulatur ist.
Linksradikale Magazine, die sich rausnehmen, unzensiert und laut zu sagen, was
ist, werden m.E. zukünftig kaum noch ohne Auslandsadresse auskommen.(...)
A-Zeitungen, wie z.B. Schwarzer Faden, direkte
aktion oder graswurzelrevolution sind wichtige
Projekte, aber aufgrund ihres 100%ig legalen Konzeptes gezwungen, manchmal mit
der Schere im Kopf zu arbeiten. (...) Wir können uns sozusagen bei den
Schergen für die Kriminalisierung bedanken, denn die Repression hat uns
gezwungen, eine verdecktere Struktur aufzubauen, die der neuen Redaktion
einen relativen Schutz vor Faschos, Staatsschutz und
Hetzpresse bieten kann(...)"
Die von einer neuen Redaktion im Frühjahr 1996 herausgebrachte
Unfassba Nr. 18 erinnert vom Layout und Stil jedoch weniger an
den Zentralorkan der Spaßgerrillja als an den Schwarzen
Faden der frühen 80er Jahre.
Zum anarchistisch-intellektuellen Exklusivblatt hat sich die
Vierteljahresschrift für Lust und Freiheit Schwarzer Faden
entwickelt. Der SF bringt bundesweit eine Auflage von 2.500 unters Volk.
Er ist seit 1980 eines der wenigen Theoriemagazine mit umfangreichem Kulturteil
aus den sozialen Bewegungen und erscheint mittlerweile fünfmal
jährlich mit jeweils 68 gut layouteten Seiten voller Grafiken und Fotos.
Zu den bekannteren anarchistischen Publikationen gehört auch die seit 1977
erscheinende anarchosyndikalistische direkte aktion, das Sprachrohr der
bundesweit organisierten Freien ArbeiterInnen Union/Internationale
ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA). Sie will ihre Auflage schrittweise von
6.000 (Jan./Feb. 96) auf 10.000 erhöhen und monatlich statt zweimonatlich
erscheinen. Daneben existieren weitere anarchosyndikalistische Publikationen,
wie z.B. die Wirtschaftswespe, die seit 1993 von der Bonner
FAU-Ortsgruppe mit einer Auflage von 1.500 herausgegeben wird.
Rar gemacht hat sich in den letzten Jahren die von einem operaistischen
Analyseansatz herkommende Wildcat, die 1985 aus der 1977
gegründeten Karlsruher Stadtzeitung hervorgegangen ist und seitdem
überregional mit internationalistischem Blick von
ArbeiterInnenkämpfen berichtet.
Die von wechselnden Redaktionen gemachte graswurzelrevolution - für
eine gewaltfreie und herrschaftslose Gesellschaft gehört zur
Föderation Gewaltfreier Aktionsgruppen, welche in der War
Resisters' International (WRI) organisiert ist. Die seit 1972 mehr als
200mal mit Auflagen zwischen 3.000 und 5.000 herausgekommene Zeitung wird seit
1995 auch an einigen Kiosken in Berlin verkauft. Obwohl sie selbst schon
Ärger mit der Staatsgewalt hatten, gingen die dogmatisch gewaltfreien
GraswurzlerInnen mit keiner Zeile auf die 55 bundesweiten Durchsuchungen vom
13.6.1995 und die Kriminalisierung der radikal ein. Ein Armutszeugnis
für die ansonsten für Anti-AKWlerInnen und AntimilitaristInnen
wichtige GWR.
Weitere anarchistische Publikationen sind die unregelmäßig
herauskommenden Magazine AKAZ (Antiklerikal anarchische Zeitung),
der individualanarchistische GEIST DER REVOLTE, das seit längerem
nicht erschienene Internationale Journal zur libertären Kultur und
Politik TRAFIK und das Ostberliner Sprachrohr der loe Bsaffot
SKLAVEN.
Von der autonomen Zeitung für Volxfrust zur libertär
orientierten freiheitlichen Illustrierten gewandelt hat sich die
Molli. Sie ist von 1989 bis jetzt elfmal herausgekommen, mit
Postfachadressen in Essen, dann in Heidelberg und jetzt in Bochum. Ihre
Auflage liegt zwischen 500 und 600. Die Molli Nr. 10 berichtet
über den "Niedergang der autonomen Medien - Eine kritische
Bestandsaufnahme des Social-Beat". Diese Ausgabe gehört zu den
interessantesten Blättern der letzten Jahre.
Die Auflage eines Periodikums sagt nicht viel über seine inhaltliche
Qualität aus. Besser als die ixte Reproduktion von tristen Bleiwüsten
fällt manche kopierte und kreative Kleinstpublikation auf. Mit Auflagen
von 40 bis 100 erscheinen Blätter wie der Freies Schaffen getaufte
libertäre HistorikerInnenrundbrief aus Dortmund und Recklinghausen, die
Opposition aus Werl, der individualanarchistische Rundbrief der
Mackay-Gesellschaft espero aus Neu Wulmsdorf, Das Sägeblatt (immer
am Stuhl der HERRschenden) aus München oder der
HirnkrAch aus Iserlohn. Etwa doppelt so hoch sind die Auflagen des
meist aus vier DIN-A4- Seiten bestehende LiFF-Rundbriefs des
Libertären Forum Frankfurt und des FöGA-Rundbriefs
(Aufl. 300), der der Vernetzung von GraswurzelaktivistInnen dient.
Auch Zeitungen, in denen es um ein Stück gelebte Utopie geht, wie die
Wagenburgzeitung VogelfrAi oder Kommunezeitungen wie Komuja
und der Großraumkommunen-Rundbrief, erreichen keine
hohen Auflagen. Hier kennen sich die "MacherInnen" und
"LeserInnen" oft persönlich. Die Trennung in solche
Kategorien ist beim Bandenrundbrief, der mit Auflagen von 7 bis 50
abwechselnd in verschiedenen Städten und Dörfern "von und
für die Bande" gemacht wird, aufgehoben.
"Postautonome" und undogmatisch marxistische Medien
Überregional verbreitet ist die Hamburger 17deg.C -
Zeitschrift für den Rest . Die 17deg.C ist als theoretisch
anspruchsvolle ideologiekritische Zeitschrift kaum ein
"Bewegungsorgan", sie findet ihre LeserInnen in einem erheblichen
Umfang in akademischen und altlinken Kreisen, kaum bei Autonomen. Sie ist eine
der wenigen Zeitschriften aus der Linken, in der auch zu kulturellen Themen und
aktueller Musik inhaltlich gearbeitet wird und der ein grafisches
Gestaltungskonzept anzusehen ist.
Die von der Berliner Gruppe f.e.l.s. (für eine linke strömung)
herausgegebene Arranca - linke Zeitschrift wird hier nicht
näher vorgestellt, da sie in dem in diesem Buch enthaltenen Gespräch
zu Wort kommt.
Der seit 1971 erscheinende ak (Aufl. 4.000) ist vom
Arbeiterkampf, der Zeitung des Kommunistischen Bundes, zum
monatlichen Theorieblatt analyse und kritik, herausgegeben von der
ehemaligen, z.T. PDS-nahen "KB-Mehrheit" mutiert. ak
sieht sich als eine sozialistische Monatszeitschrift "jenseits
von Dogmatismus und Anpassung an den Zeitgeist."
Seit 1991 erscheint als Abspaltung des ak die unregelmäßig
von der Gruppe K herausgegebene Bahamas (Auflage 1.000). Zur
Namens- gebung und Entstehungsgeschichte des Theorieblattes schreibt die
PDS-kritische ehemalige "KB-Minderheit": "Auf die
Bahamas wollte man uns im KB (Kommunistischen Bund) 1990 schicken, als wir die
Kampagne 'Nie wieder Deutschland' mittrugen..."
Auch in autonomen Zusammenhängen gelesen wird die aus Teilen der
ehemaligen Frankfurter StudentInnenzeitung diskus und den Hamburger
Wohlfahrtsausschüssen entstandene Edelschrift Die Beute
(Untertitel: Politik und Verbrechen), die in einer 5.000er Auflage seit
1994 alle drei Monate im Buchformat erscheint. Meist mit Schwerpunktheften
greift Die Beute Themen auf, wobei sie die Verknüpfung von Politik
und Kultur und die Verbindung von Theorie und Bewegung(en) versucht. Sie
erinnert damit an früher für Bewegungen wichtige Medien wie
Kursbuch, Argument und Prokla, die sich heute
weitestgehend in den Bereich des (sozial)wissenschaftlichen Diskurses
zurückgezogen haben.
Überregionale linksradikale Schriften sind auch die Zeitschrift der
Ökologischen Linken ÖkoLinX und die aus dem UNiMUT-Streik
1988 hervorgegangene vierteljährlich erscheinende bundesweite
Hochschulzeitung FAUST (Aufl. 2.000):"Wo andere
Däumchen drehen, schlagen wir zu! Faust berichtet aus den Katakomben des
Elfenbeinturms und erklimmt die eisigen Gipfel der theoretischen Debatten.
Faust schreibt über Quotierung, Burschenschaften und politische Gefangene,
über die Vereinnahmung der Forschung durch die Industrie, linke Debatten
und andere Ungeheuerlichkeiten."
Regionale Infoblätter
"Jede historische Situation produziert ihre Zeitungen, die
authentischer Ausdruck des jeweiligen Entwicklungsstandes sind."
Seit dem 1. Mai 1988 über 360mal herausgekommen ist die bereits
erwähnte Info- und Flugblattsammlung INTERIM. Sie versteht sich
zwar immer noch als Berlin-Info, ist aber aufgrund der
wöchentlichen Erscheinungsweise das wohl wichtigste Mitteilungs- und
Diskussionsorgan für die autonome Szene in den
BRD-Metropolen:"So wie die radi sich seit Sommer '80 zum Sprachrohr
des militanten und sozialrevolutionären Flügels der (Hausbesetzer-)
Bewegung entwickelte, dies jahrelang blieb, es aber spätestens ab Herbst
'82 nicht mehr schaffte, eine politisch weiterführende Antwort auf den
Zerfall der Bewegung zu finden, sondern sich verlebt hatte, letztlich aber doch
überlebte (ebenso wie die Autonomen), weil Menschen, die weiter in den
politischen Fragmenten der Szene lebten und kämpften, sie weitermachten,
so ist die INTERIM ein Ausdruck des wiederaufkommenden Versuchs neue Kraft und
Stärke zu entwickeln.(...) Zweitens ist das auch politisch unser
Ansatzpunkt: Bewegung entzündet sich aus lokalen Kämpfen und
verbindet sich erst dann überregional. Strukturen aufbauen, heißt
erstmal im Nahbereich anfangen." (INTERIM-Interview vom
ID-Archiv, Interim 36, Dezember 1988).
Am Konzept der INTERIM orientieren sich Regionalinfos wie das 1989
gegründete, aus kopierten Flugis bestehende wöchentliche
Nürnberger Infoblatt wie weiter und das seit 1991
verbreitete aufwendiger gemachte Ruhrgebietsinfo (RGI). Im RGI
Nr. 39 vom Dezember 1995 antwortet die Redaktion auf ein in der Sommerausgabe
veröffentlichtes Kritikpapier am RGI-Konzept:"Da es im
autonomen Spektrum nicht genug Leute gibt, die kontinuierlich Redaktionsarbeit
machen wollen, weil die Einen so tief in ihrer praktischen Arbeit stecken,
daß sie meinen keine Theorie mehr zu brauchen, und die Anderen sich ihrer
intellektuellen Leistungen so sicher sind, daß sie sich von jeder
Abweichung abgrenzen müssen, bleibt für Zeitungen wie die unsere nur
der Charakter des Infos, d. h. die Zusammenstellung von zugeschickten und
ausgewählten Beiträgen. Eine Notlösung also."
Ein ähnliches Konzept haben auch die schon mal kriminalisierten eher
autonom-antiimperialistisch orientierten Regionalzeitungen agitare bene
aus Köln, Ausbruch aus Freiburg und die autonom-libertäre
Zeitung für ein radikales Hannover RAZZ. Wie viele andere
Szeneblätter auch, sind sie während oder kurz nach dem Hungerstreik
von politischen Gefangenen vom Frühjahr 1989 entstanden.
Andere regionale Infoblätter wurden aus unterschiedlichsten Gründen
eingestellt. Die BesätzerInnenzeitung BZ, das Sprachrohr der
Ostberliner HausbesetzerInnenszene, die mit 120 besetzten Häusern 1990
ihren Höhepunkt hatte, hörte im Sommer 1993 auf. Sie hatte im Osten
eine ähnliche Relevanz wie die INTERIM im Westen. Die BZ
wurde zunächst vom BesätzerInnenrat und später von
wechselnden Ost-Redaktionen herausgegeben. Zur Konzeptdiskussion während
der Entstehungsphase der BZ heißt es in der Interim 111
(Juli 90): "Viele Menschen auf diesem Treffen sehen diese
'Zeitung' als Möglichkeit für einen 'aktuellen'
Informationsaustausch. Oft erwähnt wurde die Problematik, nach mehreren
Tagen immer noch nicht erfahren zu haben, wann und wo ein Faschoangriff auf ein
besetztes Haus stattgefunden hat. Demgegenüber steht die Auffassung,
daß eine Zeitung, die Raum bieten würde für kontinuierliche
Diskussionen, Erfahrungsaustausche etc. eher ungeeignet ist für brennende
Termine wie anstehende Faschoangriffe, ohne die eben als wichtig erachtete
kontinuierliche Auseinandersetzung zwischen den Häusern mittels dieser
Zeitung zu beteiligen. Für wichtige Termine kann immer noch auf das
bewährte Mittel des Flugblattes zurückgegriffen werden, ohne deswegen
gleich eine ganze Zeitung erscheinen zu lassen. Hier wurde leider die unserer
Meinung nach wichtige Diskussion über Sinn und Zweck einer
Häuserzeitung mit dem Bedürfnis einiger Menschen abgebrochen, lieber
gleich über anstehende Technix zu reden. Versuche, während des
Verlaufs dieser Treffens, die Diskussionen auf grundsätzliche
Vorstellungen über die Ztg. zu bringen, wurden nicht aufgegriffen."
Seit der Räumung der Mainzer Straße im November 1990 ging es mit der
Ostberliner BesätzerInnenbewegung bergab. Die BZ wandelte sich
unter dem Einfluß von neuen Leuten aus Halle und Ostberlin zur Zeitung
der besetzten Zone und kam nicht mehr zweiwöchentlich, sondern nur
noch unregelmäßig und ab 1993 gar nicht mehr heraus. (Im Sommer 1994
erschien in Halle die bisher einzige Ausgabe der ZZBZ, der Zweiten
Zeitung der besetzten Zone.)
Auch die norddeutsche Land Unter (1989-93, Aufl. 1.000), die
AUF-RUHR (1988-90) aus Bochum, das anarchistische Magazin aus
Münster PROJEKTil (1988-92, Aufl. 800) und der Südwind
(1989-93) aus Tübingen existieren nicht mehr.
Andere, für die freie regionale Kommunikation und Diskussion wichtige
Magazine haben überlebt, wie z.B. das seit 1989 fast monatlich
herauskommende autonome Rhein-Main-Info SWING und die
UnZensiert aus Giessen und Marburg .
Für die Ostszene von Bedeutung ist der Behörden- und
Unternehmerunfreundliche Ostberliner telegraph. Er ist das
Nachfolgeblatt der Umweltblätter, die nicht unwesentlich an der
Wende in der DDR beteiligt waren.
Bisher 80 Ausgaben mit einem Umfang von jeweils 60 DIN A5-Seiten hat die
Redaktion des Szene-Infos Subbotnik in LA herausgebracht.
Subbotnik entstand aus der DDR-Oppositionszeitung V.L.-Info, das
von derVereinigten Linken, Halle herausgegeben wurde.
Auch Zeitschriften aus dem deutschsprachigen Ausland, wie das Berner
MEGAPHON und das Widerstandsinfo aus Zürich, stehen in
Infoläden hierzulande zur Verfügung. Das bekannteste linksradikale
Magazin aus Österreich ist das Wiener TATblatt - Nachrichten aus
dem Widerstand alle zwei Wochen brandaktuell. Da es den rechtsradikalen
FPÖ-Führer Haider als "Faschisten" bezeichnete und ihm
Schmerzensgeld zahlen soll, ist es nun in seiner finanziellen Existenz
gefährdet.
Lokale Blätter und Stattzeitungen
Sie enthalten neben selbstgeschriebenen Artikeln mit lokalem Bezug oft
auch nachgedruckte Texte zu Theorie, Internationalismus, nationalen
Befreiungskämpfen, Antisexismus, Antifa etc.
Von lokaler Bedeutung und auf Spenden angewiesen sind kostenlos verteilte
Periodika, wie das Infoblatt des Autonomen Zentrums
ZEITZÜNDER aus Wuppertal, das wöchentliche Stadtinfo
Göttinger Drucksache, die Lunte aus München, die
monatlich seit 1993 von der Bielefelder FAU/IAA-Ortsgruppe
herausgegebene Lokalzeitung PIRANJA (Aufl. 800), das seit 1992 bereits
65mal herausgekommene Bremer Politmagazin bambule (Aufl. 1.200), das
Aachener Loch in der Zensur (LiZ, Auflage 2.000), das
bereits erwähnte Hamburger Rote-Flora-Info Zeck, aus Moers die
BARRIKADE, das vierseitige monatliche Programm- und Infoheft des
gleichnamigen Libertären Kultur- und Aktionszentrums, sowie aus
Kaiserslautern die VÄLZISCHE PFOLXZEITUNG K-Butt.
Seit April 1995 erscheint monatlich der anarchistisch-autonome apoplex -
Schlaganfall für Münster mit Auflagen zwischen 500 - 1.000 und
einem Umfang von vier bis zwanzig Seiten.
Das monatlich erscheinende Oldenburger Lokalblatt alhambra brachte dem
Vereinsvorstand des gleichnamigen selbstverwalteten Kommunikationszentrums
mehrere Zensurverfahren mit Geldstrafen von insgesamt über 10.000 DM und
Ermittlungsverfahren nach SS129a ein.
Seit 1982 bisher 69mal unregelmäßig herausgekommen ist der
anarchistische Geist der Freiheit (Aufl. 300) aus dem Autonomen Zentrum
Heidelberg. Monatlich erscheinen auch die 1991 gegründete linksalternative
Stattzeitung Terz aus Düsseldorf und die Linke Monatszeitung aus
Kassel BRÜCHE, sechswöchentlich die
Münchner STADTRATTE, die von der Anarchistischen Assoziation
Rhizom herausgegebene Dichtung und Wahrheit (DiWa) aus Mainz,
die vermutlich nicht wieder erscheinende Stadtteilzeitung NEUES
SCHANZENLEBEN (Hamburg) und die Weddinger Neueste Zeitung WNZ
(seit 1988, Aufl. 1.000).
Im Gegensatz zu (ehemals alternativen) Lokalzeitungen, die sich anpaßten
und belanglose Artikel neben den Anzeigenseiten von McDonalds schrieben, haben
sich die seit 1974 monatlich herauskommende Zeitung der Kölner
Initiativen Volksblatt (Aufl. 5.000) ebenso wie die 1978 gegründete
Erlanger Stattzeitung Was Lefft auf hohem inhaltlichen Niveau gehalten.
Sie sind auch heute noch Teil der außerparlamentarischen Linken.
Schwerpunktpresse Antifa und Antirassismus
Der Widerstand gegen das sich formierende neue Deutschland konnte zwar
mehrere große Demos auf die Beine stellen, aber nicht verhindern,
daß bald bundesweit Flüchtlingsheime und Häuser in Hoyerswerda,
Mölln, Rostock, Mannheim, Solingen ... brannten und die große
rassistische Koalition das Asyl- und andere Rechte aufhob. Seither haben
antifaschistische und antirassistische Zeitschriften an Bedeutung gewonnen.
Überregional von Bedeutung sind Der rechte Rand aus Hannover, das
Antifaschistische INFO-Blatt, Antifajugendinfo und die
"Antifa-Nachrichten Doku" Was geht ab? aus Berlin.
Daneben erscheinen zahlreiche lokale und regionale Antifa-Blätter, z. B im
April 1995 mit einer Startauflage von 1.200 eine Ausgabe der Plauener
ACHERON und bereits 1994 die bayerische Antifazeitung RABAZ. Von
regionaler Bedeutung ist auch das ANTIFA INFO Frankfurt a.M., die
ANtifaschistischen NAchrichten Saar, die AntifaNRWZeitung, die
Recklinghausener AntifaZ, das seit Mai 92 unregelmäßig
erscheinende "antifaschistische Info für die Kölner
Region" KRASS, das 1995 gegründete monatliche
Osnabrücker Antifainfo Avanti, die Atze aus Norddeutschland,
die diversen Antifajugendinfos aus Bielefeld und anderswo, das oft
auffallend layoutete, aber selten herauskommende Göttinger
Nestbeschmutz und nicht zuletzt die Publikationen der
Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO).
Sprachrohre der Solidaritätsgruppen mit den Schwerpunkten Migration,
Flüchtlingspolitik und Kampf für ein Bleiberecht sind die
antirassistischen Zeitungen, wie die ZAG (Zeitung antirassistischer
Gruppen), die "antirassistische Zeitung" Off Limits,
das vom Bremer Antirassismusbüro unregelmäßig herausgegebene
Blatt GEGENINFORMATION (Aufl. 12.000) und die zweisprachige
türkisch-deutsche INISIYATIV (Aufl. 1.000, 2monatl.).
Schwerpunktpresse Antirepression
Seit Oktober 1995 erscheint monatlich die aus der bundesweiten
Soligruppenstruktur kommende "Zeitung gegen die Verfahren wegen RADIKAL,
K.O.M.I.T.E.E., AIZ und RAF" radikale Zeiten: "Die
Zeitung soll ein Beitrag sein, eine gemeinsame Strategie gegen die Verfahren zu
entwickeln. Es ist notwendig, auf die Kriminalisierung politisch zu antworten,
damit der Prozeß nicht nur auf juristische Konstruktionen beschränkt
werden kann. Ein Ziel der Zeitung soll auch sein, die kriminalisierten Inhalte
öffentlich zu machen und breit zur Diskussion zu stellen, um den
politischen Hintergrund der Verfahren öffentlich zu machen. Davon
versprechen wir uns eine Mobilisierung, die den Handlungsspielraum der
staatlichen Verfolgungsbehörden eingrenzt. Das heißt für uns
Freilassung der Gefangenen und Einstellung aller Verfahren!"
Das Organ der bundesweit in 20 Orts- und Regionalgruppen organisierten Roten
Hilfe e.V., "einer parteiunabhängigen,
strömungsübergreifenden linken Schutz- und
Solidaritätsorganisation", ist die seit 1974
vierteljährlich erscheinende Rote Hilfe (Auflage: 2.700).
Sie dokumentiert und analysiert die Entwicklung in der Gesetzgebung zur
"inneren Sicherheit", der staatlichen
Strafverfolgungsinstitutionen, der Einschränkung des Asylrechts und der
politischen Betätigung.
Nachdem die autonomen Antiknastzeitungen Durchblick (1989-92) und
Bruchstücke (1986-87) eingingen, erscheinen weiterhin
unregelmäßig die während des Prozesses gegen Ingrid Strobl 1989
gegründete clockwork 129a und die polizei- und
staatsmachtkritischen Magazine CILIP und Geheim.
Das Angehörigen Info erscheint seit dem Hungerstreik von RAF- und
anderen politischen Gefangenen im Frühjahr 1989, um unzensiert über
die Forderungen der Gefangenen zu berichten und die Solidaritätsarbeit zu
unterstützen. Trotz mehrerer SS129a- und SS90a-Verfahren berichtet die
Redaktion nach wie vor über die Situation in den Knästen und den
Kampf für die Freiheit politischer Gefangener.
1993 wurde Wolfgang Grams mit Hilfe des VS-Spitzels Steinmetz in Bad Kleinen
von einem GSG-9-Mann erschossen und Birgit Hogefeld verhaftet. Über den
Prozeß gegen Birgit berichtet monatlich das info zum
prozeß gegen birgit hogefeld. Es steht in der Folge unzähliger
Prozeßinfos der 70er und 80er Jahre, von denen als bekanntestes noch die
Nicht Zu Fassen zum Verfahren gegen Ingrid Strobl zu erwähnen
wäre.
Internationalistische und "Dritte-Welt"-Zeitschriften
Die Zeitungen der internationalistischen Solidaridätsszene werden
in der Regel von unabhängigen Gruppen und Vereinen gemacht und haben ihre
Ursprünge in internationalistischen Aktionsgruppen, wie sie seit 1968
entstanden. Sie widmen sich damals wie heute hauptsächlich der kritischen
Gegeninformation über politische und soziale Verhältnisse im Trikont
und dessen Verhältnis zu den Metropolen sowie der Berichterstattung
über Befreiungsbewegungen und der praktischen Solidarität, wie z.B.
Spendenkampagnen oder internationalistischen Solidaritätsbrigaden.
Gleichzeitag organisieren sie Diskussionen und Informationsaustausch der
Solidaritätsgruppen. Viele Blätter sind sehr spezialisiert, aber u.a.
durch die Vernetzung der Solibewegung über den BUKO (Bundeskongreß
entwicklungspolitischer Gruppen) können sie auf ein breites Zielpublikum
bauen. Außerdem lassen sich die oft schlichten Rundbriefe und Infodienste
relativ einfach und billig produzieren.
Zu den Zeitschriften, die sich um eine Solidarität mit (inter-)nationalen
Befreiungsbewegungen und Menschen im Trikont bemühen, gehören die von
der libertären Kulturzeitschrift Aktion herausgegebenen
"Sonderblätter zur Solidarität mit den Aufständischen in
Chiapas" Land und Freiheit, die Zeitschrift der
Informationsstelle Lateinamerika in Bonn ila, die
Nordirland-Zeitschrift Spirit of Resistance aus Bielefeld und die
LateinamerikaNachrichten aus Berlin, die 1973 nach dem
Militärputsch gegen die sozialistische Regierung Chiles als Chile
Nachrichten entstanden waren. Die wohl größte Reichweite haben
die schon 1970 vom Informationszentrum 3.Welt gegründeten blätter
des iz3w, die immer wieder maßgeblich Kampagnen wie die gegen den IWF
1987/88 oder gegen die 500-Jahre-Feierlichkeiten mitinitiiert haben.
Neben unzähligen Länderinfos gibt es themenbezogene Zeitschriften,
die sich z. B. angepaßter Technologie oder, wie die IKA, dem
internationalen Kulturaustausch widmen.
Die Publikationen von in der BRD verbotenen Befreiungsbewegungen trifft eine
flächendeckende Kriminalisierung. Nicht generell verboten, aber sehr
häufig beschlagnahmt wurden seit dem Verbot kurdischer Organisationen und
Vereine 1993 die von deutsch-kurdischen Soligruppen herausgegebenen
Zeitschriften Kurdistan Report und Kurdistan Rundbrief.
Dieses Verbot wird unter anderem als Aufhänger benutzt, einem
"Verantwortlichen" der deutschsprachigen
Kurdistansolidaritätszeitung Biji wegen Verstoß gegen das
Vereinsgesetz den Prozeß zu machen.
Zeitungen der Anti-AKW-Bewegung
Zwar ist die Anti-AKW-Bewegung seit den Aktionen gegen die
Castor-Transporte nach Gorleben wieder im Auftrieb. Ihre Presse ist es aber
(noch) nicht. Seit 1985 kommt monatlich das vom Gronauer Arbeitskreis
Umwelt herausgegebene Euko-Info für Euregio und
Münsterland heraus. Wie die meisten regionalen Anti-Atom-Infos
erreicht es nur Auflagen unter 100 Exemplaren. Die 1989 gegründete
monatliche Zeitschrift anti atom aktuell (aaa) aus Heuchelheim bei
Gießen ist zwar zu einem bundesweiten Sprachrohr der Anti-Atom-Gruppen
herangewachsen, hat aber mit einer Auflage von 300 immer noch
Rundbriefcharakter und kann so weit verbreitete und relativ auflagenstarke
Magazine wie die bereits erwähnte bayrische Anti-Atom-Zeitschrift
RadiAktiv (ehem. Aufl. 5.000) und die 1992 eingestellte atom
(ehem. Aufl. 3.000) nicht ersetzen. Nach vierzehn Erscheinungsjahren hatte die
aus dem Zusammenschluß von atommüllzeitung und
atomexpress hervorgegangene atom einen viel
größeren Bekanntheits- und Verbreitungsgrad als die aaa.
Ist der Istzustand ein Zustand?
"Der (...) Zerfall des autonomen Bezugsrahmens hat es für
die Interim zunehmend schwieriger, gleichzeitig aber auch notwendiger
gemacht, einen eigenen Standpunkt zu beziehen. Es genügt eben nicht mehr,
eine undeutliche Vorstellung zu haben, wer 'wir' sind und für wen
die Texte in der Interim geschrieben werden. Und es ist von Bedeutung,
für wen sie geschrieben sind, denn sie ersetzen zunehmend die
Kommunikation zwischen genau den Menschen, die eigentlich unter diesem
'wir' zusammengefaßt werden sollen. Da das Konzept Interim,
so offen es auch teilweise aussieht, eng an den beschriebenen autonomen
Mikrokosmos gebunden ist, zerfällt es auch mit diesem - oder rostet
zumindest. (...)
Zum einen [gibt es] die Zeitungen, die redaktionell arbeiten und von
vorneherein davon ausgehen, alles selbst erarbeiten zu müssen und auf
nicht allzuviel Eigeninitiative der LeserInnen hoffen zu dürfen. Zum
anderen Projekte wie die Interim, die zwar vordergründig von der
Mitarbeit vieler leben, aber gleichzeitig keine oder kaum Verantwortlichkeit
von diesen vielen verlangen (können). Der gesellschaftliche Trend ist mit
von der Partie. In Talkshows wird geredet und gestritten, Ergebnis egal. (...)
Diese Beliebigkeit, die der Konsumismus mit sich bringt, spiegelt sich auch
zunehmend in unserem Mikrokosmos wieder. (...)
All das wäre ja nicht so schlimm, wenn es nicht unter dem Schein der
politischen Auseinandersetzung daherkäme. Natürlich gibt es auch
wertvolle Texte in der Interim, so wie es auf MTV auch mal ein
gutes Musikstück zu hören gibt. Aber die Auseinandersetzung der
Menschen untereinander wird dadurch immer schwieriger, denn sie kommunizieren
immer weniger unmittelbar, dafür mehr und mehr über die Krücke
Medium."
So kritisierte Sven Glückspilz im Mai 1993 das Konzept INTERIM. Die
Frage, wie über Medien kommuniziert werden soll, ist jedenfalls offen. Ob
redaktionell ausgearbeitete oder schnelle und unbearbeitete Informationen den
politischen Menschen zur Auseinandersetzung vorgelegt werden sollen, ist dabei
jedoch nicht so wichtig. Jede Form hat ihre Berechtigung, und die dargestellte
Vielfalt der Medienkonzepte war immer eine Stärke undogmatischer
linksradikaler Presse.
Jedes Modell birgt da seine ganz eigenen Schwierigkeiten: Verdeckt erscheinende
und unter der Hand vertriebene Zeitungen sind auf Grund der gebotenen Vorsicht
in ihrer Verbreitung stark eingeschränkt, aber die legalen Projekte
müssen sich immer wieder mit der Schere im eigenen Kopf auseinandersetzen.
Auflagenstarken Medien hängt immer wieder der Vorwurf des Konsumismus an
(wobei die AdressatIn der Kritik doch eher die KonsumentIn sein sollte), aber
kleinere Projekte kämpfen mit Finanzproblemen. Rein redaktionellen
Zeitungen droht der Verlust des Bewegungsbezuges, sie laufen Gefahr sich zu
verselbständigen, aber Infosammlungen - vor allem jenseits der Metropolen
- beklagen die Abhängigkeit vom Auf und Ab der Bewegung(en). Die Land
Unter hat dies in ihrer "endgültigen
Einstellungserklärung" vom Juni 1993 treffend beschrieben:
"Das Zeitungsprojekt 'Land Unter' ist 1989 als Zeitung für
die autonome Szene Schleswig-Holsteins (S-H) entstanden. Wir als Teil der
autonomen Szene haben damit die Hoffnung verbunden, die Zeitung über kurz
oder lang zu einem Teil der autonomen Organisierung und Diskussion werden zu
lassen. Es sollte über kurz oder nicht so lang der Stand erreicht werden,
daß die Macherlnnen der Zeitung fast nur noch die technische Umsetzung
eines von der Szene getragenen Projektes bewerkstelligen.
Es hat sich allerdings relativ schnell gezeigt, daß die praktische
Realisierung der Vorstellungen über eine autonome Zeitung kaum
möglich ist. Wir mußten fast ständig einen enormen Aufwand
treiben, um einen einigermaßen akzeptablen Anteil an Seiten in die
Zeitung zu kriegen, die einen S-H Bezug hatten. Wir hatten zwar immer
genügend Artikel, um eine Zeitung zu füllen, nie aber auch nur
annähernd im Ergebnis eine Zeitung, wie wir sie uns vorgestellt hatten.
Vieles war Beschreibung von Aktionen oder es waren Artikel, die zwar wichtig,
aber auch schon in anderen Zeitungen veröffentlicht waren. Ob und an was
für Themen und Problemen die autonomen Zusammenhänge in
Schleswig-Holstein diskutieren, war aus der Zeitung heraus nie zu erkennen.
Gerade das aber war einer der zentralen theoretischen Ansätze der
Zeitung.(...) Weil wir uns als Zeitung auf Gedeih und Verderb der Bewegung
verschworen haben, ist ihr Zerfall auch unser Zerfall."
Das viel beschworene "Zeitungssterben" scheint uns eher ein
Problem der ganz normalen Bewegungswellen zu sein. Alte Szenen verschwinden in
die Privatsphären oder auf dem Marsch durch die Institutionen, und mit
ihnen verschwinden ihre Medien. Doch politisieren sich immer wieder neue Leute,
so daß Medienprojekte an neue Leute übergeben werden könn(t)en.
Daß die atom, eine Zeitung ohne finanzielle Probleme, mit festem
Abostamm und Ansehen in der linken Öffentlichkeit nach vierzehn Jahren
einfach aufhört, weil sie es vorrangig personell nicht mehr schafft, ist
nicht einzusehen, wenn sich gleichzeitig kleine Anti-AKW-Zeitungen
abmühen, eine vergleichbare Bedeutung zu bekommen.
Es gab und gibt aber auch immer wieder Versuche, die Schwierigkeiten, die alle
Printmedien gleichermaßen betreffen - Finanzen, Zeitdruck bei der
Herstellung, Verteilungsaufwand, Mitarbeit von LeserInnen/Resonanz - z.B. durch
mehr Vernetzung gemeinsam zu bewältigen.
Der Traum einer linksradikalen Tageszeitung wird allerding noch lange
geträumt werden müssen. Was aktuelle Informationsvermittlung
betrifft, so werden elektronische Medien auch in der autonomen Bewegung eine
immer größere Rolle spielen, da hier kein Verkaufs- und
Vertriebszwang besteht. Genauso wie Antifa- und andere Infotelefone heute
Bestandteil vieler Infoläden sind, wird das Nutzen revolutionärer,
subversiver Mailboxen bald ebenso Infoladenalltag werden wie das Zeitunglesen.
Durch elektronische Verschlüsselung kann sogar eine gewisse Sicherheit
gegen unerwünschte Mitleser erreicht werden. Ein grundsätzliches
Problem wird sich auch nicht mit neuen Technologien lösen lassen. Viele
linksradikale Schriften sind fast nur "ANTI". Sie
analysieren zwar zumindest vom Anspruch her das System von Herrschaft,
Entfremdung und Ausbeutung und sie dokumentieren Widerstandsaktionen. Aber oft
strahlen sie die Öde einer humor- und utopielosen
Bleiwüstenlandschaft aus. Gemacht in einer Kauderwelschsprache, die nur
noch von Leuten, die mindestens 20 Semester Soziologie oder
Szenezugehörigkeit auf dem Buckel haben, verstanden werden kann. Das
Wofür wird zu selten vermittelt.
"Wenn ich nicht tanzen kann, ist es nicht meine
Revolution", stellte schon vor 70 Jahren die Anarchistin Emma
Goldman fest. Oder, wie Andreas Hofer kurz vor seiner Hinrichtung sagte:
"Spaß muß sein."