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Tue Oct  7 23:10:45 1997
 

Erklärung der RAF zum Bombenanschlag im Hamburger Hauptbahnhof

Gegen den Versuch der staatlichen Propaganda, den Anschlag im Hamburger Hauptbahnhof in die Nähe der RAF zu rücken, stellen wir fest: Die Sprache dieser Explosion ist die Sprache der Reaktion. Sie ist rational nur als Aktion der psychologischen Kriegsführung des Staatsschutzes gegen die Stadtguerilla. Die Methode und das Ziel dieses Verbrechens gegen das Volk weisen es als faschistische Provokation aus.
Die politisch-militärische Aktion der Stadtguerilla richtet sich nie gegen das Volk. Die RAF greift den imperialistischen Apparat, seine militärischen, politischen, ökonomischen und kulturellen Institutionen, seine Funktionäre in den repressiven und ideologischen Staatsapparaten gezielt an.
In der Offensive gegen den Staat kann Terrorismus keine Waffe der Stadtguerilla sein. Stadtguerilla operiert in dem Riß zwischen Staat und Massen, um ihn zu vertiefen, um Politisierung, revolutionäre Solidarität und Organisation von proletarischer Macht gegen den Staat zu entwickeln.
Dagegen ist die nachrichtendienstlich gesteuerte terroristische Provokation durch Terror gegen das Volk darauf aus, durch die Erzeugung von Angst und Diffusion im Volk Identifikation mit dem Staat zu erzwingen. Auf dem Hessenforum hat der Präsident des OLG Braunschweig, Wassermann, die Countertaktik des Staatsschutzes ausgesprochen - wörtlich: Man müsse "beim Gefühl der Unsicherheit des Bürgers ansetzen" und "vom subjektiven Gefühl der Angst ausgehen".
Inzwischen hat ein Bericht in der "FR" (20.9.) bestätigt, daß die Counterprojekte des Staatsschutzes seit '72 - (Bombendrohung gegen Stuttgart, Drohung mit Trinkwasserverseuchung, Gelbkreuzdiebstahl, Sam-Raketen auf Fußballstadien, der Bombenanschlag im Hauptbahnhof Bremen und jetzt Hamburg) - nach dem Konzept der CIA-Zentrale entwickelt sind. Die "FR" teilt da nur authentisch mit, was man lange weiß: Der Gifteinsatz in U-Bahnschächten und die Trinkwasserverseuchung in Großstädten sind Countertaktiken des special warfare 1 der "psychologischen Aktion" imperialistischer Nachrichtendienste und Counterguerillaeinheiten.
Im Moment ist die Frage nicht zu klären, ob der Anschlag in Hamburg das Verbrechen eines einzelnen war, ob er von der nachrichtendienstlich geführten rechtsradikalen Gruppe in Bremen durchgeführt wurde, ob er vom Staatsschutz direkt oder von der seit Stockholm bei der amerikanischen Botschaft in Bonn etablierten Spezialeinheit des CIA für Counterinsurgency initiiert worden ist.
Tatsache ist, daß der Staatsschutz sein innerhalb der reaktionären Struktur der durch Medienkonzerne und öffentliche Anstalten institutionalisierten Öffentlichkeit operierendes Netz von Staatsschutzjournalisten benutzt, um die Rezeption 2 des Anschlags gezielt gegen die Stadtguerilla zu steuern. Profilierte Figuren in diesem Netz, das an die Pressestelle des BKA und die Pressekonferenz der Bundesanwaltschaft angeschlossen ist, sind Krumm in der "FR", Busche in der "FAZ", Leicht und Kuehnert in der "SZ" und Rieber und Zimmermann, die in mehreren überregionalen Zeitungen publizieren. Der Artikel von Zimmermann, der einen Zusammenhang zwischen dem Anschlag, der RAF, der Bewegung 2. Juni und Siegfried Haag behauptet, ist außer in der Springerpresse parallel in acht überregionalen Tageszeitungen erschienen.
Wem es angesichts der Schwäche der Stadtguerilla hier unwahrscheinlich vorkommt, daß die staatliche Reaktion jetzt schon zu diesen Mitteln greift, der soll sich die strategische Bedeutung des Moments der Instabilität, das Stadtguerilla ist, aus der strategischen Bedeutung, die die Bundesrepublik im Staatensystem des US-Imperialismus hat, klar machen. - Die BRD ist sowohl im Nord-Süd- wie im Ost-West-Konflikt zentrale Operationsbasis des US-Imperialismus: militärisch die Nato, ökonomisch in der EG, politisch und ideologisch über die Führungsfunktion der Sozialdemokratie innerhalb der Sozialistischen Internationale.
Der Versuch einer reaktionären Massenmobilisierung durch den Staat, der mit nachrichtendienstlicher projektierter Provokation operiert, reagiert nicht auf die Stadtguerilla, sondern auf die Bedingungen ihrer Strategie: die ökonomische und politische Labilität des US-Staatensystems. Er meint die Möglichkeit und Aktualität revolutionärer Politik, und er ist als Falle und Funktion der psychologischen Kriegsführung gegen jede demokratische Operation gerichtet, um sie zu spalten, zu isolieren, einzukreisen und schließlich zu vernichten.
Marx sagt:

"Der revolutionäre Fortschritt bricht sich Bahn in der Erzeugung einer geschlossenen, mächtigen Konterrevolution, in der Erzeugung eines Gegners, durch dessen Bekämpfung erst die Umsturzpartei zu einer wirklichen revolutionären Partei heranreift."
Die Stadtguerilla zeigt den Weg, wie der staatliche Terrorismus allein zu bekämpfen ist: durch bewaffnete proletarische Politik.

(Quelle: Manuskript)


aus: Ausgewählte Dokumente der Zeitgeschichte: Bundesrepublik Deutschland (BRD) - Rote Armee Fraktion (RAF), GNN Verlagsgesellschaft Politische Berichte, 1. Auflage Köln Oktober 1987

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Anmerkungen der Redaktion:

1 special warfare: Sonderkriegsführung

2 Rezeption: Aufnahme, Übernahme