Albrecht Maurer
Bei der
Beerdigung von Michael Newrzella
Der "Pannenbericht" und die öffentliche Diskussion um Bad
Kleinen beschäftigen sich im wesentlichen mit Koordinations- und
Kommunikationsproblemen der für die "innere Sicherheit" zuständigen
Behörden. Präsentiert werden gegeneinander arbeitende Institutionen,
nicht oder zu spät informierte Verantwortliche auf allen Etagen. Als
Konsequenz nahegelegt werden weitere Zentralisierung und Vereinheitlichung der "Sicherheitsbehörden",
Zusammenschluß von GSG 9 mit den Sondereinsatzkommandos der Länder zu
einer Art Schwarzer Reichswehr unter einheitlicher Führung und die
Ausweitung der geheimdienstlichen Befugnisse der Polizeien und ihrer Ermittler.
Dabei ist die "Aktion Weinlese" in Bad Kleinen geradezu das Produkt
eines nach dem Tode Rohwedders eingerichteten Gremiums, in dem das jetzt
Geforderte schon weitgehend verwirklicht ist - der Koordinierungsgruppe
Terrorismusbekämpfung (KGT).
Eingerichtet wurde dieser Zusammenschluß der Bundesbehörden
Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und
Generalbundesanwalt (GBA) mit den Polizeien und Verfassungsschutzämtern der
Länder 1991 nach den Anschlägen auf Herrhausen und Rohwedder.1
Der "leise Putsch", der institutionelle Zusammenschluß von
Polizei, Geheimdienst und Justiz ("Einbeziehung aller Sicherheitsbehörden
sowie der Justiz") zum Zwecke der Entwicklung einer Politik der "inneren
Sicherheit" aus einem Guß, entwickelte sich offenbar prächtig.
Ein gutes halbes Jahr nach der Einrichtung der KGT liefert die Bundesregierung
einen Erfolgsbericht ab. Die vierzehntägig tagende KGT habe sich ihren
Aufgaben - Zusammenarbeitsprobleme zwischen den Sicherheitsbehörden und der
Wirtschaft, Koordination von Bekämpfungsansätzen in verschiedenen
Regionen, Erstellung und Abstimmung von Fahndungskonzepten, Gefährdungsanalysen
und Lagebildern auf Bundes- und Landesebene - gewidmet. Die Akzeptanz sei so groß,
daß sich entsprechende Koordinierungsgruppen auf Landesebene gebildet hätten.
In verschiedenen Anfragen der PDS/LL im Bundestag zu Konzeption und Praxis der
KGT wurde deren Bedeutung jedoch heruntergespielt. In auffallendem Kontrast zu
den internen und öffentlichen Selbstdarstellungen und Zielsetzungen der KGT
wurde in den Antworten auf die Anfragen das Bild eines eher unverbindlichen
Konsultationsgremiums gezeichnet. Die polizeikritische Zeitschrift Cilip
schreibt dagegen: "... die ca. 30 direkt an den Beratungen Beteiligten
(machen) kaum den gesamten, in die Aktivitäten der KGT involvierten
Personenkreis aus ... Daß ein quasi in Permanenz tagendes Gremium zumeist
hochrangiger Beamter nicht in der Lage ist, ohne entsprechende Zusammenarbeit
auszukommen, liegt auf der Hand und wird auf Nachfrage auch nicht weiter
bestritten. Damit allerdings kann dann von einem einfachen Informationsaustausch
keine Rede mehr sein. Vielmehr handelt es sich um eine Organisationseinheit nach
Art einer Sonderkommission." 2 Und so etwas
ist von der Verfassung überhaupt nicht abgedeckt.
Der Anspruch der KGT
geht noch darüber hinaus. Um die KGT-Beschlüsse bzw. ihre
Zielsetzungen optimal umzusetzen, soll eine "ständige und anlaßbezogene
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit zur Sensibilisierung der Bevölkerung"
erfolgen. Dieser Krisenstab in Permanenz hat sich also auch die Aufgaben eines
Propagandaministeriums einverleibt; populäre Lagebilder und "Gefährdungsanalysen"
werden lanciert, Nachrichten gemacht und Informationen verweigert. Immer nach
den Bedürfnissen der "zielgerichteten Durchführung von Maßnahmen"
und der "vollen Ausschöpfung des rechtlichen Rahmens zur
Terrorismusbekämpfung insbesondere auch bei der Durchführung
verdeckter und systematischer Fahndungsmaßnahmen ...". Bundesweit
sollte damals u.a. folgendes durchgeführt werden: "Zur Gewinnung von
Erkenntnissen über die Aktivitäten und die Zusammensetzung des
terroristischen Umfeldes und die derzeitige Struktur der `RAF' sind unter
anderem auch verdeckte Ermittler einzusetzen ... Angesetzt werden muß
insbesondere bei den Personen mit Nahtstellenfunktion ..." Das sind nur
einige Beispiele aus dem Innenministerkonferenz-Einrichtungsbeschluß vom
Mai 91.3 Fragen zu dieser "Öffentlichkeitsarbeit
zur Sensibilisierung der Bevölkerung" werden nicht gerne gehört
und bisher immer abschlägig beschieden: "Die KGT hat zu keinen Anlässen
eine `Presse- und Öffentlichkeitsarbeit' entwickelt" (Antwort auf die
erste Kleine Anfrage zur KGT vom August 91). Dagegen steht allerdings, daß
Anfang 92 in den Medien von taz bis FAZ die sogenannte "
Kinkel-lnitiative", die ja von heute auf morgen die öffentliche
Debatte bestimmen konnte, als originäres Produkt der KGT-Analysen und
-Konsequenzen bezeichnet worden ist. "Dies trifft nicht zu", lautet
die regierungsoffizielle Antwort auf eine erneute Anfrage, weil "die
Entscheidung über eine etwaige Aussetzung des Strafrechts zur Bewährung
... vielmehr stets als Angelegenheit unabhängiger Gerichte angesehen worden
(ist)."4
Oder: Zwei Zeugen machten nach
Bad Kleinen besondere Schwierigkeiten. Die "Frau aus dem Kiosk" und
der "Sicherheitsexperte", der anonym im Spiegel aussagte.
Beider Aussagen wurden durch erste und alle folgenden Obduktionen im zentralen
Punkt des Todes von W. Grams bestätigt: Nahschuß. Beide Zeugen wurden
gezielt demontiert. Mit besonderer Heftigkeit nach einer KGT-Sitzung in der
Woche vom 12.-16.7. 1993, Auf dieser Sitzung wurden massive Vorwürfe gegen
die Medien laut. Sie hätten mit wüsten Spekulationen und dubiosen
Zeugenaussagen Verwirrung gestiftet und die GSG-9-Beamten als Killer
dargestellt. 5 Namentlich genannt werden
Monitor (Zeugin Baron) und Spiegel (Antiterrorspezialist). Und
alle Medien folgen. Berichtet wird, daß der
Spiegel von seinem Zeugen abrücke, daß Zeugin Baron bei ihrer
Aussage nicht nur besoffen gewesen sei, sondern daß sie sich auch bei
ihren verschiedenen Aussagen in "wesentlichen" Punkten widersprochen
habe. Höhepunkt dieser gezielten Demontage von Zeugen war der Auftritt von
Bundesanwalt Löchner im Innenausschuß des Bundestages, in dem er
seinerseits Dokumente zurechtgelogen hat. Diese Demontage entscheidender und bis
heute glaubwürdiger Zeugen zieht sich bis in den Regierungszwischenbericht
hinein.
Die Zeitschrift Cilip (Juli 92) und im November dann die taz
(26.11.) berichteten über Differenzen innerhalb der KGT. Sachlich soll es
dabei in etwa um die Frage gegangen sein, ob die KGT "reines"
Fahndungsinstrument unter Führung des BKA oder "fachkompetentes
Beratungsgremium der Ministerebene" 6 sein
soll. (Die Befürworter des letzteren, vertreten v.a. durch einige Landesämter
für Verfassungsschutz, sollen sich zeitweise aus der KGT ausgeklinkt haben.
Der "wachsende Einfluß des BKA" soll sie vertrieben haben,
schreibt die taz.) "Gelöst" wurden die Probleme durch die
Einrichtung einer wöchentlich tagenden kleinen Runde -
Generalbundesanwalt, Bundeskriminalamt und Bundesamt für Verfassungsschutz
- und dem vierzehntägig tagenden großen Kreis.
Das muß die
Bedeutung der KGT allerdings nicht schmälern, wie die
taz schon 1992 nahelegt und wie der Stern nach Bad Kleinen mit der
als "Grabrede" bezeichneten Aussage eines bayerischen KGT-Vertreters -
"das von dieser Institution angestrebte Ziel der Verbesserung der
Zusammenarbeit wurde völlig verfehlt" - glauben machen will. Die
Differenzen betreffen ja gerade nicht die mit der KGT praktizierte direkte und
institutionalisierte Zusammenarbeit von Geheimdiensten und Polizei - gerade in
diesem Punkt besteht Einigkeit. Die KGT ist ausdrücklich der Rahmen, der
die "Sicherheitspolitik aus einem Guß" nicht an
politisch-konzeptionellen Unterschieden und Widersprüchen zwischen einigen
Landesämtern für VS und BKA bzw. Polizeien scheitern lassen soll. Und
praktisch: Kinkel-Initiative und "Fahndung" schlossen sich als Mittel
zur Bekämpfung des Terrorismus nie aus. Die KGT-Arbeit dürfte gerade
darin bestanden haben, sie ins "richtige", d.h. möglichst
effektive Verhältnis zu bringen. Vor allem jedoch werden durch die geheime
und durch nichts und niemanden kontrollierte KGT die jeweils "verbindlich"
(Einrichtungsbeschluß) beschlossenen und getroffenen Maßnahmen
legitimiert.
Ob "große" oder "kleine" Verschwörerrunde -
nach "Auftrag und Inhalt" wurde die Aktion in Bad Kleinen in der KGT
ausgetüftelt. Die Aktion selbst wird allerdings einen erheblich längeren
Vorlauf gehabt haben als bisher dargestellt. Aufklärung darüber dürfte
nur durch Aufdeckung der KGT-Arbeit zu gewinnen sein. Und die wird im Dunkel
gehalten... Der Zwischenbericht der Bundesregierung zu Bad Kleinen widmet aber
immerhin der KGT ein eigenes Kapitel; deren Rolle als Legitimationsgremium für
Geheimabsprachen und Planungen wird ansatzweise deutlich.
Am 13. Mai, schreibt der Spiegel 7,
versetzten die Berichte von Supermann Klaus die Ermittler auf einer KGT-Sitzung
in helle Begeisterung. Im Regierungsbericht läuft diese Sitzung aber nicht
als KGT-Sitzung. Es soll "nur" eine Besprechung gewesen sein, an der
von Stahl (GBA), die Präsidenten von BfV und BKA, der Leiter des LfV
Rheinland-Pfalz sowie Fachbeamte dieser Behörden teilnahmen. Vermutlich hängt
die Namensfrage mit dem Problem der "großen" und "kleinen"
Runden zusammen. Faktisch war es die kleine KGT-Runde mit Berichterstattern und
Fachleuten. In diesem Kreis wurde beschlossen, in Bad Kleinen zuzuschlagen und
auf weiteren KGT-Sitzungen auf Arbeitsebene die Operation zu organisieren.
Mecklenburg-Vorpommern war dabei ausdrücklich ausgeschlossen. Diese Runde
war es auch, die sich (!) zu größtmöglicher Geheimhaltung
verpflichtete. Und von dieser Runde gingen auch die vermutlich jeweils gezielt
aufbereiteten Informationen an das Justizministerium und das Innenministerium
aus. (Einer Ministerin, die für ein "Sicherheitsrisiko" gehalten
wird, erzählt man natürlich anderes als sicheren Kandidaten.) Danach
folgten "offizielle" KGT-Sitzungen am 18. Mai und am 1., 3. und 7.
Juni. Ausgearbeitet wurde dabei eine Aktion, die Schutz des Spitzels - wie es in
der Öffentlichkeit heißt, ist das das besondere Anliegen des VS
Rheinland-Pfalz gewesen - optimal verbindet mit der auf der Verschwörerrunde
am 13. Mai beschlossenen Linie, "mit Haftbefehl gesuchte Terroristen (dürfen)
nicht entkommen". Alles öffentliche Gejaule über mangelnde
Koordination und Kooperation der Sicherheitsbehörden ist vor diesem
Hintergrund Unsinn. Wenn eine Aktion nicht im Sinne der Verschwörer
gelaufen ist, heißt das noch lange nicht, daß sie nicht konspiriert
hätten. Die Selbstverpflichtung der Konspirateure auf äußerste
Geheimhaltung und die Abschottung der KGT-Arbeit bis zur operativen Planung in
Bad Kleinen machen es allerdings bis heute unmöglich zu durchschauen, was
im Sinne der Planer eigentlich schiefgelaufen ist. Quatsch sei es, schrieb die
Frankfurter Rundschau nach der Einrichtung der KGT auf die Kritik der
PDS, daß hier ein Organ der Willkür, der Machtzusammenballung und des
totalitären Polizeistaates entstehen könnte. Denn "selber handeln
könne die Koordinierungsgruppe nicht (...)" ; "Wenn die Gefahr
einer Verschmelzung von Polizei und Geheimdiensten besteht", schreibt sie
am 24.7.91 weiter, dann vor allem im Bereich der neuen Fahndungs- und Aufklärungsmethoden.
Handlungsfähigkeit hat die KGT mit Bad Kleinen nun allerdings bewiesen,
denn die fängt ja nicht dann an, wenn Zachert oder von Stahl selber schießen.
"Zachert hofft auf Erfolg des auf längere Frist angelegten
Konzeptes, wenn alle mitmachen" schrieb die Welt nach einem Gespräch
mit Zachert über die Perspektive der KGT im Januar 92. Da lief noch die
RAF-Stasi-Connection und Kronzeuge Nonne. Auf Anfang 92 datiert der rheinland-pfälzische
Verfassungsschutz aber auch das Vordringen des Spitzels Klaus zu Kontakten mit
der Kommandoebene (Bericht S. 11). Das Bundesamt für VS wurde über
dessen "Erkenntnisse" seit 84 regelmäßig informiert. Möglicherweise
wurde damals gepflanzt für die "Aktion Weinlese" in Bad Kleinen.
Die Welt prognostizierte damals (14.1.92) schon eine "Ermittlungsoffensive"
gegen die RAF als Ergebnis der KGT-Arbeit. Und es haben alle mitgemacht.