Wenn
die euro-atlantische Sicherheitsstruktur neu verhandelt wird
Alle Jahre wieder versammelt sich in München eine kleine, aber
gut ausgewählte Truppe von hochrangigen Ministern, Militärs,
Parlamentariern, Journalisten und Experten aus aller Herren Länder.
Zur Debatte steht nun auch nicht irgend etwas, sondern neue Strategien
zur Sicherheitsstruktur des euro-atlantischen Raums. Und die Sicherheit
und Stabilität dieses Raumes kann eigentlich durch alles betroffen
werden, was sonst noch so auf der Welt passiert. Dies ergibt sich
allein aus den selbstdefinierten Bedrohungsszenarien, die von der
Verbreitung von ABC-Waffen und deren Trägertechnologie über
die Störung des ungehinderten Transportes lebenswichtiger Rohstoffe
bis zu unkontrollierten Migrationsbewegungen reichen. Die "Münchner
Konferenz für Sicherheitspolitik" ist das Forum, in dem
militärpolitische Konzepte diskutiert werden sollen, um den
neuen Herausforderungen entsprechend begegnen zu können. Nicht
ohne Grund bezeichnet die Ausrichterin, die BMW - eigene "Herbert
Quandt-Stiftung", die Konferenz als das "Davos" der
Sicherheitspolitik. Zentrale Säule dieser Sicherheitsstruktur
ist seit 52 Jahren die Nato. Während des Kalten Krieges als
Verteidigungsbündnis gegründet, wurde diese mit dem Abkommen
von Washington als "Allianz für das 21. Jahrhundert"
für ihre neuen Aufgaben fit gemacht. Dass die Möglichkeit
der militärischen Krisenintervention außerhalb des Bündnisgebiets
und bereits vor den Beschlüssen von Washington bestand und
auch wahrgenommen wurde, hatte die Nato mit dem Angriffskrieg auf
Jugoslawien unter Beweis gestellt. In Washington wurde aber nicht
nur dieser Krieg im nachhinein zumindest auf die Grundlage des Natovertragswerkes
gehievt, sondern vor allem die Möglichkeit geschaffen, bei
allen "Krisen, die die euro-atlantische Stabilität gefährden
und die Sicherheit von Bündnismitgliedern berühren könnten"
, militärisch zu intervenieren. Dass dies nichts mehr mit Verteidigung
zu tun hat, erscheint so nur, wenn Verteidigung auf den Begriff
der militärischen Auseinandersetzung reduziert wird. Aus dem
Verständnis einer kapitalistisch globalisierten Welt betrachtet,
ist Stabilität und Sicherheit allerdings durch fast jede unkalkulierbare
Verschiebung von Machtverhältnissen gefährdet und natürlich
auch durch die empfindliche Störung der notwendigen Verkehrssicherheit
im kapitalistischen Warenaustausch. Diese Weltordnung zu stabilisieren
und zu verteidigen, haben die Nato-Mitgliedsstaaten in Washington
als ihr Ziel formuliert. Dass ein solches Verständnis von einem
"Verteidigungsbündnis" keine Rücksicht mehr
auf die UN nehmen kann und will, welche in ihrer jetzigen Form als
Relikt des Kalten Krieges begriffen werden muss, ergibt sich zwangsläufig
und spiegelt sich in der Praxis während des Jugoslawien-Krieges
wider. Dass die Nato die bisherigen völkerrechtlichen Grundlagen
verlassen hat, ist nicht überraschend. Es liegt in der Notwendigkeit,
sich der aktuellen Entwicklung anzupassen. Dass dabei alte Strukturen
"weiterentwickelt" werden müssen, seien sie auch
noch so heilig, da juristische, versteht sich von selbst. Das Ende
des Kalten Krieges hat die Nato nicht unter Rechtfertigungsdruck
gebracht. Im Gegenteil: es hat diesem Bündnis den Raum gegeben,
sich zu modernisieren. Die Reform vom Verteidigungsbündnis
der Westmächte hin zum Verteidigungsbündnis der kapitalistischen
Weltordnung ist ohne größeren Widerstand vollzogen worden.
Auch die im Aufbau befindliche europäische Interventionsarmee,
an deren Spitze Deutschland steht, ist Teil dieser Verteidigung
und steht nicht im Widerspruch zu der neuen Rolle der Nato, genauso
wenig wie der militärische Alleingang der USA und Großbritanniens
in Afghanistan. Wer aus dem Aufbau von Parallelstrukturen und der
Nichtbeteiligung der Nato an militärischen Operationen eine
Schwächung oder gar Unwichtigkeit des Bündnisses ableitet,
begeht einen großen Fehler - die Reduzierung dieses Bündnis
auf die direkte militärische Intervention. Hat dieses doch
bis jetzt erst ein einziges Mal in seiner Geschichte mit einem Angriffskrieg
interveniert und erst einmal den Bündnisfall nach Artikel 5
ausgerufen. Und doch kann die Geschichte nach dem 2. Weltkrieg nicht
ohne die militärisch mächtigste Organisation aller Zeiten
gedacht und begriffen werden.
"ESVP:
Schlüsselprojekt der europäischen Einigung"
Eine eigenständige "europäische Sicherheits-
und Verteidigungspolitik" (ESVP) aufzubauen, ist wohl das am
rasantesten fortschreitende Projekt der europäischen Politik.
Erst 1999 beschlossen, soll eine 60.000 Soldaten starke Eingreiftruppe
schon 2003 einsatzfähig sein. Deutschland stellt dabei den
größten Anteil, voraussichtlich 18.000 Soldaten, Frankreich
und GB folgen mit je 12.000. Dass die EU damit die Fähigkeit
zu autonomem Handeln erlangt, wie von deren VertreterInnen immer
wieder betont wird, ist allerdings nicht der Fall. Obwohl es gerade
darum geht, handeln zu können, wenn die Nato nicht als Ganzes
beteiligt ist. Denn der Rückgriff auf die Kapazitäten
der Nato bleibt bisher bei jedem potentiellen Einsatz notwendig,
da keine eigenen Planungs- und Informationssysteme existieren und
sich auch nicht im Aufbau befinden. Und bei einer Nutzung von Nato-Einrichtungen
muss mit der Nato in Konsultation getreten werden. Eine militärpolitische
Stärkung der europäischen Mitglieder ist trotzdem ausdrücklich
gewünscht, auch jenseits des Atlantiks. So fordert die USA
seit mehreren Jahren eine stärkere militärische Verantwortung
Europas und unterstützt dabei den Aufbau der ESVP. Das wurde
unter anderem an der direkten diplomatischen Intervention in der
Türkei, um diese als letztes Nato-Mitglied auf ESVP-Kurs zu
bringen, deutlich. Europa soll selbst in der Lage sein, den eigenen
Hinterhof sauber zu halten, natürlich nur nach vorheriger Zustimmung
der USA. Hauptziel ist es, "Sicherheit und Fortschritt in Europa
und der Welt zu fördern", was die nicht nur regionale
Einsatzmöglichkeit dieser Truppe verdeutlicht. Und was nichts
anderes bedeutet, als die heutigen Ausbeutungsmechanismen militärisch
weltweit abzusichern und auszubauen. Dass Deutschland dabei endlich
wieder mitmischen darf und endlich eigene bzw. europäische
Interessen in einer Führungsposition auch militärisch
untermauern darf, wird nun mit der weltpolitischen Verantwortung
Europas und im speziellen Deutschlands unterstrichen. Für die
EU gibt es aber noch eine weitere Komponente, die eine europäische
Interventionstruppe erfüllen soll. Die europäische Außenpolitik
ist trotz aller Hohen Vertreter keine gemeinsame, von einer einheitlichen
kann nicht gesprochen werden. Bildet sich mit der Außenpolitik,
dem Herantreten an jemanden außerhalb des Kollektives, doch
noch immer am stärksten die eigene Identität der nationalen
Volksgemeinschaft. Diese ist weiterhin eins der wichtigsten identitätsstiftenden
Momente der modernen, auf Nationen beruhenden Weltordnung. Die EU
sucht krampfhaft nach einer ähnlichen Form von Identifikation
der Bevölkerung mit diesem Staatenverbund. Der EURO ist dabei
nur ein Schritt, aber er reicht nicht aus. Wenn also schon keine
gemeinsame Außenpolitik eine solche Identifizierung schaffen
kann, so wird es ein europäischer Kriegseinsatz allemal. Im
Rahmen der Nato wird dieses Projekt dann auch "Europäische
Sicherheits- und Verteidigungsidentität" (ECVI) genannt.
"Unser
Krieg gegen den Terrorismus beginnt mit der al Qaida, aber er wird
da nicht enden."
Kaum ein anderer Satz macht deutlicher, wie sich die
Weltordnung mit dem 11. September verändert hat. So deutlich,
wie sich in diesem Satz widerspiegelt, dass es ein langer und gründlicher
Krieg werden wird, enthält er doch eine Lüge. Der Krieg
beginnt nicht mit der al Qaida, dieser Krieg hat keinen starting
point. Der Beginn, die Durchsetzung des imperialistischen Machtanspruches
einer oder mehrerer Nationen, kann nicht zeitlich verortet werden.
Ob es nun um einen Vergeltungsfeldzug geht, geostrategische Interessen
oder ganz direkt um Ölquellen, ist dafür egal. Die Besonderheit
der jetzigen Situation liegt nicht in dem kriegerischen Akt selbst,
sondern in seiner Legitimation. Nicht in der Legitimation der Vergeltung
der Ereignisse des 11. September, sondern in der Legitimation, dass
Super- bzw. Großmächte ab sofort nicht mehr nur mit geheimdienstlichen,
wirtschaftlichen oder politischen Mitteln jederzeit ihre Interessen
weltweit durchsetzen dürfen, sondern auch militärisch.
Die Resolutionen 1368 und 1373 des UN-Sicherheitsrates geben die
weltweite Intervention dort frei, wo sich etwas der jetzigen Weltordnung
widerstrebendes entwickelt oder existiert. Diese Resolutionen legen
gemeinsam mit der Praxis der imperialistischen Staaten die neue
Weltkriegsordnung fest. Dass in diesem Gremium fast alle Großmächte
vertreten sind, lässt ahnen, welcher Grad der Militarisierung
und Brutalisierung den jeweils sich nicht beugenden Kräften
ins Haus steht. Diese Entwicklung kann nun nicht den USA vorgeworfen
werden, weil sie wegen der aktuellen Betroffenheit die ersten Nutznießer
sind. Praktizierte dies doch die Nato schon in Jugoslawien und befand
sich das Nato-Konzept auch schon auf einem entsprechenden Weg, sicherlich
im Interesse aller Nato-Mitglieder. Die Möglichkeiten der militärischen
Konditionierung von Staaten und Regionen, die bisher vor allem auf
ökonomischer Ebene durch IWF und Weltbank stattgefunden hat,
wird den geostrategischen Interessen und Ambitionen einen neuen
Schub verleihen. Dass die Möglichkeit, unproblematischer militärisch
intervenieren zu können, eine neue Aufwertung von Staatlichkeit
und deren grundlegenden Instrumenten nach sich zieht, verdeutlicht,
dass Staatlichkeit der Globalisierung nicht widerspricht, im Gegenteil
notwendig ist für die Durchsetzung und Stabilisierung dieser.
Die Hoffnung eines Teils der Antiglobalisierungsbewegung, im Nationalstaat
einen Verbündeten gegen die Globalisierung zu finden, muss
diese vor dessen Brutalität erschrecken lassen.
No
one here gets out alive!
Stand bisher im Zentrum der Kritik vom oben genannten
Teil der Bewegung der Neoliberalismus, auch "Kapitalismus pur"
genannt, entfesselte Finanzmärkte oder ähnliches, enthielt
diese Kritik damit immer eine Möglichkeit der Besserung innerhalb
des Systems. Nun entpuppt sich aber der potentielle Heilsbringer,
die regulierende und die zur Sozialstaatlichkeit fähige Nation
als nächster Bösewicht. Die Forderung nach der Tobinsteuer
oder ähnlichen regulierenden Maßnahmen, die die Finanzmärkte
wieder zu Investitionen ins "schaffende" Kapital treiben
sollten, könnte nun real zu Investitionen in die Rüstungsindustrie
führen, im Augenblick auf jeden Fall höchst profitabel.
Oder sie könnte die Tabaksteuer für die "Innere Sicherheit"
unnötig machen oder die Umstrukturierung der Bundeswehr finanzieren.
Die Suche nach der Alternative, nach einer humaneren Gesellschaft
und deren Ansätzen innerhalb der bestehenden Nationalstaaten,
muss selbst ohne tiefergehende Analyse als haarsträubend erscheinen.
Die Gegenüberstellung von Staat und Kapital, von Raubtier-
und rheinischem Kapitalismus, Elend und Verderben durch Umstrukturierung
oder durch Bomben, erscheint nicht nur in der Wertung als kaum abwägbarer
Unterschied, er darf auch nicht als solcher gesehen werden, sondern
es sind zwei Seiten derselben Medaille. Welche Rolle die Nationalstaaten
trotz "globalisierter" Weltwirtschaft spielen, spiegelt
nicht nur die Außen- sondern auch die Innenpolitik wider,
und selbst dies bleibt eine unzureichende Reduzierung. Das permanente
Bedrohungsszenario, welches weltweit herauf beschworen wird, wird
letztlich zur Militarisierung der "Inneren Sicherheit"
genutzt. Mit der Figur des Schläfers, seit Anthraxbriefen,
der Enthüllung der amerikanischen Talibankämpfer oder
des FBI-Doppelagenten, der aller Wahrscheinlichkeit nach das sog.
"Handbuch des Terrors" verfasst hat, bleibt es nicht reduziert
auf den Araber, jetzt ist jede und jeder verdächtig. Dass dabei
nicht nur islamistische Terroristen ins Fadenkreuz geraten, wird
deutlich, wenn die sog. GlobalisierungsgegnerInnen als die größte
Bedrohung für die "Innere Sicherheit" aufgeführt
werden, wie in Genua und jetzt auch wieder vor München. Dass
Deutschland dabei abermals der sonstigen westlichen Wertegemeinschaft
voranschreitet verwundert kaum. Dass die rot-grüne Bundesregierung
dabei nicht nur auf Altbewährtes zurückgreift, wie Rasterfahndung
und Kronzeugenregelung oder den Zugriff auf das Ausländerzentralregister
zu Fahndungszwecken erlaubt, sondern auch den Rest seiner Bevölkerung
gleich biometrisch katalogisiert, zeigt, dass sie nicht nur deutsche
Außenpolitik fortführt, sondern auch im Hinblick auf
die "Innere Sicherheit" den Schills und Kanthers einen
Schritt voraus ist.
What
to do?
Die Aktionen
gegen die "Münchener Konferenz für Sicherheitspolitik"
sind aus dieser Perspektive eine notwendige Erweiterung der Konfrontatiotionslinie
der sogenannten Antiglobalisierungsbewegung. Die bisherige Konzentration
auf vor allem wirtschafts- und finanzpolitische Gipfel wird um die
Miliärpolitik und deren Träger, die Nationalstaaten, ergänzt.
Gerade nach dem 11. September und dessen Folgen, gehört die
Militärpolitik der imperialistischen Staaten wieder zurück
ins Zentrum der Kritik einer linksradikalen Bewegung gerückt.
Der Konstituierung der neuen Weltkriegsordnung entsprechend, ist
aus unserer Sicht die praktische und theoretische Kritik am Nationalstaat
notwendig, als Träger der zivilen und militärischen Innen-
und Außenpolitik, als notwendiger Teil der Durchsetzung kapitalistischer
Ausbeutungs- und Unterdrückungsmechanismen. Diese Kritik zu
artikulieren, so dass sie einen linksradikalen Ausdruck hat, der
nicht mehr als systemimmanent vereinnahmt werden kann, darum geht
es in München. Bei den letzten Gipfeln gab es den praktischen
Ausdruck in Form des black block. Eine inhaltliche Positionierung
darüber hinaus gab es nicht. Diesen Mangel zu überwinden,
wird eine Aufgabe sein, der sich die radikale Linke in München
zu stellen hat - und nicht nur dort. Während eine gemeinsame
radikale Praxis gefunden scheint, kann die Differenz in der inhaltlichen
Ausrichtung nicht einmal diskutiert werden, mangels gemeinsamer
Bezugspunkte und Strukturen, von einem Sprachrohr oder ähnlichem
ganz zu schweigen. München steht nicht nur in der Kontinuität
anderer Gipfel, auch nicht nur als einfache Erweiterung der Themenfelder,
sondern ist ein Punkt, an die gemeinsame Praxis anzuknüpfen
im Kampf gegen Staat, Nation und Kapital. Gleichzeitig Gelegenheit,
die inhaltliche Auseinandersetzung wieder aufzunehmen.
Gemeinsam gehört
uns die Zukunft!
No Nato! No Nation!
Fight Capitalism!
im Januar
2002
Autonome Antifa [M]
Antifaschistische Aktion Berlin
Bündnis gegen Rechts, Leipzig
Autonome Thüringer Antifa-Gruppen
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