Danielowskis
dreckige Säuberung
„Erinnern
Sie Ihre Mitbürger an diese simplen Verhaltensregeln in
unserer Gesellschaft “
(Faltblatt: Gemeinsam für ein sauberes Göttingen) |
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Seit Mai diesen
Jahres ist Schluss mit Rumlümmeln, „Zimmer aufräumen“
heißt es jetzt nicht nur bei Danielowskis Zuhause, sondern
ganz Göttingen soll „in Ordnung“ gebracht werden.
Und weil sich schon zu Hause niemand dran hält, wurde zur
„Motivationssteigerung“ ein umfangreiches Repressionssystem
aus dem Boden gestampft.
Da es in Deutschland an freiwilligen Blockwarten noch nie
Mangel gab, fanden sich auch schnell 50 „VollzugsbeamtInnen“,
die bewaffnet mit Bußgeldkatalog, Dienstausweis und „Kommunikativer
Schulung“ der „Vermüllung“ der Stadt Einhalt
gebieten sollen. Per Faltblatt wird auch der Rest der Bevölkerung
zur Denunziation aufgefordert. „Müll“ ist dabei
durchaus weit zu verstehen, keine drei Wochen dauerte es bis
Bürgerhausmeister Danielowski im Lokalblatt den Bogen vom
ungefragt geklebten Plakat bis zu „bestimmten Personengruppen
in der Innenstadt“ schlug. Ordnung müsse wieder „herrschen“
in Göttingen, die Ordnung der Herrschenden versteht sich.
.„Der
Alte, der uns stets erzählt, was hier im Haus verboten ist...“
(Udo Jürgens, Ehrenwertes Haus)
Was vor einigen
Jahren noch als „Gewährleistung von Sicherheit“
verkauft wurde, und sich auch in Göttingen als lukratives
Geschäft diverser Überwachungsdienste erweist, wird nun unverblümt
benannt. Es geht um die Herstellung von Ordnung, was nicht
das gleiche ist. „Ordnung“ ist seit jeher Synonym
für die Sicherung von Machtstrukturen. Die Ordnungssicherung
wird dabei an eher unbestimmte Begriffe wie „weniger
Müll“ oder „bestimmte Personengruppen“ geknüpft,
welche in den Vorstellungen der AdressatInnen jeweils beliebig
ausgefüllt und begrenzt werden können, letztlich jedoch durch
die herrschende Repressionspraxis festgelegt werden.
Durch das vorgebliche
„Allgemeininteresse“ lassen sich konkrete Bedürfnisse
der Einzelnen in einem „Maßnahmenpool“ zum Schein
mitversorgen und damit auch Einzelaktivitäten rechtfertigen,
die für sich nicht so gut bei den BürgerInnen ankommen würden,
wenn diese direkt nach bestimmten Reglementierungen ihres
Lebens gefragt würden.
Dazu kommt der machtpolitische Trend, Kontrollsysteme dezentraler
und mit jeweils geringerer Reichweite als die großen autoritären
Systeme zu gestalten. Einzelne Kontrollformen erscheinen weniger
umfassend, wenn sie sich nicht mehr auf alle Lebensbereiche,
sondern auf einzelne Verhaltensweisen beziehen. An der Totalität
der Überwachung ändert dies gleichwohl nichts. Die Zerstreuung
der Kontrollen in viele kleine Verhaltensmaßregeln wirken
zusammen genauso beschränkend.
„Du
ziehst Dir doch heimlich auch mal ’ne Daunenjacke an...“
(Absolute Beginner, Rock on)
Eigentlich widerspricht
eine derartige Reglementierung der Vorstellung, dass eine
Stadt ein Lebensraum sei, dessen Nutzung nicht im Lichte eines
einzigen Zwecks organisiert werden kann. Das genau ist ja
Urbanität, jene „weltoffene Stadt Göttingen“ die
immer wieder bemüht wird, nämlich das Aufeinandertreffen verschiedener
teils widersprüchlicher Interessen auf begrenztem Raum, aus
deren Nebeneinander dann das Spezifische einer Stadt erwächst.
Und zwar nicht in einer Weise, die sich planen und organisieren
lässt, sondern in gewissem Rahmen spontan und unkontrolliert.
Es sei denn, jemand legt diesen Rahmen so fest, dass abweichende
Nutzungen ausgeschlossen sind. Genau dies passiert in der
Göttinger Innenstadt, die immer mehr einem Einkaufszentrum
angeglichen wird. Aufmüpfige Jugendliche auf dem Wilhelmsplatz
stören da ebenso wie plakatierte Anzeichen kultureller oder
politischer Gegenmodelle, die ein geschlossenes Kulissenbild
unterlaufen. Derartige Irritationen der verkauften Illusion
von Leben stören den reibungslosen Geschäftsablauf, in dem
Produktangebote den hauptsächlichen Reiz darstellen sollen.
„Ich
hatte es kaum Zuhause ausprobiert, da wusste ich schon, an
dem Produkt ist was kaputt, das ist die Reklamation, ich tausch
nicht mehr, ich will mein Leben zurück...“
(Wir sind Helden, Guten Tag)
Im Einkaufszentrum ist der Zweck, dem das individuelle Wohlbefinden
unterzuordnen ist, das Einkaufen. Regelungen in der „Hausordnung“
werden entsprechend „im Interesse eines ungestörten
Einkaufserlebnisses“ eingeleitet, gleichsam die Hausordnung
des Kapitalismus an Sich. Die Innenstadt wird nicht mehr als
Lebensraum angesehen, sondern unter dem „touristischen
Blick“ und einer auf Entspannung ausgerichteten Konsumpraxis
zur reinen Fassade, in der soziale Heterogenität als störend
empfunden wird. Indem bestimmte unerwünschte Verhaltensweisen
und Menschen ausgeschlossen werden, wird der Raum gesäubert
von Anzeichen sozialer Ungleichheit.
Die Praxis des Ausschlusses korrespondiert mit der Ghettoisierung
sozial Benachteiligter in den Randbezirken bei gleichzeitiger
Reservierung der Innenstadt für kaufkräftiges Klientel. Dies
entpolitisiert den öffentlichen Raum auch in anderer Hinsicht:
die Vertreibung lässt Anzeichen der Brutalität kapitalistischer
Vergesellschaftung verschwinden, eine öffentliche Armutspräsenz
impliziert auch immer die Drohung des möglichen eigenen Abstiegs.
Dabei hat es auch schon vor dieser Forcierung die Idealvorstellung
des öffentlichen Raumes als Sphäre des Aufeinandertreffens
verschiedener heterogener Gruppen kaum gegeben. Immer war
die Frage nach dem Zugang zum öffentlichen Raum abhängig von
Machtverhältnissen, seien es Frauen, Kinder, Obdachlose oder
libanesische Flüchtlinge – irgendjemand blieb immer
draußen, und dieses Draußen war nötig für das Selbstverständnis
derer drinnen.
„Danke,
dass Du mich regierst...“ (Farin Urlaub, Lieber Staat)
Die Gleichsetzung
von Heterogenität und Bedrohung ist offenbar weit verbreitet.
Die öffentliche Sicherheitsrhetorik entspricht durchaus vorhandener
tatsachenunabhängiger, garadezu statistik-resistenter Vorstellungen
der BürgerInnen über ihre individuelle Bedrohungslage. Anders
lässt es sich nicht erklären, dass etwa Videoüberwachung einigermaßen
widerspruchslos hingenommen wird, jedenfalls nicht ohne den
Leuten gänzlich das Bewusstsein für ihren kontrollierten Alltag
abzusprechen. Die Sicherheitstechnologien schaffen dabei nicht
Ausgrenzung; sie verstärken und manifestieren eher eine Tendenz,
die in den Vorstellungen breiter Bevölkerungskreise sowieso
angelegt ist.
Das Wegbrechen des Sozialstaates schafft Unsicherheit. Rationalisierungen
angesichts mangelndem Beschäftigungszuwachses und sinkender
Kaufkraft führen zu Einsparungen aller „überflüssigen“
Kosten. Soziale Rechte und arbeitsrechtliche Schutzregelugen
sollen kurzerhand abgeschafft werden. Die reale Angst vor
dem Entzug der Existenzsicherung soll mit einem Rückgriff
auf die Volksgemeinschaft, einem „Sicherheitspakt“,
aufgefangen werden. Politik und Medien inszenieren Bedrohungsbilder
von „aggressiven Bettlern“ und „Sozialschmarotzern“
als unbestimmte Sündenböcke in plumper Stammtischlyrik, oftmals
verbunden mit rassistischen Zuschreibungen.
Der rhetorische
Appell an diffuse Ängste hat nicht den Anspruch diese zu überwinden,
sondern durch Unterwerfung unter die eigene Kontrolle in einer
Disziplinarbeziehung zu kanalisieren. Nur so ist die Zustimmung
zur Beschränkung der eigenen Freiheit zu erreichen.
Dabei wird diese Beschränkung sowohl in der Intensität als
auch räumlich beständig ausgeweitet: neben „mehr Grün“,
sprich Polizeiüberwachung, im unmittelbaren City-Bereich wie
Göttingens Bürgermeister fordert, werden längst auch die Zufahrtswege
zur Konsummeile in das Kontrollsystem aufgenommen, ein erster
Göttinger park&ride-Bus wurde jüngst mit einer Innenraum-Kamera
ausgestattet.
Die Maßnahmen
und Äußerungen zur „Säuberung“ der Innenstadt
finden ihre überregionalen Äquivalente im neuen niedersächsischen
Polizeigesetz, welches die lange gestrichene Begrifflichkeit
der „öffentlichen Ordnung“ wiedereinführt und
die präventiven d.h. willkürlichen Polizeibefugnisse erheblich
ausweiten soll, sowie in der Abschiebepolitik der Bundesregierung
und schließlich in der Festung Europa.
„Fight
for your right to party...“ (Beastie Boys, Fight
for your rights)
Die oft beschworene
kulturelle Vielfalt, die einen Teil der Stadt ausmacht, soll
für Großveranstaltungen mit Vermarktungsfaktor geopfert werden.
Das echte Leben soll durch eine Monokultur ersetzt und die
Säuberung der Stadt von einer weiteren Hundertschaft Bereitschaftspolizei
durchgesetzt werden. Spiegelte sich das politische und kulturelle
Leben dieser Stadt bisher in den Straßen wieder, sollen beispielsweise
unabhängige Kulturinitiativen nun gezwungen werden, gegen
Geld mit Plakaten in Wechselrahmen zu werben. Dieser Versuch
der Kommerzialisierung der Plakatflächen kann nur als Kampfansage
gegen jede Art von freier, unabhängiger politischer und kultureller
Arbeit verstanden werden. Eine offensichtlich bereits begonnene
Umorientierung von den Stromkästen zu Plakatierungen an Häuser
und vorgeblich „kaufbare“ Flächen zeigt jedoch,
dass derartige Reglementierungen nicht schicksalsergeben hingenommen
werden. Der Versuch, den öffentlichen Raum als Ware zu handeln
wird auch mit einem immensen Überwachungsaufwand kaum durchzusetzen
sein.
Die Darstellung
der bürgerlichen Demokratie als Ort dauerhaft formal verbriefter
Rechte und Freiheiten erweist sich angesichts der Zugangsbeschränkungen
als Illusion. Öffentlichkeit bedeutet für uns nicht die Konsumkultur
von HändlerInnengemeinschaften der Innenstädte. Selbstorganisation
bedeutet für uns nicht die Diktatur von neighbourhood communities,
die lauern, ob Fremde oder Einheimische sich eines Regelverstoßes
schuldig machen.
Die bürgerlichen Grundrechte sind ein Mythos, der beliebig
verformt wird. Es hat keinen Sinn auf die vermeintlichen Spielregeln
der bürgerlichen Demokratie zu pochen, wenn ihre Grenzen von
den Danielowskis, Schills und Schilys im Land vorgegeben und
willigen Blockwarten überwacht werden. Es kann also nicht
darum gehen etwas einzuklagen, sondern uns zu nehmen, was
wir brauchen.
Wir kämpfen für die Schaffung gesellschaftlicher Verhältnisse,
in denen es keine Beschränkung der Selbstbestimmung der Individuen
durch permanente Beobachtung oder andere staatliche Restriktionen
gibt.
reclaim the
city!
Die Stadt sind wir alle!
Danielowski muß sauberer werden!
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