Bad Kleinen und die Erschiessung
von Wolfgang Grams
Vor 10
Jahren wurde der RAF-Militante von der GSG 9 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen
erschossen. Birgit Hogefeld sitzt seither mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe
im Knast.
Die Ereignisse sind eine Betrachtung wert, die Diagnose "Selbstmord"
- charakteristisch für den Umgang des
politischen Systems mit RevolutionärInnen - wirkt in Anbetracht der
deutlichen Fakten einmal mehr absurd.
Der Umfang des gesamten Materials und selbst die Rekonstruktion der Ereignisse
sind zu umfangreich, um sie auch nur annähernd ausführlich hier
darstellen zu können. Interessierten empfehlen wir auf jeden Fall
die Lektüre des Buches >Bad
Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams; Edition ID-Archiv;
1994<.
Ganz besonders wollen wir euch auf die Seite www.bad-kleinen.tk
hinweisen. Diese topaktuelle Seite bietet super Materialien, Aufrufe und
Ähnliches zum Thema. Absolut empfehlenswert!
Auf unseren Seiten findet ihr zur Tötung von Wolfgang Grams:
-
einen Artikel
der Autonomen Antifa (M) zur Erschießung von Wolfgang Grams,
veröffentlicht in der Rote Hilfe Massenzeitung zum 18. März
2003
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ein Flugblatt
der Autonomen Antifa (M) zur Erschießung von Wolfgang Grams
(von 1993)
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Eine grafische
Rekonstruktion der Ereignisse anhand eines Lageplans des Bahnhofs
von Bad Kleinen
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Ein Flugblatt
zum 10. Todestag von Wolfang Grams von der
Initiative "10 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Grams"
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Einen Artikel
der Autonomen Antifa (M) aus der Massenzeitung (erscheint am 26. Juni
2003) zu 10 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Grams
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Das Plakat
zum 10. Todestag
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Artikel aus der
Roten Hilfe Massenzeitung:
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Selbstmord
nach Staatsart
In wenigen
Wochen jährt sich der Tod von Wolfgang Grams zum zehnten Mal.
Ein Jubiläum, das die Linke nicht ungenutzt verstreichen lassen
sollte
von der Antifa (M), Göttingen
Fast zehn Jahre ist sie
nun her, die Staatsschutzaktion im Bahnhof des kleinen Örtchens
Bad Kleinen nahe Schwerin, in deren Verlauf am 27. Juni 1993 Birgit
Hogefeld festgenommen und Wolfgang Grams erschossen wurde.( ) Nach
den Schüssen und der Festnahme wurde publik, dass der V-Mann
Klaus Steinmetz die beiden in die Falle gelockt hatte ein pikanter
Umstand sowohl für die RAF als auch für linksradikale
Strukturen. Doch auch für den Staatsapparat führte Bad
Kleinen in eine politische Krise: Die Nachrichtensperre und Desinformation
der Öffentlichkeit wurde zu offensichtlich betrieben, und die
ständig neuen, stark widersprüchlichen Versionen über
die Geschehnisse rund um den Tod von Wolfgang Grams und des GSG-9-Beamten
Newrzella trugen das Ihre dazu bei, dass sich in Teilen der Öffentlichkeit
der Eindruck verfestigte, der RAF-Militante sei von der GSG 9 geradezu
hingerichtet worden.
Die Vorbereitung
der Staatsschutzaktion
Dem Einsatz in Bad Kleinen ging ein Treffen Birgit Hogefelds mit
dem V-Mann Klaus Steinmetz voraus, bei dem sie sich für Ende
Juni in Bad Kleinen zu einer erneuten Zusammenkunft verabredeten.
Spätestens zu diesem Zeitpunkt begannen die Vorbereitungen
für Birgits Festnahme, durchgeführt von der Koordinierungsgruppe
Terrorismus (KGT). Als sich der Spitzel Steinmetz mit Birgit Hogefeld
am 24. Juni 93 in Bad Kleinen traf, war er mit einem Personenschutzsender
bestückt, über den sein Aufenthaltsort geortet werden
und die Polizei zudem Gespräche zwischen ihm und Birgit Hogefeld
belauschen konnte. Die beiden fuhren zunächst mit dem Zug weiter
nach Wismar in eine Ferienwohnung und am 27. Juni wieder zurück
nach Bad Kleinen, wo sie mit Wolfgang Grams verabredet waren. Die
drei trafen sich in einem Billardcafe im Bahnhof und standen bereits
dort unter kompletter akustischer und optischer Observation durch
das BKA und eingesetzte GSG-9-Beamte.
Aufgesetzter
Kopfschuss als staatliche Antwort?
Nachdem die beteiligten
Einsatzstellen mehrere Monate lang Zeit hatten, einen Plan für
die Festnahme auszuarbeiten, sollte der Zugriff der
BGS-Eliteeinheit GSG 9 offenbar in der Bahnunterführung
zu den Gleisen stattfinden, beziehungsweise auf dem Bahnsteig zu
Gleis 3-4. In der Unterführung erfolgt dann auch der Zugriff:
Birgit Hogefeld wurde überwältigt und festgenommen, während
Wolfgang Grams den einzigen freien Fluchtweg nahm auf den Bahnsteig.
Die GSG 9 verfolgte ihn und feuerte mehrere Schüsse auf ihn
ab. Der RAF-Militante schoss nach Erreichen des Gleises 3-4 zurück,
bevor er getroffen und bewegungslos auf den Gleisen liegen blieb.
Innerhalb von Sekunden setzte die GSG 9 nach.
Eine Augenzeugin beschrieb die nun folgenden Sekunden später
so: Der Mann [gemeint ist Wolfgang Grams] lag reglos auf dem
Gleis
ich dachte schon, der Grams sei tot. Dann traten zwei
Beamte an den regungslos daliegenden Grams heran. Der eine Beamte
bückte sich und schoss aus nächster Nähe mehrmals
auf Grams. Dabei sah der schon wie tot aus. Der Beamte zielte auf
den Kopf und schoss aus nächster Nähe, wenige Zentimeter
von Grams Kopf entfernt.( )
Auch ein offenbar am Einsatz beteiligter Beamter, der anonym im
Spiegel( ) beschrieb, was sich zugetragen hatte, stützte
deutlich diese Aussage:
Nach ewig langen 20 Sekunden ist dann der tödliche Schuss
gefallen. Ein Kollege der GSG 9 hat aus einer Entfernung von maximal
fünf Zentimetern gefeuert.( )
Desinformation
und Verdunkelung
In der Zeit nach
den Todesschüssen kam es zu einer bemerkenswerten Kette von
Falschinformationen, Widersprüchen und angeblichen Pannen.
Die Bundesanwaltschaft verhängte sofort eine Nachrichtensperre
und gab in ihren ersten Presseerklärungen absurd falsche Meldungen
heraus. Das BKA schien alles daran zu setzen, die Geschehnisse in
Bad Kleinen zu vertuschen: Bei der Sicherung des Tatortes und der
Spuren wurden viele Beweise vernichtet, Wolfgang Grams Hände
beispielsweise sofort gründlich gewaschen, seine Waffe direkt
beschossen, ohne zuvor andere Untersuchungen durchzuführen,
Spuren wanderten im Verlauf der Untersuchungen oder
wurden gar nicht erst gesichert. So viel Dilettantismus will man
der obersten deutschen Strafverfolgerbehörde nun wahrlich nicht
zugestehen zumindest nicht ohne Absicht. Sollten Spuren vernichtet
werden, um eine Hinrichtung von Wolfgang Grams nicht eindeutig eingestehen
zu müssen?
So dauerte es dann auch gute acht Monate, bis ein mit Widersprüchlichkeiten
gespickter Abschlussbericht zu Bad Kleinen vorlag. Dieser liest
sich an den entscheidenden Stellen dann auch, wie mensch es bei
Terroristen und Terroristinnen gewohnt ist:
Todesursache Selbstmord.
Eine Redaktionsgruppe Jitarra kommentierte 1994: ,Bad Kleinen
ist gerade nicht die Summe der Lügen und Betrüge, sondern
ihre bewusste und gezielte Addition. (...)
10 Jahre
später
steht die
Linke an anderer Stelle. Der bewaffnete Kampf ist inzwischen Geschichte,
die Gefangenen aus der RAF sitzen jedoch immer noch im Knast auch
Birgit Hogefeld geht ihrem zehnjährigen Jubiläum
entgegen.
Wenngleich zum zehnten Todestag von Wolfgang Grams keine Kampagne
zu erwarten ist, wie es sie 1997 anlässlich 20 Jahre Deutscher
Herbst gab, so werden die Medien das Thema bewaffneter Kampf doch
aufgreifen die Linke sollte sich darauf vorbereiten und diese Deutung
nicht allein den staatlichen Stellen überlassen, sondern offensiv
die eigene Sicht auf die Ereignisse in Bad Kleinen einbringen, um
das Thema auf die politische Agenda zu setzen. Die Abwicklung des
bewaffneten Kampfes in der BRD als Kampf von 6 gegen 60 Millionen
und die Betrachtung der Militanten als durchgeknallte idealistische
Spinner entsprach nie der Realität. Wir sollten die Stunde
nutzen und die Frage nach den Gefangenen aus der RAF wieder auf
den Tisch bringen. Ihre Freilassung ist mehr als überfällig.
aus: Junge-Welt-Beilage
der Roten Hilfe zum 18.03.2003
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Klickt
auf die entsprechenden Stellen auf der Grafik vom Bahnhof in Bad
Kleinen, um eine kurze Information zu den entsprechenden Punkten
zu erhalten...
(folgt noch...)
Alle
hier genannten Informationen sowie die leicht überarbeitete
Grafik stammen aus dem Buch
>Bad Kleinen und die Erschießung von Wolfgang Grams;
Edition ID-Archiv; 1994 <
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Flugblatt
zu Bad Kleinen |
27.
Juni 1993/2003 - 10 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Grams
"Glaubt den Lügen der Mörder nicht!"
Befreiung
als Perspektive
Repression als Reaktion
Solidarität als Antwort
rewind:
Sonntag, 27. Juni 1993. Bahnhof, Bad Kleinen. Ein knapp Dreitausend-Seelenort
nördlich von Schwerin, Mecklenburg-Vorpommern. Die Frau: Birgit
Hogefeld. Der Mann: Wolfgang Grams. Beide organisiert in der Rote
Armee Fraktion (RAF). By any means necessary. Der Verräter:
Klaus Steinmetz, ein V-Mann des Verfassungsschutzes. Das Treffen:
Eine Falle. Billardcafe, Bahnunterführung, Treppenaufgang,
15 Uhr. Der Angriff: Birgit Hogefeld wird zu Boden gebracht und
gefesselt. Flucht: Wolfgang Grams läuft den Treppenaufgang
zum Bahnsteig 3/4. Die Verfolger: GSG9, eröffnen das Feuer.
Wolfgang Grams: Schießt zurück. By any means necessary.
Die Zeugin Baron, der anonyme BKA-Zeuge: Grams wurde, als er bereits
regungslos im Gleisbett lag, von Beamten der GSG9 regelrecht hingerichtet.
By any means necessary. Nachrichtensperre. Der Innenminister tritt
zurück. Der Generalbundesanwalt wird in den Ruhestand entlassen.
Die offizielle Version: Wolfgang Grams habe den GSG9 Beamten Newrzella
erschossen und sich selbst getötet. Die Bundesregierung: Spricht
den Einsatzkräften, dem BKA und der BAW ihr volles Vertrauen
aus. By any means necessary. Die Niederlage der RAF ist eine Niederlage
der Linken. Forward: 27. Juni 2003, 10 Jahre nach dem Tod von Wolfgang
Grams: Glaubt den Lügen der Mörder nicht.
Am 27.
Juni 1993 schlug das Bundeskriminalamt (BKA) in Bad Kleinen gegen
die Rote Armee Fraktion (RAF) zu. Wolfgang Grams wurde laut Aussagen
von ZeugInnen von der GSG 9 hingerichtet, Birgit Hogefeld ist seither
in Haft. Die Staatsschutzaktion in Bad Kleinen offenbart öffentlich
das Ausmaß des staatlichen Vernichtungswillens gegen seine
radikalen und militanten Gegner und markiert zugleich eine schwere
Niederlage für die Linke in der Bundesrepublik Deutschland.
10 Jahre danach nehmen wir diese Ereignisse zum Anlass, um uns mit
diesem Kapitel linker Geschichte auseinanderzusetzen. Auch wenn
unsere Blickwinkel darauf durchaus sehr unterschiedliche sind, so
eint uns als Teile der radikalen Linken doch die Erkenntnis, das
dies auch unsere Geschichte ist. Das Bewusstsein für diese
wach zu halten und die in diesem Zusammenhang aktuellen politischen
Herausforderungen verantwortlich anzugehen, sind die Hauptanliegen
unserer Aktivitäten 10 Jahre nach dem Tod von Wolfgang Grams.
Geschichte wird gemacht, nehmen wir unsere in die eigenen Hände!
"No
matter how hard you try, you can`t stop us now" Rage
against the machine
Blick zurück nach vorn.
RAF, Bewegung 2. Juni oder die RZ entstanden in einer Zeit
weltweiter antikolonialer/antiimperialistischer Befreiungskämpfe.
Diese wirkten zurück in die kapitalistischen Metropolen, auch
in der Bundesrepublik Deutschland befand sich die Linke in den 60er
und 70er Jahren im Aufbruch und in relativer Stärke. Die Bewaffnung
der Linken war vor diesem Hintergrund kein abwegiges Konzept und
wurde von vielen Menschen getragen - anders wäre sie auch gar
nicht möglich gewesen. Der politische Kampf für die Abschaffung
der kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Verhältnisse,
die auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhen, war damals genauso
legitim, wie er es heute ist und in Zukunft bleiben wird.
Beendet wurde 25 Jahre später ein politisches Konzept, das
analytisch und organisatorisch offensichtlich schon seit längerem
an seine Grenzen gestoßen war. Eine Guerilla kann nur so gut
sein wie die Linke, deren Teil sie ist.
Beendet wurde eine Struktur, die sich für lange Zeit dem Zugriff
des Staates entziehen konnte und punktuell auf hohem organisatorischen
Niveau handlungsfähig war. Aus heutiger Sicht eine unglaubliche
Leistung.
Beendet wurde auch das existierende Beispiel der persönlichen
Konsequenz, mit den Privilegien des bürgerlichen Lebens in
der Metropole radikal zu brechen. Sicherlich die größte
Ausstrahlungskraft der bewaffnet Kämpfenden, weit über
die Linke hinaus. Wenn heute über den Bruch mit den Verhältnissen
diskutiert wird, ist das zumeist ein Gedankenspiel und nicht mehr
eine konkrete Option.
Bad Kleinen also: Endstation, nicht nur für das Leben einiger
GenossInnen, sondern auch für ein Kapitel linker Politik in
Deutschland. Die späteren Auflösungserklärungen der
RAF und einiger RZ wirken da wie nachgereichte Pflichtaufgaben.
Nicht beendet ist allerdings der offene Verlauf der Zukunft, wie
es uns so viele Apologeten kapitalistischer Verwertungslogik und
bürgerlicher Ideologie seit dem Zusammenbruch des Ostblocks
selbstbewusst predigen. Es gibt kein Ende der Geschichte! Unsere
Perspektive heißt Befreiung weltweit!
"Wenn
der Vorhang fällt, schau hinter die Kulissen."
Freundeskreis
Nichts ist vergessen und niemand!
Geschichte kann nicht objektiv oder gar neutral geschrieben
werden. In ihr liegt mindestens immer der Blickwinkel der Schreibenden,
ihr Standpunkt bestimmt die Perspektive. Was es geben kann, ist
die Sammlung von Tatsachen, wenn auch diese einem Deutungsinteresse
unterliegt.
Um den 20. Jahrestag von Stammheim herum gab es in den bürgerlichen
Medien einen breit angelegten Versuch, mit der die herrschende Version
von fast 25 Jahren bewaffneten Kampf in der BRD endgültig in
den Geschichtsbüchern festgeschrieben werden sollte. Dabei
bemühten sich nicht bloß die Organe des Staates, ihr
Handeln erneut zu rechtfertigen. Auch zahlreiche derer, die in den
60er und 70er Jahren für die Befreiung des Menschen aufgebrochen
waren, wußten nun authentisch von der Aussichtslosigkeit der
Stadtguerilla zu berichten und so ihre Distanz zu belegen.
In einem solchen Ausmaß war die Widerspruchslosigkeit dieses
Diskurses nur möglich, weil die bestehende Linke weder die
Aufmerksamkeit noch den Willen hatte, Kritik am Staat in die Öffentlichkeit
zu tragen, geschweige denn die Ziele und Motivationen der bewaffnet
Kämpfenden zu vermitteln. 10 Jahre nach Bad Kleinen wollen
wir einen Gegenpol zur bürgerlichen Geschichtsschreibung schaffen
und nicht nur in der Linken unsere Version der Geschichte zur Diskussion
stellen.
"Kopfschuss,
das war kein Selbstmord, das war Mord!"
WIZO
Don´t believe the hype.
"Nach ewig langen 20 Sekunden ist dann der tödliche
Schuß gefallen. Ein Kollege von der GSG 9 hat aus einer Entfernung
von Maximum 5 cm gefeuert." So schilderte ein anonymer Zeuge
des BKA kurz nach den Ereignissen von Bad Kleinen seine Beobachtungen
dem Nachrichtenmagazin Spiegel. Die Verkäuferin eines Kiosks
auf dem Bahnsteig berichtete einen ähnlichen Ablauf: Demnach
feuerten zwei Beamte der GSG9 aus nächster Nähe auf den
bereits reglos auf den Bahngleis Liegenden, ein weiterer hinzutretender
Polizist tötete Wolfgang Grams mit einem aufgesetzten Kopfschuss.
Bad Kleinen löste für kurze Zeit eine ernsthafte Staatskrise
aus. Als Problem wurden schließlich aber vor allem Pannen
bei der Öffentlichkeitsarbeit benannt, den beteiligten Polizeibehörden
politisch das Vertrauen ausgesprochen. Offiziell wird seither von
"Erschießung" sowie von "Tod unter ungeklärten
Umständen" gesprochen. Deutsche Gerichte haben bereits
ihr endgültiges Urteil "Selbstmord" gefällt.
Ohne dafür die politische Verantwortung tragen zu müssen,
bleiben so doch Fakten geschaffen: Alle wissen, was in Bad Kleinen
geschah und was damit auch zukünftig möglich ist. Ein
ähnliches Muster bei der Herstellung von gesellschaftlichen
Tatsachen, war - wenn auch inszenierter - bei der Diskussion um
die angeordnete Folter der Frankfurter Polizei beobachtbar. Der
Tabubruch ist auch hier vollzogen: Folter ist bei Bedarf möglich.
"Zivicops,
Kameras und Lauschangriff, das macht Ihr sicher nicht für mich,
denn ich brauch das nicht!" (Fettes Brot)
stop state-terrorism!
Verbanden einige Linksliberale mit der Regierungsbeteiligung
der Grünen noch die Hoffnung, nun würde an den §§
129 und 129a (Bildung einer kriminellen bzw. terroristischen Vereinigung)
gerüttelt, bleibt davon heute nicht mehr als Schulterzucken
übrig. Mit den Sicherheitspaketen nach dem 11. September 2001
wurde auch der § 129b, Bildung und Unterstützung einer
terroristischen Vereinigung im Ausland, aus den Amtsschubladen gezaubert.
Die Willkürlichkeit, mit der unliebsame Bewegungen je nach
weltpolitischer Interessenlage als legitime Befreiungskämpfer
beklatscht oder als blutrünstige Terroristen diffamiert werden
können, kennzeichnet den Begriff Terrorismus einmal mehr als
Propagandamittel. Das Wesen dieser staatlichen Verfolgungslogik,
die nicht eine konkret begangene Straftat zu Grunde legt, sondern
ganz unverhohlen zu erwartenden politischen Protest zu unterbinden
versucht, drückt sich ebenso in den Gefahrenabwehrgesetzen
oder den Beschränkungen der Reisefreiheit aus.
Die konkreten Auswirkungen solcherlei Kompetenzen für die Staatsschutzbehörden
hat die deutsche Linke in den letzten Jahren zur Genüge erfahren.
Wie im Verfahren gegen die Zeitung radikal. Oder mit den Ermittlungen
nach §§129 bzw. 129a gegen die Autonome Antifa [M] in
Göttingen oder die Antifa Aktion Passau. In den 90er Jahren
wurden weite Teile von legal angelegten politischen Strukturen überwacht
und durchleuchtet. Auch wenn es hier zu keinen Verurteilungen kam,
wurden die betroffenen Gruppen durch diese Frontalangriffe des Staates
doch erheblich geschwächt. Einem ähnlichen Druck ist jetzt
die Linke in Sachsen-Anhalt ausgesetzt. Die Konstruktion der Bundesanwaltschaft
hier: Aus der Gruppe "Autonomer Zusammenschluß Magdeburg"
soll sich eine terroristische Vereinigung gebildet haben.
In weitaus größerem Umfang sind von all diesen Befugnissen
aber die in Deutschland politisch aktiven MigrantInnen und Flüchtlinge
betroffen. So brauchte es bisher gar keines §129b, um beispielsweise
mit aller Härte gegen die türkische oder kurdische Linke
vorzugehen und damit dem NATO-Partner Türkei den Rücken
freizuhalten. 2003 jährt sich ebenfalls zum zehnten Male das
Verbot der Betätigung für die PKK. Ein Kurswechsel der
Bundesregierung an diesem Punkt ist nicht in Aussicht.
"Endlich
sind die Terroristen weg!" Jan Delay
free all political prisoners!
Birgit Hogefeld wurde 1996 zu lebenslanger Haft verurteilt.
Auch Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar, Eva Haule und Rolf Clemens
Wagner sind für ihre Mitgliedschaft in der RAF noch immer im
Knast. Die Angeklagten im Prozess gegen die Revolutionären
Zellen (RZ) sind von Haftstrafen bedroht, Lothar Ebke ist in Kanada
in Auslieferungshaft. Aus der kurdischen und der türkischen
Linken sitzen zahlreiche GenossInnen auch in deutschen Gefängnissen;
ebenso wie Thomas Meyer-Falk oder Rainer Dittrich.
Am 21. Januar 2003 wurde der Baske Paulo Elkoro in Nürnberg
festgenommen. Er befindet sich in Untersuchungshaft in der JVA Stadelheim.
Gegen ihn wird nach § 129b ermittelt, der spanische Staat verlangt
seine Auslieferung.
Am 27. November letzten Jahres wurden Marco Heinrichs und Daniel
Winter wegen des Vorwurfs festgenommen, eine terroristische Vereinigung
mit dem Namen "Kommando Freilassung aller politischen Gefangenen"
gegründet und zwei Anschläge im März 2002 begangen
zu haben. Dabei handelte es sich um einen nicht gezündeten
Brandsatz unter einem Fahrzeug des BGS in Magdeburg sowie den Wurf
eines Molotow-Cocktails gegen die Fassade eines LKA-Gebäudes.
Am 16. April 2003 wurde Carsten Schulze aus Magdeburg als weiterer
Beschuldigter festgenommen, die Vorwürfe gegen die Drei wurden
nun um diverse unaufgeklärte Anschläge der letzten Jahre
in der Region Magdeburg erweitert.
Dort wo sich Widerstand regt, der den Rahmen des Bürgerlichen
Gesetzbuches verlässt oder gesellschaftliche Bedeutsamkeit
erlangt, kann die Linke mit den Gegenschlägen des Staates rechnen.
Deutlich wurde dieses einmal mehr mit den Auseinandersetzungen um
die Gipfeltreffen; auch die Antifa- und "Antiglobalisierungsbewegung"
sind danach unmittelbar von Gefängnisstrafen betroffen. Der
Frage nach dem Verhältnis zu den politischen Gefangenen muss
sich die Linke stellen. Ohne dieses sind offensive Schritte der
Linken wie beispielsweise in Göteborg oder Genua nicht zu verantworten.
Die Bedrohung durch Knast kann nicht zum bloßen persönlichen
Risiko der Einzelnen und zum Problem der Angehörigen verkommen.
Politische Solidarität ist eine Aufgabe der Linken insgesamt.
Die deutsche Linke hat offenbar seit langer Zeit nicht mehr die
Kraft, durch öffentlichen Druck eine Verbesserung der Situation
der politischen Gefangenen durchzusetzen. Dennoch gibt es für
uns keinen Grund, die Hände an diesem Punkt sprachlos in den
Schoß zu legen. Fehlen uns auch die Mittel, die politischen
Gefangenen gesellschaftlich zu thematisieren, so haben wir dennoch
die Verantwortung, das Bewusstsein um die Gefangenen in der Linken
und die Anforderungen einer politischer und materieller Solidaritätsarbeit
anzupacken.
Wenn es die Absicht des Staates ist, einzelne GenossInnen mit Prozessen
und Knast auch in ihrer finanziellen Existenz zu bedrohen, dann
ist es die Aufgabe der Linken, diese Last auf viele Schultern zu
verteilen und Geld zu sammeln.
Wenn es die Absicht des Staates ist, Menschen durch Knastmauern
voneinander zu trennen, dann ist es die Aufgabe der Linken, diese
Mauern zumindest in unseren Diskussionen einzureißen, indem
wir die GenossInnen drinnen zum Teil der politischen Auseinandersetzungen
draußen machen.
Wenn es die Absicht des Staates ist, politische Ansätze wegzusperren,
dann ist es die Aufgabe der Linken, die Auseinandersetzung gerade
um diese Politik zu suchen.
Die Initiative
"zehn Jahre nach dem Tod von Wolfgang Grams" haben ergriffen:
Antifa Bad Homburg, Antifaschistische Aktion LEVerkusen - [AALEV],
Autonome Antifa [M] Göttingen, Komitee 18. März Münster,
Libertad!, Organisierte Autonomie (OA) Nürnberg, Soligruppe
Magdeburg / Quedlinburg
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Flugblatt
der Autonomen Antifa (M) zur Erschießung von Wolfgang Grams
(1993) |
Materialen
/ Archiv
Dokumentation:
5.Juli 1993 - Flugblatt der Autonomen Antifa (M) zur Staatsschutzaktion
in Bad Kleinen
WOLGANG
GRAMS ERMORDET!
Am Sonntag, 27. Juni 1993, wurde der in der RAF organisierte
Wolfgang Grams im mecklenburgischen Bad Kleinen von den Beamten
der Grenzschutzgruppe 9 (GSG9) ermordet. Birgit Hogefeld wurde festgenommen
und am Montag dem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofes in
Karlsruhe vorgeführt. Ihr wird neben "Mitgliedschaft in
einer terroristischen Vereinigung" versuchter Mord an dem ehemaligen
Staatssekretär des Bundesfinanzministeriums und heutigem Vize-Chef
der Bundesbank, Hans Tietmeyer, vorgeworfen.
DIE
STAATSSCHUTZAKTION
Mittlerweile ist klar, daß Wolfgang Grams von Beamten der
GSG9 hingerichtet wurde. In der eidesstattlichen Erklärung
einer Augenzeugin, die die Vorgänge auf dem Bahnhofsgelände
in Bad Kleinen mitverfolgt hatte, heißt es: "Der Mann
(gemeint ist Wolfgang Grams) lag reglos auf dem Gleis...ich dachte
schon, der Grams sei tot. Dann traten zwei Beamte an den reglos
daliegenden Grams heran. Der eine Beamte bückte sich und schoß
aus nächster Nähe mehrmals auf Grams. Dabei sah der schon
wie tot aus. Der Beamte zielte auf den Kopf und schoß aus
nächster Nähe, wenige Zentimeter vom Kopf des Grams entfernt"
(Monitor, 1. Juli 1993). Diese Aussage deckt sich mit dem Obduktionsergebnis,
das ergab, daß Wolfgang Grams durch einen aufgesetzten Kopfschuß
oder durch einen Schuß aus unmittelbarer Nähe in die
rechte Schläfe getötet worden ist. Wolfgang Grams Eltern
haben daraufhin Anzeige wegen Mordes erstattet. Seit Samstag, 3.
Juli 1993, schließt die Staatsanwaltschaft Schwerin einen
Selbstmord von Wolfgang Grams aus und ermittelt gegen die an der
Aktion beteiligten Beamten. Dem "Spiegel" (S.Juli 1993)
hatte ein selbst an der Aktion beteiligter Beamter erklärt,
daß Wolfgang Grams von einem GSG9-Bullen "regelrecht
hingerichtet" worden sei. Er habe sich auf Wolfgang Grams gekniet
und obwohl er keine
Gegenwehr
mehr geleistet habe, sei nach "etwa zwanzig Sekunden aus einer
Entfernung von maximal fünf Zentimetern gefeuert" worden.
Die Polizeiaktion, an der neben der GSG9 noch Beamte eines Mobilen
Einsatzkommandos (MEK) des Bundeskriminalamts (BKA) beteiligt waren,
hat Passantinnen schwer gefährdet. Ein anderer Polizist und
eine unbeteiligte Bahnbeamtin erlitten ebenfalls Schußverletzungen
(HNA, 28. Juni 1993). Ein GSG9'ler wurde ebenfalls getötet
- laut Generalbundesanwalt (GBA) Alexander von Stahl durch eine
Kugel, die wie ein "Dum-Dum-Geschoß" gewirkt hat.
Sie war wahrscheinlich ein Querschläger von schießwütigen
Kollegen. Höchstwahrscheinlich sagte der ehemalige Bundesinnenminister
Seiters auf der Beerdigung des GSG9'lers nur einmal die Wahrheit:
Dieser sei "ein Opfer roher Gewalt geworden".
Den Charakter der Festnahme beschreibt Birgit Hogefeld in einem
Brief: "Ich schau' in den Lauf einer Pistole und liege auf
der Erde. Ich werde dann von zwei bis drei Typen mit Waffen in Schach
gehalten, und mir war klar, daß ich keine falsche Bewegung
machen darf, wenn ich am Leben bleiben will [...] einer z. B. lief
dann zu mir, hob meinen Kopf hoch und haute mir ins Gesicht."
(taz, 2. Juli 1993)
Sie haben politischen Mord an ihm begangen, weil er gegen das Unrecht
aufgestanden ist, für das sie verantwortlich sind: An Flüchtlingen,
Frauen, Obdachlosen, Gefangenen, in Kurdistan, in der "Dritten
Welt",...Wolfgang Grams war ein Genosse in den Kämpfen
um Befreiung.
GLAUBT
DEN LÜGEN DER MÖRDER NICHT!
Über eine Woche nach dem Mord an Wolfgang Grams deckt noch
immer der oberste Ankläger des Rechtsstaates BRD, der GBA von
Stahl, einen Mord. Durch eine Mischung aus Nachrichtensperre und
Falschinformationen ist versucht worden, den politischen Mord an
Wolfgang Grams zu vertuschen. Zunächst hieß es, Birgit
Hogefeld und Wolfgang Grams seien aus einer Gastwirtschaft in der
Nähe des Bahnhofs gekommen und sie habe beim Anblick der GSG9
sofort das Feuer eröffnet. Diese erste Version der Wirklichkeit
war 42 Stunden aktuell - von Sonntag 19.05 Uhr bis Dienstag 13.43
Uhr. Dann hieß es, Wolfgang Grams hätte versucht, sich
den Weg freizuschießen und dabei einen Beamten tödlich
verletzt, weshalb es verständlich sei, daß die GSG9 auch
Wolfgang Grams erschossen habe. Bis jetzt gibt es noch keinen Beweis
dafür, daß er überhaupt einen Schuß abgegeben
hat. Aus der Lüge, die beiden hätten versucht, sich ihrer
Verhaftung "durch Schußwaffengebrauch zu entziehen"
wurde geschlußfolgert, beide gehören der "RAF-Kommandoebene"
an (FR, 29. Juni 1993) - (die sogenannte Kommandoebene ist eine
Erfindung von Juristen, um Mitglieder derselben für Delikte
aburteilen zu können, ohne daß eine konkrete persönliche
Beteiligung bewiesen werden muß).
Aus zwanzig am Einsatz beteiligten Beamten wurden fünf Tage
später bereits 54.
DIE
HAUSDURCHSUCHUNGEN
Am Montag, 28. Juni 1993, einen Tag nach dem Mord an
Wolfgang Grams, wurden in Frankfurt am Main ab 4.00 Uhr morgens
mindestens vier Wohnungen durch SEK-Einheiten durchsucht. Der Staatsschutz
sprach dabei von einer bundesweit stattfindenden, von Bundesanwaltschaft
(BAW) und BKA geleiteten Aktion. Begründet wurde der Einsatz
damit, daß die Betroffenen "doch sicherlich Nachrichten
gehört hätten" und die Beamten auf der Suche nach
"flüchtigen Straftätern" wären. Betroffen
von den Durchsuchungen waren unter anderem ehemalige Gefangene aus
der RAF und Mitglieder der Gruppe "Kein Friede mit den Banken".
Fast überall wurden die Türen aufgebrochen, zum Teil sogar
mit Plastiksprengstoff, die Wohnungen mit gezogenen Knarren gestürmt.
Zumindest in einer Wohnung wurden den Angetroffenen Handschellen
angelegt und Kapuzen über den Kopf gezogen bzw. die Köpfe
mit Hemden eingewickelt, damit sie nichts sehen konnten. In SA-Manier
stürmten vermummte SEK'ler die Wohnung einer ausländischen
Frau "aus Versehen", sie hatten sich scheinbar in der
Tür geirrt.
Dem Staatsschutz ging es offensichtlich um "Personenfeststellung",
da die Wohnungen kaum nach sonstigen Sachen durchsucht worden sind.
Nach Einschätzung der Genossinnen aus Frankfurt handelte es
sich bei den Durchsuchungen um ein gezieltes psychologisches Terrormittel
zur Einschüchterung der Leute, um einer Solidaritätsarbeit
zuvorzukommen und um zu beweisen, wer in diesem Land nach wie vor
das Sagen hat. Und daß die, die es wagen, hier Widerstand
zu leisten, jederzeit damit rechnen müssen, auf die eine oder
andere Weise vom Staat bekämpft zu werden. In Wiesbaden wurden
vier Wohnungen durchsucht und die Personalien der anwesenden Leute
festgestellt.
Auch in Dortmund war der Staatsapparat aktiv. Auf der A44 wurde
ein Autofahrer durch eine absichtlich herbeigeführte Kollision
gestoppt und erlitt dabei so schwere Verletzungen, daß er
ins Krankenhaus eingeliefert werden mußte. Sieben Menschen
wurden verhaftet und stundenlang ohne Kontakt zu Anwälten in
Einzelhaft gehalten (taz, 2. Juli 1993).
DEUTSCHE
POLIZISTEN - MÖRDER UND FASCHISTEN
Die Ermordung von Wolfgang Grams durch die Polizei
war beileibe kein "ungeheuerlicher Einzelfall in der Geschichte
der BRD", wie vielerorts zu lesen war. Seit Bestehen der BRD
sind in diesem Land Genossinen und Genossen durch den Staatsschutz
getötet worden. Wir möchten an dieser Stelle an die Genossinnen
und Genossen erinnern, die einer gezielten Exekution zum Opfer fielen:
Petra Schelm, Hamburg, 15. Juli 1971; Georg von Rauch, Berlin, 4.
Dezember 1971; Thomas Weißbecker, Augsburg, 2. März 1972;
Ulrich Wessel, Stockholm, 25. April 1975; Philipp Werner Sauber,
Köln, 9. Mai 1975; Ulrike Meinhof, Stuttgart-Stammheim, 8.
Mai 1976; Wilfried Böse, 30. Juni 1976; Andreas Baader, Jan-Carl
Raspe und Gudrun Ensslin, Stuttgart-Stammheim, 18. Oktober 1977;
Willy-Peter Stoll, Düsseldorf, 6. November 1978; Michael Knoll,
Dortmund, 25. November 1978; Elisabeth van Dyck, Nürnberg,
4. Mai 1979.
Die BRD ist direkt unter anderem an der Ausbildung türkischer
Sicherheitskräfte beteiligt. Das offizielle Programm der Bundesregierung
für diese Zwecke nennt sich "Ausstattungshilfe",
hinter der sich neben der direkten Ausbildung von Militär und
Polizei auch die Lieferung von Rüstungsgütern verbirgt.
Damit wird der Krieg gegen das kurdische Volk und die Bekämpfung
linker Kräfte erst ermöglicht. , Von einem Staat, der
faschistische Terror- und Folterregimes ideologisch und materiell
unterstützt, der sich in seiner Geschichte des mehr als dreißigfachen
Mordes an linker Opposition schuldig gemacht hat und der selbst
den Tod seiner eigenen Büttel in Kauf nimmt, ist nichts anderes
zu erwarten wie die Geschehnisse in Bad Kleinen.
LIZENZ
ZUM TÖTEN
Es ist mehr als zweifelhaft, daß die Hinrichtung
von Wolfgang Grams entgegen den Einsatzbefehlen erfolgte. Schon
die Zeugenaussagen machen deutlich, daß es sich bei der Bluttat
nicht um einen Affektakt gehandelt hat. Die GSG9 ist nach Informationen
ihres langjährigen Kommandeurs Ulrich Wegener "ein Spezialverband",
der "hervorragend ausgebildet, hoch mobil, überlegen und
unkonventionell ausgestattet für jede taktische Herausforderung
eine Lösung parat hat". Die Beamten unterliegen neben
ihrer Kampfausbildung einem ausgefeilten psychologischen Programm.
Wegener beschreibt den Idealtyp eines GSG9 Söldners als "überdurchschnittlich
intelligent und streßstabil". Schon beim Eignungstest
steht dem praktischem Teil ein "Psychologie/Theorie-Teil"
gegenüber. Der Truppe steht außerdem eine "geschulte
Verhandlungsgruppe Psychologen" Gewehr bei Fuß (U. Wegener
in "Barett o Internationales Militärmagazin", Januar
1993). Der Einsatz selber stellte die GSG9 wohl kaum vor ernsthafte
Probleme. Eine Festnahme wie auf dem Bahnhof von Bad Kleinen ist
eine reine Routineangelegenheit. Trotzdem war im nachhinein allerorten
von Einsatzpannen die Rede. Das Bild, das über eine derartige
Argumentation transportiert wird, suggeriert, die GSG9 oder andere
Spezialeinheiten würden Unbeteiligten gegenüber verantwortungsbewußt
handeln und keine Risiken in Kauf nehmen. In den inzwischen knapp
über zwanzig Jahren ihres Bestehens hat die GSG9 eine Blutspur
hinterlassen, die auch vor Unbeteiligten nicht halt gemacht hat.
Die Kommandeure und Strategen der Spezialeinheit haben immer auf
die militärische Lösung gesetzt und die schließt
Opfer unter der Zivilbevölkerung mit ein.
Die Hinrichtung von Wolfgang Grams war nicht das Ergebnis mangelnder
psychologischer Belastbarkeit einzelner Beamter, sondern die an
diesem Fall offenkundig gewordene Kaltblütigkeit ist strategischer
Bestandteil der sogenannten Anti-Terror-Einheiten. Nicht umsonst
bezeichnet Wegener allein das Vorhandensein und den Ruf der GSG9
als "abschreckend gegenüber terroristischen Aktivitäten."
Wenn jetzt aus Kreisen bürgerlicher Opposition und Teilen der
Regierungsparteien politische Konsequenzen eingefordert werden,
so richtet sich die Kritik ausschließlich gegen die politischen
Repräsentanten des Apparates. Ihr einziger Fehler war, daß
sie sich und den blutigen Polizeieinsatz lediglich schlecht verkaufen
konnten. Doch mit dem Austausch der Spitze wird der Rest des polizeistaatlichen
Eisberges nicht abtauen.
Eine vorläufige, spürbare Veränderung wäre ein
Abbau des Polizeiapparates selbst, also die Auflösung aller
Spezial- und Sonderkommandos der Polizei.
DIE
"UNABHÄNGIGKEIT" DER BRD
Wir müssen feststellen, daß dieser Staat unabhängig
von politischen Rahmenbedingungen an der Vernichtung revolutionärer
Opposition festhält. "Unabhängig" vom Einschnitt
der RAF in ihrer Geschichte mit ihrer Erklärung vom April letzten
Jahres, die Eskalation im Verhältnis zum Staat zurückzunehmen,
werden die vernichtenden Haftbedingungen weiter angewendet, werden
die Haftstrafen mit immer neuen Prozessen noch weiter hochgetrieben,
um die Gefangenen bis zu ihrem Tod im Knast zu begraben. Die RAF
hatte eine Antwort des Staates erwartet. Die Hinrichtung von Wolfgang
Grams gab eine unmißverständliche Antwort.
Am 24. Mai dieses Jahres begann in Stammheim der "Kronzeugenprozeß"
gegen Ingrid Jakobsmeier, einer Gefangenen aus der RAF. Gegen Christian
Klar, ebenfalls Gefangener aus der RAF, wurde bereits nach gleichem
Muster im Herbst 1992 prozessiert. Er ist mittlerweile zu sechs
Mal lebenslänglich plus fünfzehn Jahre verurteilt. Weitere
Prozesse gegen Gefangene aus der RAF sollen nach dem Willen der
BAW folgen: gegen Heidi Schulz, Eva Haule, Rolf-Clemens Wagner.
Welchen Sinn diese neuen Verfahren machen, an deren Ende jedes Mal
ein "Lebenslänglich" stehen könnte, formulierte
GBA von Stahl in Bezug auf Christian Klar wie folgt: "Mit dem
Urteil ist sichergestellt, daß Christian Klar nicht nach fünfzehn
Jahren aus der Haft entlassen werden kann". Isolationshaft,
international als weiße Folter geächtet, erwartet nun
auch Birgit Hogefeld. Sie schreibt: "Nach dem Telefonat (mit
ihrer Mutter) hat der Bundesanwalt damit angefangen, daß mir
wohl klar sei, daß es für mich keine Hoffnung gäbe,
jemals wieder ein Leben in Freiheit zu führen, wenn ich nicht
mit ihnen zusammenarbeite".
"Unabhängig" von einem sich organisierenden (Neo-)Faschismus,
von dutzendfachen faschistischen Morden, kriminalisiert der Staat
Antifaschistinnen und Antifaschisten. Seit Jahren laufen auch in
Göttingen Ermittlungen nach § 129a gegen den Autonomen
Antifaschismus. "Unabhängig" von einer demokratischen
Fassade, exekutiert die GSG9 auf einem belebten Bahnhof vor vielen
Zeugen Wolfgang Grams. Dies ist kein Aufruf, die Flinte ob der scheinbar
vergeblichen Bemühungen, hier etwas zu verändern, ins
Korn zu werfen. Im Gegenteil. Die, die weiterhin Widerstand leisten,
sind aufgerufen, sich untereinander solidarisch zu verhalten, auch
wenn unterschiedliche Wege beschritten werden. Revolutionärer
Widerstand wird an dem Punkt stark, wo sich die unterschiedlichen
Kämpfe in ein und denselben Zusammenhang stellen, wo sich dem
imperialistischen System offensiv und organisiert entgegengestellt
wird.
BUNDESWEITE
DEMO IN WIESBADEN
Birgit Hogefeld und Wolfgang Grams kommen beide aus
Wiesbaden und haben dort viele Jahre politisch gearbeitet. Wolfgang
Grams war in den 70er Jahren in der "Roten Hilfe" tätig,
hat während verschiedener Hungerstreiks für die Forderungen
der politischen Gefangenen gekämpft, hat Demos gegen die NATO-Politik
mitorganisiert. Er war für uns ein Genosse im "Karr"
gegen die Verbrechen des Imperialismus. Wir rufen daher dazu auf,
am. Samstag in Wiesbaden zu demonstrieren.
o GEMEINSAM
DEN KAMPF UM BEFREIUNG ORGANISIEREN
o SOFORTIGE AUFLÖSUNG DER GSG9
o ABSCHAFFUNG ALLER SONDEREINHEITEN DER POLIZEI
o FREIHEIT FÜR ALLE GEFANGENEN AUS RAF, WIDERSTAND UND ANTIFA
AUTONOME
ANTIFA (M) 5. Juli 1993
Samstag,
10. Juli 1993, um 11 Uhr, Luisenplatz, Wiesbaden
Bundesweite Demonstration
Kundgebung in Bad Kleinen, Bahnhof, 11, Juli 1993,15.00 Uhr
INFORMATIONEN
ZUR BUNDESWEITEN DEMONSTRATION:
DONNERSTAG, 8. JULI 1993, 30 UHR, GRÜNES ZENTRUM, GEISTSTR.
1, 37073 GÖTTINGEN
leinen |
Artikel
der Autonomen Antifa (M) in der Massenzeitung zum 10. Todestag von
Wolfgang Grams |
In
Bewegung bleiben
Autonomer Antifaschismus zehn Jahre nach Bad Kleinen - eine Bestandsaufnahme
der Autonomen Antifa [M]
BRD, frühe
90er Jahre: Die kapitalistische Welt feiert den Sieg über den
Realsozialismus. Bürgerliche Ideologen verkünden das "Ende
der Geschichte" und lassen die längst begraben geglaubte
Totalitarismusthese - "Kommunismus = roter Faschismus"
- wiederauferstehen, während in der Realität der Neonazis
täglich mit rassistischen Morden und Angriffen die Schlagzeilen
füllen.
Finstere Zeiten also für die Linke. Ihr bleibt wenig mehr als
der Abwehrkampf gegen Nazis und die reaktionäre gesellschaftliche
Entwicklung. Versuche, wieder in die Offensive zu gehen, scheitern
letztendlich. Zwar sorgt die RAF mit der Sprengung des Knastneubaus
in Weiterstadt für Jubel in der radikalen Linken, und ihre
Signale, auf die Bewegung jenseits des Untergrunds zugehen zu wollen,
stoßen auf durchaus positive Resonanz, weshalb die Verfolgungsbehörden
"Blutzufuhr von Antifaschisten" für die RAF befürchten.
Doch der Staat holt zum Gegenschlag aus:1993 wird in Bad Kleinen
faktisch das Ende von zwei Jahrzehnten bewaffnetem Kampf in der
BRD eingeläutet. Der "Sympathisantensumpf" soll dann
1994 mit dem §129/129a- Verfahren gegen die Autonome Antifa
[M]und 1995 gegen die Zeitung "radikal" trockengelegt
werden. Für manche, die sich in den Auseinandersetzungen und
Kämpfen der 80er politisiert haben, scheint mit Bad Kleinen
nicht nur der bewaffnete Kampf, sondern die gesamte radikale Linke
am Ende.
Durch
die Wüste -
In diese Phase fiel die Debatte um die Organisierung der verbliebenen
autonomen Bewegung, die 1992 in der Gründung der Antifaschistischen
Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) mündete. Schon in den
späten 80ern hatten Teile der Autonomen den Bereich "Antifa"
als Politik- und Politisierungsansatz aufgegriffen. Auch kritisierten
sie, dass die "klassische" autonome Bewegung mit ihrem
spontaneistischen Vorgehen und ihrer Nischenpolitik in eine Sackgasse
geraten war und den gesamtgesellschaftlichen Angriff auf alles,
was noch Kapitalismuskritik zu üben wagte, nicht überstehen
würde. Zur Überwindung dieser Schwächen wurde der
Versuch unternommen, dem durch organisatorische und inhaltliche
Verbindlichkeit, bundesweite Zusammenarbeit und gesellschaftliche
Vermittlung zu begegnen.
Trotz massiver Kritik, die der Bewegung von Anfang an aus den eigenen
staatsfeindlichen Reihen entgegenschlug - die Vorwürfe reichten
von "Stalinismus" bis "Reformismus" - wurde
das "Konzept Antifa" zur prägenden Bewegung der 90er.
Einerseits hatte sie richtig eingeschätzt, dass die konkrete
Auseinandersetzung mit Neonazis nicht nur ein vorrangiges Problem
der Linken werden würde, sondern auch ein Punkt, an dem sich
viele neu politisieren würden. Zum anderen wurde Antifa-Politik
nie als Ein-Punkt-Bewegung gegen Nazis verstanden, sondern als Kampf
gegen die kapitalistischenVerhältnisse, die den Faschismus
hervorbringen - und die an sich schon mörderisch genug sind.
Die Bezugnahme auf den Schwur von Buchenwald: "Die Vernichtung
der Wurzeln des Faschismus ist unser Ziel", und die damals
verbreitete Parole "Kampf dem Faschismus heißt Kampf
dem imperialistischen System" drücken den Zusammenhang
zwischen konkreter Anti-Nazi-Mobilisierung und revolutionärer
Politik und Geschichte aus. Dementsprechend war internationalistische
und antiimperialistische Politik ein selbstverständlicher Teil
der eigenen Praxis.
Der Staatschutzangriff
von Bad Kleinen, der das faktische Ende der RAF bedeutete, fiel
in die Zeit eines innerlinken Generationswechsels. Daraus erklärt
sich, dass Teile der Politgeneration, die mit einer autonomen Massenbewegung,
Straßenkampf, Kommandomilitanz und der Stadtguerilla als untrennbarem
Bestandteil der radikalen Linken aufgewachsen war, anhand deren
Scheitern die endgültige Niederlage der revolutionären
Linken konstatierte.
Für die Antifa-Bewegung stellt sich dies etwas anders dar.
Sie war schon unter der Voraussetzung angetreten, auch unter schweren
Bedingungen eine radikale Praxis aufrechtzuerhalten und, wenn möglich,
neu aufzubauen. Für viele, die sich in dieser Zeit politisierten,
war der Staatsschutzangriff von Bad Kleinen ein Ereignis, an dem
sich entschied, auf welcher Seite der Barrikade man stand. Die Positionierung
fiel deutlich aus: Trotz vorhandener Kritik an der militärischen
Strategie oder einzelnen Aktionen der bewaffneten Gruppen sah man
sie als legitimen Teil der radikalen Linken, und der Schlag gegen
die RAF wurde als Angriff gegen die linke Systemopposition insgesamt
begriffen.
Dieses kritisch-solidarische Verhältnis und ein grundsätzliches
Verständnis von Militanz als Komponente des politischen Kampfs
stellen eine Grundkonstante im Selbstverständnis der Antifa
dar. Dies ist zum einen auf die Kontinuität der Bewegung zurückzuführen,
zum anderen auf die konkrete Praxis: Wer sich im Kampf gegen Nazis
politisiert, stellt schnell fest, dass Lichterketten kein probates
Mittel gegen die faschistische Brutalität darstellen, und auch
die militante Konfrontation mit dem Staat liegt dann nicht fern:
Sei es in der Erfahrung, dass in diesen Jahren die Nazis als Wegbereiter
der staatlichen rassistischen Politik fungierten, sei es in Auseinandersetzungen
der Polzei, die das Gewaltmonopol des Staates aufrechterhalten sollen.
Dies hat dazu geführt, dass in der Autonomen Antifa, im Gegensatz
zu anderen Politikfeldern wie etwa der Anti-Atom-Bewegung, nicht
alle Jahre wieder die "Gewalt"-Diskussion geführt
werden muss.
Die Auflösung
der Stadtguerilla war für die Antifa-Bewegung nicht das Ende
linksradikaler Politik, denn im Vordergrund stand die eigene Praxis:
Das Eingreifen in aktuelle Konflikte und die Schaffung einer Öffentlichkeit
für linke Positionen. Der bewaffnete Kampf war dabei ein Bezugspunkt
unter vielen, wenn auch ein wichtiger. Der Versuch, in eine Diskussion
mit dessen ProtagonistInnen zu treten, die nicht den staatlich geforderten
Abschwörungseid geleistet haben, erwies sich jedoch als schwierig.
Nur wenige derer, die die staatliche Killfahndung überlebt
haben, waren gewillt oder in der Lage, auf die heutige Linke zuzugehen.
Gerade die RAF hatte schon allzulange abgetrennt von der Dynamik
der Straße agiert, und auch die zerstörenden Auswirkungen
jahre- bis jahrzehntelanger Isolationsfolter kamen zum Tragen. Und
nicht zuletzt fühlte sich der Staat auf den Plan gerufen: Unter
anderem ein Plakat mit der Parole "Zusammen gehört uns
die Zukunft", auf dem die Initiative "Kunst und Kampf"
den "Schwarzen Block" vor der Weiterstädter Bauruine
demonstrieren ließ, veranlasste eifrige Staatsanwälte,
nach §129a - "Werbung für eine terroristische Vereinigung"
- gegen die Autonome Antifa [M] zu ermitteln.
Das Verfahren gegen 17 Angeklagte, das der Gruppe jahrelange Antirepressionsarbeit
als Schwerpunkt aufzwang, machte einmal mehr die Funktion der Gesinnungs-
und Durchleuchtungsparagraphen 129, 129a und nun auch 129b deutlich,
die einem ideologischen Kontaktsperregesetz gleichkommen. Wie häufig
in solchen Fällen, blieb von den ursprünglichen Anklagepunkten
nicht viel übrig, so dass das Verfahren schließlich gegen
Auflagen eingestellt wurde. Das primäre Ziel des Staatsschutzes,
Einblick in linke Zusammenhänge zu gewinnen und demonstrativ
den Kriminalisierungsknüppel zu schwingen, war jedoch erreicht
worden.
Dies sollte zwar vorsichtig machen, aber niemanden davon abhalten,
sich mit der Frage des bewaffneten Kampfs auseinanderzusetzen und
andere Schlüsse als die staatlich erwünschten zu ziehen
- solange es linken Widerstand gegen die kapitalistische Ordnung
gibt, wird er sich mit der Repression konfrontiert sehen. Dass der
Staat dafür keine Stadtguerilla als Anlass braucht, zeigt ein
weiteres "Jubiläum" des Jahres 2003: Vor 125 Jahren
wurde der §129 unter der Bezeichnung "Gesetz wider die
gemeingefährlichen Bestrebungen der Social- Demokratie"
erstmals ins Strafgesetzbuch aufgenommen - besser bekannt als "Sozialistengesetz".
-
in die Zwischeneiszeit -
Auch die Antifa-Bewegung blieb nicht vom fortgesetzten
Niedergang der Linken in der zweiten Hälfte der 90er verschont.
Während zwanzig Jahre nach den "Stammheimer Selbstmorden"
die öffentliche Festschreibung der staatlichen Geschichtsversion
inszeniert wurde und ungefähr zeitgleich verschiedene RZs sowie
die RAF ihre Auflösung bekanntgaben, war die radikale Linke
mit ihrer eigenen Selbst-Dekonstruktion beschäftigt und nicht
in der Lage, gesellschaftlich wahrnehmbar zu reagieren. "Unfähig,
oder die Bedeutung von dem, was ihr gerade angetan wird, nicht erkennend,
läßt sich die Linke einen Teil ihrer eigenen Geschichte
nehmen", befand die antifaschistische Zeitung "EinSatz!"
im November 1997. Stattdessen hatte die radikale Linke mit resignativen
Tendenzen zu kämpfen, deren unausgesprochene Devise "Wer
nichts macht, kann auch nichts verkehrt machen" sich auch in
der Abwicklung des bewaffneten Kampfs zu bestätigen schien.
Diese Perspektivlosigkeit kam nicht von ungefähr. Hatte in
den frühen 90ern der "rechte Vormarsch" von Faschisten,
Vertriebenenverbänden, Burschenschaften und anderen reaktionären
Kräften seinen Ausgang genommen, begannen nun große Teile
der 68er-Generation mit der Abwicklung der eigenen Geschichte und
revolutionärer Politik generell. Schließlich standen
einige ihrer VerteterInnen kurz vor dem Ziel ihres Marschs durch
die Institutionen und mußten sich glaubhaft von ihrer Vergangenheit
als Straßenkämpfer, RAF-Anwälte oder KB- Aktivisten
distanzieren. Die Definitionsmacht über "linke" Politik
lag fortan in den Händen der Regierung : Zivilgesellschaftliche
Befriedungskonzepte statt Militanz, humanitäre Kriege und ein
starker Staat als Antifa sollten linker Systemopposition die Grundlage
nehmen.
In diese
Zeit fällt die Auflösung der AA/BO im Frühjahr 2001.
Das Ende der bundesweiten Organisierung ist jedoch keinesfalls mit
dem Ende des "Antifa"-Konzepts gleichzusetzen. Noch immer
erweisen sich diejenigen Gruppen als die handlungsfähigsten,
die kontinuierlich in verschiedenen linken Themenbereichen aktiv
sind, und die versuchen, in gesellschaftlich relevante Konflikte
einzugreifen. Auch der Organisierungsgedanke spielt zumindest in
regionalen Vernetzungen weiterhin eine Rolle. Der Ansatz "Antifa"
besitzt also noch immer genug prakttische Substanz, um auch auf
Jüngere attraktiv zu wirken und zu deren Politisierung beizutragen.
Somit ist inzwischen auch in der Antifa eine neue linke Generation
herangewachsen, deren erster Zugang zu RAF, 2.Juni & Co. nicht
durch deren Aktionen oder durch innerlinke Streitigkeiten über
nurmehr historische Details erfolgt, sondern auf kultureller Ebene.
Zwar sind dort explizit politische Statements wie Jan Delays "Söhne
Stammheims" eher selten, dominierender ist die unpolitische
Darstellung von Baader, Meinhof &Co. als Pop- Ikonen. Dies kann
jedoch durchaus das Interesse wecken, sich auch mit den politischen
Hintergründen des bewaffneten Kampfs zu befassen.
Auch die eigenen Erfahrungen führen zu einer anderen Herangehensweise
an radikale Politik. Mit der "Antiglobalisierungs"bewegung
haben sich neue gesellschaftliche Spielräume für Kapitalismuskritik
aufgetan, und der "Summer of resistance" war eine Art
Schnellkursus über die (potentielle) Stärke eines militanten
Antikapitalismus wie auch die reale Schwäche der unorganisierten
Bewegung, mit der staatlichen Repression umzugehen.
Problematisch war hier das mangelnde Bewußtsein darüber,
dass die Herausforderung des Systems eine ernste Sache ist und tödliche
Folgen oder zumindest längere Knastaufenthalte nach sich ziehen
kann. Es folgte das übliche Reaktionsmuster auf den staatlichen
Gegenschlag: Rückzug und Distanzierung der einen, Radikalisierung
der anderen. Eine politische Auseinandersetzung darüber wurde
zwar angestoßen, die Anschläge vom 11. September und
die Neue Weltkriegsordnung stellten die Linke aber erst einmal vor
andere Probleme. Erst kürzlich haben Massenproteste als auch
die Zerlegung der Innenstädte von Genf und Lausanne anläßlich
des G8-Gipfels jedoch gezeigt, dass der Widerstand gegen die globale
Wirtschaftsordnung zäher ist, als die Polizei erlaubt.
- bis
zum Ende der Gewalt
Die aktuelle politische Situation bietet genug Anlass zum Widerstand:
Globaler Kriegszustand, die weltweite kapitalistische Offensive
und der Ausbau des Hochsicherheitsstaats scheinen endgültig
nur die Alternative offenzulassen: "Sozialismus oder Barbarei".
Die Linke ist zugegebenermaßen nicht in der besten Position,
um dieser Herausforderung zu begegnen. Es wäre aber zu kurz
gegriffen, daran allein den gesellschaftlichen Umständen die
Schuld zu geben. Die radikale Linke selbst hat die Wahl, ihre marginale
Rolle zum Programm zu erklären und sich in antipolitische Diskussionszirkel
zurückzuziehen , oder den Versuch zu unternehmen, gesellschaftliche
Relevanz wiederzuerlangen. Dies hängt nicht von der Existenz
oder Nichtexistenz einer Stadguerilla ab, sondern von der eigenen
Aktivität. Ein bewaffneter Arm einer Bewegung macht eben nur
dann Sinn, wenn überhaupt ausreichend Bewegung vorhanden ist
- wovon momentan keine Rede sein kann. Ob dies für immer so
bleiben wird, liegt nicht zuletzt an der revolutionären Linken
selbst.
"So lange das Herz der Bestie schlägt und jeden Tag aufs
Neue kapitalistische Barbarei produziert, so lange wird es auch
den Kampf um Befreiung geben. Die Mittel dazu wird sich die Linke
nicht von ihren Gegnern diktieren lassen", schrieb die "EinSatz!"
zur Auflösung der RAF 1998. Dem ist nichts hinzuzufügen.
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Plakat |
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Animated
gif´s |
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Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt aus dem gut animierten Head der
Seite www.bad-kleinen.tk
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Animated gif der Autonomen Antifa (M) mit der Bitte um Verbreitung
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