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Blind ins Verderben

junge welt, 28.11.2003

US-Spezialeinheit soll Widerstand in Irak aufklären. Zweitwichtigste Pipeline in Brand

Rainer Rupp

Vor dem Hintergrund zunehmender Angriffe gegen die US-Besatzer und ihre Helfer, wozu auch am späten Mittwoch abend ein Raketenbeschuß der italienischen Botschaft in Bagdad gehörte, feierten die US-Soldaten in ihren festungsartig geschützten Basen am Donnerstag Erntedankfest, den »Thanksgiving Day«. Allerdings hat nur der Tod dieses Jahr im Irak reiche Ernte eingefahren, mit inzwischen 435 seit Kriegsbeginn getöteten US-Soldaten und Tausenden ermordeten irakischen Soldaten und Zivilisten. Und statt des vor wenigen Wochen mit großem Propagandarummel angekündigten Abzugs von Soldaten hat jetzt US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld die Verstärkung der US-Truppen im irakischen Kampfgebiet um weitere 3 000 Marineinfantristen und 7 900 Reservisten von der National Guard angekündigt.

Eine Wende erhofft sich Washington von den Spezialeinheiten von David Kay, die bisher im Irak vergeblich nach den »überall vorhandenen und jederzeit einsatzbereiten Massenvernichtungswaffen« gesucht haben. Da es den US-Streitkräften im Irak an zuverlässigen Aufklärungsergebnissen mangelt, bewegen sie sich quasi blind auf feindlichem Gebiet. Derzeit gibt es etwa 40 Angriffe täglich auf die Besatzer. Von der Kay-Truppe, die hauptsächlich aus Mitarbeitern der US-Nachrichtendienste und Sprachexperten besteht und bereits seit zwei Wochen für die Army arbeitet, verspricht sich das US-Oberkommando nun eine rapide Verbesserung ihrer Schlagkraft gegen die Widerstandskämpfer. Für die Fortführung der Suche nach Massenvernichtungswaffen hatte der US-Kongreß kürzlich weitere 600 Millionen Dollar bewilligt, aber offensichtlich ist die Suche nach den irakischen Freiheitskämpfern noch wichtiger geworden.

Inzwischen hat sich der Widerstand auch auf die zwei Millionen Einwohner zählende Stadt Mosul, das wirtschaftliche Zentrum Nordiraks, ausgeweitet. In Mosul bilden zwar auch die Sunniten die Bevölkerungsmehrheit, aber im Unterschied zu Städten wie Ramadi, Falludscha und Tikrit, welche gegen die Besatzer rebellierten, waren die Amerikaner in Mosul ursprünglich als Freunde willkommen. Damit dies auch so bleibt, hatte die 101. US-Division große Anstrengungen unternommen, um die Infrastruktur der strategisch wichtigen Öl-Stadt wieder flott zu machen. Das seither vielbeschworene Band der Freundschaft zwischen Amerikanern und Irakern in Mosul scheint indes zerrissen. Bei einer Reihe von Angriffen sind allein in diesem Monat bereits 25 Amerikaner in der Stadt getötet worden.

Zu allem Überfluß drohen den US-Besatzern nun auch von schiitischer Seite neue Probleme. Der wohl einflußreichste religiöse Führer, Großajatollah Ali Sistani, hat sich resolut gegen die amerikanischen Pläne für eine indirekte Wahl im Juni 2004 ausgesprochen, bei der erst die gewählten Delegierten die neue irakische Regierung bestimmen sollen. Sistani verlangt statt dessen eine Direktwahl — und, daß die neue Regierung einen deutlich sichtbareren islamischen Charakter hat.

Derweil brennt etwa 200 Kilimeter nördlich von Bagdad die zweitwichtigste Pipeline des Irak, welche die Ölfelder im Norden mit der größten Raffinerie des Landes verbindet, lichterloh. Die nördliche Pipeline, die Öl von Kirkuk in die Türkei bringen soll, hatte nur im August für wenige Tage funktioniert, bevor wiederholte Angriffe auf Leitung und Pumpstationen die Besatzer zwangen, sie zur Reparatur abzuschalten. So muß auch weiterhin Öl in das ölreiche Irak eingeführt werden.


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