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Bauernbewegungen in Indien / KRRS

Im Zuge der Liberalisierung des Welthandels verelendet ein immer grösserer Teil der Weltbevölkerung, so auch in Indien. Gleichzeitig finden Proteste von Hunderttausenden von Indern und Inderinnen statt, gerichtet gegen die multinationalen Konzerne und gegen die Institutionen, die die Globalisierung der Wirtschaft fördern.

« Hunderttausende von Bauern und Bäuerinnen in ganz Indien protestieren gegen Monsanto. Am 28. November 1998 setzten sie das erste Feld in Brand, auf dem Monsanto Feldversuche mit genetisch manipuliertem Saatgut durchgeführt hat. Die Feldversuche liefen seit drei Monaten, die Öffentlichkeit hat aber erst kürzlich davon erfahren. Aktivisten und Aktivistinnen der Bauernbewegung stürmten am 1. Dezember das Bürogebäude von Monsanto in Hyderabad, woraufhin die Regierung des Bundesstaats Andhra Paresh Monsanto aufforderte, die Feldversuche in diesem Staat abzubrechen. » Dies berichtet ein Aktivist der Bauernbewegung des Staats Karnataka (KRRS). Das von Monsanto getestete Saatgut ist nicht nur resistent gegen den Baumwollwurm, sondern auch steril, das heisst, es kann sich nicht vermehren. Wird das Saatgut wie von Monsanto geplant vermarktet, können die Bauern nicht mehr, der Tradition gemäss, einen Teil der Ernte zur Wiederaussaat zurückbehalten. Statt dessen müssen sie neues Saatgut von Monsanto kaufen und verschulden sich damit weiter. « Gleichzeitig mit der Biodiversität wird auch die Sicherheit der Nahrungsmittelversorgung beendet », erklärt ein Aktivist von KRRS. Gegen diese Gefahr, die Abhängigkeit und die Umgehung jahrhundertealter Traditionen wehren sich die Bauernbewegungen. Gleichzeitig bilden ihre Proteste den Auftakt zu einer Kampagne der direkten Aktion gegen Konzerne, die in die Biotechnologie investieren. Das Ziel besteht darin, die Multis zum Verlassen des Landes zu zwingen und gleichzeitig zu internationalem Widerstand aufzurufen.

Die Mobilisierung der indischen Bauern und Bäuerinnen geschieht in einer Zeit der zunehmenden Verelendung. So stieg beispielsweise infolge der Liberalisierung des Zwiebelexports der Zwiebelpreis innerhalb von Wochen auf das Zehnfache. Damit wurde die Versorgungslage – insbesondere der untersten Schichten, zu deren Grundnahrungsmitteln die Zwiebel gehört – prekär. Auf dem Land verübten nach der letzten Ernte zahlreiche Bauern und Bäuerinnen Selbstmord. Angesichts ihrer enomen Schulden und der Tatsache, dass sie auf dem liberalisierten Markt nicht überleben konnten, sahen sie keinen Ausweg. Die Selbstmordwelle ist nun zurückgegangen, durch die nächste Ernte wird aber wahrscheinlich eine neue ausgelöst. Die wachsende Verelendung führt zudem zu steigender Gewalt: Im Bundesstaat Haryana wurden allein im Oktober 1998 23 Bauern und Bäuerinnen durch die Polizei getötet, in Karnataka fünf in den ersten zwei Novemberwochen.

Die indischen Bauernbewegungen, zum Beispiel in Karnataka Gleichzeitig wenden sich immer mehr Inderinnen und Inder den politischen Bauernbewegungen zu. In Karnataka, dessen Landbevölkerung 50 Millionen Menschen umfasst, haben sich rund zehn Millionen Bauern und Bäuerinnen der Bauernbewegung KRRS angeschlossen. Diese ist damit die stärkste Bauernbewegung Indiens. Ihre Arbeit bezieht sowohl landwirtschaftliche und globale politische als auch gesellschaftliche und kulturelle Themen ein. Die Bewegung beschränkt sich nicht auf Protest, sondern fördert Alternativen und strebt gesamtgesellschaftliche Veränderungen an. Sie kämpft für das Recht der Menschen, ihre Zukunft selbst zu bestimmen.

Gegen Biotechnologie und Liberalisierung des Handels

Als erste Organisation in Indien organisierte KRRS Demonstrationen gegen das GATT (General Agreement of Trade and Tariffs, Vorläuferorganisation der WTO), an denen rund eine halbe Million Leute teilnahmen. Im landwirtschaftlichen Bereich wendet sich die Bauernbewegung insbesondere gegen die Biotechnologie, die Anwendung von Chemie oder gegen den Erzabbau. Der Einbezug ökologischer Gesichtspunkte ist für die Bauernbewegung selbstverständlich: Die Lebensweise, die die Bauern und Bäuerinnen verteidigen, ist ein Musterbeispiel der von Experten vielzitierten « nachhaltigen Entwicklung ». Widerstand geht Hand in Hand mit der Förderung von Alternativen. So wird beispielsweise im Süden Karnatakas das « Global Centre for Sustainable Development » aufgebaut, ein Zentrum der traditionellen Technologie, Anbauweise und Medizin, in dem auch eine Sammlung aus der Diversität des Saatguts aufbewahrt wird. Dieses Zentrum ist ein gesamt-indisches Programm, das in Zusammenarbeit mit anderen Bauernbewegungen geplant wurde. Die KRRS lehnt neue Technologien nicht grundsätzlich ab. So ist vorgesehen, den elektrischen Zaun, der das Zentrum vor wilden Elephanten schützen soll, mit Solarenergie zu betreiben.

Kulturelle Veränderung

Gleichzeitig strebt KRRS kulturelle Veränderungen an. Insbesondere stellt die Aufhebung des Kastensystems eine Voraussetzung für soziale Gerechtigkeit dar. Zudem richtet sich die Bauernbewegung gegen die patriarchalen Strukturen der indischen Gesellschaft. Innerhalb der Bewegung organisieren sich die Frauen selbst, sie haben ein eigenes Programm und mobilisieren für ihre Forderungen. Auf parlamentarischer Ebene fordert KRRS – Männer und Frauen gemeinsam – Frauenwahlkreise, um so die Reservierung von Parlamentssitzen für Frauen zuerreichen. Aufgrund des Drucks der Bauernbewegung und anderer, kleinerer Organisationen wurde diese Forderung in Gebieten Karnatakas bereits durchgesetzt.

Organisation

KRRS ist eine ghandische Bewegung. Ihr Ziel ist die Umsetzung der Dorfrepublik, die auf Basisdemokratie, wirtschaftlicher und politischer Selbstbestimmung gründet. Entscheidungen sollen darin nur unter Einbezug aller Betroffenen gefällt werden. Dieses dezentrale Modell wird auch innerhalb der Organisation umgesetzt. Die Grundlage der Bewegung ist die Dorfeinheit, die über ihre Organisationsform und ihre Finanzen, ebenso wie über ihr Programm und ihre Aktionen selbst bestimmt. Die nächstgrösseren Organisationsebenen sind die des Taluks, des Distrikts und des Staats. Auf diesen Ebenen werden jedoch nur Themen behandelt, die mehrere Dörfer, Taluks oder Distrikte betreffen und deshalb koordiniert angegangen werden müssen.

Aktionsformen

Alle Aktionen von KRRS werden unter dem Prinzip der Gewaltlosigkeit durchgeführt, wobei Gewalt als gegen Lebewesen gerichtet verstanden wird. Die hauptsächlichen Aktionsformen sind daher ziviler Ungehorsam und direkte Massenaktionen, wie beispielsweise die erwähnten Proteste gegen Monsanto. Auch versucht KRRS, die Bevölkerung auf die Wirkung nicht nur der Transnationalen Großunternehmen (TNC) aufmerksam zu machen, sondern auch auf die der globalen politischen Instrumente, beispielsweise der WTO oder der Verhandlungen zum Multilateralen Investitionsabkommen (MAI). So werden die Auswirkungen globaler Prozesse auf die lokale Ebene betrachtet, wo die Bevölkerung direkt betroffen und wo Widerstand möglich ist.

Zudem ist die Bauernbewegung bestrebt, nationale und internationale Netzwerke aufzubauen, um die Themen auch in einem breiteren Rahmen anzugehen. So ist sie beispielsweise in La Via Campesina aktiv, einem weltweiten Netzwerk von Bauernbewegungen. Durch eine breite Zusammenarbeit entstanden in Indien Organisationen wie die Indische Bauernunion (BKU) oder JAFIP, ein Aktionsforum der indischen Bevölkerung gegen die WTO, in dem neben der Landbevölkerung auch Industriearbeiter und -arbeiterinnen, Frauenorganisationen, Akademiker und Akademikerinnen vertreten sind.

Das Prinzip der Gewaltlosigkeit wird nicht nur in Protesten gegen Multis oder gegen die Regierung wirksam, sondern auch in Konflikten zwischen Gemeinschaften. So ist beispielsweise Gewalt zwischen verschiedenen religiösen Gruppierungen schwächer in Gegenden, wo KRRS stark verankert ist.

Druck der Regierung

Die Bauernbewegung, deren Basis ständig zunimmt, wird immer mehr unter Druck gesetzt. Einerseits von der hindu-fundamentalistischen Regierungspartei BJP, die mit allen Mitteln versucht, die Bewegung zu schwächen. So hat BJP bereits einige KRRS-Aktivisten mit Geld, der Aussicht auf Parlamentssitze und auf begehrte politische Positionen in die Partei gelockt. Gleichzeitig wurden gewaltsame Mittel angewandt: So hielten BJP-Mitglieder den Wagen eines prominenten KRRS-Aktivisten an und setzten ihn in Brand. In einigen Dörfern haben korrupte Politiker und Staatsbeamte keinen Zugang mehr, wie auf Schildern am Dorfeingang steht.

Auf der anderen Seite greifen Polizei und Justiz stärker zu. Während Massenaktionen des zivilen Ungehorsams wurden bis zu 37 000 Inderinnen und Inder an einem einzigen Tag verhaftet. Solche Massenverhaftungen kommen insbesondere in Zeiten der intensiven Mobilisierung vor. Die Bauern und Bäuerinnen lassen sich jedoch nicht einschüchtern. Ihre Aktionen gehen weiter, schliesslich geht es für die Betroffenen um existentielle Fragen.

MANIFEST aus Indien zur Transnationalen Karawane

link to the english page about the KRRS

Links to other sites

http://www.corpwatch.org/trac/feature/india/ MNC Masala: about Indian economy and multinational corporations (by Corpwatch)


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