veröffentlicht in: Klarofix 12/01
Von der Flughafenblockade in Frankfurt direkt ins World Trade Center?
Stellungnahme zur Antirakritik der ANG in der Veranstaltung "Die Terroranschläge vom 11.9. & der besinnungslose Flankenschutz durch das linke Erklärungsmodell von der Weltgesellschaft als Streichelzoo"
Am 30. Oktober fand eine Veranstaltung der ANG statt, welche die vermeintliche Position der "deutschen Linken" in Bezug auf den Krieg in Afghanistan als eine besinnungslose und antisemitische analysierte. Durch eine Ausblendung der antisemitischen Motive für die Anschläge aufs WTC und ein Verdrängen der eigenen national-sozialistischen Vergangenheit würden somit antisemitische Codes (re-)produziert.
Thematisiert wurden wie bei der vorhergehenden Veranstaltung der ANG "Stahlgewitter - Reflexionen der Terroranschläge auf die USA oder 13 Thesen und mehr, warum über den Anschlag vom 11. September weder offene noch klammheimliche Freude angebracht ist" die Anschläge in den USA, Islamismus, Antisemitismus und die Friedensbewegung und nicht, wie die Ankündigung vermuten ließ, schwerpunktmässig eine Kritik der Antirabewegung. Dennoch wollen wir uns im folgenden Artikel auf letzteres beziehen.
Es liegt in unserem Interesse, Pauschalisierungen beim Thema Antira-Arbeit gerade zu rücken bzw. zu einigen Punkten auch selbstkritisch Stellung zu beziehen.
Der Text ist als eine Ergänzung zu dem von uns erstellten Gegenflyer "Die Tastaturanschläge der ANG" zur Veranstaltungsankündigung vom 30.10. gedacht. Beide werden in diesem Klarofix dokumentiert. Die Veranstaltung sprach weitere Kritikpunkte an, bzw. verdeutlichte die schon in der Ankündigung genannten, auf die wir nun reagieren möchten. Einige Punkte bleiben in diesem Text jedoch unbeachtet, da sie innerhalb unserer Gruppe und auch teilweise mit der ANG noch diskutiert werden.
Heimat und Scholle
Die von der ANG formulierte Kritik, dass die Grundlage einer antirassistischen Arbeit der Heimatbegriff bildet, ist so nicht haltbar. Antira-Arbeit bezieht sich hauptsächlich auf die real existierende Flucht und Migration und eine unhinterfragte rassistische Politik, sowie die Abschottungsbestrebungen in ihren Zielländern. Somit besteht nicht primär ein Bezug auf den Begriff Heimat. Es stimmt aber, dass er bei der Benennung und der Auseinandersetzung mit Fluchtursachen eine Rolle spielt, bzw. dass einige Antiras diesen Heimatbegriff ungewollt reproduzieren. Allerdings ist es auch falsch, so zu tun, als gäbe es bestimmte Konstruktionen (Nation, Heimat) nicht oder als hätten sie keinerlei Wirkungsmächtigkeit.
In eine bruchlose Kontinuität mit dem Antiimperialismus der 70er/80er Jahre gestellt, wird der Antirabewegung im Nahost-Konflikt eine eindeutige Positionsnahme für Palästina unterstellt, dessen Existenz als "verwurzeltes, naturwüchsiges Volk", von Israel, der "letzten Bastion des Kolonialismus", bedroht würde.
Es wird der Vorwurf erhoben, dass sich Antiraarbeit auf Flüchtlinge mit einer dazugehörenden Heimat und Identität beziehe und dadurch den antisemitischen Gegenentwurf des "heimatlosen Juden" impliziere. Dadurch fände der Status der Juden, der ohne einen Heimatbegriff auskommen muss, im antirassistischen Weltbild keine Beachtung.
Problematisch ist es in unseren Augen, dass die Situation palästinensischer Flüchtlinge in Antirakreisen nur im Zusammenhang mit der Politik Israels gesehen wurde. Das Fehlen einer differenzierten Betrachtungsweise, die a) die Ausprägungen des arabischen Antisemitismus, b) die spezifischen Konstitution des Staates Israel sowie c) die Flüchtlingspolitik der angrenzenden arabischen Länder, das heisst die Instrumentalisierung der Flüchtlinge für staatliche Interessen mit einbezieht, kann somit berechtigterweise Gegenstand der Kritik sein.
Antiimpbewegung
Eine verallgemeinernde Betrachtung der Antirabewegung als Erbin des Antiimperialismus , beachtet nicht, dass nur Teile der Antirabewegung aus der Antiimp-Bewegung hervorgegangen sind. Dadurch wird ausgeblendet, dass es einen kritischen Umgang mit deren Inhalten gab bzw. gibt.
Wir stimmen jedoch mit der ANG überein, dass sich in Teilen der Antiimpbewegung antisemitische, antizionistische und antiamerikanische Inhalte in Theorie bzw. Aktionen latent bis offen zeigten.
Die Pauschalisierung der linken Antiraszene seitens der ANG geht allerdings soweit, ihr aufgrund der vermeintlichen Erbfolge des Antiimperialismus und dessen antisemitischen Inhalten eine Rückendeckung für die Anschläge in New York zu bescheinigen und die ins WTC krachenden Flugzeuge als Weiterführung der Frankfurter Flughafenblockaden während des Grenzcamps 2001 darzustellen. Die ANG konstruiert hier aus einer begrifflichen Zusammengehörigkeit von Flughafen und Flugzeug eine Übereinstimmung der Motivationen.
Durbanvorwurf
Die aus dem Antiimperialismus resultierende Gegnerschaft des Antirassismus zu Israel, so die ANG, manifestiere sich in der diesjährigen UN-Weltkonferenz gegen Rassismus (WCAR, 31.8.-10.9.), auf welcher Israel als ein rassistischer Staat angegriffen wurde, und komme dort nun unübersehbar zum Vorschein.
Auch das ihr vorrausgegangene NGO-Forum war vom manifesten Antisemitismus vieler Delegierter geprägt, welche mehrheitlich Zionismus mit Rassismus und Apartheid gleichsetzten und die Politik Israels als Holocaust bezeichneten. Trotz der Beibehaltung antizionistischer Inhalte und dem demonstrativen Rückzug jüdischer Organisationen gab es keine Abgrenzungen von seiten linker Antiragruppierungen, wie sie allerdings teilweise von europäischen Flüchtlings- und Menschenrechtsverbänden erfolgte.
Zwar kann die Antira deshalb nicht mit den in Durban anwesenden NGOs in einen Topf geworfen werden, wie es in der Veranstaltungsankündigung getan wurde. Doch hätte der Verlauf der Konferenz eine klare Abgrenzung von dem offen zu Tage getretenen Antisemitismus in Durban notwendig gemacht. Diese Distanzierung wurde versäumt. Es gab keine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Konferenz und den Positionen der NGOs. Bestehende Zusammenarbeit mit ihnen wurde unhinterfragt fortgesetzt.
Antira als Duplikator des Bestehenden
Auch die auf der Veranstaltung vorgetragene Kritik, dass die Antira die bestehenden Herrschaftsverhältnisse verdopple, kann so pauschal nicht stehen gelassen werden. Es gab zwar selten grundlegende Staatskritik, aber es gab sie und sie wurde als Anspruch auch immer formuliert. Uns ist die Kluft zwischen Theorie und Praxis durchaus bewußt. Also einerseits von linksradikaler Politik zu reden, andererseits aber diesen Ansprüchen in Aktionen nicht gerecht werden zu können. Die radikale Kritik der Verhältnisse ist (momentan?) nur in den Köpfen möglich. Aber warum soll daraus eine Handlungsunfähigkeit folgen? Der praktizierte Antirassismus kann eben nur humanistisch, nicht aber staatsüberwindend sein. Doch wer oder was soll uns daran hindern, humanistisch zu sein? Sich, so wie wir, auf Menschenrechte zu beziehen, ist nicht sehr revolutionär, nichts desto trotz ist es erstens wichtig, Menschenrechte schon im Jetzt einzufordern, alles andere erscheint uns zynisch. Zweitens kann dadurch deren Beschränktheit im herrschenden kapitalistischen System aufgezeigt werden. Es ist uns klar, dass das Glücksversprechen nur durch den Kapitalismus hindurch, nicht innerhalb seiner Grenzen verwirklicht werden kann. Drittens bildet die Verwirklichung der Menschenrechte eine Grundlage für weitergehende Forderungen. (Soll heissen, dass die Abschaffung z.B. der Residenzpflicht nicht wirklich etwas Fortschrittliches ist, dennoch Grundvoraussetzung für Flüchtlinge ist, um politisch aktiv werden zu können.).
Auch die ANG bezieht sich in ihrer Positionierung für die USA in Abgrenzung zur afghanischen Barbarei positiv auf die westliche Zivilisation, samt der von ihr deklarierten Menschenrechte.
Neben dem Vorwurf, mit dem Bezug auf Menschenrechte systemimmanente Politik zu betreiben, wurde auch die Forderung nach "offenen Grenzen" als nicht staatskritisch diffamiert. Der Slogan wurde aufgrund antinationaler Kritik in "keine Grenzen" geändert. Doch der Unterschied ist rein stilistisch, da offene Grenzen die Aufhebung des Staates nach sich ziehen.
Sowohl das Motto der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" als auch deren breites Gruppenspektrum wurden kritisiert. Es ist zwar nicht von der Hand zu weisen, dass die Kampagne "Kein Mensch ist illegal" für eine neue Form linker Bündnispolitik steht, welche ein Spektrum von kirchlichen, gewerkschaftlichen, autonomen, reformistischen und radikalen Gruppen umfasst. Mensch kann dies an sich kritisieren, doch dieses Bündnis hat nie den Anspruch erhoben, einen linksradikalen Ansatz zu haben. Es ist lediglich ein Netzwerk, in dem natürlich "reformistische" Gruppen aber auch "radikale" verortet sind. Somit heisst ein sich Beteiligen daran keine Aufgabe der eigenen Position. Der Slogan ist, da er sich auf die staatliche Logik von Legalität und Illegalität einlässt, umstritten, aber das Elie-Wiesel-Zitat (cross the border (Hg.) KMII ein Handbuch zu einer Kampagne. Berlin 1999), welches die Zuschreibung "illegal" für einen Menschen als Widerspruch entlarvt und für den Namen der Kampagne prägend war, erklärt recht gut die Bedeutung.
Antira-Gruppe Leipzig
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