veröffentlicht in: incipito Nr. 1, Sommer 2002
Multikulturell?! - kulturell rassistisch!
Multikulturalismus gilt für die BRD gemeinhin als ein relativ neues "Phänomen",
welches erst seit den 1980er Jahren ernsthaft diskutiert wird. Er ist eine
Sonderform des kulturellen Rassismus, letzterer gewann an Einfluss nachdem der
biologistisch argumentierende Rassismus nach 1945 nachhaltig diskreditiert
sowie wissenschaftlich widerlegt war. Die Transformation des biologischen hinzu
einem kulturellen Rassismus ist allerdings viel weniger einschneidend als es
auf den ersten Blick scheint. Rassismus, der auf angenommenen biologischen
Unterschieden fußt, ist natürlich nicht gänzlich von der Bildfläche
verschwunden und auch der sogenannte Neorassismus nicht völlig frei von Bezügen
auf biologische Merkmale. Beide Formen von Rassismus folgen ähnlichen Mustern
und es läßt sich weder ausschließlich für die Gegenwart von kulturellem bzw.
Multikulti-Rassismus sprechen, noch biologischer Rassismus sich einzig in der
Vergangenheit verorten.
Doch zunächst zu der Frage, was kultureller Rassismus ist. Auch seitdem das
Vorhandensein von biologischen "Rassen" widerlegt und biologistischer Rassismus
sozial geächtet ist, spielt Rassismus gesellschaftlich eine nicht zu
unterschätzende Rolle. Er bezieht sich nun aber nicht mehr auf angeblich
vorhandene biologische Wesensmerkmale, sondern hat Kultur als
Unterscheidungskriterium eingeführt. Spätestens als nach dem Anwerbestop von
GastarbeiterInnen 1973 die Zahl der EinwanderInnen nicht sank, sondern im
Gegenteil aufgrund von Familienzusammenführung anstieg, war klar, dass die
angeworbenen Arbeitskräfte sich nicht nur vorübergehend in der BRD aufhalten
würden, sondern sich permanent niederlassen wollten. Sie stellten somit die
angebliche ethnische Homogenität der BRD in Frage. Gleichzeitig musste sich die
nationale Identität, die bis dato eng mit dem wirtschaftlichen Wachstum in der
BRD verbunden war, nach dem Ende des "Wirtschaftswunders" neue
Identifikationsmuster suchen und wurde bei der kulturellen Differenz fündig.
Deutschsein wurde also in erster Linie wieder ethnisch-kulturell definiert.
Es waren vor allem VertreterInnen der Kirchen, (sozial)pädagogische
Institutionen und links-liberale Kreise, die in den 80er Jahren den
Multikultidiskurs anstießen. Multikulturalistische Konzepte verfolg(t)en vor
allem eine pädagogische Programmatik, sie woll(t)en zu Toleranz und Respekt
gegenüber verschiedenen, aber gleichwertigen Kulturen erziehen und stellten
deshalb die "Bereicherung", die MigrantInnen für die BRD bedeuteten, in den
Vordergrund. Er löste damit das Projekt der Assimilierung von MigrantInnen, das
als gescheitert galt, ab - frei nach dem Motto: "Es lebe die Differenz". Dieses
vermeintlich anti-rassistische Projekt ist aber selbst zu tiefst rassistisch,
da es mehr oder weniger homogene kulturelle Kollektive konstruiert. Menschen,
die einer jeweiligen Kultur angehören, werden bestimmte, positive,
(unveränderliche) kulturelle Eigenschaften zugeschrieben. So werden Afrikaner
jetzt wegen ihrem "Rhythmus im Blut", Inder wegen ihrer vermeintlichen
Computerkenntnisse oder ihrer Kochkünste geschätzt, sowie Trommel- und
Tangokurse besucht. Multikulturalismus funktioniert also als Ausschluss durch
Einschluss, MigrantInnen tragen zur Vielfalt in der deutschen Gesellschaft bei,
werden aber in ihrer vermeintlichen Andersartigkeit festgeschrieben, aus der
sie nicht entkommen können. Gerade auch die interkulturelle Erziehung, die zur
Überwindung von rassistischen Denkmustern beitragen sollte, schafft kulturelle
Unterschiede oftmals erst bzw. betont sie über und predigt dann Toleranz
gegenüber diesen. Die Einteilung in "eigene" und "fremde" Kultur, "wir"
und "die Anderen" wird also fortgeführt und dass auch im Multikulti-Rassismus
Macht eine Rolle spielt, wird vor allem daran deutlich, dass es eine
tolerierende "Mehrheitskultur" und verschiedene tolerierte "Minderheitskulturen" gibt.
Allerdings läßt der Multikulti-Diskurs durchaus auch "Vermischung" von
verschiedenen Kulturen zu. Das neue Zauberwort heißt hybrid und meint das
Zusammenkommen verschiedener Elemente aus mehreren Kulturen. Den
VerfechterInnen geht es darum zu verdeutlichen, dass es "kulturelle
Authenzität" nicht gibt und besonders auf individueller Ebene der Versuch, eine
homogene kulturelle Identität zu konstruieren, scheitern muss und immer schon
gescheitert ist.
Exkurs: Disco & Döner
So lautete der Titel einer Veranstaltungsreihe, die 1988 von der Berliner
Ausländerbeauftragten Barbara John für deutsche und ausländische Jugendliche
ins Leben gerufen wurde. Sie war eine Maßnahme von vielen, deren Ziel es war,
identitätsstiftend auf v.a. deutsch-türkische Jugendliche der 2. und 3.
Generation einzuwirken.
Im bundesdeutschen Diskurs zu deutsch-türkischer Identitätsfindung findet seit
den 90er Jahren eine Verschiebung statt: es wird in diesem Zusammenhang nicht
mehr von der "Zerrissenheit zwischen zwei Kulturen" geredet, sondern von der
Kreativität der deutsch-türkischen Jugendlichen geschwärmt, deren Fähigkeit zur
Ausbildung von hybriden Identitäten gelobt. Hybridität ist das neue Zauberwort
im multikulturellen Diskurs. Im Falle der deutsch-türkischen Jugendlichen ist
sie jedoch Produkt eines staatlich verordneten Emanzipationsprozesses, dessen
erklärtes Ziel es war, deutsch-türkischen Jugendlichen eine eigene Identität zu
geben. Jugendliche sollten ermutigt werden, HipHop als eine globale Musikform
aufzugreifen, um sich selbst darzustellen. Umgesetzt wurde dies in der
Eröffnung von Jugendtreffs und -zentren, die sich explizit an ein deutsch-
türkisches Publikum richteten, und in denen HipHop-, Breakdance- und
Graffitikurse zum festen Programm gehörten.
Die vermeidliche spontane Widerstandsbewegung "von der Straße" ist also eine
Entwicklung, die institutionell verankert und über Jugendtreffs geleitet wurde.
Deutsch-türkischer HipHop, wie z.B. die HipHop Crew Cartel ist auch bei
nationalistischen Gruppen in der Türkei erfolgreich. Cartel betonen in ihren
Texten die Existenz einer türkischen Identität bzw. eines spezifisch türkischen
Wesens. Sie übernehmen dabei unkritisch die Kategorien, mit denen sie in
Westeuropa beschrieben werden und schreiben damit eine türkische Identität
fest.
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Multikulturalismus und Kapitalismus
Dass der (traditionelle) multikulturalistische Diskurs wunderbar mit der
gegenwärtigen Einwanderungsdebatte harmoniert, zeigt sich, wenn erst die
Bereicherung für die deutsche Kultur AusländerInnen zu erwünschten MigrantInnen
macht. Multikulturalismus will nämlich nur "nützlichen" bzw. kulturell
bereichernden EinwanderInnen Zugang in die BRD gewähren. Er ist auch die ideale
Ideologie zur kapitalistischen Globalisierung, in der Multikulturalismus häufig
mit Regionalisierungstendenzen bzw. "zurück zu den kulturellen Wurzeln-Argumentationen" zusammenspielt und sich als Gegenstück zu der (angeblichen)
kulturellen Homogenisierung versteht. Kulturelle "Besonderheiten" gelten nun
mehr auch als marktwertsteigernd und verwischen gleichzeitig die Tatsache, dass
in der kapitalistischen Verwertungsideologie Menschen beliebig austauschbar
sind. Hier wird auch ein positiver Bezug auf kommunitäres Zusammenleben der
Individualisierung entgegengesetzt und eine Verklärung "ursprünglicher",
vormoderner Lebensformen auf MigrantInnen übertragen. Multikulturalismus ist
auch insofern funktional für Kapitalismus, als dass letzterer, nachdem eine
geographische Expansion nicht mehr möglich ist, sich auf andere Weise neue
KonsumentInnen erschließen muss. Der bestehende Markt wird mehr und mehr
ausdifferenziert und kann sich somit dem Hervorheben von Unterschieden, wie es
sich auch im Multikulturalismus findet, zu Nutze machen bzw. bringt diese
Differenzen erst hervor und verstärkt sie.
Kultureller und biologischer Rassismus
Dass sich der "neue" kulturelle Rassismus nicht grundsätzlich von biologischem
Rassismus unterscheidet, wird an verschiedenen Stellen deutlich. Auch wenn sich
aufgrund der unterschiedlichen Begründungen eine neue Begrifflichkeit anbieten
würde, z.B. Ethnizismus, halten wir Rassismus nach wie vor für den geeigneteren
Begriff, da er Kulturalismus als das entlarvt, was er ist, nämlich Rassismus.
Außerdem werden dadurch Kontinuitäten in der Ungleichheitsideologie Rassismus
schon im Begriff erkenntlich. Beide Arten von Rassismus folgen ähnlichen
Mustern, oftmals ist auch die Rede davon, dass kultureller Rassimus quasi-
biologisch funktioniert. Er baut auf ebenso festen Zuschreibungen wie der
biologische Rassismus auf, die Träger bestimmter kultureller Merkmale können
sich denen nicht oder nur schwerlich entledigen. Das Individuum wird zudem
darauf reduziert, eine bestimmte Kultur zu repräsentieren und mentale
Strukturen und Lebensformen des/der Einzelnen werden wiederum durch den
kulturellen Hintergrund bestimmt. Die soziale und historische Konstruktion von
Kultur wird zwar weitgehend anerkannt, allerdings gelten einmal angenommene
kulturelle Merkmale als unveränderlich bzw. die Herkunft als nicht zu leugnen.
Kulturelle Differenzen werden auf eine angeblich vorhandene menschliche Natur
zurückgeführt oder als tief in der Geschichte verwurzelt, betrachtet. Kriterien
des biologischen Rassismus leben leicht abgewandelt auch in Konstrukten wie
einer "authentisch kulturellen Identität", die die "reine Rasse" ablöst oder
einem kulturell homogenen Kollektiv weiter. Gelegentlich gelten auch kulturelle
Merkmale als "vererbbar". Es ist nicht mehr die "genetische sondern die soziale
Vererbung von Enkulturation und Erziehung, die den unverwechselbaren Charakter
formt." Auch die Angst vor Mischung von verschiedenen Kulturen, welche dann
zum Untergang dieser führen würde, ist zumindest im neurechten Ethnopluralismus
Thema.
Kultureller Rassismus bezieht sich auch (implizit) auf biologische
Kategorisierung: Da kulturelle Merkmale nicht unbedingt direkt sichtbar sind,
greift kultureller Rassismus oftmals auf "leicht erkennbare" Merkmale wie
Hautfarbe oder Sprache und Akzent zurück, um Unterschiedlichkeit deutlich zu
machen. Immer wieder lugt der biologische Rassismus auch hinter Multikulti-
Rassismus hervor, wenn bestimmte kulturelle Merkmale auf Abstammung und Geburt
in einem bestimmten Territorium zurückgeführt werden.
Abgesehen davon, hat es nie wirklich einen ausschließlich biologischen
Rassebegriff gegeben. Der soziologische Rassebegriff schloß schon immer
psychische, soziale und kulturelle Merkmale, die sich aus biologischen
Merkmalen ableiten, mit ein. Besonders Sprache und Akzent wurden schon immer
zur Begründung der Existenz verschiedener Rassen herangezogen. Auch in der
Gegenwart hängen einige Menschen nach wie vor einem biologischen Rassismus an,
der das Vorhandensein von verschiedenen "Rassen" oder Ethnien propagiert, auch
wenn er nur noch geringe gesellschaftliche Relevanz besitzt. Biologischer
Rassismus hat sich verselbständigt, obwohl "Rassen" wissenschaftlich widerlegt
sind. Das wird an einigen rassistischen Pogromen und Überfällen und deren
Begründungen immer wieder deutlich.
Rassismus ist, wie bereits eingangs betont, Bestandteil der gesellschaftlichen
Totalität. Er unterzieht sich einer Transformation, steht aber entgegen
anderslautender Behauptungen nicht kurz vor seiner Abschaffung. Er hat es
vermocht, biologische Kriterien weitgehend durch (angeblich) kulturelle zu
ersetzen und ist als Ungleichheitsideologie nach wie vor für den Kapitalismus
funktional. Bei Rassismus handelt es sich keineswegs um Vorurteile, denen mit
Hilfe von Aufklärung und Erziehung beizukommen ist. Ganz im Gegenteil wird
versucht mit Hilfe von Rassismus, unverständliche und komplexe soziale
Verhältnisse zu rationalisieren und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene Zugang
zum Arbeitsmarkt und zu Ressourcen (besonders in Krisenzeiten) geregelt.
Rassismus trägt so zur Stabilität der bürgerlichen Gesellschaft bei und kann
deshalb bei einer kritischen Analyse der derzeitigen Gesellschaft nicht unter
den Teppich gekehrt werden.
Exkurs: Jüdischer Kulturbund
Die nationalsozialistische Propaganda gab sich alle Mühe bei der Konstruktion
einer jüdischen "Rasse" als Grundlage des rassistischen Antisemitismus. Die
biologischen Kriterien, die sie dafür anführte, waren allerdings nicht
ausreichend. Jüdinnen und Juden waren zu Beginn der nationalsozialistischen
Herrschaft weitgehend assimiliert, sie waren in allen gesellschaftlichen
Schichten zu finden, ihre vermeidliche Andersartigkeit war also nicht wirklich
begründbar. Daraus ergab sich für die NationalsozialistInnen die Notwendigkeit,
eine explizit jüdische "Rasse" zu konstruieren, um daran die Artfremdheit und
Minderwertigkeit der Juden und Jüdinnen nachzuweisen. Neben biologischen
Kriterien wurden auch kulturelle angeführt.
Eine jüdische Kultur hat es vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten in
Deutschland nicht gegeben. Es gab lediglich Fragmente jüdischer Traditionen,
die aus der Zeit vor der Assimilation der Jüdinnen und Juden stammten. Die
Nazis versuchten eine Trennung zwischen deutscher und jüdischer Kultur
herzustellen. In diesem Rahmen wurde von den Nazis der Jüdische Kulturbund
instrumentalisiert, indem er unter nationalsozialistischer Schutzherrschaft
zum "Kulturghetto" umgedeutet wurde, mit dem Sinn und Zweck, eine spezifisch
jüdische Identität herauszubilden. Diese wurde dann wiederum als Beweis für die
Existenz einer jüdischen Kultur propagandistisch verwendet.
1933 von jüdischen KünstlerInnen gegründet, war der Kulturbund, der aus
mehreren regionalen Kulturbünden bestand, weniger ein Ort zur
kulturellen/künstlerischen Betätigung, sondern eher eine Nische, in der es
Jüdinnen und Juden überhaupt noch möglich war, zu existieren. Die
antisemitische Sondergesetzgebung ab 1933 führte dazu, dass schlagartig die
Mehrheit der in Deutschland lebenden Jüdinnen und Juden arbeitslos wurde. Mit
den Nürnberger Rassegesetzen von 1935 wurde der jüdischen Bevölkerung die
Teilnahme am öffentlichen Leben in Deutschland verboten und damit auch der
Besuch von kulturellen Einrichtungen.
Die nationalsozialistische Rassepolitik konstruierte jüdische Identität, indem
sie zum einen die jüdischen Menschen in die Isolation zwang und auf
identitätsstiftende Räume, wie z.B. den Jüdischen Kulturbund verwies und zum
anderen, indem sie einen öffentlichen Diskurs über jüdische Identität eröffnete
und damit Jüdinnen und Juden zwang sich zu positionieren. Diese Vorgehensweise
war für die Mehrheit der jüdischen Menschen nicht nachvollziehbar, da eine
Gegenüberstellung und Polarisierung in "deutsch" und "jüdisch" für sie keinen
Sinn ergab. Das führte dazu, dass nach 1935, nachdem den einzelnen
Kulturbundhäusern untersagt wurden war "arische" Kunst und Kultur darzustellen,
viele Kulturbundmitglieder dem laufenden Programm fernblieben. Es war jetzt nur
noch erlaubt "jüdisches" Repertoire aufzuführen. Einige Mitglieder des
Kulturbundes hingegen, die zugleich KritikerInnen der Assimilation in den
letzten 100 Jahren waren, befürworteten den Prozess der Identitätsbildung und
sahen die Notwendigkeit, eine explizit jüdische Kultur zu schaffen und zu
fördern. Nachdem alle regionalen Kulturbünde nach der Pogromnacht 1938
geschlossen wurden, bestand nur noch das Berliner Theater des jüdischen
Kulturbundes weiter, bis auch dieses 1941 den Spielbetrieb einstellen musste.
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