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about

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Interview mit dem Ex-GAP-isten Enzo Galasi

26.04.2009

Seit 5 Jahren organisieren Bochumer AntifaschistInnen Seminare in Mailand und Umgebung zur italienischen Partisanengeschichte. Als besonders erfreulich und fruchtbar hat sich dabei der seit langen bestehende Kontakt zum Institut ISEC in Sesto San Giovanni/Mailand erwiesen. Hier ist namentlich der Wissenschaftler Luigi Borgomaneri zu nennen, ohne dessen profunde Kenntnisse und Integrität all diese Seminare nicht zu Stande gekommen wären.
Über ihn lernten wir Enzo Galasi kennen. Enzo Galasi ist einer der letzten lebenden Großstadtpartisanen, der Gruppi di Azione Patriottica (GAP).

Enzo Galasi gehörte nicht nur der allerersten GAP-Gruppe unter Melchiorre de Giuli an, sondern war auch Mitglied der 2ten und der 3. Mailänder GAP, die durch seinen Vater, Alfonso Galasi, befehligt wurde, und aktiv bei der Befreiung Mailands.
Neben den genannten GAP-Einheiten gab es noch die bekannte GAP-Gruppe von Giovanni Pesce, der am 27. Juli 2007 verstarb.

Vor drei Jahren, am 5.Oktober 2006, führten wir ein Interview mit Enzo Galasi in Mailand, das wir jetzt veröffentlichen wollen. Das Interview mit Luigi Borgomaneri vom gleichen Tag ist noch nicht verschriftlicht.
Wir weisen darauf hin, dass wegen der Übersetzung das gesprochene Wort etwas „eingedeutscht“ wurde. Also Begriffe und Ausdrücke umgangssprachlich niedergeschrieben wurden.
Einen herzlichen Dank noch einmal unserer umwerfend-kollegialen römischen Übersetzerin, die uns seit Jahren unterstützt.

Azzoncao: Wir würden gern mehr von Dir Enzo erfahren, als es in diesem April möglich war. Kannst Du uns etwas zu deiner Lebensgeschichte erzählen?

Enzo: Wenn ich kann, gerne.
Wir waren aktive Menschen in der Resistenza und der GAP.
Und wir wurden nicht nur zur Zeit der Resistenza, sondern auch noch nach dem Krieg verfolgt.
Wir haben für unsere Ziele gekämpft, aber die neue politische Klasse verriet uns und den antifaschistischen Widerstand nach 1945. Ich möchte die Leitung der kommunistischen Partei nicht unterschätzen, aber es muss gesagt werden, dass die PCI sich nicht gut zu uns verhielt, weil wir einen starken Sinn nach Unabhängigkeit hatten.
Ich werde ganz ernst reden, weil all die Toten, die Gefolterten, die Opfer der Reaktion haben zu Gefühlen des Hasses und der Rache geführt.

Azzoncao: Wie alt bist Du?

Enzo: Ich bin 82 Jahre alt. Im Februar werde ich 83 Jahre.

Azzoncao: Bist Du in Mailand geboren und aufgewachsen?

Enzo: Ich bin in Mailand geboren und in den Armenvierteln der Stadt aufgewachsen.

Azzoncao: In welchen quartiere?

Enzo : In den quartiere Isola und Garibaldi.
Bis zur 3. Klasse habe ich im quartiere Isola gelebt. So ca 1930.
(Anm.: im verbitterten Ton) Ich hätte nicht erwartet eine Welt zu sehen, wie sie heute ist. Ich dachte es gäbe einen Art Sonnenaufgang, eine neue Ära, in der die Menschen nicht mehr ausgebeutet werden. Eine Ära für die schwachen Leute, für die Ausgebeuteten, für die Arbeiter. Ich bin sehr enttäuscht.
Ich hasse die politische Klasse, die uns Dinge versprochen hat, die sie nicht einhielt und dass das Proletariat von all dem Nichts hatte.
1931 zog ich hier in dies Haus ein, indem ich noch immer wohne.
Bovisa, Affori(?), Bruzzano, Niguarda und andere Quartiere, also die Zone von Nord-Mailand, war unser Operationsgebiet zur Zeit der Resistenza.

Azzoncao: Wie sah das Mailand der 30ziger/40ziger Jahre aus?

Enzo: Die Stadt glich einem Ghetto von Trabantenstädten, wo viele Arbeiter wohnten. Die Arbeiter kämpften gegen den Kapitalismus, die Ausbeutung, die Ungerechtigkeit und die Kirche.
Ich betone gerne, dass ich Atheist bin.

Azzoncao: In den 30ziger Jahren gab es noch keine großen Kämpfe.

Enzo: Das stimmt das war der Moment als der Faschismus die Hegemonie ausübte. Eine Diktatur.

Azzoncao: Nach der 3. Klasse gingst Du hier zur Schule?

Enzo: Ja, in die 4. und 5. Klasse.
Ich hatte Glück, dass ich in einer nicht-konformistischen und antifaschistischen Familie aufwuchs. Meine Familie hat nie die Diktatur akzeptiert. Als Beispiel, mein Großvater wurde 1927 nach seinem Tode verbrannt. Das war hier in Italien eine große Ausnahme. Er war nicht in der katholischen Kirche. Er war ein Protestant.
Mein Vater, der 1897 geboren wurde, desertierte während des 1. Weltkriegs und wurde wegen Subordination verurteilt. Eigentlich hätte er erschossen werden sollen, aber er wurde zu Festungshaft „begnadigt“. Meine Familie war gegen „die Systeme“ der Zeit.
Dieser Kampf gegen die Übermacht faszinierte mich. Anders kann ich es nicht ausdrücken.
Ich bin Proletarier, ein Mann aus dem kleinen Volk. Nicht wie Luigi ein Intellektueller.
Meinen Vater und andere Widerstandskämpfer, die ich kennen lernte, fand ich faszinierend. Idealismus hatte damals noch einen hohen Stellenwert. Aber ihr Idealismus war kein Alter, es war ein Idealismus gegen die Ungerechtigkeit.
Die Italiener waren in der Vergangenheit Diener von Tausenden von Herren. Sie haben unter verschiedenen Herrschaften gelitten und das Ergebnis ist fast eine Neigung, beherrscht zu werden. Und dieser Idealismus ging gegen diese Neigung.
Noch zur Zeit meines Großvaters brauchte man zum Reisen in „Italien“ eine Pass. Wenn man z. B. von der Lombardei ins Veneto wollte, brauchte man einen Pass. Wenn man dort arbeiten wollte. Ich kann das dokumentieren. Schon damals hätten sie als Internationalisten betrachtet werden können. Das hat sie auch überzeugt gegen den Faschismus zu kämpfen.

Azzoncao: Was waren Deine ersten politischen und sozialen Gedanken und Entwicklungen?

Enzo: Der Rückblick war notwendig um zu erklären, welches Glück ich hatte, in einer solchen Familie aufzuwachsen und nicht wie andere, die in einer Familie aufwuchsen, die vom System beeinflußt war.
Natürlich gab es für mich Widersprüche. So war ich teilweise von der faschistischen Kultur fasziniert. Ich habe die faschistischen Jugendorganisationen der „Figlii della lupa“ und der „Balilla“ gesehen. Ich wurde von der militärischen Einstellung der Diktatur angesprochen. Und ich fragte mich, warum es bei mir anders war, warum meine Familie anders ist als andere Familien. Dann habe ich angefangen, die Widersprüche zu bemerken. Das begann zur Zeit meiner Mittelschule. Dort musste man sich entscheiden, ob man auf eine klassische Schule geht oder auf eine Berufsschule. Für die klassische Schule, also für das Gymnasium, musste man eine Prüfung machen. Und hier bemerkte man die gesellschaftlichen Widersprüche. Ich erlebte viele diskriminierende Umstände. So z.B. gegenüber der Berufstätigkeit meiner Eltern. Um eine gute Arbeit zu finden musste man Mitglied der faschistischen Partei sein. Die Kinder mussten an offiziellen und sportlichen Veranstaltungen mit der Uniform der faschistischen Jugendorganisation „Balilla“ erscheinen. Das machte ich nicht und wurde von meinen Gleichaltrigen und den Lehrern deswegen schlecht behandelt und diskriminiert. Fast schon als „Untermensch“ gesehen.
Mein Vater hatte eigentlich immer studieren wollen und so machte ich die Staatsprüfung und ging zum Gymnasium. Aber meine Noten waren schlecht. Ich kam nicht mit der faschistischen Uniform der Jugendorganisation zur Schule. Daraufhin wurde ich gemobbt und prügelte mich oft. Das konnte ich gut. Daraufhin wurde ich von der Lehrern diszipliniert.
Vermutlich habe ich ein rebellisches Gen in meiner DNA. Der Instinkt zur Rebellion.
Wenn man jung ist kann man sich nicht gut erklären, aber man hat schon ein gutes Gefühl für Gerechtigkeit und Übermacht. Vom Anfang an war ich immer gegen Diskriminierung und Übermacht. In diesem Sinne folgte ich meinem Vater nach. Mein Vater ist desertiert. Ich auch. So machte ich nur eine Klasse auf dem Gymnasium und wechselte zu einer industriellen Schule, die zur Feltrinelli Dynastie gehörte.
Dort war ich ein sehr guter Schüler. Brach die Schule aber ab und ging zur Abendschule. Tagsüber musste ich arbeiten. Abends ging ich zur Schule. Ich arbeitete mit meinem Vater. Wir fotografierten Industrieanlagen, machten allgemeine Aufnahmen, Fotos für Umbettungen auf den Friedhof, Autounfälle, etc..
Mein Vater war ein guter Arbeiter. Zuerst war er Maurer. Über die Abendschule wurde er zum Fotografen. Er war ein guter Fotograf.
Ich half zunächst meinem Vater und wuchs so in den Beruf des Fotografen hinein.
Mit 19 Jahren, am 20 Mai 1943 wurde ich zum Militär eingezogen. Zu den Funkern. Schon eine Stunde nach meiner Anmeldung in der Kaserne kam ich in Haft, da ich die militärische Disziplin nicht akzeptierte und immer noch zivil trug. Dort war ein Arschloch, das meinte Recht zu haben, obwohl er das nicht hatte. Und so prügelte ich mich noch in meinen Zivilkleidern. Ich kam in den Knast. Ich war kein Heiliger und prügelte mich gern. Ich hatte kontinuierlich Bestrafungen.
Mit den Funkern kam ich nach Jugoslawien, wo die kroatische faschistisch Ustascha mit ihrem Führer Ante Pavelić war. ( http://de.wikipedia.org/wiki/Ustascha)

Azzoncao: Wie lange warst Du beim Militär?

Enzo: Ich war vom 20. Mai bis zum 25. Juli beim Militär. An diesem Tag desertierte ich. Aber das Militär inhaftierte mich wieder. Ich sollte mit einem Strafbatallion am 10. September nach Sizilien verlegt werden und gegen die Amerikaner kämpfen. Am 8. September (dem Tag des Waffenstillstandes zwischen den Alliierten und der Regierung unter Badoglio und dem König) kam ein Vorgesetzter, ein Kapitän zu mir. Er war früher ein Schullehrer von mir gewesen und er befahl, dass ich seinen Adjutanten nach Mailand zu begleiten hätte. Ich begleitete den Adjutanten bis nach Mailand. Dort bekam ich Kleidung und Geld. Der Adjutant fuhr weiter, während ich in Mailand den Zug verließ. Das war wohl die Absicht meines Kapitäns. Er selbst wurde nach Deutschland deportiert. Ich habe ihn nach dem Krieg, hier in diesem Haus, wieder gesehen.
Als ich aus den Bahnhof kam, kam es zu einer Schießerei zwischen Faschisten und Antifaschisten. Wegen des Waffenstillstands zwischen der italienischen Regierung und den Alliierten. Seit Juli hatte die Regierung Mussolini ab- und festgesetzt. Dann gab es im September den Waffenstillstand zwischen der italienischen Regierung und den Alliierten. ( http://de.wikipedia.org/wiki/Italienische_Sozialrepublik) Als ich aus dem Bahnhof kam, rief mir ein Bekannter zu, ich solle ihnen helfen. Sie gaben mir eine Waffe und so schoss ich. Es war meine erste Schießerei. Die Antifaschisten entwaffneten die Faschisten und übergaben sie der Polizei.
Dies war der Moment an dem ich dachte, dass man etwas machen muss.
Ich ging nach Hause, war gut drauf, hatte Spaß gehabt und fühlte mich wichtig.
Der Partisanenkampf und der Kampf der GAP sind zwei unterschiedliche Dinge.

Ich war ein wehrpflichtiger junger Mann. Als ich zu Hause war musste ich mich für die „Republica di Salo“ oder für die Berge entscheiden. Arbeit fand man nicht, da die Arbeitgeber von dem Einzug der jungen Männer ausgingen. Mehr oder weniger war ich clandestin im September und Oktober 1943. Ich begann mich mit Freunden zu organisieren. Am Anfang leisteten wir passiven Widerstand. Über einen Nachbarn von uns kannte ich einen Zwangsexilierten. Er hieß Melchiorre De Giuli. Er war fünf Jahre im Zwangsexil als Kommunist und war der Onkel Luigi. Dies erfuhr ich erst später, lange nach dem Krieg und darüber die Freundschaft zu Gigi. Melchiorre unterhielt sich mit mir. Es war faszinierend, da er von einer neuen Welt sprach, die natürlich nur zu erreichen war, wenn man sich organisierte und den Faschismus abschaffte.
Ich fing an, an Aktionen teilzunehmen, illegale Zeitungen zu verteilen, Plakate zu kleben. Das war im September/Oktober 1943. Nach und nach kamen wir zur Gründung einer kommunistischen Zelle im Stadtteil. Wir begannen mit illegalen Schriften, besorgten Waffen und gründeten eine lokale Zelle.

Azzoncao: Wer waren die Leute?

Enzo: Die Zelle bestand aus drei Personen: Melchiorre De Giuli, Giuseppe Damiani und mir. Wir besorgten uns Waffen, das war in dieser Zeit nicht schwer. Der Überraschungsfaktor war wichtig und unsere Gegner waren nicht vorbereitet. Wir benutzten die Sperrstunde nach 20 Uhr. Wir hatten noch keine Waffen und überfielen zu zweit eine faschistische Patrouille. Mein Genosse hatte eine Pistole und schoss. Ich hatte als Waffe nur ein Messer. Die Faschisten waren mit einem Gewehr und einer Pistole bewaffnet. Mit dem Messer verletzte ich den Faschisten, den ich angriff. Aber ich denke, die Verletzung war nicht schwer. Bei dieser Aktion erbeuteten wir eine Pistole. Die faschistische Patrouille war überhaupt nicht vorbereitet auf einen Überfall. Ich habe von Entwaffnungen zu der Zeit gehört, die mit Stöcken durchgeführt wurden. Es war einfacher als wir gedacht hatten. Die Patrouillen waren uniformiert und gut bewaffnet. Später fingen wir an, uns mehr und mehr Waffen zu besorgen. Einmal bekamen wir über einen Kontakt in der Telefongesellschaft zu zwei Pistolen. Auch mit Hilfe von Hinweisen aus der Bevölkerung bekamen wir Waffen. Es hieß, dass da und da ein Soldat gewohnt hätte, dieser sei desertiert, aber die Waffen lägen noch zu Hause.

Der Überfall war wie eine Art von Prüfung für uns. De Giuli testete uns. Melchiorre De Giuli, der der Zellenchef war, stand in Verbindung zu anderen. Nach und nach bekamen wir immer schwierigere Aufgaben. Die besten von den GAPisten mußten die körperlichen Angriffe ausführen. Wir organisierten Sprengstoffe für Attentate. Wir stahlen ihn bei den Flugabwehrstellungen. Von den Projektilen wurde Sprengstoff entnommen und von anderen weiterverarbeitet. Wir stahlen Benzin und Uniformen, die Uniformen dienten zur Verkleidung bei Aktionen. Dabei halfen uns aber auch professionelle Diebe aus den Stadtteilen. Im November/Dezember kam es zu einem alliierten Bombenangriff, bei dem ein Großteil der italienischen Soldaten aus ihren militärischen Stellungen fliehen mussten. Dabei erbeuteten wir viele Uniformen aus einer Flugabwehrstellung. Manchmal wussten wir auch nicht genau, woher wir unsere Waffen bezogen. So z. B. den Sprengstoff Tritol, in dessen Verwendung ich mich zum Profi entwickelte. Wir hatten nur Verbindung zu den anderen Zellen über den jeweiligen Chef der Zellen, dies diente unserer Sicherheit. Während der Kommandant alles wusste, wussten wir nur das was wichtig für die Aktion war. Der Widerstand verbreitete sich dann. Mitte November kam ein Mann mit einem großen Dreiradlaster zu unserem Haus und fragte nach meinem Vater. Er betrat das Haus und meinte, es würde noch eine dritte Person kommen. Als diese Person kam, stellte sich heraus, dass er einer der Antifaschisten von der Schießerei bei Stazione Centrale in Mailand war. Der Mann mit dem Laster wollte meinem Vater etwas bringen. Mein Vater und dieser Mann kannten sich gut. Ich fragte meinen Vater, ob er den Mann kennen würde, und mein Vater antwortete: „Klar, das ist ein Lieferant der Firma ...“. Als der Laster in der Garage im Garten geöffnet wurde, fanden sich darin Maschinengewehre, Pistolen, etc.. In den Gesprächen stellte sich heraus, dass alle meinen Zellenchef Melchiorre De Giuli kannten. An diesem Tag erfuhr ich, dass mein Vater schon lange vor mir lange Mitglied der Widerstandsorganisation war. Wir waren Militante der gleichen Gruppierung, wussten aber nichts davon. Ab da wurde die Sache seriöser und wir begannen einen Preis dafür zu bezahlen. Ich habe erfahren, dass ich Mitglied der 10ten Garibaldi-Brigade bin, dass die Organisation eine Partisaneneinheit auf den Bergen bei Fondatoce di Verbania am Lago Magiore unterstützt und dass diese Waffen für diese Einheit bestimmt waren. Für den Transport war die Genossin Lina Rebozzi, die Geliebte des politischen Kommissars.

Azzoncao: Es gab Liebesbeziehungen innerhalb der Gruppen?

Enzo: Ja, natürlich. Leider beutete er die Frau später aus. Mit meinem Politkommissar Nello ( Ruggero Brambilla) war ich sehr befreundet. Mit einer Ausnahme, aber das weiß Gigi auch. Er war ein sehr mutiger Mann. Es gibt Stapel über Stapel von Dokumenten über seine Aktionen. Nello war 1912 geboren, mein Vater 1897. Mein Vater und er gründeten hier in diesem Haus die Basis für die Formation auf den Bergen. Sie sind auch die Gründer der ersten GAP Milanos. Ich lernte das Fälschen von Personalausweisen und Papieren. Erst für die älteren Genossen, die sich unbefangener als wir Jungen in der Öffentlichkeit bewegen konnten. Da wir Fotografen waren, machten wir falsche Stempel. Unsere Kontakte zur Finanzpolizei halfen uns dabei. Einige Beamten kollaborierten mit uns. Unser Haus wurde zur Basis für die Partisanenformationen auf den Bergen. Er war Schleusungspunkt für junge Leute, die in die Berge gingen. Sie schliefen bei uns auf den Boden. Ex- Soldaten (Clandestini), die nicht zum faschistischen Militär der Legion „Muti“ oder der „Decima Mas“ wollten, sondern gegen die Republik von Salo kämpfen wollten. So wuchs die 10. Garibaldi-Brigade. Diese wurde später in die 85. Garibaldi-Brigade umbenannt, weil es schon eine 10. Brigade gab. Sie nannten sich auch. Brigada Mario Flaim. Ich bin sehr stolz darauf Mitglied dieser Brigade gewesen zu sein. Von den 43 Ermordeten bei Fondatoce di Verbania waren viele Mitglieder der Flaim. Mario Flaim war der Kommandant der Brigade. Diese Brigade kämpfte bis zur Befreiung in den Bergen und kam dann nach Mailand. Mein Vater war Leutnant in dieser Brigade. Er wurde verhaftet und von der „Banda Koch“ in der Villa Triste gefoltert. Er wurde nach dem Tod des 2. GAP-Kommandanten Campegi zum Kommandanten der 3. GAP.(mit einem Kommandantenwechsel wechselte auch deren Nummerierung)

Azzoncao: Bei all dem was Du da erzählst, hattest du Angst?

Enzo: Natürlich hatte ich Angst. Ich war ein ganz normaler Mensch, der nie daran gedacht hatte, Partisan zu werden und solche Aktionen zu machen. Am Anfang noch mehr. Da waren die Aktionen so etwas wie Feuerproben.

Azzoncao: Wenn du die Aktionen als Feuerproben bezeichnet. Was ging bei diesen Aktionen in dir vor?

Enzo: Ich hatte Angst. Aber man sollte diese Angst auch nicht so wichtig nehmen. Man muss sehen, dass es zwei Risiken gab: Das Risiko der Aktion, aber auch das Risiko wieder zum Militär zu müssen. Wegen Bespitzelung oder Festnahme oder Ähnlichem. Man wägte ab und entschloss sich für das Risiko der Aktion. Wir sind Heldenfilme gewohnt, aber wir sind keine Helden gewesen, sondern haben aus den Bedürfnissen heraus agiert. Heute mythologisiert man viel und schafft Helden. Wir waren das Gegenteil. Einfache Menschen, die aus dem Bedürfnis gegen die Diktatur zu kämpfen, Aktionen gemacht haben. Wir waren keine Kriegsprofis. Wir waren Dilletanten. Wir hatten keine Ausbildung zum Kriegführen, wir waren unerfahren und haben viele Fehler gemacht. Nach und nach haben wir ein Bewusstsein gegen die soziale Ungerechtigkeit entwickelt. Die Waffen mochten wir eigentlich nicht, auch weil wir nicht so recht wussten, wie wir sie benutzen sollten. Aber wir wurden kontinuierlich angegriffen, und das brachte uns zur Rebellion. Hass und Wut gegen die Ungerechtigkeit entstand. Wir sind nicht geboren, um andere Menschen zu töten. Wir sind geboren, um ein würdiges Leben zu leben, ein ernsthaftes, in einer kollektiven Dimension auch für die Anderen. Wir wollen, dass die Lage des Proletariats, der Schwachen, sich verbessert. Wir waren und sind gegen Gewalt und Krieg. Gewalt von denen, deren Opfer wir immer sind. Wir haben so gedacht und kamen dann zum Hass, wenn man Ungerechtigkeit sieht, Menschen, die einen Krieg anfangen, die Siege versprechen, aber die nichts einlösen.
Gigi kann dies besser erklären. Aber trotzdem sind wir es, die es gewesen sind, die es gemacht haben, die in diesen schwierigen Situationen die Entscheidungen trafen.

Azzoncao: Hattest du nicht auch Lust, in den Bergen zu kämpfen

Enzo: Ich war eine Weile in den Bergen. Aber irgendwie mochte ich sie nicht. Ich war nicht begabt, in den Bergen zu bleiben. Der Kampf der GAP war der Stadtkrieg. In der Stadt fühlte ich mich sicher. [...] Und ich hatte in der Stadt eine wichtige Aufgabe, falsche Dokumente herzustellen. Das konnte ich gut, und das habe ich auch für sehr wichtige Personen gemacht. In unserem Haus hielten sich sehr viele Illegale auf, die uns auch bei unserer Arbeit halfen. Ich war für den Stadtkampf begabt, eigentlich geboren. Darüber hinaus sagte man mir in den Bergen, dass man meinen Vater als Leutnant in der Stadt bräuchte und ich ihn unterstützen solle.

Azzoncao: Ohne dein Wissen warst du also Mitglied der ersten GAP geworden.

Enzo: Ja, ich komme aus der allerersten GAP. Danach war ich Mitglied der 2. und 3. GAP. Es gab auch jemand anderen, der Aktionen in Mailand organisierte: Giovanni Pesce. Zunächst war er GAPist in Turin, verbrannte aber dort und zog nach Mailand. Das war die Zeit als Luigi Campegi die 2. GAP leitete. Die 1. GAP waren noch Egisto Rubini, Camesasca(?),u.a.. Die 2. GAP war der Kommandant Campegi. Er wurde verhaftet und in das Gefängnis San Vittore gebracht. Dort wurde er erkannt und am 2. Februar 1945 erschossen. Daraufhin wurde mein Vater der Kommandant der 3. GAP. Im Grunde genommen war Giovanni Pesce Teil der 3. GAP in der Via Ampere. Ich habe nie einen Ausweis der A.N.P.I. - Associazione Nazionale Partigiani d'Italia. Mir war der Ausweis der Division „Mario Flaim“. Mein Vater war der Kommandant der 3. GAP bis zur Befreiung Italiens. Alfred Malchieri(?), Colonel der Finanzpolizei, und mein Vater arbeiteten bei der Befreiung zusammen. Alfred Malchieri(?) schrieb später ein Buch über diese Erfahrungen. Am 5. September 1944 wurde mein Vater verhaftet in unserem Haus. Er ließ sich an der Haustür festnehmen, weil er wusste, dass sie auch mich suchten. Ich war im Haus und so leistete er keinen Widerstand und kam sofort mit. In der Nachbarschaft gab es einen sozialistischen Genossen, der ihn verriet. Er wusste nichts genaues über meinen Vater, aber aus Angst vor der Folter sagte er aus, dass dies ein wichtiger Mann des Widerstand sei, mit Kontakten zu den Partisanen in den Bergen. Aber Genaues wusste er nicht über meinen Vater. Sie suchten auch mich. Aber es gab zwei Enzos, nach denen sie suchten. Und das schaffte einige Male Verwirrung, die uns half. Im Februar wurde mein Vater aus der Haft entlassen. Man hatte ihn gefoltert. In dieser Zeit hatte man alle Leiter der sozialistischen Partei festgenommen. Nur diesen Razzaboni, unseren Nachbar, war noch frei. Er verriet meinen Vater und führte die Polizei an diesem Abend zu unserem Haus. Später kam die Polizei noch einmal wieder. Sie kamen zu der Via Imbonati 7, wo meine Freundin wohnte. Dort machten sie eine Durchsuchung und fanden meine Papiere. Da es dort noch einen weiteren Illegalen gab, hielten sie ihn für mich. In der Via Imbonati 4 nahmen sie noch den dritten Sohn von Razzaboni fest. Daraufhin war ich 15 Tage in Mailand unterwegs. Stets in der Angst festgenommen zu werden. Die ganze Zeit war ich mit einer Maschinenpistole und 5 Handgranaten zu meiner Verteidigung ausgerüstet. Notfalls hätte ich mich auch in die Luft gesprengt, statt verhaftet zu werden. Ich war immer auf der Suche nach einer Unterkunft. Aber auch meine Verwandten verweigerten mir diese aus Angst. In der Via Selve konnte ich mich für sieben Tage verstecken. Aber ich hatte kaum zu essen, und viele hatten Angst, mir zu helfen. Am 2. Februar, dem Tag als Campegi, der Kommandant der 2. GAP erschossen wurde, wurde mein Vater aus der Haft entlassen.
Mein Vater und seine Familie hatten einen kleinen Betrieb. Aber wir gaben all unser Geld dafür, dass der Widerstand erhalten blieb. Aber unsere politischen Stellvertreter verdienen unser Vertrauen nicht. Sie haben uns verraten und nicht das wenige gegeben, was diese Gesellschaft verbessert hätte. Ich kenne manche Politiker und wenn ich sie treffe, äußere ich mich nicht nett zu ihnen. Sie sollten unsere Interessen schützen, aber die Senatoren streiten sich mit den Parlamentariern, weil die Senatoren ihren Haarschnitt nicht bezahlen müssen, Parlamentarier aber doch. Solche Debatten führen diese Herren.
Ich bekomme 396 Euro als Rentner. Davon 15 Euro, weil ich ein Ex-Widerstandskämpfer bin. Wie kann ich mit einem solchen Einkommen leben? Wenn man sich hingegen die Renten der Parlamentarier ansieht. Unsere Soldaten, unsere „Helden“, die im Irak sind, bekommen 5000-6000 Euro im Monat. Sie führen Krieg, sie machen es für Geld. Wenn sie sterben, bin ich zufrieden und glücklich, aber leider werden immer zuwenig getötet. An dieser Stelle möchte ich wissen, in welcher Gesellschaft wir leben und zu welchem Punkt wir noch kommen. Was wir heute sehen, sind Traumata. Und den Preis dafür bezahlt das Proletariat, das unterschätzt, welche Kräfte es in seinen Händen hält. Warum trifft man nie die Entscheidung, die Situation umzulenken. Man muss alle diese Religionen zerstören, aber wir sehen diesem hässlichen Spektakel weiter zu.



Wie auch Ihr jetzt, vermissten wir damals bei dem Interview, dass Enzo nie wirklich konkret über seine Widerstandsaktionen berichtete. Dies ist aber nicht allein die Eigenart von Enzo. Viele PartisanInnen, die wir sprachen, haben so gut wie nie über ihre Aktionen berichtet. Meist erfuhren wir erst aus Büchern oder durch Historiker was sie gemacht haben. Einerseits scheint immer noch das alte Gesetz des Schweigens aus dem Partisanenkampf bei ihnen verinnerlicht. Andererseits sprachen sie sehr oft über ihre Ambitionen, warum sie etwas taten, welche Motive und welche Lehren sie daraus zogen. Dies war ihnen anscheinend viel wichtiger uns „Jungen“ zu erzählen. Aktionsberichte oder gar „actionsstories“ bekamen wir nie aufgetischt.
Enzo „rutschen“ solche Geschichten heraus, mal beim Essen, mal wenn andere einen Vortrag halten. Fragt man dann nach, zieht er sich schnell zurück. Und bei einem Interview könnte man sich auf den Kopf stellen, da würde er nichts erzählen. Dabei hat es dieser kleine Mann faustdick hinter den Ohren.
Eine großartige Aktion aus der Partisanengeschichte, der Diebstahl von einer Unmenge an Waffen und Munition für die Partisanenrepublik im Ossolatal ist auf die 3. GAP zurückzuführen. Diese Aktion wurde in Enzos Haus, von seinem Vater, ihm und der Brigade ausgeheckt, vorbereitet, Enzo fälschte die Papiere, klaute mit GenossInnen am helllichten Tag auf einem Platz mit einer Maschinenpistole einen LKW und transportierte die Waffenladung in die Partisanenrepublik.
Nachzulesen ist diese Geschichte in einem der lesenswertesten Partisanenromane aus Italien:
Die unsichtbaren Dörfer von Gino Vermicelli.(erschienen im Schweizer Rotpunkt-Verlag; leider vergriffen)


Mitglieder der 1.GAP:
Giuseppe Damiani starb lange nach dem Krieg.
Melciore di Giuli starb in Mauthausen.
Qui caddero per la causa della libertad
(sinngemäß: Für die Freiheit gefallen)
il 2 febraio 1945
Campegi Luigi
Volpones Oliviero
Mantovani Venerino
Resti Vittorio
Mandelli Franco


Enzo Galasi. Tesserino di appartenenza al Corpo Volontari della Libertà
Enzo Galasi. Tesserino di appartenenza alla Divisione Mario Flaim
Alfonso Galasi, Kommandant der 3.GAP in Mailand
Alfonso Galasi. Tesserino di appartenenza alla Divisione Mario Flaim
Melchiorre De Giuli, Ex-Squadrist - später Gründer der 1.GAP von Mailand
Partigiani della 85 brigata d’assalto Garibaldi -Valgrande Martire
Partigiani della brigata -Valgrande Martire
25. April 2007 - Enzo an der Gedenkstelle für erschossene Genossen seiner GAP
Luigi Borgomaneri und Enzo Galasi
seminario 2005 im ISEC/Sesto San Giovanni - Giovanni Pesce
seminario 2005 im ISEC/Sesto San Giovanni - Onorina Brambilla
seminario 2005 im ISEC/Sesto San Giovanni - Annunziata Cesani
seminario 2005 im ISEC/Sesto San Giovanni - Carlo Talamucci
seminario 2005 im ISEC/Sesto San Giovanni: die Gruppe
seminario 2006 im casa della resistenza am lago maggiore
seminario 2006 im ISEC - Giancarlo Franceschinis, Ex-Kommandant von Carnia
seminario 2006 Piazza Loreto, vorm Denkmal der 15 Ermordeten vom 10. August 1944
Zum Tag der Befreiung abgelegtes Gebinde der deutschen Gruppe am Denkmal

letzte Aktualisierung: 11.01.2009