»Mit der Arbeit fertig werden«
Aufruf des BgR Leipzig zum 1. Mai in Berlin
Seitdem 1889 im Zuge des internationalen Arbeiterkongresses in Paris der 1. Mai zum Internationalen Kampftag der Arbeit erhoben wurde, versammeln sich jedes Jahr Zehntausende auf den Straßen, um diesen Tag zu begehen. Heute reicht das Spektrum von Gewerkschaften bis hin zu traditionellen Linken - mit der Arbeit als gemeinsamen, unhinterfragten Nenner.
Das positive Verhältnis zur Arbeit zieht sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte der Traditionslinken. unkritisch übernahm schon die ArbeiterInnenbewegung die Überhöhung der Arbeit zur Wesensbestimmung des Menschen von der bürgerlich-protestantischen Ideologie. Die Fetischisierung der Arbeit als wesentliches Strukturmerkmal der kapitalistischen Gesellschaft instrumentalisierten die ArbeiterInnen zur Heraushebung ihrer selbst als revolutionäre Klasse. In ihrer Vorstellung der Überwindung der bestehenden Verhältnisse wollten sie ihren Begriff von der reinen, natürlichen, vom Gesellschaftszusammenhang abgelösten Arbeit über den Kapitalismus hinaus retten.
Die modernen SklavInnen sind weit davon entfernt ein bedrohliches Gespenst zu sein, welches die KapitalistInnen einst in Angst und Schrecken versetzte. Jammernd und flehend wird heute nach Arbeit gerufen. War es früher noch eine Konsequenz der verarmten Verhältnisse einer ArbeiterInnenbewegung, die zur Gründung des 1. Mai als Kampftag für ihre Rechte (jedoch auch nur unter dem Joch der Arbeit) führte, ist der 1. Mai inzwischen zu einem Flohmarkt verschiedenster gesellschaftlicher Gruppierungen und ihren noch unterschiedlicheren Forderungen verkommen.
Lancieren Teile der Linken am 1. Mai nach wie vor unkritisch ein positives Verhältnis zur Arbeit, ist dies ein Grund, dass auch die Nazis ihren völkischen Arbeitsbegriff am selben Tag auf die Straße tragen konnen. So ist es den Nazis moglich, ihr antisemitisches Bild vom bösen Kapitalisten propagieren zu können.
Wenn Menschen, die sich als emanzipatorisch begreifen, sich einer ebenso verkürzten Argumentation anschließen, verkennen sie den apersonalen Charakter des kapitalistischen Herrschaftsverhältnisses. Denn die seit der Aufklärung von Menschen geschaffenen Rahmenbedingungen ermöglichten die Transformation der vorbürgerlichen Gesellschaft zur kapitalistischen Selbstverwertungsmaschinerie, deren einziger Zweck darin besteht, menschliche Arbeitskraft für die Kapitalanhäufung nutzbar zu machen.
Das in den letzten beiden Jahrhunderten verinnerlichte Dogma der Arbeit verdeckt in der heutigen, den Kapitalismus bewusstlos reproduzierenden Gesellschaft eine emanzipatorische Perspektive. Eine Organisation notwendiger Tätigkeiten jenseits von Warentausch und Arbeitszwang wird als unmöglich erachtet. Wenn wir zum 1. Mai nach Berlin mobilisieren, dann geht es uns nicht um eine Verbesserung innerhalb des Kapitalismus, es geht vielmehr um eine Kritik der Arbeit und damit eine grundsätzliche Kritik an diesen Verhältnissen. Dabei sollte man nicht dem Trugschluss unterliegen, Arbeit und Kapitalismus als zwei zu trennende Kategorien zu begreifen.
Wenn etwas gesellschaftlich schwer zu
legitimieren ist, bedarf es Konstruktionen, die ein bestimmtes
soziales Verhältnis als natürlich erscheinen lassen: als
zeitlos und universell. Ideologien erfüllen diese Funktion und
sind in dem Grade erfolgreich, in dem sie nicht aufwendig
stets aufs neue (gewalttätig) durchgesetzt werden müssen,
sondern indem sie von den Menschen verinnerlicht werden. Diese
Konstruktion von Natürlichkeit ist notwendig für die
Aufrechterhaltung von Herrschaft (Nation, Geschlecht, Rasse,
Wirtschaftsordnung). Dass heute beinahe jede(r) davon ausgeht,
dass Menschen schon immer arbeiteten, sie dies überall taten
und dies auch immer tun werden, weil es einfach in der Natur
des Menschen liegen würde oder eine Naturnotwendigkeit sei,
ist wohl mit die größte Leistung des Kapitalismus.
Die Geschichte der Arbeit als ein Verhältnis des
Menschen zu den Dingen und zueinander und als eine Gegenwelt
zur freien Zeit beginnt mit der Sklaverei: vorher gab es keine
abstrakten Begriffe im Sinne von Arbeit, unter denen
willkürlich unterschiedliche produktive Tätigkeiten
zusammengefasst wurden. Der Begriff Arbeit wurde als
erniedrigend, schmutzig und anstrengend angesehen und war in
der Antike von Sklaven zu verrichten. Ein Mensch genoss um so
mehr Prestige, je freier er in der Wahl seiner Tätigkeiten
war. Vorstellungen von Beruf im Sinne einer lebenslangen (und
damit unfreien) Beschäftigung erschienen absurd.
Dementsprechend leiten sich die heutigen Begriffe für Arbeit
wie Travail, Trabajo (beide vom lateinischen tripalium: Joch,
das zur Folter und Bestrafung von Sklaven eingesetzt wurde),
Labor (vom lateinischen labor: Schwanken unter einer schweren
Last), Work etc. von Worten ab, die etwas unangenehmes,
mühseliges oder noch schlimmeres bezeichneten. Auf der Ebene
der Deutung verschiedener Tätigkeiten im
spätantik-mittelalterlichen Christentum ein Wandel ein. Die
Umbewertung des Leides als positive Erfahrung machte die
Klöster zu Keimzellen des neuen Arbeitsethos. Den relevanteren
Schub um seine materielle Basis fand der Arbeitsbegriff in der
mittelalterlichen Stadt. Die verregelte ständische Ordnung
knüpfte Arbeit an Anerkennung und zunehmend auch an
(antifeudale) gesellschaftliche Macht. Der Kampf gegen die
zunehmende Armut in den Städten, die sich im Betteln
manifestierte, war einer gegen die Armen. Vorstellungen von
Fleiß, Disziplin und Ordnung wurden zur Kontrastfolie für den
stigmatisierten Müßiggang und durchgesetzt mit Arbeitszwang
und Einsperrungen in sogenannte Arbeitshäuser. Söldner
bildeten eine Vorform der freien Arbeiter, da sie - aus der
Subsistenzwirtschaft herausgerissen - ernährt werden mussten.
Dies wurde über eine Entlohnung sichergestellt.
Nachreformatorische protestantisch-calvinistische Heilslehren
steigerten zum einen ein normierendes Leistungsethos und zum
anderen die Stigmatisierung der Faulheit. Dabei wurde die
Konstruktion des faulen Juden zur Stereotyp, dem festen
Legitimationsinventar des Antisemitismus. Eine Säkularisierung
des religiösen Vorstellungshintergrundes erlebte die Arbeit in
der Aufklärung: Sie wurde emphatisch aufgewertet als Quelle
von Eigentum, Reichtum und Kapital, sowie zum Kern
menschlicher Existenz und Selbstverwirklichung.
Die Erfindung der Arbeit im heutigen Sinne fand
in den Metropolen des 19. Jahrhunderts statt und wurde von
dort aus mit den Mitteln des kapitalistischen Imperialismus
weltweit durchgesetzt. Mehr und mehr Menschen waren dazu
gezwungen, ihre Arbeitskraft als Ware zu verkaufen. Die Arbeit
wurde verrichtet an Orten außerhalb der bis dahin bekannten
Alltagswelt, Orte, die in hohem Maße kontrollierbar waren und
an denen nicht nur die materiellen Produktionsmittel
rationalisiert wurden, sondern auch die stark parzellierten
Arbeitsschritte scheinbar maßlos effektiviert werden konnten.
Zu den beiden Zentralachsen der kapitalistischen abstrakten
Arbeit, der tayloristischen Arbeitsteilung und
-rationalisierung und fordistischer Modernisierung durch
Fließband und Lohnpolitik wurde als stabilisierender Faktor
und Produkt der befriedeten Arbeits- bzw. Klassenkämpfe die
keynesianisch geprägte Welfare-Politik etabliert. Die schlecht
bezahlte Arbeit wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts aus den
Metropolen in die Ökonomien des Trikonts ausgelagert
('outsourcing') oder an marginalisierte ArbeitsmigrantInnen
weitergegeben.
Die Naziideologie stilisierte den Arbeiter (v.a.
der Faust bzw. schaffend) zum Leitbild des deutschen Mannes
auf einer Stufe mit dem des Soldaten und die Ökonomien des
Nationalsozialismus bzw. Nachkriegsdeutschlands profitierten
in hohem Maße von der Zwangsarbeit. Das Projekt der
Vernichtung durch Arbeit kann aber als Vernichtung von
Arbeitskraft nicht mehr im Rahmen selbst einer pervertierten
aber immer noch zweckrationalen Arbeitsideologie gedacht
werden. An jene wurde in Deutschland wieder nach der Shoah mit
der Aufbau-Pose der Stunde Null angeknüpft.
Arbeit stellt unter den herrschenden
kapitalistischen Bedingungen die einzige mögliche Form der
materiellen Reproduktion von Gesellschaft dar. Durch Arbeit
entsteht Mehrwert und wie zu zeigen sein wird, gibt es keine
Arbeit ohne Kapitalismus und keinen Kapitalismus ohne Arbeit.
Kritik, die das eine bewahren und das andere abschaffen will,
muss scheitern.
Gesellschaftlich selbständig wirkungsmächtig
wurden Effekte der Arbeit, die ursprünglich Nebenprodukte
waren. Arbeit ermöglicht eine hochentwickelte Form von Ordnung
und Kontrolle: sie schafft Disziplin und Identität. Die
Disziplinargesellschaft ist maßgeblich über Arbeit
organisiert. Die Eigenlogik der kapitalistischen
Produktionsweise schafft eine »kasernenmäßige Disziplin, die
sich zum vollständigem Fabrikregime ausbildet« (Marx). Musste
diese Disziplin in der historischen Entwicklung gewaltsam
durchgesetzt werden, verwirklicht sich die integrierte
kapitalistische Gesellschaft in der Verwirklichung einer alles
durchdringenden und destruktiven Disziplin. Der Mensch lernte,
dass sie/er BesitzerIn von Arbeitskraft ist und das sie/er
diese kontinuierlich reproduzieren und verkaufen muss. Die
physische und psychische Zurichtung orientierte sich dabei am
Zeitmanagement der Fabrik, dem Produktionsablauf und an der
Taktung der Maschine. Die Kontrolle der Arbeit wurde erprobt
in den Irren- und Arbeits-, Zucht- und Waisenhäusern Europas.
Dienten Kontrollen und Strafen in den Fabriken in der
Frühphase noch maßgeblich dazu Basics wie Anwesenheit,
Tüchtigkeit und Nüchternheit zu gewährleisten, konnten die
Techniken inzwischen zum Controlling verfeinert werden: Eine
ExpertInnenkultur der Rationalisierung der Produktion spürte
die Schmuddelecken menschlicher und struktureller
Ineffektivität auf.
Die zunehmende Fraglosigkeit und Natürlichkeit
von Arbeit war Ausdruck der Dominanz der Arbeit bei der
Konstitution von Identität und der Verinnerlichung des
Arbeitsethos. Diese Identitätsbildung wurde komplettiert durch
den Arbeitsbezug der ArbeiterInnenbewegung und ihrer
VordenkerInnen. Arbeit wurde nicht Objekt der Kritik sondern
ihr Ausgangsort. Die meisten und dominierenden
Zukunftsentwürfe waren nicht Paradiese des Müßiggangs, sondern
solche der Arbeit. Der Müßiggänger war erklärtes Feindbild der
ArbeiterInnenbewegung. Das Paradoxon der selbstbestimmten
Arbeit wird von Teilen der Linken bis heute aufrecht
erhalten.
Die Arbeit wurde mit anderen
Identifikationsmustern korreliert: Die Erfindung der modernen
abstrakten Arbeit fiel historisch mit der der Nation zusammen.
Der Arbeitsbegriff wurde national aufgeladen und der Aufbau
der Nationen als Arbeit verstanden, als das Werk tüchtiger
Männer. Arbeit und Nation waren meist in einem engen
Loyalitäts- und Verweisungszusammenhang verschränkt. Die
Konstruktion und Hierarchisierung von Rassen legitimierte eine
globale und nachhaltige rassistische Arbeitsteilung. Die
Dichotomisierung der Sphären von Produktion und Reproduktion
und ihre unterschiedlichen gesellschaftlichen Wertigkeiten
waren synergetisch verbunden mit der Konstruktion bzw.
Modifizierung von Geschlechterrollen. Die abstrakte Arbeit als
»tautologischer Selbstzweck« (Scholz) und Ausdruck
öffentlichen Lebens wurde dabei den
häuslich-reproduktiven Tätigkeiten als überlegen angesehen.
Durch die Trennung in Sphären erhielt die patriarchale
Herrschaft eine weitere Legitimationsgrundlage. Diese
Sphärentrennung ist der Arbeit strukturell eingeschrieben und
nicht durch Gleichstellungsgefrickel aufzuheben. Die
Konstruktion des schwachen Geschlechts basiert maßgeblich auf
der Verweigerung von Ressourcen durch Ausschluss aus der oder
Marginalisierung in der ökonomischen Sphäre.
Immer weniger Menschen finden sichere und den
sozialen Mindestanforderungen genügende Arbeit. Die
Inszenierung des Gegenteils, der Vollbeschäftigung, wird als
statistischer Taschenspielertrick vollzogen oder durch die
Pulverisierung sozialer Standards (working poor) erreicht. Die
Gründe sind umstritten, die grundsätzliche Bedeutung von
Automation und Mikroelektronik in diesem Zusammenhang nicht.
Die Arbeit hat sich dabei in den Metropolen grundlegend
verändert. Zum einen sind prekäre Arbeitsverhältnisse, oft
besetzt mit illegalisierten MigrantInnen, zur Normalität der
Metropolenökonomien geworden. Zum anderen wird versucht, unter
dem Begriff der immateriellen Arbeit den Niedergang der
traditionellen industriellen Arbeit der blue-collar-workers
und den Anstieg des tertiären Sektors (Dienstleistung) und des
quartären Sektors (Finanz-, Kommunikations- und
Kulturdienstleistungen) zu fassen.
Die Arbeit im Trikont im Sinne von Lohnarbeit
verdient nicht einmal diesen Namen: Arbeitsmigration,
informeller Sektor und Zwangsarbeit in Formen von
Schuldknechtschaft und Sklaverei sind die Regel, nicht die
Ausnahme. Der informelle Sektor ist dabei nicht krisenhafte
Subsistenzwirtschaft, sondern in einem Zuliefererverhältnis
strukturell aufs engste an die Metropolenökonomien
gebunden.
Der Verknappung der Arbeit steht eine
Arbeitsplatz- und Beschäftigungsrhetorik gegenüber, die nicht
allein durch die Logik von Wahlkämpfen erklärbar ist. Der Ruf
zur Hatz auf Sozialschmarotzer, faules Pack und
arbeits-scheues Gesindel ist vielmehr Ausdruck der
Notwendigkeit einer zumindest simulierten Vollbeschäftigung
eines universellen Sisyphos, Sozialisationsmaximen wie
Disziplin, Norm und Ordnung dabei verkörpernd. Diese harte
Tour wird ergänzt durch den zivilgesellschaftlichen
Diskurs, der an dem vermeintlich authentischen Bedürfnis nach
Arbeit als Moment der Identitätsstiftung anknüpft und
existenz-geldgestützte Bürgerarbeit bzw. -tätigkeit als Weg
aus der Misere empfiehlt. Beides läuft auf die Rückkehr der
Zwangsarbeit hinaus. Wer nicht taugt als »unternehmerischer
Einzelner« (Bude), als Krisenmanager seiner Arbeitsbiographie
muss dann eben Grünanlagen pflegen.
Die Befreiung der Arbeit ist nicht möglich
»Die Arbeit ist ihrem Wesen nach die unfreie,
unmenschliche, ungesellschaftliche, vom Privateigentum
bedingte und das Privateigentum schaffende Tätigkeit.«
(Marx)
Wenn oben die Geschichte der Arbeit kurz
dargestellt worden ist, so geschah dies aus zwei Gründen: zum
einen, um zu zeigen, dass die Kategorie Arbeit keine
überhistorische ist, sondern eine gewordene. Zum anderen wird
deutlich, dass auf vorkapitalistische Gesellschaften der
Begriff Arbeit nicht anwendbar ist: Denn als das Leben des
Menschen noch nicht in zwei Reiche - das der Notwendigkeit und
das der Freiheit - zerfiel, war es nicht möglich und machte es
keinen Sinn, für Produktion und Reproduktion (Hausarbeit,
Erziehung, Freizeit, Schlaf, usw.) unterschiedliche Kategorien
zu benutzen.
Arbeit verkörpert patriarchale Ordnung
Im historischen Durchsetzungsprozess des
Kapitalismus entwickelte sich die gesonderte und auch als
solche angesehene, vom übrigen gesellschaftlichen Zusammenhang
abgetrennte Sphäre Arbeit. Ausruhen, sich vergnügen, seinen
Interessen nachgehen, lieben hat außerhalb der Arbeitszeit zu
geschehen und soll sich nicht störend auf die
durchrationalisierten Funktionsabläufe auswirken.
Der Ausschluss der Momente von Nicht-Arbeit aus
dem kapitalistischen Arbeitsverhältnis hat, neben der Bildung
einer vom restlichen Leben separierten, auch die zwangsläufige
Herausbildung einer weiteren gesellschaftlichen Sphäre,
der Reproduktionsshäre, zur Folge. In ihr sind die durch die
Arbeit ausgeschlossenen Momente der Nicht-Arbeit versammelt,
die für die Produktionssphäre konstitutiv sind. Die
Reproduktionssphäre als Sphäre des privaten Haushalts, der
Familie und der Intimität ist selber also ein Produkt der
Arbeit - von dieser zwar abgespalten, aber doch nur existent
im Bezug auf sie. »In diesem als weiblich definierten Bereich
verbleiben die vielen und wiederkehrenden Tätigkeiten des
alltäglichen Lebens, die sich nicht oder nur ausnahmsweise in
Geld verwandeln lassen: vom Putzen und Kochen über die
Kindererziehung und die Pflege alter Menschen bis zur
Liebesarbeit der idealtypischen Hausfrau, die ihren
ausgelaugten Arbeitsmann betütert und ihn Gefähle tanken
lässt« (Krisis). Die Sphäre der Intimität als Rückseite der
Arbeit wird deshalb von der bürgerlichen Familienideologie zum
Hort des eigentlichen Lebens verklärt. Ohne diese
gesellschaftliche Transformation, ohne den abgespaltenen
sozialen Raum der weiblichen Tätigkeitsformen hätte die
Arbeitsgesellschaft niemals funktionieren können. Die
Manifestierung einer patriarchal-kapitalistischen Ordnung,
verbunden mit der Konnotation der Arbeitssphäre als männlich,
die Konstruktionen vom Berufsmenschen Mann und von der Frau
als Hausfrau, Gattin und Mutter sind somit also nicht
losgelöst im historischen Raum schwebende, sondern historisch
gewordene Kategorien. Mit der Herausbildung dieser Kategorien
von Reproduktionssphäre und Produktionssphäre ist die
menschliche Existenz deshalb zugleich zerlegt und
determiniert. Arbeit ist die menschliches Leben und
Gesellschaftsverhältnis bestimmende Dominante.
Dennoch kann sich eine umfassende Kritik der
Arbeit aber nicht nur an der Lohnarbeitssphäre abarbeiten und
erschöpfen, sondern muss die gesamten Tätigkeiten der Menschen
in Zusammenhang zum kapitalistischen
Gesamtgesellschaftsverhältnis reflektieren. Die
Reproduktionssphäre ist als genauso zwanghaft bestimmt und
repressiv wie die Lohnarbeitssphäre zu begreifen und zu
entlarven.
Das gilt auch für die geschlechtlichen
Stereotypen, die in der Entwicklung des warenproduzierenden
Systems ihre Festschreibung erfuhren. Nicht zufällig
verfestigte sich das Cliché von der Frau als natur- und
triebhaft, irrational und emotional gesteuert erst zusammen
mit dem des kulturschaffenden, vernünftigen und
selbstbeherrschten Arbeitsmannes zum Massenvorurteil. Wurden
im 20. Jahrhundert Frauen zunehmend in das System der Arbeit
einbezogen, dann bis heute überwiegend auf schlechter
bezahlter Basis und hauptsächlich auf niederen,
untergeordneten Positionen. Dass das heute zunehmende
Vorrücken der Frauen in die Sphäre der Arbeit dennoch keine
Befreiung bringt, sondern nur dieselbe Zurichtung unter dem
Label Arbeit wie bei den Männern darstellt, sollte klar
sein.
Frauen unterliegen dabei einer Doppelbelastung,
d.h. sie werden nach wie vor als Hauptträgerinnen der zur
Reproduktion notwendigen Tätigkeiten angesehen, obgleich sie
in der Produktion beschäftigt sind. Gleichzeitig ist mit der
Emanzipation der Frau in der kapitalistischen Gesellschaft
aber auch ein Delegieren reproduktiver Tätigkeiten,
beispielsweise an MigrantInnen, verbunden.
Die Aufspaltung menschlicher Existenz in
gedrängte Sphären ist nach wie vor lebensnotwendig für den
Kapitalismus, denn nicht alle gesellschaftlichen Bereiche und
notwendigen Tätigkeiten lassen sich in die Produktionssphäre
hineinpressen.
Selbst in Arbeitssektoren wie der New-Economy,
wo Sphären verwachsen, eine Zuordnung nicht eindeutig möglich
scheint, erschließt sich bei genauerer Betrachtung, dass
Sphären nach wie vor existieren. Sie rutschen lediglich enger
zusammen und örtlich wie auch zeitlich findet ein
stringenteres Aufeinanderabfolgen dieser statt. Der Mensch
entwickelt sich in solchem Umfeld unverhohlen zur totalen
Arbeitsmaschine. Was als progressives und zukunftsweisendes
Arbeitsethos gefeiert wird, bleibt so oder so immer Zwangs-
und Abhängigkeitsverhältnis. Freiheiten und Kreativität in
diesem vorgeblich sphärenfreien Bereich sind letztendlich auch
nur durch die Maßgabe Profit zu erwirtschaften bestimmt. Die
vielgerühmte Selbstverwirklichung am Arbeitsplatz ist nichts
als die Verwirklichung von Mehrwert.
Ohne Arbeit kein Kapitalismus
Ein Wesensmerkmal der kapitalistischen
Gesellschaft ist, dass sie warenförmig ist. Soziale
Verhältnisse werden durch Waren vermittelt, als Produkte durch
Lohnarbeit hervorgebracht.
»Marx machte als Grundform des
Gesellschaftsverhältnisses im Kapitalismus, als
strukturierende und strukturierte Praxis die Ware aus. Die
Warenform des Gesellschaftsverhältnisses ist bei Marx durch
die Arbeit gekennzeichnet, die in objektivierter Form auftritt
und als konkrete Arbeit und abstrakte Arbeit einen
Doppelcharakter hat: Konkret ist die allen Gesellschaftsformen
eigene Interaktion der Menschen mit der Natur. Abstrakt ist
die dem Kapitalismus eigene Form des durch die Arbeit
bestimmten Gesellschaftsverhältnisses« (M. Postone). Die
Analyse vom Doppelcharakter der Arbeit legt den Zusammenhang
von Kapitalismus und Waren produzierender Arbeit offen. Wo die
konkrete Arbeit den Vorgang der Herstellung und
Materialisierung von Produkten menschlicher Arbeit beschreibt,
bestimmt die Betrachtung der Arbeit als abstrakte den Prozess
der seltsamen Verwandlung eines Produkts in Ware.
Bei diesem Vorgang der Verwandlung wird einem
Arbeitsprodukt ein Wert zugeordnet. Dieser Abstraktionsprozess
findet insofern statt, als dass von konkreten stofflichen
Eigenschaften, der Nützlichkeit eines Produkts, abgesehen
wird. Die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige
Arbeitszeit, die bei der Herstellung benötigt wird, bildet die
nach kapitalistischer Logik relevante Substanz - den zwar nur
gedanklich konstruierten, jedoch wirkungsmächtig werdenden
Wert.
Gebunden ist der wertschaffende Vorgang bei
abstrakter Arbeit dabei notwendiger Weise an eine konkrete
Herstellungsform und Tätigkeit, die als konkrete Arbeit
gefasst wird.
Mit konkreter und abstrakter Arbeit, zu
verstehen als gesellschaftliche Formen, ist die ideologische
Grundlage des Kapitalismus gesetzt. Konkrete und abstrakte
Arbeit ergeben also nur zusammen und nur im Kapitalismus Sinn.
über den Kapitalismus kann konkrete Arbeit allein damit nicht
hinausweisen, darf deshalb nicht, wie von Marx getan, als
»Naturnotwendigkeit« verklärt werden. Diese Ontologisierung
ist, wie anhand der Genese von Arbeit und Arbeitsbegriff
aufgezeigt wurde, ahistorisch. Die heute dominante Vorstellung
von Arbeit (als Ideologie) formte sich mit dem sich
entwickelnden Kapitalismus (und den staatskapitalistischen
Nominalsozialismen) aus. Der Versuch Arbeit jenseits der
Lohnarbeit zu bestimmen, führt den Begriff ad absurdum, da er
faktisch jedes Tun und Lassen in Arbeit verwandeln
müsste.
Die abstrakte Arbeit der Wert- und Warenform ist
Ausdruck der kapitaladäquaten Organisierungs- und
Strukturierungsform der Gesellschaft - durch das Schaffen von
Identitätshülsen in hierarchisierten über Lohnarbeit
definierte Sphären von Produktion und Reproduktion. Das
Destillat der abstrakten Arbeit aus der Lohnarbeit schlägt
zurück in den Alltag und kolonialisiert als
Beurteilungskategorie alle Vorstellungen von
Tätigkeiten.
Als etwas Abstrahierbares ist alle
warenproduzierende Arbeit auf einen gemeinsamen Nenner
reduzierbar. Mit dem Geld hat diese Abstraktion ihr
materialisierbares, anhäufbares und nicht verderbliches
Pendant gefunden. Arbeitsprodukte sind damit auf einfache
Weise als Waren vergleich- und austauschbar. Ein
Warenkreislauf kann so mit dem allgemeinen Äquivalent Geld als
Schmiermittel des Systems in Gang kommen. Kapitalismus wird
durch den Doppelcharakter der Arbeit, durch die Vorstellung,
Arbeit sei zugleich konkret und abstrakt fassbar, also
überhaupt erst möglich. Dieser Dualismus einer abstrakten,
allgemeinen, und einer konkreten, materiellen Dimension, wird
in der kapitalistischen Gesellschaft nicht wahrgenommen. Es
gehört zur Dynamik des Kapitalismus, sich selbst als Konstante
des gesellschaftlichen Lebens immer wieder zu reproduzieren.
Insofern erfolgt soziale Vermittlung fortlaufend durch Arbeit.
Menschliche Arbeit bleibt in diesem System ein unverzichtbarer
Teil des gesamtgesellschaftlichen
Produktionsprozesses.
Arbeit muss sein, weil Arbeit sein muss
Dass in jeder Gesellschaftsform überhaupt Dinge
produziert und verschiedenste gesellschaftliche Tätigkeiten
verrichtet werden, ist klar. Nicht selbstverständlich ist
aber, dass menschliche Tätigkeit, die pure Verausgabung von
Arbeitskraft, ohne jede Rücksicht auf ihren Inhalt, ganz
unabhängig von den Bedürfnissen und vom Willen der
Beteiligten, zu einem abstrakten Prinzip erhoben wird, das die
sozialen Beziehungen beherrscht. »Der kapitalistische
Verwertungsprozess verfügt über kein Sensorium für seine
eigene stoffliche Seite. Solange sich Arbeitsprodukte mit
Gewinn verkaufen lassen, besteht kein Unterschied zwischen
Kampfflugzeugen, Rheumapflastern oder Blumentöpfen« (E.
Lohoff). Dank Doppelcharakter der Arbeit sind im Kapitalismus
alle Arbeitsprodukte auf die austauschbare Darstellungsform
von abstrakter Arbeit abstrahierbar. Diese Vergleichgültigung
gehört zur Wesensart der Kategorie Arbeit und ist für sie
konstitutiv. Weil kapitalistische Gesellschaft eine
warenförmige sein muss, beschränkt sich Reichtum und
Reichtumserzeugung auf Arbeit, auf Anhäufung verausgabter
Arbeitskraft in Geld. Dass ein und die selbe Tätigkeit, je
nachdem ob sie entlohnt wird oder nicht, als Arbeit oder nicht
als Arbeit figuriert, wird durch den gesellschaftlich
notwendigen Selbstverwertungsimperativ mölich. Da alle dem
Zwang unterliegen sich verkaufen zu müssen, um zu überleben,
kann die allgemeine Tätigkeitsform Arbeit entstehen, einander
völlige unterschiedliche Tätigkeiten unter einem Begriff
subsumiert werden. Der Inhalt von Lohnarbeit ist ihrem Zweck,
der Kapitalakkumulation, somit ein völlig gleichgültiger. Gäbe
es keinen Arbeitszwang, niemand würde acht Stunden am Tag
einer Tätigkeit nachgehen, die nicht im geringsten an
persönliche Bedürfnisse geknüpft ist. Auch »der Kapitalist
produziert nicht, um durch das Produkt seine Bedürfnisse zu
befriedigen; er produziert überhaupt nicht mit unmittelbarer
Rücksicht auf die Konsumtion. Er produziert, um Mehrwert zu
produzieren« (Marx). Die Arbeit als Träger der Verwertung des
Geldkapitals - die unendliche Vermehrung von Geld um
seiner Selbst willen - ist Selbstzweck.
Obwohl die kapitalistische Gesellschaft
unheimlich reich an Produktionsmitteln und Waren ist, müssen
dennoch soziale Bedürfnisse unerfüllt bleiben. Sie können
weder in der Lohnarbeitssphäre realisiert werden - wo sie von
vornherein nichts zu suchen haben - noch in der
Reproduktionssphäre, deren Charakter ebenfalls zwanghaft und
unfrei ist. Nicht die Bedürfnisse bestimmen die Produktion,
sondern die Produktion bestimmt die Bedürfnisse. Menschliche
Bedürfnisse bedienen also im Endeffekt nur noch den
kapitalistischen Zirkulationskreislauf als »Abzugskanäle der
Warenströme« (E. Lohoff). Letztendlich reduziert sich im
Kapitalismus somit menschliche Existenz darauf, in der
Erholungssphäre die Reproduktion voranzutreiben, um arbeiten
gehen zu können.
Würden die Menschen heute repressiven Charakter
und Sinnlosigkeit ihrer Arbeit als Zumutung wahrnehmen - sie
wären trotzdem gezwungen, sich dem Arbeitszwang zu
unterwerfen. Denn im Lauf der Durchsetzungsgeschichte des
Kapitalismus wurden die meisten von Produktions- und
Existenzmitteln getrennt und können im real existierenden
Kapitalismus nur überleben, indem sie sich auf Zeit verkaufen.
Dafür müssen sie ihre Lebensenergie für einen Äußerlichen und
gleichgültigen Zweck als Arbeitkraft anbieten. Daher rührt der
repressive Gleichheitscharakter des Kapitalismus: Alle sind
insofern frei und gleich, als dass sie sich verkaufen dürfen
und insofern in einem repressiven Zwangsverhältnis, als dass
sie arbeiten müssen. Wollen sie überleben und nicht
unweigerlich ein elendes Leben am gesellschaftlichen Rand
fristen, sind sie genötigt, sich dem Arbeitszwang zu
unterwerfen. Im Grunde genommen ist Arbeit nichts als die
»Unfreiheit par excellence, der aufgeherrschte Zwang zur
Entmenschlichung, was heißt sich zu verdingen, zu verkaufen,
zu verwerten« (F. Schandl).
Die Befreiung der Arbeit ist nicht möglich - Für den
Kommunismus!
Kommt
alle zum BgR-AA[M]-Truck! 1. Mai 2002 | Berlin Kreuzberg
| 18 Uhr
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