"Wurzen - ein gutes Stück Sachsen!"

So steht es geschrieben auf einer Werbetafel in der Wurzner Innenstadt. Und tatsächlich ist Würzen ein gutes Stück Sachsen und sogar noch ein klein wenig mehr. Ein Zentrum - das Zentrum - mit einem Zentrum im Zentrum
Spätestens nach der antifaschistischen Demonstration vom 16.11.1996 in Wurzen ist bekannt, daß sich in der sächsischen Kleinstadt Wurzen wohl am besten neonazistische Strukturen mit dem Stadtklima verbinden konnten und können, daß eine Dominanz von Nazis auf der Straße und in den Clubs existiert und sich eine Nazi-Szene mit bundesweiter Bedeutung entwickelt hat. Sogar der sächsische Verfassungsschutz bezeichnet Wurzen auf Grund seiner Nazistrukturen als "das wohl wichtigste Neonazizentrum in Deutschland." Dieses hat sich kontinuierlich seit der deutsch-deutschen Vereinigung entwickelt. In Wurzen wurde das Flüchtlingsheim als eines der ersten bundesweit angegriffen. Die Unterkünfte für nicht-deutsche Bauarbeiter wurden so oft überfallen, bis schließlich sogar die Publikation "Wirtschaftsführer Deutschland" von einem Engagement in Wurzen abriet - wegen den ständigen Übergriffen auf Nichtdeutsche, Alternative, Obdachlose und andere Personen, die nicht in das deutsche Weltbild der ansässigen Bevölkerung passen.
Die Nazis wurden dafür gleich mit mehreren Einrichtungen von der Stadt gefördert und bedanken sich dafür mit der Ausübung der Exekutive auf der Straße - natürlich in ihrer rassistischen menschenverachtenden Auslegung. Alternative und nicht-rechte Jugendliche haben schon seit langem keine Möglichkeit sich in einem Club zu treffen - weil sie keinen haben.

Und niemand stört diese Ruhe - und falls Wurzen doch wieder einmal in die Schlagzeilen kommt, bzw. zu kommen droht, werden die Reihen noch fester geschlossen. Dann kennen die Autoren der Regionalzeitung nur noch die "überregionalen Medien", die Wurzen ins rechte Licht rücken wollen; die Polizei sieht in den "auswärtigen Krawallmachern", die sich Würzen als ausgemachtes Schlachtfeld ausgesucht hätten, die größte Gefahr und verhindert deren politischen Protest; die politisch Verantwortlichen verharmlosen alle Übergriffe und erklären in Verhöhnung der Opfer, daß es "hier keine Rechten gibt" (Wurzens Bürgermeister Pausch) und belohnen die Täter mit Jugendclubs nach ihren Überfällen und die meisten Einwohnerinnen und Einwohner stehen sowieso hinter ihren Kindern, da diese das Stadtbild in ihrem Sinne "sauber" hielten. Hier scheint es den sogenannten "Generationskonflikt" nicht zu geben - es herrscht Konsens. Ein für alle außerhalb dieses Spektrums stehenden Menschen lebensbedrohlicher Konsens.
Doch diese Situation macht Wurzen fast zu nichts besonderem mehr in der Landschaft deutscher Dörfer und Kleinstädte. Ein Angleichungsprozeß im gesellschaftlichen Klima - bestimmt durch einen deutschen rassistischen Konsens - und ein viel stärkeres öffentliches Auftreten der Nazis haben dazu geführt.

Doch Wurzen ist anderen Städten und Dörfern trotzdem noch weit voraus. Deshalb spricht das führende Mitglied der NPD und deren Jugendorganisation JN, Sascha Wagner, in der Nazizeitung "Noie Doitsche Welle" gar von einer "gelungenen Kulturrevolution" in Wurzen und denkt laut darüber nach, selbst nach Wurzen zu ziehen.
Während Wurzen als Exempel für die Umsetzung des Modells der "national befreiten Zone" steht, verfügt die organisierte Nazibewegung hier außerdem noch über ein selbstverwaltetes Jugendhaus, daß unter Obhut der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) als Zentrum im "bundesweiten Neonazizentrum" fungiert.
Es dient als Ausweichobjekt für bundesweite Naziveranstaltungen wie z.B. dem "Pressefest" des nazistischen Europa-Vorn-Verlages, welches im Juni 1998 in Dresden aufgelöst wurde - im Wurzner Nazihaus allerdings seine Fortsetzung fand. In dem Haus befinden sich im Aufbau bzw. existieren schon: ein Computer- und Fotolabor zur Propaganda- und Anti-Antifa-Arbeit gegen unliebsame Personen wie PolitikerInnen, JournalistInnen, RichterInnen, StaatsanwältInnen und insbesondere AntifaschistInnen sowie zur bundesweiten und internationalen Vernetzung mit Neonazis aller coleur, ein Kraft- und Kampfsportraum zum physischen Drill der Wurzener und Muldentaler Nazis, ein Veranstaltungs- und Tagungsraum mit Kneipe zur kulturellen Gefügigmachung insbesondere der lokalen Jugend. Diese genannte Infrastruktur des Zentrums soll die Voraussetzung für die aktive Naziszene sein, um politische Arbeit zu leisen und zum anderen die noch-nicht-rechten Jugendlichen mit der Nazisubkultur vertraut zu machen. Schwierig erscheint dies schon deshalb nicht, weil es in Wurzen keine alternativen Jugendtreffs für nicht-rechte Jugendliche gibt und bisher alle diesbezüglichen Versuche rigoros durch die Stadtverantwortlichen unterbunden wurden.
Außerdem dient das Wurzner Nazi-Haus auch als Ort für Nazi-Skin-Konzerte und sogenannte Liederabende. Eines dieser Konzerte war letztens im Bericht der Sendung Kontraste (ARD) auszugsweise zu sehen. Eine Naziband spielte dort vor mehr oder weniger bekannten Nazis und Nazi-Kadern aus Wurzen und Umgebung und gemeinsam wurde zu antisemitischen Texten gegrölt, die außerdem zum Mord aufrufen. So grölten die anwesenden Nazis u.a. im Chor: "Wir scheißen auf die Freiheit dieser Judenrepublik ..." oder "Wetzt die blanken Messer auf dem Bürgersteig, laßt sie flutschen in den Judenleib ...".
Nach diesem Kontraste-Bericht wurde das Haus vorerst dicht gemacht - aus baurechtlichen (!) Gründen wohlgemerkt. Diese sogenannte Schließung beinhaltete aber gleichzeitig, daß das Haus nach einigen Tagen für bestimmte Nazis wieder zugänglich gemacht wurde. Die können dort jetzt weiter ihre Aktionen vorbereiten und am Ausbau des Hauses werkeln, während sich die Lokalpolitikerinnen und Lokalpolitiker offiziell auf die Schließung des Hauses berufen. Gegen verschiedene Wurzener Nazis, darunter den NPD-Kreisvorsitzenden des Muldentalkreises, Markus Müller, wird seitens der Staatsanwaltschaft von Amts wegen halbherzig ermittelt. Daß dabei jedoch etwas herauskommt, ist mehr als fraglich. Schließlich können sich Beobachter der Szenerie des Eindrucks nicht erwehren, daß die Ermittlungen bewußt verschleppt werden und überhaupt nicht mit Nachdruck gearbeitet wird.
Doch selbst solange das Haus offiziell geschlossen ist, brauchen sich die Nazis um Räumlichkeiten für Partys und ähnliches keine Sorgen zu machen. So fand in der Silvesternacht zum Beispiel eine Party Wurzner Nazis im Haus des DSU-Stadtrates Ickers statt.
Die Wurzner Naziszene gehört zu der aktivsten und gewalttätigsten in Deutschland. Das beweisen nicht zuletzt der Überfall auf einen Personenzug im Januar 1998, in dem linke Gruppen zu einer Demonstration gegen Neonazis fuhren, ein Aufmarsch zu Ehren des Hitlerstellvertreters Rudolf Hess im Leipziger Neubaugebiet Grünau am 17. August 1998, ein an Brutalität kaum zu überbietender Angriff auf einen Antifaschisten am 22. Januar 1999, bei dem jenem Antifaschisten eine Pistole an die Schläfe gesetzt wurde und dieser sich seiner mutmaßlichen Exekution nur durch Notwehr entziehen konnte sowie ein Angriff auf junge Leipziger AntifaschistInnen, die am 24. Januar 1999 vor einem Neonazi-Treff in Leipzig-Grünau von mehreren dutzend u.a. Wurzener Nazis mit Knüppeln, Steinen, Flaschen und Totschlägern angegriffen wurden.
Darüberhinaus wird von den Wurzener Nazis äußerst aggressive Propaganda für die Nazi-Partei NPD betrieben. Viele Nazis der Szene besitzen selbst das Parteibuch der NPD. Und gerade im Wahljahr 1999, in dem sowohl Kommunal-, Europa-, als auch Landtagswahlen in Sachsen anstehen, wird die Wurzner und Muldentaler Szene alles daran setzen, ihrer Partei entsprechende Wahlerfolge einzufahren.

Besonders brisant wird die ganze Situation, wenn man den Fakt hinzuzieht, daß seit einigen Monaten der für Wurzen zuständigen Polizeidirektion Grimma der ehemalige Chef der berüchtigten Sächsischen Sonderkommission Rechtsextremismus, (Soko Rex), Bernd Merbitz, vorsteht. Dieser scheint aber weniger Interesse an einem Verfolgungsdruck gegenüber Nazis zu haben als vielmehr daran, gegen die Partikelchen einer linken Szene in Wurzen und im Umland vorzugehen. Das beweisen mehrere grundlose Festnahmen, Verhöre, Ermittlungsverfahren und Hausdurchsuchungen.

Unterstützung statt Problematisierung lautet das Motto der Stadt Wurzen. Grund genug, Wurzen, seine Nazis, die Bevölkerung und die Stadtverantwortlichen fortlaufend in die Medien zu bringen. Es kann nur jedes mal neu Aufgabe antifaschistischen Protestes sein, diesen rassistischen Konsens zu thematisieren und entschlossen dagegen vorzugehen.

Deshalb fordern wir:
    die endgültige Schließung des Nazihauses in der Käthe-Kollwitz-Straße und aller schon geplanten Ersatzobjekte
    die sofortige Einstellung der Jugend- und Sozialarbeit für und mit Nazis und Rassisten
    ein alternatives Jugendzentrum für nicht-rechte Jugendliche in Wurzen
    die sofortige Einstellung aller Verfahren und Ermittlungen gegen Alternative und Linke in Wurzen und Umgebung!
Bündnis gegen Rechts Leipzig

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