Wir stehen hier beim Denkmal von Carl Friedrich Goerdeler. Diejenigen, die ihm dieses Denkmal gesetzt haben, betonen vor allem das, wogegen Goerdeler sich gewandt hat. Sie heben hervor, daß er Hitler stürzen wollte, daß er wegen der Entfernung des Mendelsohn-Denkmales als Oberbürgermeister von Leipzig zurückgetreten ist und antisemitische Pogrome, insbesondere auch die vom 9. November 1938 scharf verurteilt hat. Dass Goerdeler auf der anderen Seite die Ernennung von Hitler zum Reichskanzler befürwortet hat und bereits vor den Nürnberger Gesetzen Verordnungen geschaffen hat, mit denen die Juden aus dem öffentlichen Leben Leipzigs immer mehr verdrängt wurden, wird damit gerechtfertigt, daß Goerdeler im Laufe der Zeit einen Lernprozeß durchgemacht habe oder als taktisches Verhalten verharmlost. Tatsächlich war aber Goerdelers Politik immer zielstrebig, direkt und unter anderen durch folgende stark ausgeprägte Haltungen bestimmt: Antisemitismus, Nationalismus und ein erzkonservatives Rechts- und Moralverständnis. Von diesen Haltungen ist Goerdeler in keiner seiner Schriften erkennbar abgewichen. Sein Entsetzen über die Pogrome und den weiteren Verlauf des Holocaust war echt. Das ist aber kein Argument gegen seinen Antisemitismus. Das, was Goerdeler und die Mehrheit der Deutschen einte, war die Grundlage ihres Antisemitismus. Goerdeler sah in den Juden eine eigene Rasse, die zudem nicht von der deutschen Gesellschaft assimilierbar war, sondern ihr vielmehr schadete. Deshalb, so Goerdeler, müßten die Juden aus der deutschen Gesellschaft entfernt werden. In dieser Haltung war sich Goerdeler mit allen anderen deutschen Antisemiten einig. Diese Haltung bildete die ideelle Grundlage zur industriellen Vernichtung von 6 Millionen Menschen. Auch wenn Goerdeler den Holocaust verurteilt hat, so hat er ihn doch durch seine eigene antisemitische Politik mit vorbereitet. Durch das Entsetzen Goerdelers über den Holocaust ist es seitens derjenigen, die ihm hier ein Denkmal gesetzt haben, möglich, Goerdeler zum Gegner des Antisemitismus umzudeuten.
Carl Friedrich Goerdeler Problemlos lassen sich Zitate finden, die eben dieses Entsetzen wiedergeben. Aber einige dieser Zitate zeigen auch, wie dicht bei Goerdeler Entsetzen und tief sitzender Antisemitismus beieinander liegen. Eines der Zitate, die am Rande dieses Denkmals stehen lautet wie folgt: "Die Judenverfolgung, die sich in den unmenschlichsten und unbarmherzigsten, tief beschämenden und gar nicht wieder gutzumachenden Formen vollzogen hat, ist sofort eingestellt. Wer geglaubt hat, sich am jüdischen Vermögen bereichern zu können, wird erfahren, daß es eine Schande für jeden Deutschen ist, nach unredlichem Besitz zu streben.'' Hier endet das Zitat und die Denkmalerbauer unterschlagen damit den nächsten Satz. Der lautet: "Mit Marodeuren und Hyänen unter den von Gott geschaffenen Geschöpfen will das deutsche Volk auch in Wahrheit gar nichts zu tun haben.'' Diese Worte entstammen der geplanten Regierungserklärung für den Fall eines gelungenen Putsches. Damit ist klar, dass es den Politikern von heute darum geht, mit Goerdeler einen guten Deutschen zu schaffen, in dessen Tradition sich die heutige Politik stellen kann. Die Ehrung von Goerdeler ist ein Teil des deutschen Geschichtsrevisionismus. Mit der Denkmalsetzung für Goerdeler stellen sich dessen Befürworter auch in die antisemitische Tradition in Deutschland. Goerdeler selbst distanzierte sich deshalb von den Nazis, weil er der Auffassung war, daß die Nazis Deutschland in Gefahr brachten. Es war weniger eine Differenz in inhaltlichen Positionen, die Goerdeler zum Rücktritt bewegten, als vielmehr eine Differenz darüber, wie ein judenfreies Großdeutschland zu erreichen sei. Auch wenn wir Goerdeler keine Mordlust unterstellen wollen, so war der Antisemitismus dennoch bei ihm tief verwurzelt. Das Gedenken an die Opfer der Reichspogromnacht verbindet sich für uns mit einer Kampfansage gegen jede Form des Antisemitismus und Nationalismus.