First we take Manhattan ...
Ein Ende der Debatte in der deutschen Linken um die Auswirkungen des 11.9. ist nicht abzusehen. Mit einiger Verspätung nun unser Senf zur Soße.
I'm coming now I'm coming to reward them
Die in letzter Zeit allerorts zu lesende Selbstvergewisserungsformel, daß "nichts mehr so ist, wie es war" ist bei aller Liebe zur Veränderung dann doch nur die halbe Wahrheit. Wahr ist, daß der Terror, der sich seit fast 50 Jahren eigentlich nur noch jenseits der räumlichen Grenzen jener Nationen und Staaten abspielte - von Israel einmal abgesehen - die sich als legitime Erben der europäischen Aufklärung verstehen, mit Unerbittlichkeit von der "Peripherie" ins "Zentrum" zurückgekehrt ist. Die massenhafte intentionale Tötung von Menschen die bis dato immer - sei sie aus außenpolitsichen Kalkül in der Blockkonfrontation oder aus nationalistischen bzw. fundamentalistisch - religösen Motiven heraus geschehen - jenseits der "zivilisierten Sphäre" stattfand, hat nun also auch das Diesseits eingeholt. Nun ist jedoch die Trennung in "diesseits" und "jenseits", in "Gut" und "Böse" - so gut sie sich auch zur identitären Selbstverortung eignet - nur eine scheinbare. Beide Seiten sind aufgehoben in der Einheit, die sich seit nun auch schon einigen Jahren "kapitalistische Weltordnung" nennt. Und diese hat sich unseres Wissens immer noch nicht geändert. Die Ursachen für die Tat sind jedenfalls keineswegs allein im "jenseits" zu suchen, sondern mindestens ebenso sehr im "diesseits". Ein kurzer Blick in die Historie mag dies bestätigen. Der überstürzte Rückzug des Kolonialismus in der Mitte des 20. Jahrhunderts aus der großen weiten Welt, welcher durch diesen einst die Verheißungen der Zivilisation nahegebracht werden sollten, hat vielerorts ein Trümmerfeld hinterlassen. Viele der neu gegründeten Nationalstaaten im Trikont hatten nicht den Hauch einer Chance eine nachholende Modernisierung erfolgreich durchzuführen und verharren in blutiger Lethargie. Sie sind vergessen was das Leid der dort lebenden Menschen angeht, vergessen vom Weltmarkt. Im Blockkonflikt konnten sie als Frontstaaten der einen oder der anderen Seite wenigstens noch darauf hoffen, einen Teil des großen Kuchens für sich zu beanspruchen. Doch dies ist Vergangenheit. Einhergehend mit dieser Entwicklung kam es zu einem massenhaften Sterben der sogenannten nationalen Befreiungsbewegungen, die sich mit ihrer Melange aus Nationalismus und Sozialismus gut in das weltweite Blockschema eingepaßt hatten. Zumindest in den islamischen Staaten trat an ihre Stelle eine neue religiöse Bewegung. Diese islamistische Bewegung richtet sich nun aber gegen den Westen als solches, propagiert die religiöse Gemeinschaft gegenüber der säkularisierten Gesellschaft und bekämpft die "dekadenten" Werte der Aufklärung - etwa die Gleichstellung von Mann und Frau. Der Islam wird von dieser Bewegung - die in sich keineswegs einheitlich ist - als Begründungsmodell herangezogen, aber eben - und das ist das entscheidende - als eine Reaktion gegenüber dem als übermächtig erscheinenden Westen. Diese moderne Form des Islam ist also keine stringente Fortführung einer mystischen Traditionslinie aus dem "finstren Mittelalter", sondern immer schon Reaktion auf das westliche Wertemodell. Natürlich keine die in irgendeiner Art und Weise gut zu heißen wäre - wird doch keine grundsätzliche Kritik am kapitalistischen Verwertungsmodell propagiert, sondern vielmehr die universalistischen Werte des Kapitalismus angegriffen, die zumindest dem Anspruch nach das Versprechen nach Emanzipation in sich tragen. Der Kapitalismus konnte sein Emanzipationsversprechen nie einlösen. Im "diesseits" gebiert er vielmehr unentwegt FundamentalistInnen der Arbeit, die blind und taub ihrer eigenen Verwertung zujubeln, im "jenseits" dagegen Tod und Hoffnungslosigkeit, die oft genug durch religiösen, nationalistischen und antisemitischen Hass zum Ausdruck kommt. Unbestritten, daß diese Einstellungen auch im ach so zivilisierten "diesseits" nicht ganz unbekannt sind.
I don't like your fashion business, mister
Nun darf aber die Tat - bei all ihrer Bedingtheit durch die weltweite Totalität des kapitalistischen Systems - an sich nicht als eine antikapitalistische, oder gar emanzipative verstanden werden. Die Intention der wahrscheinlichen Attentäter ist zum einen eine antiamerikanische, zum andern eine antisemitische. Beides ist durch nichts zu rechtfertigen. Schließlich hat die Antifa auch bei Nazis nie den Fehler gemacht, diese als Opfer des Systems zu verhätscheln, sondern ganz klar auf ihre Verantwortung für das was sie tun - für ihren Hass auf alles nicht-deutsche - hingewiesen und sie entsprechend bekämpft. Selbiges gilt für die wahrscheinlichen Attentäter, es war deren freie Entscheidung Menschen zu töten und zwar aus Motiven heraus, die die Antithese jeglicher Emanzipation darstellen. Sowohl Antiamerikanismus als auch Antisemitismus stellen Personifikationen der nicht-personalen Logik des kapitalistischen Systems dar. Unterschieden sind in ihnen die als verantwortlich halluzinierten Subjekte. Beim Antiamerikanismus ist der US-amerikanische Staat, der als das Böse schlechthin begriffen und damit als die verantwortliche Kraft für das Elend auf dieser Welt dargestellt wird. Nun spricht nichts dagegen die amerikanische Außenpolitik zu kritisieren, aber eben auch nur als das was sie ist: als Politik eine kapitalistischen Staates. Dagegen, daß die USA innerhalb der Systemlogik ihre Interessen vertreten, mag sich auflehnen wer will. Ohne eine grundsätzliche Kritik des kapitalistischen Staates mit einzubeziehen, kann eine linksradikale Kritik daraus nicht werden. Wird beim Antiamerikanismus "wenigstens" noch ein Staat für "diese ganze Scheiße" (Marx) verantwortlich gemacht, so verläßt den Antisemiten jegliches Abstraktionsvermögen. Der Antisemitismus spielte bei den Motiven des Anschlag auf das World Trade Center eine entscheidende Rolle. Das Finanzzentrum New York gilt antisemitischen VerschwörungstheoretikerInnen als das Herz der Welt. Hier werden "hinter verschlossenen Türen die Fäden gezogen", die über Wohl und Wehe der Welt entscheiden. Hier sitzen diejenigen, die über die "zionistische Krake" Israel den nahen Osten kontrollieren. Diese halluzinierte Weltverschwörung sollte am 11. September getroffen werden.
I told you I was one of those
An einigen Reaktionen in der deutschen Linken offenbaren sich auch Gefahren symbolischer Politik, so notwendig sie auch ist. Es ist klar, daß solcherart Politik, indem sie über Symbole abstrakte Zusammenhänge darstellt, immer mit Verkürzungen arbeitet. Dies muß sie aber immer wieder ins Bewußtsein rufen. Ansonsten gerät symbolische Politik in ihrer Rezeption in Gefahr, daß die durch sie dargestellten Symbole für das eigentliche gehalten werden. Aus solcherlei Symbolfetischismus erklärt sich dann wohl auch die klammheimliche Freude die mancherorts über die Zerstörung "des Herzens des Kapitalismus" geäußert wird.
Aus dem bisher gesagten ergibt sich nun keineswegs, daß man in den zivilgesellschaftlichen Trauerchor der immer noch überall in Deutschland zu vernehmen ist, einzustimmen hat. Dieser ist zwar durchaus nicht geheuchelt, aber leicht anfällig für Instrumentalisierungen aller Art. So regten sich anfangs kaum Stimmen gegen die weitere Verschärfung der Überwachungsmaßnahme von staatlicher Seite. Die Ernüchterung in den linksliberalen, bürgerlichen Medien wird wohl erst dann eintreten, wenn bemerkt wird, daß sich die neuen Möglichkeiten der Repression gegen jede Opposition und gegen jedes Oppositiönchen richtet - ähnlich wie beim Ausreiseverbot für Hooligans. Im Zuge der derzeitigen Instrumentalisierungsversuche der Attentate durch die deutsche Innenpolitik wächst auch die Gefahr rassistischer Ausgrenzung. Vor allem dann, wenn die in Deutschland lebenden Sleeper, die ja als Musterbeispiel für Integration gelten könnten - unauffällig, höflich, fleißig - als Ausdruck dafür genommen werden, das Integration per se nicht möglich sei. Das unveränderbare Fremde - sei es rassisch oder kulturell determiniert - könnte wieder stärkere Diskursmächtigkeit erlangen. Neben der innenpolitischen Tragweite der Attentate ist ihre außenpolitische Bedeutung kaum zu überschätzen. Die weitere Normalisierung deutscher Bundeswehrkampfeinsätze nun auch außerhalb Europas scheint beschlossene Sache. Einzig die USA sträuben sich momentan noch dagegen, bedeutet doch ein deutscher Bundeswehreinsatz im Mittleren Osten auch eine Stärkung der deutschen Position in dieser Region. Dies ist vor dem Hintergrund des europäisch - amerikanischen Wettbewerbs nicht im Interesse der USA. Die grundsätzliche Ablehnung deutscher Kriegseinsätze sollte auch für die radikale Linke nicht zur Disposition stehen. Allerdings ist ein Zusammengehen mit der sich abzeichnenden Friedensbewegung höchst problematisch. Steht für diese doch der Hauptfeind nach wie vor nicht im eigenen Land, sondern jenseits des Pazifik. Keinerlei Protest regte sich gegen Übernahme der Führungsrolle durch die Bundeswehr beim "Waffeneinsammeln" in Mazedonien; gegen den "Weltpolizisten USA" sind schnell die Pflugscharen gewetzt. Das völkische Grummeln ist dabei nicht zu überhören. Natürlich ist darauf zu beharren, daß ein militärischer Einsatz gegen "international operierende Terrorgruppen" die Ursachen des Terrorismus nicht beseitigen kann. Auch ist es ein Fehler der USA zu unterstellen, sie wollten Afghanistan aus purer Menschenfreundlichkeit mit Wohlstand und Demokratie segnen. Dies hätten sie auch schon vor fünf Jahren tun können. Allenfalls ist auf eine "List der Vernunft" zu hoffen, wonach ein befriedeter Mittlerer Osten dem Sicherheitsbedürfnis der USA und ihrer Bevölkerung am ehesten entspricht und der Kriegseinsatz auf diese Art und Weise zu einer Demokratisierung der Region führt. Sehr wahrscheinlich ist dies aber nicht.
Bündnis gegen Rechts Leipzig Oktober 2001
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