FelS AG Soziale Kämpfe, 19.01.2005
Die folgende (selbst)kritische Auswertung der Aktion "Agenturschluß" ist ein erster Teil unserer Überlegungen zu den stattgefundenen oder auch ausgebliebenen sozialen Kämpfen der letzten eineinhalb Jahre. Auch wenn unsere Bilanz eher nüchtern ausfällt, heißt das nicht, dass wir die stattgefundenen Aktionen für vergeblich halten. Gerade im Hinblick auf die beginnende europaweite Vernetzung der "Prekären" und den kommenden Euromayday 2005 steht die Erarbeitung einer breiteren lokalen Basis weiter auf unserer Agenda 2010.
Die Aktion Agenturschluss
Die Agenturschluss-Aktionen waren weder in Berlin noch bundesweit ein neuer Startschuss für die Sozialproteste. Vor dem Hintergrund der im Vorfeld geweckten Erwartungen sind sie eher enttäuschend ausgefallen. In Berlin ist am 3. Januar außerdem deutlich geworden, wie groß die Distanz linksradikaler Aktionspolitik zu den von Sozialkürzungen Betroffenen ist.
FelS hat sich am Agenturschluss in Berlin im Rahmen von ACT! und vom Bündnis Ende der Bescheidenheit beteiligt. Entgegen den noch im Sommer gemachten Ankündigungen ist unser Beitrag zur Vorbereitung des Tages eher dürftig ausgefallen und hat sich vor allem auf eine Mobilisierungsaktion im Dezember konzentriert. An den bundesweiten Planungen haben wir nicht teilgenommen. Trotzdem hoffen wir, dass die folgenden Überlegungen zum Agenturschluss auch über Berlin hinaus von Interesse sind.
In Berlin lief die Mobilisierung im Bündnis „Das Ende der Bescheidenheit“ ab, in dem sich seit einem guten halben Jahr linke Gruppen, Grüppchen und Einzelpersonen zusammen geschlossen haben. Die Mobilisierung bestand im Wesentlichen aus einigen Aktionen im Vorfeld (gemeinsame Abgabe der ALG2-Anträge, kleine Kundgebungen, eine Parade prekär beschäftigter Weihnachtsmänner und Engel durch ein großes Kaufhaus mit anschließender praktischer Aneignung und Umverteilung, ein äußerst medienwirksamer Besuch der Überflüssigen im Nobelrestaurant Borchardt sowie eine Mobilisierungsveranstaltung kurz vor Weihnachten, außerdem Flugblattverteil-Aktionen vor verschiedenen Arbeitsämtern und eine Veranstaltung im Wedding) und dem Agenturschluss selber.
Von den Vorfeldaktionen haben nur ein bis zwei größere Wirkung erzielt, und auch das nur auf medialer Ebene: Herausragend war sicherlich das Essengehen der Überflüssigen im Borchardt. Damit haben es die Überflüssigen auf die Titelseiten mehrerer Tageszeitungen geschafft; die Aktion kann durchaus als beispielhaft für eine gelungene Mobilisierungsaktion bezeichnet werden. Die Kaufhaus-Parade hat immerhin am Rande Erwähnung gefunden, war aber schon weit weniger präsent, von den anderen Sachen wurde öffentlich (auch szene-öffentlich) nicht viel wahrgenommen.
Der Agenturschluss selber war dann in Berlin immerhin dynamischer als zuvor erwartet, die von manchen befürchtete Katastrophe ist ausgeblieben. Die Demo ist gegen den Willen der Polizei direkt bis vor die Arbeitsagentur Müllerstraße gelaufen, die Agentur konnte eine Weile blockiert werden. Auch in der Arbeitsagentur Mitte wurde der Betrieb für eine Weile unterbrochen. In beiden Fällen gab es Rangeleien mit der Polizei und die entsprechenden Fernsehbilder, ein paar Festnahmen runden den Tag ab. Die angekündigten Workshops vor und in den Agenturen haben hingegen nicht stattgefunden. Am Abend hat die Medienberichterstattung den Tag in etwa so resümiert: Die Sozialproteste sind vorbei, die Einführung von Hartz IV war fürs erste erfolgreich. Und damit haben sie Recht. Auf ein Wiederaufflammen der Proteste darf man zwar weiter hoffen, de facto gibt es aber keine Anzeichen dafür.
Die allgemeine Hartzlage
Sicherlich hat es bei der Einführung von Hartz IV geholfen, dass vorläufig doch mehr Anträge bewilligt wurden als zunächst angekündigt – zumindest in Berlin. (In Berlin liegt die Ablehnungsquote bei etwa drei Prozent, das sind 5.400 von 240.000 abgegebenen Anträgen. Bundesweit wurden knapp zehn Prozent der abgegebenen Anträge nicht bewilligt. Ursprünglich waren die Agenturen noch davon ausgegangen, dass im Schnitt mindestens 20 Prozent der Anträge nicht bewilligt würden.) Das hat dem Unmut die Spitze genommen und ist ein kluger, wenn auch nicht gerade neuer, Schachzug: erst den worst case ankündigen, dann zurück rudern und schließlich, wenn sich die Wogen geglättet haben, geht der Kampf darüber los, was tatsächlich durchsetzbar ist. Das hat nur dummerweise dazu geführt, dass die „Einsparziele“ bisher bei weitem noch nicht erreicht wurden. Es ist also damit zu rechnen, dass sich die Auseinandersetzung um die tatsächliche Höhe der Leistungen nach und nach verschärfen werden. Spätestens zum ersten Juli wird sich z.B. im Bereich der Leistungen für Unterkunft und Heizung einiges tun. Dann sind nämlich die sechs Monate um, in denen die Agentur noch die Kosten für „zu teure“ Wohnungen trägt. Aber zurück zur Auswertung von Agenturschluss:
Für uns war vor allem die Feststellung wichtig, dass „die Betroffenen“ von Hartz IV, jedenfalls diejenigen, die wir an diesem Tag auf den Ämtern angetroffen haben (und das sind v.a. welche gewesen, bei denen das Geld nicht gekommen ist oder die aus irgendeinem anderen Grund Ärger durch Hartz IV hatten), nichts mit der Aktion anfangen konnten. Es ist klar geworden, dass sich unsere Aktionsformen nicht an ihren Problemen orientieren, ja nicht einmal darauf zielen sie einzubinden. Auch wenn es kaum offene Ablehnung gegen uns gab, waren viele not amused darüber, dass sie noch länger als geplant warten mussten. Klar: Für alle, die ihr Geld nicht rechtzeitig bekommen haben, deren Anträge verschwunden sind o.ä., hat es erstmal Priorität, das zu klären. Und dann möglichst schnell wieder nach Hause. Eigentlich logisch, dass in dieser Situation Solidarisierungseffekte mit unserer Aktion weitgehend ausgeblieben sind. Diese Haltung als Ausdruck von Passivität oder Fatalismus abzuqualifizieren, ist sinnlos und zeugt eher von mangelndem Interesse, sich mit den realen Problemen und Bedürfnissen der Hartz-IV-VerliererInnen auseinander zu setzen. (Natürlich gibt es noch weitere individuelle Gründe dafür, Agenturschluss eher misstrauisch zu beäugen als begeistert mitzumachen: Vermutlich ist es manchen immer noch unangenehm, zum Arbeitsamt zu müssen und sie wollen dort lieber nicht weiter auffallen. Wieder anderen ist klar, dass auf dem Amt nicht die Hauptverantwortlichen für ihre Problem sitzen sondern vor allem die, die es umsetzen müssen. Usw usf.)
Konsequenzen
Es hat sich unseres Erachtens jedenfalls gezeigt, dass ein derartiger Aktionsstil allein dem Thema nicht angemessen ist. Diese Erfahrung haben wir so ähnlich bereits in der Kampagne Berlin umsonst gemacht. Mehr oder weniger spektakuläre Aktionen – auch wenn sie gut gemacht sind und sich an alltäglichen Problemen aufhängen – verpuffen, weil sie allein keine Perspektive für die Zeit nach der Aktion (bzw. zwischen den Aktionen) aufzeigen können. Wenn wir Leute erreichen wollen, die nicht eh schon in der linken Szene aktiv sind, dann müssen wir auch erreichbar sein und Möglichkeiten zum Mitmachen bieten. Und es muss erkennbar sein, dass es etwas bringt, was wir machen, einen konkreten materiellen Nutzen. Konkret könnte das bedeuten, Informationen zusammen zu stellen, was einem auf dem Amt und im Job zusteht, wie man seine Ansprüche durchsetzen kann, wie man sich Dinge des täglichen Lebens umsonst organisiert usw. – und diese Informationen unter die Leute zu bringen, auch zu Anlässen wie dem Agenturschluss. Auch eine Anlaufstelle, die für Interessierte offen ist, ein regelmäßiger Treffpunkt wäre nötig, auf dem man gemeinsam solche Probleme diskutieren kann, Erfahrungen weitergeben kann oder sich gemeinsam eines Problems, sei es Ärger mit dem Vermieter, ausstehende Lohnzahlungen oder was auch immer, annimmt. Wir schlagen nicht vor, die x-ste Beratungsstelle für Erwerbslose aufzumachen. Da gibt es viele, die das sehr viel besser können als wir. Wir glauben aber, dass auch aktionsorientierte Gruppen Möglichkeiten schaffen müssen, wie ganz normale Leute mit ihnen in Kontakt kommen können und von dem profitieren können, was wir tun.
Das alles bedeutet nicht, dass wir der Meinung sind, dass uns dann alle die Bude einrennen, weil sie nur darauf gewartet haben, dass wir uns endlich für ihre Probleme interessieren. Es heißt auch nicht, dass wir künftig darauf verzichten sollten, Schlaglichter im Stile der Überflüssigen- und Berlin-umsonst-Aktionen zu setzen. Das ist weiter sinnvoll, um Aufmerksamkeit zu erregen und unsere Handlungsfähigkeit zu demonstrieren. Nur muss es eben ergänzt werden durch Formen der Alltagsorganisierung.
Wenn die Agenturschluss-Aktionen auch nicht die Betroffenen mobilisiert haben, so haben sie doch immerhin in einem gewissen Umfang und bundesweit die linke Szene mobilisieren können. Und darin liegt auch das Positive des Tages: Über die Vorbereitung des Agenturschluss haben sich im ganzen Bundesgebiet auf lokaler Ebene Gruppen zusammen gefunden, die im Bereich der Sozialproteste aktiv sind oder werden wollen. Nun besteht die Möglichkeit, sich auf weitergehende Perspektiven zu verständigen. Die gemeinsam gemachte Erfahrung, dass wir im Bereich der Sozialproteste das Laufen erst noch lernen müssen, ist dafür ein guter Ausgangspunkt.
FelS AG Soziale Kämpfe (Januar 2005)