Klaus Viehmann u.a.

DREI ZU EINS

Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus
I.
»Wenn du argumentierst, entscheidest du dich für das Risiko zu entdecken, daß einem Argument eine Struktur zukommt, die weitgehende Implikationen für deine eigene Existenz hat.« (Denkverhältnisse, 553)

In diesem Sinn ist das Papier gerne Risiko. Als Diskussionspapier auch nur vorläufig und mit dem Risiko von Irrtümern behaftet ­ das ist der zweifelhaften Sicherheit des Schweigens jedoch vorzuziehen.
Die Vorgeschichte dieses Papiers ist eine lange Diskussion zwischen linken Frauen (v.a.) und Männern, meist über Knastpost geführt. Letztlich nur zusammengefaßt im Knast mit dem »Blick aus der Ferne«, der viele alltägliche Details übersieht, aber (deshalb?) auch mal weiter über den Tellerrand reichen kann.
Thema der Diskussion war die Kritik eines überkommenen Klassenbegriffs, der patriarchalisch vorgeprägt und dominiert ist und voller Rassismen steckt. Die Analyse von globalen oder lokalen Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnissen war immer ökonomistisch verzerrt und machte die Existenz von Patriarchat und Rassismen »unsichtbar«. Sie trennte Kämpfe in Haupt- und Nebenwidersprüche und stülpte der Welt ein weißes, eurozentristisches Raster über.
Ereignisse wie der 1. Mai 1987 in West-Berlin mit seiner aktiven Zusammensetzung von Kiezarmut, türkischen Jugendlichen beiderlei Geschlechts und Autonomen, der Rheinhausen-Streik 87/88 und die autonomen Nicht-Reaktionen darauf sorgten zwar für Anstöße. Größere Konsequenzen in der autonomen Theorie und Praxis blieben aber aus. Selbst die Kampagne zum IWF-Gipfel im Herbst 1988 hatte außer der plakativen Erwähnung von Patriarchat und Rassismus in Texten und Flugblättern wenig wirkliche Folgen.
Die sexistischen Binnenstrukturen der Linken, die durch das Bekanntwerden häufiger Angriffe auf Frauen nicht mehr geleugnet werden können, die eher schwache linke Reaktion auf die staatliche Hetze gegen »Asylantenfluten« (abgesehen von wenigen Ausnahmen wie der RZ-Kampagne »Freies Fluten«) sowie aktuell die traditionell und defensiv bleibende Thematisierung von wachsenden, sich nicht mehr nur verbal äußernden Rassismen im Einigvaterlandstaumel spiegeln das etwas wider. Auf der Suche nach einer radikalen Kritik dieser globalen und lokalen Gewalt- und Ausbeutungsverhältnisse war in der Theorie der BRD-Linken wenig zu finden. Die Bedeutung von Kapitalismus/Imperialismus, Patriarchat, Rassismen und der Zusammenhang zwischen allen wird von ihr noch eher nebenbei und formal behandelt.
Viel weiter sind feministische Genossinnen und Schwarze ­ besonders Schwarze Frauen ­ was selbstverständlich kein Zufall ist. Die Betonung einer »triple oppression«, einer dreifachen Unterdrückung durch Kapital, Patriarchat und Rassismen ist in der »militant left« Englands, Amerikas und im Trikont kräftig vernehmbar. (Gelegentlich wird zur Kennzeichnung der metropolitanen Ausbeutung des Trikont »Imperialismus« als vierte Unterdrückung hinzugenommen, »triple oppression« aber doch als feststehender Begriff beibehalten.)
Je länger du dich mit der dreifachen Unterdrückung auseinandersetzt, desto sichtbarer werden ihre Elemente und Wechselwirkungen in Theorien, Geschichte, Alltag und linker (Nicht-)Praxis. Diesen Erkenntnisprozeß will dieses Papier auch rüberbringen.
»Wenn wir von Befreiungskampf sprechen, meinen wir den Kampf gegen alle diese drei Arten von Unterdrückung. Wir sprechen nicht von drei verschiedenen Stadien oder drei verschiedenen Kämpfen; nein, wir sprechen von einem einzigen Kampf! Ich sagte bereits, daß Freiheit unteilbar ist. Du kannst dich nicht frei nennen, solange noch die eine oder die andere dieser Unterdrückungsformen weiterbesteht.« (Neville Alexander)
Die BRD-Linke ist privilegiert: Je männlicher und je weißer und je weniger auf den Verkauf von Arbeitskraft angewiesen, desto mehr. Privilegien machen blind. Blind für Wirklichkeiten außerhalb der eigenen Erfahrungen und gängigen Bewußtheiten. So müssen Typen vieles erst von feministischen Genossinnen lernen, und alle ähnlich viel aus Texten von Schwarzen. Antisexistisch und antirassistisch ist ein Linker ja eh ­ aber eben nur »eh« und selten mit bewußtseinsmäßigen und praktischen Konsequenzen. (»Eh« heißt meist auch, daß ein Linker sich nicht mehr speziell damit auseinandersetzt, weil er meint, in diesen Hinsichten ja gar nicht Täter sein zu können. Im »Privaten« schon gar nicht.)
Verhältnisse, in denen du privilegierter Teil bist, sind nicht ohne eigenen Machtverlust revolutionierbar ­ das ist der Ausgangspunkt.
Die autonome Linke und ihre Theorie ist in solch einem Zustand der Beliebigkeit und des Utopienmangels, ihre Praxis oft so voll von stillen oder handfesten Sexismen, von Rassismen und von »weißen Flecken«, daß die Diskussion der »triple oppression« nur gut sein kann. Der Mangel an Utopien ist der Mangel an Vorstellungen von etwas, für das es sich zu kämpfen lohnt und von dem, was erreicht werden muß. Utopien auf die Möglichkeiten des unmittelbaren Umfeldes zurückzuschrauben, läßt Fragen der Macht und der aufzubauenden Gegenmacht zu reinen Tagesaufgaben werden. Langfristige Mobilisierung ist aber nur möglich mit Zielen von Befreiung vor Augen, die über die aktuelle (eigene) Lebenssituation hinausreichen.
Eine der härtesten Lektionen, die wir zu lernen hatten, war, daß revolutionärer Kampf eher wissenschaftlich (scientific) als emotional ist. Ich sage nicht, daß wir nichts fühlen sollten, aber Entscheidungen können nicht auf Liebe oder Wut basieren. Sie müssen sich begründen auf den objektiven Bedingungen und danach richten, was rational und emotional (notwendig) zu tun ist.
(Assata Shakur)
Nach dieser Einleitung geht's um den alten Klassenbegriff und seine Grenzen; damit begann die Diskussion auch einmal. Danach eine Definition von Rassismen und deren Beziehungen zu Klassenkämpfen und Patriarchat. Patriarchat und seine feministische Kritik und deren Beziehung zu Klassenkämpfen folgen. Als besonderer Abschnitt dann längere Zitate aus Texten Schwarzer Frauen; als konkreter Bezug auf BRD-Verhältnisse Auszüge aus einer Kritik einer philippinischen Frau an der bundesdeutschen Frauenbewegung. Beide bekommen so viel Raum, weil sie wichtig und authentisch sind. Im Anschluß eher Trocken-Theoretisches zur »triple oppression«. Dann ein Exkurs zum NS-Faschismus und dem Widerstand der KPD. Danach ein längeres Kapitel mit Kritik an autonomer Theorie und Praxis, gefolgt von ein paar Vorschlägen. Als Anhang eine teilweise kommentierte Literaturliste; die werden alle brauchen, die die »triple oppression« genauer studieren wollen.
Bei diesem komplexen Thema ist es unvermeidlich, daß sich im Text Überschneidungen über verschiedene Kapitel hinweg ergeben. Sie ergänzen sich aber auch. Also bitte nichts aus dem Kontext des Papiers herausreißen.

Vorab noch ein paar Begriffsdefinitionen:
Klassenkämpfe ­ als Kämpfe gegen kapitalistische Ausbeutung, getragen von (Lohn-) ArbeiterInnen und denen, die sich mit ihnen solidarisieren.
Antipatriarchalische Kämpfe ­ getragen von Frauen und denen, die sich mit ihnen solidarisieren.
Antirassistische Kämpfe ­ getragen von Schwarzen und denen, die sich mit ihnen solidarisieren.
(»Schwarz« als politischer Begriff für all die, die weißen Rassismen ausgesetzt sind.)
Antiimperialistische Kämpfe ­ getragen von trikontinentalen Bewegungen und denen, die sich mit ihnen solidarisieren.

Daß diese Kämpfe in der Realität nicht so sauber zu trennen sind, wird gleich noch Thema sein. Diese Definitionen sind so aber richtig und wichtig, weil gerade die Diskussion der »triple oppression« sich im Kreise drehen würde, wenn sie in unklare Begriffe gezwängt bzw. mit unklaren Begriffen geführt wird.

II.
»Was ist heute die arbeitende Klasse?
Welches Geschlecht hat sie? Und welche Hautfarbe?«
(Paul Gilroy)

Diese Fragen zielen als Kritik auf einen Klassenbegriff, der behauptet, alle Kämpfe erklären und auf einen Hauptwiderspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital zurückführen zu können und der damit die Arbeiterklasse zum revolutionären Subjekt bestimmt. Dieses traditionelle linke Konzept läßt keinen Raum für die historisch-authentischen Unterdrückungen von Frauen und Schwarzen und für qualitative, materielle Unterschiede zwischen Metropole und Trikont. Es läßt auch keinen Platz für kollektive Gegenwehr ­ in diesen Dimensionen; es ist patriarchalisch und weiß-eurozentristisch.
Die marxistische Theorie ist unverzichtbar zur Erkenntnis kapitalistischer Ausbeutung und zur Entschlüsselung der Kämpfe, die sich entlang des Widerspruchs zwischen Kapital und Lohnarbeit abspielen. Die Klassenanalyse, die aus diesem (ökonomischen) Widerspruch heraus die Arbeiterklasse als den alleinigen Träger revolutionärer Prozesse nennt, ist unzulänglich, da sie Patriarchat und Rassismen als Nebenwidersprüche sieht und damit ihr politisches und gesellschaftliches Gewicht verkennt. Indem sie die Bedeutung von rassistischer und sexistischer Unterdrückung herunterspielt oder sie bestenfalls als Spaltungsmechanismen des Kapitals analysiert und sie damit ausschließlich an dessen Existenz bindet, fehlt ihr im politisch-praktischen Prozeß das, was gesellschaftlicher Umsturz verspricht und die Mobilisierung der dazu notwendigen Gegenmacht auszulösen vermag: die Aussicht auf Befreiung von jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung.
Revolutionäre Absichten und revolutionäres Verhalten lassen sich nicht ökonomistisch aus der Stellung im Produktionsprozeß ableiten (womit nicht behauptet werden soll, die ökonomische bzw. gesellschaftliche Position im Klassenverhältnis sei kein Kriterium). Revolutionäre Bewegungen haben sich immer in erkämpften und erlittenen Erfahrungen, bewußter Verarbeitung und organisatorischer Erhaltung formiert. Darin liegt auch die Aufgabe der Linken.
Dies ist kein »Abschied vom Proletariat«, aber die Feststellung, daß Klassenkämpfe nicht nur von der männlichen, weißen Arbeiterklasse in den Metropolen gemacht werden und daß in Frontstellung zum Imperialismus, zum Patriarchat und zu Rassismen ebenso wichtige Widersprüche und Kämpfe existieren. Allen diesen Kämpfen liegen historische und strukturell verankerte Gewaltverhältnisse zugrunde, die gleichzeitig und in wechselseitiger Durchdringung und gegenseitiger Stabilisierung vorhanden sind.
Eine Theorie, die all diese Kämpfe sowohl erfaßt (bzw. erst einmal in die Lage versetzt, sie zu erkennen) als auch die objektiven Bedingungen feststellt, die diesen Kämpfen Ursachen und Grenzen geben, hat die (autonome) Linke nicht. Ebensowenig einen Begriff von den gesellschaftlichen AkteurInnen, die die objektive Macht haben (können), die herrschende Ordnung umzuwälzen. Wer diese Frage vernachlässigt, klärt nicht, wie diese Herrschaft mit ihren ideologischen Schützengräben, produktiven Reichtumsquellen und ihrer militärischen Macht jemals erschüttert werden soll. Getrennt von objektiv vorhandener Macht bleibt revolutionäres Wollen ziemlich folgenlos.
Den Begriff Arbeiterklasse durch (Unter-)Klasse(n) zu ersetzen, ist kein Fortschritt. Entweder wird (Unter)Klasse(n) ökonomistisch definiert und erklärt auch nicht, wieso speziell aus dieser materiellen Lage heraus revolutionäre Kampfbereitschaft entstehen soll; oder (Unter-)Klasse(n) wird einfach auf alle, die kämpfen, angewendet, und das verschleiert dann deren unterschiedliche Klassenlage, deren Geschlecht, deren Nationalitäten und »Rasse« sowie das unterschiedliche Spektrum an Kampfmotiven.
(Die alte Verelendungstheorie, die Revolution aus Hunger erwachsen sah, ist historisch widerlegt. Und dennoch schwirren Versatzstücke von ihr auch heute in autonomen Vorstellungen herum: Wer arm ist, kämpft, ist quasi automatisch revolutionär. Sie verkennen, daß Marginalisierung primär andere, existenzielle Probleme hervorbringt, die real wenig Raum lassen für die Verwirklichung der Träume von einem besseren Leben.) Wenn sogar trikontinentale Aufständische und BRD-Unterklassen zu einem einzigen Weltproletariat zusammengeschrieben werden, wenn Gleichzeitigkeiten von Riots in Sao Paulo, Gaza, Seoul, Brixton oder Kreuzberg zu Gemeinsamkeiten hochstilisiert werden, dann dient das zwar einem runden Weltbild, ist aber dennoch eine Abstraktion übelster Art. Trotz des zunehmenden relativen Elends der Metropolenarmut ist sie qualitativ verschieden vom Massenhungertod im Trikont und fallenden Bomben »made in USA«. Die Situation zwischen Metropolen und Trikont und deren Hinnahme durch die Masse der metropolitanen ArbeiterInnen kennzeichnet nicht nur eine (nebenwidersprüchliche) Spaltung des behaupteten Weltproletariats, sondern sie beweist seine Inexistenz.
Weiter mit den Fragen nach dem Geschlecht und der Hautfarbe der arbeitenden Klasse: Im Begriff Arbeiterklasse ist das weibliche Geschlecht unsichtbar gemacht. Arbeiterinnen werden durch Vernachlässigung ihrer zusätzlichen Rolle als Haus/Ehefrau auf das Lohnarbeitsverhältnis reduziert. Die zusätzliche Ausbeutung durch den (Arbeiter-) Mann verschwindet in einer von Marxisten/Leninisten oft propagierten »Proletarischen Familie«. Der der Arbeiterklasse zugrundeliegende Begriff von Arbeit ist auf die des Lohnarbeiters zugeschnitten. Die Bereiche der gesellschaftlichen Produktion, in denen hauptsächlich Frauen ­ besonders trikontinentale ­ arbeiten, fallen unter den Tisch. Die ganze geschlechtliche Arbeitsteilung und deren enormer Wert für Kapital und Männer verliert sich als quasi naturgegebene Quelle im Reproduktionsbereich, dem dann keine revolutionäre Sprengkraft zugerechnet wurde.
Daß Frauenunterdrückung kein Nebenwiderspruch sein kann, der mit der Überwindung des »Hauptwiderspruchs«, dem »Sieg des Proletariats« von selbst verschwindet, beweist alleine schon die von Arbeiterklassemännern genauso wie in allen anderen Klassen ausgeübte Gewalt gegen Frauen. Die historische Hartnäckigkeit dieses Gewaltverhältnisses und die Blindheit der Arbeiterbewegung und ihrer Theoretiker ihm gegenüber sprechen klar gegen die alte linke Annahme, die Frauen könnten durch den Kampf der Arbeiterklasse befreit werden. Die Frage nach der Hautfarbe der arbeitenden Klasse entblößt eine weitere unzutreffende Zuweisung an die Arbeiterklasse als angeblichem Vertreter aller Unterdrückten.
Um Rassismen geht es ausführlicher im nächsten Abschnitt und im Exkurs zum Nationalsozialismus (NS) um die rassistische Spaltung von ArbeiterInnen in ihrer besonderen Brutalität.
Hier nur einige Punkte zur Bedeutung der »Hautfarbe« bei ArbeiterInnen: »Rassen«- und Nationalitätenunterschiede sind zugleich Unterschiede in der Ausbeutungsintensität. Falls die ImmigrantInnen nicht auch Kämpfe importieren ­ was oft genug der Fall war ­ rentiert sich diese rassistische Klassenspaltung für das Kapital, weil sie als Individuum stärker ausgebeutet werden können, weil sie als Schicht insgesamt eine variable Reservearmee darstellen und weil ihrem Herkunftsland die gesellschaftlichen Kosten ihrer Arbeitskraftherstellung und evtl. ­ ausbildung nicht bezahlt werden müssen.
Zur aktuellen Zusammensetzung der Klasse, die eher eine Klassenzerstückelung ist, ein Zitat:
»Mit dieser 'freiwilligen' multinationalen Zusammensetzung der Arbeitskräfte (ImmigrantInnen aus Osteuropa, der EG und dem Süden, Anm.) in der BRD seit Kriegsende wurde das blutige, auf unmittelbarer militärischer Gewalt begründete Modell des differenzierten Rassismus der Nazis entschärft und auf »saubere« Art und Weise durchgesetzt:
­ Die Spitze bilden die gehobenen Weiße-Kragen-Jobs (Forschung, Konstruktion, Verwaltung) mit deutscher überwiegend männlicher Arbeitskraft
­ Es folgen die Meister (sie sind überwiegend männlich und deutsch)
­ Dann die Facharbeiter und Vorarbeiter in den Fabriken; sie setzen sich zusammen aus deutschen Männern und der obersten Sprosse der ausländischen Arbeitskräftehierarchie, nämlich Italienern, Spaniern, Jugoslawen, ebenfalls männlichen Geschlechts
­ Darunter kommen die Türken, Marokkaner und die ausländischen Frauen insgesamt (in der industriellen Massenarbeit und im Dienstleistungssektor)
­ Ganz unten die Flüchtlinge beiderlei Geschlechts«
(aus einem Flugblatt der 'Aktionsgruppe Günter Sare' vom Sommer 1989)
Damit wäre die vom Kapital installierte rassistische (und sexistische) Spaltung des Arbeitsmarktes grob skizziert. Das ist die eine Seite. Mit ihr ist noch nicht ausgedrückt, daß Rassismen in der ArbeiterInnenklasse selbst real existieren. Die funktionierende (!) rassistische Spaltung der arbeitenden Klasse ­ im NS-Faschismus bis hin zur stumm tolerierten oder gar begünstigten Vernichtung von KlassengenossInnen, stellt noch einen schwerwiegenden Grund gegen die Annahme der einen, alle befreienden Arbeiterklasse dar.
Nach den internationalen Widersprüchen und nach den arbeitenden Frauen würden auch noch die Privilegien der weißen Arbeiterklasse und die wegen ihrer »Rasse« und Nationalität ermordeten ArbeiterInnen unsichtbar werden.

III.
Es ist der Rassist, der die Minderwertigen schafft. (Fanon)
Rassismen, die inzestuösen Kinder von Patriarchat und Kapital
(Pratibha Parmar)
Die Rassismen sind zur Selbständigkeit herangewachsen. Ihnen hat viel Aufmerksamkeit und genaueste Beachtung zu gelten.
Es gibt nur eine Rasse: die menschliche.
»Rassen« sind eine Konstruktion, bei der soziale und kulturelle Unterschiede in angeblich biologisch bedingte Wesenseigenschaften übersetzt werden. »Rasse« ist eine offene Kategorie, die in der Geschichte unterschiedlich gefüllt wurde. Deshalb ist es besser, von Rassismen anstatt von Rassismus zu sprechen. (Biologisch-genetisch sind übrigens die Unterschiede zwischen Weißen genauso zahlreich und groß wie zwischen Schwarzen und Weißen und wie zwischen Schwarzen.)
Allen Rassismen gemeinsam ist, daß den Opfern ein Platz auf der Werteskala unterhalb des eigenen zugewiesen wird, und sie dort als »von Natur aus Minderwertige« bleiben sollen. »Natur« meint: geschichtslos und auf Ewigkeiten festgeschrieben. Rassismen versuchen über »Abstammung« und »Reinheit des Blutes« Identitäten quer zu den Klassenlagen und auch quer zu den Geschlechtern herzustellen. Real ist nicht die Existenz von »Rassen«, sondern die Existenz von Rassismen.
»Es gibt nicht den geringsten logischen Grund, von der Tatsache rassistischer Vorurteile auf das Vorhandensein von »Rasse« oder »ethnischer Gruppe« zu schließen. Muß es, weil eine große Zahl von Menschen an Geister glaubt und sich daher so verhält, als gäbe sie es wirklich, z.B. nachts Friedhöfe meidet, Geister geben?« (Neville Alexander, 128) Damit sind zwei wesentliche Prozesse benannt, auf denen die Konservierung und Fortentwicklung von Rassismen basiert:
­ Physische Charakteristika werden mit sozialen und kulturellen Unterschieden in eine kausale Verbindung gestellt. Diese sozialen und kulturellen Tatsachen werden dadurch naturalisiert und damit als allgemeingültig interpretiert.
­ Rassismen sind eine authentische Form, die eigene untergeordnete Stellung innerhalb eines Macht- und Ausbeutungsgefüges zu leben. Sie werden immer wieder neu ideologisch ­ und materiell ­ genährt und sind mehr als »falsches Bewußtsein«:
»Wir müssen begreifen lernen, wie Gruppen, die von den Reichtümern der Wohlstandsgesellschaft ausgeschlossen sind, die aber gleichwohl zur Nation gehören, sich mit ihr identifizieren wollen, im Rassismus eine authentische Form der Identitätsgewinnung und des Selbstbewußtseins finden.« (Hall)
Rassismen nur als »Schein«, nur als Machenschaften und Einredungen der Herrschenden anzusehen, verkennt ihre Popularität und ihre materiell wirksamen jahrhundertealten Traditionen. Rassismen sind zu Strukturen geworden, die sich nicht auf andere soziale Verhältnisse reduzieren lassen. Sie lassen sich auch nicht völlig ableiten aus anderen sozialen Verhältnissen, sie haben eine relative Autonomie gegenüber Patriarchat und Klassenherrschaft. Eine getrennte Analyse von »Rasse« und Klassenkampf kann z.B. rassistisch organisierten Kapitalismus/Imperialismus nicht erklären.
Als Gewaltverhältnisse prägen sich Rassismen bis in die Köpfe hinein. Sie »gerinnen« zu Vorstellungen, Haltungen und Emotionen. Es ist typisch, daß sich antirassistische Ansichten oft mit spontanen rassistischen Gefühlen paaren. Die Verinnerlichung von Gewaltverhältnissen bedeutet, daß Weiße, bildlich gesprochen, heute auf den Schultern ihrer sklavInnenhaltenden Vorfahren stehen ­ und Deutsche auf den Schultern der NS-Herrenmenschen. (Das gilt im Prinzip auch für die, die sich bewußt und militant davon absetzen!). Schwarze Frauen und Männer stehen aber vor ihren versklavten und ausgerotteten Vorfahren und JüdInnen oder PolInnen vor den im Holocaust Vernichteten.
»Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirn der Lebenden.« (18. Brumaire, 1) Marx hätte genauer sagen können: auf dem der Überlebenden und deren Nachgeborenen.
Durch Zuschreibung bestimmter, angeblich biologisch-natürlicher Eigenschaften, Hierarchien und Ausbeutung zu legitimieren und festzuklopfen, ist ein übereinstimmender Mechanismus bei der Entstehung von Sexismen und Rassismen. Die im Mittelalter aufkommenden Rassismen entsprangen der Verfolgung aller, die den kirchlichen Normen nicht entsprachen und auch nicht entsprechen wollten: Kreuzzüge gegen Heiden, Pogrome gegen jüdische Gemeinden, gegen KetzerInnen und die lange Kette der Hexenverfolgungen.
Mit der Eroberung Amerikas und Afrikas stellte sich für die Kolonisatoren das Problem, dort eine loyale Herrschaft zu etablieren. Um Kolonisierte zuverlässig vom Zugang zur Macht auszuschließen ­ so fähig und reich sie auch werden sollten ­ griff man auf die »Reinheit des Adels«, also auf die »Reinheit des Blutes« zurück. Die Macht blieb auf diese Art weiß, also in der Hand der europäischen Mächte. Das aufkommende Bürgertum mit seiner naturwissenschaftlich determinierten »Aufklärung« griff bei Rassismen auf entsprechende »Begründungen« zurück. Ein Forscher behauptete z.B. Neger entsprängen einer Verbindung zwischen Affen und Frau (!).
Und Voltaire, der in Schulbüchern immer viel netter wirkt, meinte: »Es gibt in jeder Menschenrasse wie bei Pflanzen ein Prinzip, das sie differenziert. Deshalb sind Neger Sklaven der anderen Menschen.«
In den Nationalstaaten des 19. und 20. Jahrhunderts wurden diese groben Rassismen verändert zu »Volkscharakteren«. »Gallische« Franzosen gegen »germanische« Deutsche usw. In der Kriegshetze des 1. Weltkriegs spielte dieser Wahnsinn eine wichtige Rolle. In derselben Zeitspanne bekam der koloniale Rassismus eine »humane« Seite, die den »Negern« die Segnungen der deutschen, französischen, englischen usw. Zivilisation nahebringen sollte. »Wir werden bestimmte Methoden der Unterwerfung der Wilden verurteilen und bekämpfen, aber nicht, daß man Wilde unterwirft und ihnen gegenüber das Recht der höheren Kultur geltend macht.« (SPD-Theoretiker Bernstein)
Ansonsten blieb es bei Peitsche und Kanonenbooten gegen die Schwarzen, denen es nicht gefiel, ihre Freiheit und ihr Land gegen »höhere Kultur« einzutauschen.

Antisemitismus ist ein besonderer Rassismus. In einem wichtigen Punkt wird das Muster aller anderen Rassismen durchbrochen: JüdInnen sind gerade das Gegenteil der üblichen »Rasse«-Konstruktion, da sie keinerlei gemeinsame äußerliche Merkmale aufweisen, die sie von ihrer gesellschaftlichen Umgebung unterscheiden. (Und die sind ja der Aufhänger aller anderen rassistischen Konstruktionen.)
JüdInnen »werden in ihrer konfessionellen Persönlichkeit, in ihrer Geschichte, in den Beziehungen getroffen, die sie mit ihren Vorfahren unterhalten« (Fanon). Für AntisemitInnen stellt die Assimilierung und »rassische« Merkmallosigkeit eine besonders perfide Gefahr für die »Reinheit der Rasse« dar. Schon die Judenghettos waren Produkt dieses antisemitischen Rassismus, der seine Opfer erst durch räumliche Einschließung und dann durch den gelben Stern mit Kennzeichen ausstatten mußte!
(Angebliche Merkmale eines »jüdischen Aussehens« waren nur propagandistische Konstruktionen ­ die allerdings den jüdischen Menschen, deren Äußeres diesen zufällig entsprach, noch zusätzliche Schwierigkeiten bereiteten.)
Für alle rassistischen Absichten »eignen« sich JüdInnen als Opfer besonders, weil nicht mal für das »gesunde Volksempfinden'' eine »Verschwörung der Neger gegen Deutschland« oder eine »negerbolschewistische Verschwörung« plausibel geklungen hätte. Aber ein paar JüdInnen in der KPD, im Ausland oder gar in Moskau, die ließen sich schon (er-)finden. Es ist dabei völlig egal, ob die Propagandisten dieser Hetze selbst an sie glauben. Sie war massenwirksam und mitursächlich für den Holocaust.
Antizionismus, das sei kurz erwähnt, ist eine politische Kategorie, keine rassistische. Pointiert ausgedrückt: »In der BRD gibt es weit mehr glühende leidenschaftliche Zionisten als Juden, besonders in den staatstragenden Parteien.« So die von JüdInnen gemachte Zeitschrift »Semit« 2/90 im Rückblick auf Strauß, Adenauer und Springer.

Die Wirksamkeit von Rassismen gerade bei sozial deklassierten Weißen läßt sich z.T. durch Konkurrenzdenken erklären. (Für Reiche sind ImmigrantInnen keine ökonomische Konkurrenz, sie wohnen eh in anderen Vierteln; Reiche können sich Liberalität im Wortsinne besser leisten.)
Je weniger linke Alternativen vorhanden sind, je schwächer Frauenbewegung und AntirassistInnen sind, desto mehr kann Deklassierung sich in Frauenhaß und Rassismus austoben. Auf der Basis von real existierenden rassistischen Mustern führt Deklassierung nicht zur Solidarisierung gegen die Herrschaft, sondern zu einem patriarchalisch vorgeprägten Treten nach unten. Dies ist ein Ansatz, die »konjunkturelle« Entwicklung von Rassismen und Sexismen zu verstehen. Er beinhaltet jedoch keineswegs die Zurückweisung der (eigenen) Verantwortung für die Entscheidung zwischen Rebellion und Treten nach unten. Noch weniger soll er den Eindruck erwecken, Rassismen und Sexismen könnten allein durch den gesellschaftlichen Druck einer starken bzw. stärkeren Linken aus der Welt geschafft werden. Sie existieren ständig, latent oder offen. D.h., mit und in der Linken muß gegen sie gekämpft werden; auch zu Zeiten, in denen sie weniger offen wirksam sind. (Was weder 1968 noch 80/81 getan wurde!)
Wie schon gesagt, ist »Rasse« (ursprünglich) nur eine Konstruktion zu rassistischen Zwecken. Die Zuschreibung einer »Rasse« ist die Zuschreibung einer Position: herrschend oder beherrscht. »Rasse« ist ein (zusätzlicher) Faktor zur Stabilisierung ungleicher politischer, ökonomischer und patriarchalischer Verhältnisse.
Sie ist aber auch, weil diese Zuschreibung als Lebenserfahrung sehr real verspürbar ist, als »Rassenbewußtsein« von Schwarzen aufgenommen und umgedreht worden gegen die innere und äußere Kolonisation. »Rasse« wird dann zur Klammer für die Organisation von Widerstand gegen rassistische Unterdrückung. (Die Black Panther Party oder das Black Consciousness Movement sind wichtige Beispiele dafür.) Klassenunterdrückung und staatliche Gewalt werden als »Rassenbeziehung« erlebt und der Kampf gegen sie verläuft unvermeidlich ziemlich genau entlang der Grenze »weiß und schwarz«.
Dies etwa als Rassismus unter Rassismen zu verstehen, würde die unterschiedlichen Ausgangspunkte leugnen: Weiße Rassismen dienen der Aufrechterhaltung der imperialistischen Ordnung. Sie haben eine lange und blutige Geschichte. Generationen von Weißen haben in unterschiedlichem Ausmaß davon profitiert. Siedlerstaaten wie die USA, Israel, Südafrika, Nordirland haben durch institutionalisierte Rassismen und der Teilhabe an Eroberungen und Positionen die gesamte (weiße) SiedlerInnenbevölkerung, ArbeiterInnen eingeschlossen, profitieren lassen, wenn sich dagegen Widerstand entwickelt, sich Schwarzes Bewußtsein und Schwarze Organisationen konstituieren, von SklavInnenaufständen über Harlem bis Soweto, dann steht das in der Stoßrichtung gegen den imperialistischen Status Quo und gegen die weiße Geschichte. Von »Rassenbewußtsein« motivierte Kämpfe sind als Schwarze Kämpfe antirassistisch!
So lange wie nicht alle Rassismen besiegt sind, sind Organisationen um den Unterdrückungspol »Rasse« unverzichtbar:
»Es hieße, sich in strategischer und taktischer Hinsicht selbst entwaffnen, wollte man die Realität von Vorurteilen und wahrnehmbaren Unterschieden, gleich welchen Ursprungs, leugnen. Es würde unmöglich ­ vielleicht abgesehen von einigen tausend Studenten ­ eine Massenbewegung zu organisieren.«
(Neville Alexander, 54)
So sind Schwarze Befreiungsbewegungen im nationalen Unabhängigkeitskampf antiimperialistisch und antirassistisch, aber nicht unbedingt auch antikapitalistisch oder antipatriarchalisch. Fanon schreibt, daß nach einer langen Phase kolonialistischer und imperialistischer Ent-Identifikation der trikontinentale Nationalismus die einzige Möglichkeit ist, zu einer kollektiven Identität und praktischen Vereinigung der vordem gespaltenen Unterdrückten zu kommen. Das ist vermutlich wirklich unausweichlich, aber es steht in der Tradition des alten Stufenmodells, bei dem die nationale Befreiung vor der der Arbeiter und die vor der der Frauen kommen soll. Klassenkämpfe und Patriarchat existieren zunächst weiter, werden aber für das nationale Ziel »stillgelegt«. Diese »Stillegung« ist aber nur eine scheinbare, von der Befreiungsbewegung im Programm festgelegte.
Während die Arbeitermassen und die Frauen als KämpferInnen in der Befreiungsbewegung deutlich präsent sind, und das auch einen wichtigen Unterschied zu Kolonial- und Marionettenarmeen ausmacht, verschwinden sie nach dem nationalen Sieg wieder in der aufzubauenden Wirtschaft des Landes bzw. wieder in den patriarchalischen Strukturen der Gesellschaft, die nun zum Nationalstaat geworden ist: der nationale Sieg selbst wird nicht unbedingt über eine sexistisch-reaktionäre Mobilisierung gemacht. Das Alte stürzt wirklich mit den Kämpfen der Frauen. Aber danach ­ wie im Iran ­ erfolgt der Rückschlag; der zweite Schlag der nationalen »Revolutionäre« trifft dann »fundamentalistisch« ­ oder stalinistisch ­ die Frauen. (siehe auch Mies, 225 ff.)
Selbstverständlich sind Schwarze nicht nur in aus Befreiungsbewegungen entstandenen Nationalstaaten in Klassen und Geschlechter getrennt. Diese Trennungen nehmen in jedem Fall andere Formen an als zwischen Weißen, da sie durch eine lange Geschichte erfahrener weißer Rassismen und im Widerstand gegen diese überdeterminiert worden sind.
Bei der Kritik des Begriffs Arbeiterklasse ging es schon um die patriarchalischen und rassistischen Dimensionen in Klassenkämpfen.
Daß Schwarze antirassistische Organisation und Theorie nicht unbedingt antikapitalistisch sein muß und erst recht nicht antipatriarchalisch, entspricht dem.

IV.
»Der Begriff Patriarchat ist von der neuen feministischen Bewegung als Kampfbegriff wiederentdeckt worden, weil die Bewegung einen Begriff brauchte, mit dem die Gesamtheit wie auch der systemische Charakter der unterdrückerischen und ausbeuterischen Verhältnisse ausgedrückt werden konnte, von denen Frauen betroffen sind. Patriarchat bezeichnet die historischen und gesellschaftlichen Dimensionen (...) und ist so weniger offen für biologistische Deutungen, im Gegensatz zum Begriff Männerherrschaft. Geschichtlich sind patriarchalische Systeme keine universellen, zeitlosen Systeme, die immer existiert haben. (...) Wenn das Patriarchat einen bestimmten Anfang in der Geschichte besaß, kann es auch ein Ende haben.«
(Mies, 55/56)
Das lange Zitat über diesem Abschnitt teilt die hier verwendete Definition des Begriffs Patriarchat mit und hat zudem den Grund, daß Orientierung antipatriarchalischer Kritik unvermeidlich von (feministischen) Frauen vorgegeben wird. Dieser Abschnitt bringt keine Darstellung der feministischen Theorie und Praxis. Beides füllt inzwischen Regale und Realität. Der Verweis auf die Bücherliste im Anhang ist da wirklich ernstgemeint: Mann lese, was frau schon lange interessiert und kennt.
Einige Aspekte aus der feministischen Theorie und Praxis seien aber stichwortartig in Erinnerung gerufen: Die Gewalt gegen Frauen wurde aus dem privaten Bereich geholt und als strukturelle quer durch alle anderen sozialen Verhältnisse entschleiert; der humanistische Menschheitsbegriff zerfiel als männliche Abstraktion in Frauen und Männer und machte Frauen sichtbar; der herrschende Naturbegriff in der Wissenschaft wurde seiner behaupteten Neutralität entrissen und die Subsumierung der Frau unter Natur zurückgewiesen; die gesamte Philosophie inklusive der linken Denker als auf patriarchalen Prämissen beruhend kritisiert; die Aufdeckung des Zusammenhangs von Sexualität und Herrschaft; die Kritik aller Dichotomien (Zwei-Spaltungen) wie Körper/Geist, Natur/Mensch(Mann); die Kritik des Arbeitsbegriffs wie gesagt; die Bedeutung der Hausfrauenarbeit und der Subsistenzproduktion im Trikont durch Frauen; die Forderung nach Selbstbestimmung über den eigenen Körper gegen alle Reproduktionstechnologie oder § 218; und als letztes Beispiel hier noch: der generelle Nachweis, daß trotz aller Klassen- und »Rassen«-Hierarchien jeder Mann vom System die Kontrolle über zumindest eine Frau zugesprochen bekommt und es seine Verantwortung ausmacht, dies zurückzuweisen.
Viele dieser Kritiken und erst recht die damit verbundene Praxis (dazu im VII. Kapitel noch etwas) richten sich direkt gegen die traditionelle und die autonome Linke, da sie deren theoretische Voraussetzungen, Binnenstrukturen und auch deren Utopien (be-)treffen. (auch dazu in VII. noch weiteres)
Noch etwas genauer zur Gewalt gegen Frauen:
»Ich glaube, die Bedeutung von sexueller und physischer (psychische ist noch mal was anderes, weil deren Wirksamkeit oft an diese beiden gebunden ist) Gewalt gegen Frauen ist ­ auch von uns selbst ­ in seiner ganzen ­ gesellschaftlichen Dimension noch nicht begriffen worden. Viel zu wenig haben wir deshalb (?) erfaßt und richtig durchdacht, was es wohl an Veränderung beinhaltet, daß zwar nur langsam, aber doch, Stück für Stück immer mehr an das sog. Licht der Öffentlichkeit kommt, auch wenn die Schwierigkeiten, Lösungen zu finden wegen des individuellen Charakters der Mißhandlung groß sind. Sexueller Mißbrauch als kleines Mädchen und Vergewaltigung, davon sind nicht einzelne Mädchen und Frauen betroffen, sondern Millionen. Gerade die Mißhandlung in der Kindheit ist ­ wie sich allmählich abzeichnet ­ ein Massenphänomen und zwar weltweit. Und wir können deshalb davon sprechen, daß dieses Phänomen die gesellschaftliche Rolle von Frauen prägt. Wer sich kundig gemacht hat, die/der ahnt zumindest, welche schrecklichen v.a. unbewußten Folgen für die Rollenkonditionierung die (sexuelle) Gewalt in der Kindheit hat. Es ist für dein weiteres Leben als Frau ein Faktor, der immer eine Rolle spielt.« (aus einem Brief einer Mitdiskutantin).
Das Patriarchat existiert, wie eingangs definiert, nicht im luftleeren sozial-ökonomischen Raum. Es steht mit den anderen Unterdrückungen in Beziehung und in einer gemeinsamen Geschichte gegenseitiger Stabilisierung.
So kann es unter den Bedingungen der Klassengesellschaft die Frauen als abstrakte Wesen jenseits der Klassen, denen sie angehören, nicht geben. Die Formen der Frauenunterdrückung ­ und des Widerstands dagegen! ­ sind verschieden; bei der Bürgerin ist es eine andere als bei ihrer Putzfrau; bei der eine andere als bei einer Sweat-Shop-Näherin in Malaysia oder bei einer afrikanischen Subsistenzbäuerin. Auch die historische Spaltung in eine bürgerliche und eine proletarische Frauenbewegung folgte u.a. entsprechenden Klassenlagen. Beiden fehlte aber im Unterschied zur neuen Frauenbewegung eine feministische Theorie und wirkliche Autonomie. Die eine war oft gebunden an staatliche Reformpolitik und die andere bekam z.B. 1935 von der Kommunistischen Internationalen noch bescheinigt, daß es keine besondere Frauenfrage gäbe.
Heutige Auseinandersetzungen zwischen linken Feministinnen und kulturellen Feministinnen spiegeln z.T. auch verschiedene Klassenlagen und -bezüge wider. (Lynne Segals Buch darüber wird im Anhang etwas rezensiert und empfohlen.)
»Die Unterdrückung der Frauen kennt weder ethnische noch rassische Grenzen, das ist richtig, aber das bedeutet nicht, daß sie innerhalb dieser Grenzen identisch ist. Und die Reservoirs unserer alten Macht kennen ebenfalls diese Grenzen nicht, sich mit dem einen zu beschäftigen, ohne das andere auch nur zu erwähnen, heißt, unsere Gemeinsamkeiten ebenso zu verkennen wie unsere Unterschiede.«
(Audre Lorde)
»Es gibt den universellen patriarchalen Rahmen nicht... es sei denn, jemand postuliert eine internationale männliche Verschwörung oder eine monolithische unhistorische Machthierarchie. Es gibt jedoch ein weltweites Machtgefüge, innerhalb dessen jede Analyse von Kultur, Ideologie und sozio-ökonomischen Bedingungen notwendigerweise angesiedelt werden muß.«
(Chandra Talpade Mohanty)
Im Papier wurde schon neben Beispielen für die patriarchalische und rassistische Dimension kapitalistischer Ausbeutung die Durchdringung von Rassismen durch Klassenlage und -kämpfe erwähnt. Um die Dimension der Klassenunterschiede in der patriarchalischen Unterdrückung ging es eben.
Jetzt fehlt noch die Frage nach der Bedeutung von Rassismen ­ und Eurozentrismus ­ im Patriarchat.
Die Diskussion von Schwarzen und weißen Feministinnen darüber griff erst während der Zeit, in der die dem Papier zugrundeliegende Diskussion schon lief, auf die BRD-Frauenbewegung über.
Daß sie überall zuerst in Frauenzusammenhängen geführt wird ­ und das heftig ­ ist sicher kein Zufall. Linke Männer haben vergleichsweise schwerere Angriffe oder Themen hingegen abgeblockt oder ausgesessen. Dabei betrifft gerade sie die Kritik, eurozentristisch/rassistisch zu sein ohne jede Einschränkung und zwar zusätzlich zur Kritik an ihren patriarchalischen Privilegien.
Die Kritik Schwarzer Feministinnen ist ganz wesentlich für die triple oppression ­ sie ist ja auch in gewisser Weise die Summe ihrer Erfahrungen. Ihre Kritik greift von einem feministischen Standpunkt aus Rassismen an und berücksichtigt auch die Klassenunterschiede und die Widersprüche zwischen Metropole und Trikont sowie deren Wahrnehmung und Verarbeitung.
Vor kurzem ist als Nr. 27 der 'Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis' ein Sammelband erschienen, der diese Kritik Schwarzer Feministinnen zusammenfaßt. In der Diskussion, aus der dieses Papier hervorgeht, spielten aber etwas ältere Texte u.a. aus England eine Schlüsselrolle und die sollen deshalb ausführlich zitiert werden. Sie sprechen ohnehin für sich.

Ein in deutscher Sprache erschienenes Zitat zu Beginn:
»Zwei Drittel der Menschheit sind farbig, das müssen weiße Feministinnen sich bewußt machen. Sie müssen sich die Bedingungen ansehen, unter denen Menschen leben und über Machtverhältnisse sprechen. Wer hat die Macht, Unterdrückung durchzusetzen? In welcher Position befinden sich farbige Frauen? Jede unterdrückte Gruppe muß ihren Weg zur Befreiung selbst beschreiten und definieren.
Aber weiße Feministinnen sollen erkennen, daß sie einen Teil des ökonomischen, kulturellen Imperialismus und einer ethnozentristischen Sichtweise bilden und häufig meinen, ihr Intellekt stünde über dem anderer Bevölkerungsgruppen. Wieviele der weißen Feministinnen wären bereit, die intellektuelle Führung von afrikanischen Frauen zu akzeptieren? Wie können Frauen über irgendeine andere Art Freiheit sprechen, ohne nach Südafrika zu blicken? Feminismus muß sich mit Imperialismus, mit Fragen von Landrechten, den Maoris, den Native Americans, den Schwarzen Frauen in Südafrika befassen ­ sonst ist es ein kurzsichtiger Feminismus ohne globale Vision.« (Gloria Joseph, Interview in TAZ v. 29.2.1988)

»Es wird behauptet, daß Rassismus und Sexismus als Prozesse ähnlich sind. Ideologisch z.B. werden beide durch Rückgriff auf natürliche und biologische Unterschiede konstruiert. Es wird auch gesagt, daß die Begriffe »Rasse« und Geschlecht beide soziale Kategorien darstellen. Aber sobald eine historische Analyse gemacht wird, wird es offensichtlich, daß die beiden Sachen verschieden sind und auch die Analyse unterschiedlich sein muß.
Die Tatsache, daß Schwarze Frauen gleichzeitig von Patriarchat, Rassismus und Klassenherrschaft unterdrückt werden, ist der Hauptgrund dafür, nicht Parallelen einzuführen, die die dreifache Unterdrückung unsichtbar machen würden.
Wir können keine alleinige Quelle von Unterdrückung festlegen. Wenn weiße Feministinnen das Patriarchat alleine bestimmen, wollen wir ein komplexeres Konzept. Wir finden es auch schwierig, Klassenzugehörigkeit vom Sexismus zu trennen, da wir beides gleichzeitig erfahren in unserem Leben. Als Schwarze Frauen sind wir notwendigerweise solidarisch mit Schwarzen Männern gegen den Rassismus. Eine Solidarität, die weiße Frauen mit weißen Männern selbstverständlich nicht haben können. Wir kämpfen zusammen mit Schwarzen Männern gegen Rassismus ­ aber genauso gegen ihren Sexismus. (...)
Die weiße feministische Theorie und Praxis muß erkennen, daß weiße Frauen in einer Machtrelation als Unterdrückende zu Schwarzen Frauen stehen. Das kompromittiert jede feministische Theorie, die von der Gleichheit aller Frauen ausgeht. Drei zentrale Bestandteile feministischer Theorie (Familie, Patriarchat, Reproduktionsarbeit) werden problematisch, wenn sie auf Schwarze Frauen angewendet werden. Die Art und Weise, in der das Geschlecht von Schwarzen Frauen sozialisiert wird, unterscheidet sich von der Herstellung weißer Weiblichkeit, weil die rassistische Komponente hinzukommt. (...) Die Begrifflichkeit der Abhängigkeit der Hausfrau ist für Schwarze Feministinnen problematisch. Die Behauptung, daß dieses Modell die Lücke zwischen der materiellen Situation im Haushalt und der Ideologie der Weiblichkeit verbindet, übersieht, daß Schwarze Frauen sehr oft Haushaltsvorstand sind. Schwarze Männer sind sehr oft arbeitslos und Frauen von ihnen so nicht abhängig. Wie kann behauptet werden, daß Schwarze Männerherrschaft in der gleichen Art existiert und funktioniert wie weiße Männerherrschaft? Die Geschichte des Sklaventums, Kolonialismus und Imperialismus haben weiße Männerrollen systematisch für die Schwarzen Männer unmöglich gemacht (...) Machtstrukturen der Sklaverei sind offensichtlich auch patriarchalisch. Jedoch sind Schwarze Frauen auf verschiedene Arten patriarchalisch behandelt worden von weißen und von Schwarzen Männern (...). Das Konzept der Reproduktionsarbeit muß auch problematisiert werden. Was bedeutet dieses Konzept in einer Situation, in der Schwarze Frauen die Hausarbeit für weiße Frauen erledigen? In diesem Fall sind sie nicht Lohnarbeiterinnen, aber in einer Rolle, in der sie gleichzeitig die Reproduktion Schwarzer Arbeiterinnen und von Weißen im weißen Haushalt erledigen. (...)
Die Tendenz, die Unterdrückung von (einer so unbestimmten Kategorie wie) 'Dritteweltfrauen' bis zur Aussagelosigkeit hin zu verallgemeinern, ist typisch dafür, wie Weiße mit der Besonderheit all unserer Erfahrungen und Unterdrückungen umgehen in ihren Konzepten und Theorien. Der Begriff Patriarchat wurde eingeführt um sexistische Kräfte von anderen sozialen Mächten wie z.B. dem Kapital zu unterscheiden. Aber der Gebrauch des Patriarchatsbegriffs verdeckt wiederum andere Unterschiede.« (Hazel V. Carby, in: The Empire Strikes Back, 1982)
»Die Art und Weise, in der Kapital, Patriarchat und 'Rasse' die Ausbeutung und Unterdrückung Schwarzer Frauen strukturieren, läßt es unmöglich und nicht wünschenswert erscheinen, einen vornehmlichen Grund von Unterdrückung auszusondern: Alle drei sind der täglichen Erfahrung Schwarzer Frauen immer eigen.« (Pratibha Parmar)

Die folgenden Zitate stammen aus einem Vortrag einer Philipina, den sie auf einem Treffen von »Agisra« (AG gegen internationale sexuelle und rassistische Ausbeutung) in Frankfurt/M. hielt und beziehen sich direkt auf die BRD-Situation.
Ihre Kritikpunkte stehen im konkreten Kontext der Frauenbewegung, sie müssen aber voll auf die weiße Linke insgesamt gerichtet werden. Deshalb stehen sie hier.
»Zum Alltag einer Ausländerin in der BRD gehört unausweichlich das Erleiden des weißen Rassismus, gekoppelt mit Sexismus. Es wird ihr ständig klargemacht: Das Land gehört dir nicht. Sie fühlt sich verloren, ungewollt, minderwertig, isoliert. Und sie schämen sich, die ausländischen Frauen, da man sie als 'gekaufte' Frauen ansieht: schmutzig, ohne Moral. 'Wie können sie sich nur verkaufen lassen?' steht auch auf den Gesichtern von deutschen Frauen. Was habt ihr für eine Ahnung davon, was bei uns zu Hause läuft? Was es heißt für die Multis, ausgebeutet zu werden. (...) Ihr betrachtet uns als Opfer. Opfer? Als Opfer will ich nun ganz gewiß nicht gesehen werden, weil ich Angst hätte, ihr würdet mich 'retten', mir mitleidig helfen wollen. Wir brauchen nicht euer Mitleid, sondern eure Mit-Betroffenheit. Danach können wir über Solidarität reden. Solidarität setzt Gleichgewichtigkeit voraus, equal footing: daß wir auf gleicher Ebene stehen, und nicht die eine oben und die andere unten (...). Und in den Köpfen vieler von euch steht: Warum lassen sie sich von den blöden deutschen Männern so behandeln? Warum lassen sie sich nicht scheiden? Ihr werdet es nicht verstehen, nicht akzeptieren, weil ihr sie mit euren eigenen Maßstäben beurteilt, bewußt oder unbewußt. Weil ihr keine Ahnung habt, worum es ihr geht, wie ihre Bedingungen zu Hause sind, wie gering ihre Möglichkeiten. Vor allem aber: Weil ihr es nicht akzeptieren könnt, daß es viele Wege zur Emanzipation gibt (...). Was heißt deutsche Frauen? Sie nennen sich unsere Schwestern. Unsere großen Schwestern... Sie sind unsere Gesprächspartnerinnen, die mit uns unsere Probleme diskutieren. (Haben deutsche Frauen keine Probleme? Warum sind immer wir es, die erzählen?) (...) Sie sind auch die herrschenden Frauen, aufgrund ihrer Zugehörigkeit, ihrer Nationalität, als Mittäterinnen in der Ausbeutung der unterentwickelten Länder der Dritten Welt. Sie sind uns gegenüber sehr solidarisch, machen auch Kampagnen (mit), um die Unterdrückung der Frau in unseren Ländern zu bekämpfen. Länder, in denen oft der Krieg Alltag ist. Was wißt ihr wirklich von unseren Ländern? Warum seid ihr solidarisch mit uns? Was steckt dahinter? (...)
Sie sind auch die Frauen, die in Ländern der Dritten Welt gewesen waren, zum Urlaub oder zu einem Studienprojekt, und die, wenn sie zurück sind, sich als Expertinnen geben. Sie sind dann Referentinnen und Sprecherinnen für uns und unsere Frauenbewegungen. Und bei manchen von euch gelten sie sogar als glaubwürdiger als wir selbst. (...)
Ein anderer Grund, warum deutsche Frauen Projekte für Ausländerinnen unterstützen, ist die Begeisterung vieler linker Frauen für die Stärke der sozialen Bewegungen und die Befreiungskämpfe in der sog. Dritten Welt. Die Ausgangsbedingungen sind klar: die soziale Lage in bestimmten Ländern der Dritten Welt, Ausbeutung, Korruption, Feudalismus, US-Imperialismus schaffen Voraussetzungen für die Befreiungsbewegungen. Die Unterdrückungssituation in den Ländern ist so klar wie nur möglich. In den Ländern des Reichtumsmonopols dagegen kann sich eine solche Stärke nicht oder nur schwer entwickeln. Dennoch ist da bei vielen Frauen die große Sehnsucht nach der Begeisterung der Massen, ihrer Stärke, ihrem Kampf, wie sie ihn hier nicht erleben können. Dies hat auch mit dem Begriff zu tun, daß das, was fremd ist, exotisch ist. Die Sehnsucht kann ich verstehen. Schwer allerdings ist für uns zu ertragen, wenn die weißen Frauen anfangen, uns zu lehren, wie wir unsere Kämpfe führen sollen. Schwierig, wenn sie uns gegenüber ­ in alter kolonialistischer Art ­ ihre feministische Theorie durchsetzen wollen. Schwierig, wenn sie zugleich als Geldgeberinnen Anerkennung von uns verlangen.« (Liclic Orben-Schmidt, TAZ vom 10.7.1989)

Nochmal: Alles hier Gesagte betrifft linke Theorie und linkes Verhalten mindestens genauso und linke (weiße) Männer noch viel mehr. Wenn die hier ausführlich zitierten einen starken Bezug auf Frauenzusammenhänge haben, so liegt das schlicht daran, daß sonst wenig darüber diskutiert wird und anderswo keine so überzeugenden Texte zu finden sind.

V.
»Der Zweck des Theoretisierens besteht nicht darin, unsere intellektuelle oder akademische Reputation zu erhöhen, sondern darin, uns Möglichkeiten zu erhoffen, die historische Welt und ihre Prozesse zu erfassen, zu verstehen und zu erklären, um Aufschlüsse für unsere eigene Praxis zu gewinnen und sie gegebenenfalls zu ändern.« (Stuart Hall, 173)
Theorie, die auf Erkennen und Bekämpfen von Unterdrückungsverhältnissen abzielt, ist keine hohle Kopfrockerei. Theoriefeindlichkeit ist eine teilweise Selbstentwaffnung, weil ohne Theorie nur noch unmittelbar erfahrene Herrschaft registriert wird, ohne deren Struktur, Geschichte und globale Reichweite. Zu deren Erkennen sind Vorstellungen, Begriffe und eine vermittelnde Sprache erforderlich. Gemeinsame Sprache eint, Begriffswirrwarr und unklare Vorstellungen trennen.
In allen Befreiungsbewegungen ist die Aneignung von Wissen unter meist schwierigen Bedingungen ein zentraler Teil des Kampfs; Theorie ist eine Waffe und Waffen werden nicht freiwillig liegengelassen.
Die Gesamtheit der Unterdrückungen, die hier Thema sind, kann gar nicht durch unmittelbare Erfahrung von allen erkannt werden. Je weißer, je männlicher, je reicher, je metropolitaner, desto weniger, und desto größer die solidarische Verpflichtung, sich diese Realitäten als Lernprozeß anzueignen, um dann effektive Solidarität üben zu können.
Herrschaft ist ein zentraler Begriff. Sie als eine Seite der Dualität zwischen Männern und Frauen, zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Lohnarbeit und Kapital zu definieren, greift viel zu kurz. Das unterstellt eine Ausschließlichkeit und völlig getrennte Existenz der jeweiligen Seiten, wie sie jeder Dialektik völlig fremd ist. Herrschaft zum Zweck von Ausbeutung und Machterhalt ist vielmehr eine vielgestaltige Praxis von Unterdrückungen auf der Grundlage mehrerer sich überlagernder Bedingungen.
Die Ausübung von Herrschaft verändert sie im Verlauf der Geschichte ständig und formt ihre materiellen und verinnerlichten Strukturen ständig neu. Es gibt nicht geschichtslos den Kapitalismus oder das Patriarchat oder die Rassismen. Sie selbst und ihre Verbindungen sind Prozesse ständiger Veränderungen.
Bei diesen Unterdrückungen zwischen materieller Basis und ideologischem Überbau zu unterscheiden, ist eher akademisch. So »ist es in letzter Zeit ziemlich schwer geworden, ein simples ökonomisches Klasseninteresse zu finden, das nicht von Ideologie durchsetzt ist.« (Hall) Und Gramsci weist darauf hin, daß es eine »rein didaktische Unterscheidung von Form und Inhalt« ist, »die materiellen Kräfte als Inhalt und die Ideologie als Form« anzusehen. Denn »die materielle Gewalt ist historisch nicht ohne Form begreifbar, und die Ideologien würden ohne die materielle Gewalt Schrullen von Einzelnen bleiben.« (Philosophie der Praxis, 170)
Die materielle Gewalt von »Ideologien« wie Rassismen und Frauenhaß ist allzu offensichtlich.
Herrschaft ist niemals vollkommen, sie hat Risse und ihre Verinnerlichung verläuft nicht widerspruchsfrei. Unterdrückungen werden nicht getrennt voneinander ausgeübt und alle werden in den Metropolen anders als im Trikont praktiziert. Sie werden unterschiedlich erfahren, abhängig davon, welchen Unterdrückungen die Beherrschten ausgesetzt sind, abhängig davon, welche sie eventuell selbst ausüben oder nutzen und vor allem: abhängig davon, ob sie sich wehren.
Nicht die Getrenntheit von Unterdrückungen ist wesentlich, sondern ihre Artikulation zueinander. Keine wird völlig auf eine andere zurückgeführt oder völlig vereinnahmt von anderen, sie bilden eine zusammenhängende Wirklichkeit. Das Denkmodell einer netzförmig angelegten Herrschaft ist als Vorstellungsbehelf gar nicht schlecht:
Die Maschen des Netzes sind weiter (Metropole) oder enger (Trikont). Die Fäden älter (Patriarchat) oder neuer (Kapitalismus). Stabiler (in der BRD z.B.) oder schwächer (in Mittelamerika z.B.). Die Fäden bilden unterschiedliche Knoten (Rassismen sind anders mit Kapitalismus verbunden als das Patriarchat usw.) und das Netz wird von manchen repariert und neu geknüpft (Kapital, Staat, Weiße, Männer), um andere zu fesseln (Frauen, Schwarze, ArbeiterInnen) und sie zerreißen es, so gut sie können.
Die Vorstellung einer netzförmigen Herrschaft, in der jeweils ­ bei jedem Faden und Knoten ­ Oben und Unten erhalten bleibt, aber keine alleinige Ursache, kein Hauptwiderspruch mehr vorausgesetzt wird, berührt auch die Frage nach dem revolutionären Subjekt.
Wenn es nicht mehr aus einer Dualität, aus einer einzigen letztlichen Ursache abgeleitet werden kann, dann kann auch keiner Gruppe von Unterdrückten mehr eine privilegierte Avantgardeposition zugewiesen werden.
Ein revolutionäres Subjekt aber nun etwa per Addition der Unterdrückungen bestimmen zu wollen (Wer ist am meisten unterdrückt? ­ Die müssen sich am meisten wehren!) wäre eine abstrakte Konstruktion aus der Mengenlehre, deren Schnittmenge Schwarzen ArbeiterInnen eine Rolle zuwiese, um die sie nicht gebeten haben (siehe auch »Brotrevolten...«, 2/3). Ihre Auspreisung als revolutionäres Subjekt wäre für die metropolitane Linke ziemlich bequem, da konsequenzlos. Das Leben und die Forderungen Schwarzer Frauen und Arbeiterinnen können aber sehr wohl Maßstab sein bei der Frage, wie die Utopie von Befreiung beschaffen sein muß, die alle Unterdrückungen beendet. Dabei wird keine einzige Unterdrückung relativiert, sondern ihre Gesamtheit macht die Bestie vollständig sichtbar!
Die Frage, welche Unterdrückung die wichtigste ist, hat meist den (Hinter-)Sinn gehabt, strategische Konsequenzen festzuklopfen; die sozialdemokratischen und stalinistischen ArbeiterInnenorganisationen haben so die Ausbeutung der Lohnarbeiter jahrzehntelang als die wichtigste gegen alle »Nebenwidersprüche« behauptet. Abstrakt läßt sich diese Frage gar nicht beantworten, ohne bei unerträglichen Vergleichen anzukommen (Ist Hexenverfolgung schlimmer als Sklaverei? Ist Gewalt gegen Schwarze Männer schlimmer als gegen weiße Frauen? Sind Kriege in den Metropolen schlimmer wie Kriege im Trikont?).
Die Frage stellt sich konkret aber anders. Denn die Feststellung der globalen Gleichzeitigkeit verschiedener Unterdrückungen und die Vorstellung einer netzförmigen Herrschaft verlangen nach der Anwendung auf die jeweilige unmittelbare Situation, auf die konkret erfahrene und ausgeübte Unterdrückung. Dort treten Unterschiede in der Zusammensetzung der Unterdrückung zu Tage. Und diese kann sehr/mehr patriarchalisch, mehr/sehr rassistisch, mehr/sehr imperialistisch oder kapitalistisch sein.
Ein paar Beispiele zur Illustration: Gewalt eines Weißen gegen die weiße Ehefrau hat nur peripher etwas mit kapitalistischer/imperialistischer Ausbeutung zu tun und eigentlich nichts mit Rassismen; ein weißer Malocher am Fließband wird nicht rassistisch und schon gar nicht sexistisch ausgebeutet; ein Schwarzer Malocher neben ihm aber zumindest auch noch rassistisch unterdrückt; wenn weiße Arbeiter einen Schwarzen zusammenschlagen, ist das in allererster Linie rassistisch ­ auch wenn es Ursachen in der kapitalistischen Ausbeutung aller Beteiligten haben kann; wenn Schwarze Arbeiterinnen gegen einen weißen Chef streiken, dann kommen ganz andere Komponenten zusammen; die Liste der Beispiele ist so unendlich wie die Wirklichkeit.
Daß gegen alle Unterdrückungen zu kämpfen ist, versteht sich; und von dem Erkennen der konkreten Zusammensetzung der Unterdrückungen hängt ab, wie gekämpft wird.
Daß dabei der Kampf gegen eine Unterdrückungskomponente das Netz auch anderswo löchert (wie z.B. im britischen Miners' Strike die Bergarbeiterfrauen sich organisierten) ist willkommen und ebenso möglich wie das Zuziehen des Netzes an einer anderen Stelle durch einen falsch oder unvollständig geführten Kampf (Arbeiterkämpfe richteten sich oft gegen »doppelt«-verdienende Frauen oder gegen Schwarze).
Das Risiko, Kämpfe falsch oder unvollkommen zu führen, ist ein Grund, die linke Selbstgewißheit und Selbstzentriertheit aufzugeben. Juliet Mitchell hat das mal so ausgedrückt: »Eine ausgebeutete Klasse, eine unterdrückte Gruppe kann so lange kein politisches Bewußtsein erlangen, so lange sie nicht die Beziehungen aller Klassen und Gruppen dieser Gesellschaft zueinander erkannt hat; durch In-sich-gekehrt-sein wird sie niemals zu diesem Bewußtsein kommen.«
(nach Argument, Nr. 165, 365)

VI.
Exkurs: NS-Faschismus und Kommunistischer Widerstand
Der ist weniger unvermittelt zum Thema als es scheinen mag, denn der NS-Faschismus ist das historische Lehrstück für eine spezifisch deutsche Kombination von Kapitalismus/Imperialismus, Patriarchat und Rassismen. Sich im Angesicht des neuen großdeutschen Imperialismus den alten etwas zu vergegenwärtigen, ist sicher notwendig. An zurückliegenden historischen Phasen läßt sich ohnehin manches besser erklären und verstehen als beim bloßen Ansehen der Aktualitäten.
Die linkstraditionelle Analyse des NS als Diktatur der reaktionärsten Fraktionen des Finanzkapitals erfaßt zwar die dann entscheidende Unterstützung der Monopole für die Nazis, stellt aber nur einen Aspekt des NS heraus. Das »Versagen der Arbeiterklasse« wird dadurch ebensowenig erklärt wie die relativ große Massenbasis des NS-Faschismus in Deutschland.
Wie bei jedem Nationalismus beruhte die Popularität des NS auf dem Versprechen, aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Nationalität oder »Rasse« Privilegien zu erhalten gegenüber denen, die nicht dazugehörten. Er illusionierte auch eine Identität, die die reale Existenz überhaupt nicht hergab, die aber einem Streben gegen Isoliertheit und nach Ein- und Unterordnung entgegenkam. Die Mobilisierungskraft der Nazi-Ideologien knüpfte an bereits vorhandene an: rassistische Vorstellungen einer deutschen Überlegenheit gegenüber anderen Völkern; Forderungen (von Ärzten) nach Ausschaltung »lebensunwerten Lebens« in der sozialdarwinistischen Tradition; männerbündische Freikorpsideale, die sehr gereizt auf die sich verändernden Frauen der 20er Jahre reagierten; Ideologien von der Notwendigkeit von »Lebensraum« und Rückgewinnung der Kolonien mittels Revision des Versailler Friedensvertrages; und nicht zuletzt ständische Ideologien gegen die Klassenkämpfe und für eine »Volksgemeinschaft«. Die Wirksamkeit dieser Ideologien vervielfachte sich im NS durch ihre Materialisierung in einem staatlichen Apparat. Das führte zu der kurz erwähnten Tolerierung der Vernichtung von »nichtarischen« oder linken KlassengenossInnen.
Der NS war ein ganz besonderer Fall rassistischer Arbeitsorganisation. Speziell in der Kriegswirtschaft reichte die Palette der Ausbeutungsformen von Lohnarbeit industriellen Typs über fast unbezahlte Zwangsarbeit bis zu ArbeitssklavInnen und Vernichtung durch Arbeit. Die Unterteilung entsprach streng der Nazi-»Rassen«-Skala: Die Leitung deutsch-»arisch«, ebenso die Meister und Techniker. Unfreiwillig »angeworbene Zivilarbeiter« aus dem Westen oder der Tschechei nahmen die Stufe darunter ein. Tiefer standen die polnischen ArbeiterInnen und ganz unten sowjetische Kriegsgefangene. Neben ihnen, je nach aufgenähtem Winkel, arbeiteten KZ-gefangene Frauen und Männer, die je nach ihrer »Nützlichkeit« und ihrem Auspowerungsgrad früher oder später umgebracht wurden.
Mit dieser Kombination von ArbeiterInnen wurden wohlgemerkt nicht irgendwelche einfachen Güter produziert, sondern es wurden Hochtechnologieprojekte in zentralen Sektoren betrieben! Im IG-Farben-Werk Auschwitz lagen z.B. Ausbeutungsformen, die sonst durch Kontinente oder ganze historische Epochen voneinander getrennt sind, Hand in Hand (siehe auch »1999«, 4/89).
Widerstand gab es vor allem in den unteren Hierarchieebenen, aber die Gefangenen, die PolInnen, RussInnen oder JüdInnen wurden von der großen Masse der deutschen ArbeiterInnen allein gelassen. Die verhielten sich nicht als KlassengenossInnen, sondern ihrer Stellung in der Hierarchie entsprechend als Herrenmenschen. Die, die sich solidarisierten, waren Linke oder einfach noch mitleidige ArbeiterInnen, aber das waren nur Prozente von Millionen.
Mag es nach NS-Logik ökonomische Gründe auch für die Massenvernichtungen der JüdInnen und der Bevölkerung im Osten gegeben haben, so war insgesamt pur rassistische Ideologie wirksam. Die regelte die Reihenfolge der Vernichtung, die regelte die Auswahl zu Menschenversuchen. In gewisser Weise hat der NS alle historischen Rassismen in 12 Jahren komprimiert angewendet: die Verfolgung der Kranken und geistig Behinderten bis zu ihrer Ermordung, die Pogrome gegen JüdInnen bis zum Holocaust, die Kriege zur Gewinnung von Kolonialraum und die Ausbeutung und Ausrottung der dort Lebenden (Programme für den afrikanischen Raum lagen fertig in den Schubladen).
Die NS-ldeologien mobilisierten ihre AnhängerInnen nicht nur über Angriffsziele, sondern auch über die Brutalität, über die »rassische Reinheit« und den Führerkult der Parteiorganisationen. Der Wunsch nach eigener Macht in deutlichen Verhältnissen konnte sich im Treten nach unten austoben.
Im privaten Bereich bot der NS zumindest dem Programm nach die abgesicherte Kontrolle über mindestens eine Frau.
Im gesellschaftlichen Bereich haben Rassisten an der Macht ein unmittelbares Interesse an der Kontrolle »ihrer« Frauen, weil die für die Reinheit und den Fortbestand der »Rasse« unverzichtbar sind. Alle Verbesserungen, die vom NS den Frauen versprochen wurden, dienten nur dem Zweck, sie in dieser Rolle zu halten. Diese Rolle galt aber nur für »arische« Frauen ­ die rassistische Trennung durchzog beide Geschlechter, Jüdinnen, Polinnen oder Russinnen wurden wegen ihrer Nationalität und »Rasse« und gerade deshalb verfolgt, weil ihre »fremdrassigen« Nachkommen unerwünscht waren. Sie wurden nicht als Mütter heroisiert, sondern als »Untermenschen« behandelt. In Ravensbrück oder anderen Frauen-KZ von deutschen Aufseherinnen, soweit diese die Macht von der SS dazu bekommen hatten (siehe u.a. Ebbinghaus, Opfer und Täterinnen).
Deutsche Frauen, die gegen den NS gekämpft haben, haben dies getan, weil sie Kommunistinnen waren, weil sie Jüdinnen waren und als solche zum Kampf bereit sein mußten.
Daß etwa 800.000 Soldatinnen in der Roten Armee und weitere bei den PartisanInnen im Westen und Osten gekämpft haben, ist in letzter Zeit bewußter geworden (siehe Strobl, Sag nie, du gehst den letzten Weg oder Alexijewitsch, Der Krieg...).
Die Trennung aller Frauen entlang ihrer »Rasse« und Nationalität, entlang ihrer politischen Überzeugungen und entlang ihrer Klassenlage überdeckte im NS und im Zweiten Weltkrieg insgesamt gesehen die patriarchalischen Widersprüche ihrer jeweiligen Gesellschaften. Frausein an sich entschied nicht über die Seite der Barrikade.
»Es ist nicht der Wortlaut des Statuts, sondern der von den tätigen Kämpfern in diesen Wortlaut hineingelegte Sinn und Geist, der über den Wert einer Organisation entscheidet.''
(Rosa Luxemburg)
Es soll nicht behauptet werden, die Geschichte wäre 1933 anders verlaufen, hätte die KPD eine andere Politik gemacht. Die (revolutionäre) Linke war schwach, hatte wenig Geld, noch weniger Waffen und stand gegen eine breite Front bürgerlicher und faschistischer Kräfte. Aber ein paar Aspekte fallen doch (vielleicht lehrreich) auf.
In Entsprechung zur Bolschewisierung in der Sowjetunion wurden auch in der KPD ab Anfang der 20er Jahren strikte Hierarchie, Fraktionsverbot und die Parteilinie als einzig Richtige dogmatisch festgeklopft und etwaige Abweichungen mit Ausschlüssen bestraft. Daß in solchen Strukturen kulturrevolutionäre oder Frauenansätze, die von vornherein als kleinbürgerlich-anarchistisch oder als Nebenwiderspruch abqualifiziert wurden, keine Chance hatten, die Parteilinie zu beeinflussen, versteht sich. Mit der Stalinisierung der KPD verschwanden die Frauen vollständig aus Parteivorsitz und Vorstand (Politbüro). Um der Nazipropaganda Angriffsflächen zu nehmen, wurden auch Kommunisten jüdischer Herkunft aus der ersten Reihe entfernt. Die KPD war nicht rassistisch, aber sie hatte da weiße Flecken. Im Programm war die KPD Frauen gegenüber fortschrittlicher als andere Parteien (Abschaffung des §218 z.B.), aber sie sagte eben auch: Nebenwiderspruch. Und Rosas Frage an die russische KP galt ja auch noch für die KPD.
Der Solidaritätsbegriff meinte den klassenbewußten Proletarier, die KPD war auf männliche Werte ausgerichtet. Nie mehr als 15% Frauen hatte sie in ihren Reihen, nur die halb karitative Rote Hilfe wurde etwa zur Hälfte von Frauen gemacht. Das ganze Private wurde vom Klasseninteresse abgespalten und damit verschwand die patriarchalische Unterdrückung in der Proletarischen Familie, der die KPD-Propaganda gern saubere Mädels, starke Genossen und Heldenmütter andichtete. Das war die Parallele zur UdSSR, wo nach ersten fortschrittlichen Gesetzen die beginnende Frauenemanzipation vom Stalinismus gekippt wurde (siehe u.a. Mahaim/Holt/Heinen, Frauen und Arbeiterbewegung).
»Die psychische Struktur einer Klasse ist ein Moment ihrer objektiven Situation.« Dieser Satz ist einer Studie entnommen, die 1929/30 unter einigen hundert Arbeitern (nur ganz wenige Arbeiterinnen nahmen daran teil) u.a. KPDler und Sozialdemokraten, durchgeführt wurde.
Ein Ergebnis war, daß die tatsächlichen Einstellungen vieler Linker in speziellen Fragen vom offiziellen Parteiprogramm und einer fortschrittlichen Auffassung ganz erheblich abwichen. Die stabilen antifaschistischen Kräfte waren viel geringer als es MitgliederInnenzahl und Propaganda der SPD und KPD vermuten ließen. Sicher haßten alle Linken den Krieg, sie wünschten Freiheit und Glück. Sie folgten auch ihrer Partei ­ aber sie waren nicht unbedingt bereit zu persönlichem Risiko und privaten Konsequenzen. Ihre politischen Ansichten beschränkten sich oft auf den öffentlichen Bereich und waren auch nicht emotional in ihrer Persönlichkeit verankert.
Die Untersuchung arbeitete mit Fragen. »Wodurch kann die Welt verbessert werden?« wurde vom KPDler natürlich mit »Durch die Zerschlagung der herrschenden Klasse!« beantwortet. Ja gut, nur wenn derselbe die Frage, ob man bei der Kindererziehung ohne Prügel auskommen sollte, mit der Antwort »Kinder brauchen Prügel, um Respekt zu bekommen« kontert, oder wenn er, wie immerhin 23% aller KPDler entgegen dem KPD-Parteiprogramm gegen die Berufstätigkeit von Frauen ist, dann stimmt da was nicht. (Das wird in der Untersuchung genauer gemacht, als es hier geht.)
Von allen KPDlern, Sozialdemokraten und Linkssozialisten in der Untersuchung hatten nur 15% ein sowohl politisch-programmatisch als auch privat-persönliches revolutionäres Verhalten. Nur von ihnen konnte erwartet werden, daß sie in kritischen Zeiten »den Mut, die Opferbereitschaft und die Spontaneität aufbringen würden, die zur Führung der weniger aktiven Elemente und zur Besiegung des Gegners notwendig sind.« Weitere 25% galten als »verläßlich, aber nicht aktiv« und der Rest war entweder indifferent oder im Privaten stockreaktionär. In der KPD waren relativ viermal so viele wirkliche Revolutionäre mit den privaten Konsequenzen wie in der SPD, besonders bei den »Kadern« war der Prozentsatz hoch (siehe Fromm, Arbeiter und Angestellte...). Der Eindruck, daß nur Kader gute Revolutionäre waren, wäre allerdings etwas schief, da grade die nicht stalinistischen KommunistInnen nicht (mehr) in der KPD waren und von der Untersuchung nicht genau erfaßt wurden. Viele Mitglieder waren zum Untersuchungszeitpunkt hingegen erst ein paar Monate in der KPD und die Fluktuation zwischen den Parteien der Linken und Rechten war sehr hoch.
(Eine erforderliche Anmerkung noch zu dem Zusammenhang zwischen politischem Bewußtsein und persönlichem Verhalten: es handelte sich bei der Studie lediglich um eine Befragung; eine Untersuchung des tatsächlichen Verhaltens auch der »privat-persönlichen« Revolutionäre ­ hätte das Ergebnis mit Sicherheit noch miserabler ausfallen lassen.)
Wen juckt nun nicht die Frage, wie eine vergleichbare Untersuchung linker Organisationen und Gruppen heute ausfallen würde?

VII.
»Versuche, das Kollektivsubjekt einer gesamtgesellschaftlichen Veränderung zu benennen, sind noch und noch in einen von zwei Holzwegen geraten. Entweder man benennt eine Organisation ­ Partei, Gewerkschaft o.ä. ­ und darin ist das revolutionäre Subjekt keines aus Fleisch und Blut, sondern eine Institution, die ihren Mitgliedern äußerlich gegenübersteht, die aber genau identifizierbar ist ­ nämlich durch ihr Programm, ihre Verwaltungsregeln, ihre Mitgliederlisten.
Oder man benennt nicht eine Organisation, sondern eine Tendenz, eine Wolke von individuellen Subjekten, deren Bestand nicht verläßlich identifizierbar ist und deren Programm nicht vorliegt, sondern durch Interpretation erschlossen werden muß.« (Ruedi, Schweizer autonomer Genosse)
Die beiden Holzwege können vermieden werden, wenn hier von der autonomen Linken gesprochen wird. Denn sie ist eindeutig eine Tendenz und keine festgefügte Organisation mit festgelegtem Programm. Dennoch existierende Zusammenhänge sind eher punktuell und zeitlich fließend. Wer und was nun gemeint ist mit der autonomen Linken, wird beim Lesen schon jede/r merken.
Die autonome Linke ist keine fertige Formation für revolutionäre Veränderungen, und große Teile der Autonomen wollen auch keine festeren organisatorischen Strukturen. Sie ist eher Ausdruck von Rebellion als von Widerstand gegen Herrschaft. Sie ist trotz gelegentlicher Initiative und anderslautenden Behauptungen eine defensive Richtung ­ was bei den Kräfteverhältnissen in der BRD kein Wunder ist.
Sie trägt selbst an der Geschichte, sie ist nicht um 1980 aus dem nichts entstanden. Es ist kein Zufall, daß sie nicht in den Fabriken von ArbeiterInnen ins Leben gerufen wurde. Es ist kein Zufall, daß sie sich nie als antipatriarchale Kraft mit Frauen an ihrer Spitze realisierte. Es ist kein Zufall, daß sie weiß und fast rein deutsch ist.
All das setzt sich in Form von weißen Flecken fort bis in ihre Theorie und Praxis. Unterdrückungsverhältnisse in den eigenen Reihen bleiben unsichtbar und einige global vorhandene werden nur sehr abstrakt und folgenlos registriert. Das fällt selten oder nie auf, da der eben durch diese weißen Flecken schmaler gewordene Erfahrungshorizont durch die Bereiche, in denen die autonome Linke stark war/ist (z.B. Häuserkämpfe, Anti-WAA, Hafenstraße usw.) prall gefüllt werden kann.
Die Wirkung von unsichtbar (gemachten) Unterdrückungen ist nun leider auch die, die eigenen Erfolge und die dazugehörigen Kampagnen zu überschätzen. Anstatt sich am Erfolg der Bekämpfung aller Unterdrückungen zu messen, dreht sich vieles oft nur um sich selbst und die eigenen Projekte.
Eine breite Kluft zwischen dem Zustand des eigenen Nahraums und sehr fernen Globalzielen/Utopien ist typisch für selbstzentrierte Bewegungen, denn die Verwirklichung von Utopien setzt das Erkennen von Unterdrückungen anderer voraus und das Einlassen auf kämpferische Potentiale außerhalb der eigenen Zusammenhänge.
Je weniger das gemacht wird, desto hartnäckiger wird die Selbstzentriertheit und desto weniger fällt sie auf. Linkssein würde dann nur noch die Zustimmung zum eigenen Projekt oder Lebensstil bedeuten und nicht mehr die gemeinsame Gegnerschaft zu allen Unterdrückungen und Solidarität mit allen Unterdrückten.
(Die Kampagne zum IWF-Kongreß 1988 war ein gutes Beispiel für die zumindest teilweise Überwindung von Selbstzentriertheiten!)

Die Autonome Linke: Welcher Klasse gehört sie an? Welches Geschlecht hat sie? Und welche Hautfarbe/Nationalität?
Dazu jetzt nacheinander:
Klassenlage: Hier soll nicht durch die Hintertür der vorne kritisierte Ökonomismus wieder eingeführt werden, revolutionäre »Wahrheiten« lassen sich nicht aus der Stellung im Produktionsprozeß herausrechnen. Klassenlage bedeutet aber noch viel mehr. Sie ist eine wesentliche Vorprägung von Verhaltensweisen. Jemand aus einer ArbeiterInnenfamilie macht andere Erfahrungen und verarbeitet sie auch anders als ein Mittelklassekind. Fabrik ist je nach Klassenlage normales oder externes Terrain; Geldmangel zu Hause erlebte oder abstrakte Kenntnis; auch die Art der Patriarchatserfahrung und die Art der Rassismen hängen von der Klassenlage ab. Politische Angriffsziele werden von ihr geprägt: ArbeiterInnen kämpfen als Linke oft im Alltagskrieg gegen Chefs und Kapitalkommando ­ die, die studieren können, haben mehr Raum für globalere Aktivitäten (gegen beides ist nichts einzuwenden!). Von der Klassenlage hängen auch Lebensstile ab (die Autonomen oft wichtig erscheinen). Fabrikarbeit läßt früher schlafen gehen, wer tagsüber Blaumann oder VerkäuferInnenkittel tragen muß, steht sonst auf anderen Klamotten als autonom wohl üblich, wer mit 16 Lehrling wird, hat kaum Gelegenheit, sich jahrelang in einer linken Großstadtszene zu etablieren. Die autonomen Lebensstile ­ auch die autonomer Frauen ­ sind für manche Klassenlagen nicht zugänglich.
Ausnahmen gibt's wohl, aber die Gestalt der autonomen Linken und ihre Zusammensetzung haben die nicht bestimmt.
Die ziemlich diffuse autonome Klassenlage, die jedenfalls keine ArbeiterInnenklasse ist, erzeugt oder perpetuiert weiße Flecken. Die Schwierigkeiten in politischen Beziehungen zur metropolitanen wie trikontinentalen ArbeiterInnenklasse beruhen z.T. auch auf ideologischen Elementen der Autonomen, die sich oft als nichtarbeitend sehen oder verstehen (was ebenso oft nicht den realen Verhältnissen entspricht). Auf der anderen Seite hat dieses Selbstverständnis auch etwas mit der Finanzierung der autonomen Lebensverhältnisse durch das Anzapfen staatlicher Gelder oder denen der Eltern zu tun ­ und letzteres sehr viel mit der Klassenlage.
IndustriearbeiterInnenstreiks werden als externe Ereignisse angesehen, solange nicht die Medien groß drin sind oder es Putz gibt; die Bedeutung staatlicher Repression wird eher überbetont und die ökonomische Gewalt eher unterschätzt. Was an Rationalisierung oder Kleinkrieg und Sabotage in Klitschen und Großfabriken läuft, ist nur autonomen SpezialistInnen bekannt. Die (internationalen) Kapitalverflechtungen und Umstrukturierungen werden eher dem Wirtschaftsteil entnommen als aus der Sicht von Malocherinnen betrachtet. Die anderen Kampfformen und andere Arten von Solidarität, die bei Arbeitern und Arbeiterinnen üblich sind, verschwinden auch meist in den weißen Flecken, was oft genug dazu führt, daß ArbeiterInnen in Bausch und Bogen als blöde Normalos denunziert werden, die selber schuld sind, wenn sie arbeiten gehen.
»Ein patriarchaler Typ kann kein Linker sein.« (jede Feministin)
Das Geschlecht der autonomen Linken. Wenn die Klassenlage in ihrem Bewußtsein kein Thema ist und auch ihr Weißsein wenig problematisiert wird, so ist das bei ihren patriarchalen Strukturen etwas anders.
Dafür haben Frauenorganisation und feministische Kritik gesorgt. Die angebliche Geschlechtsneutralität der Linken wurde als männerbündische kenntlich; die Befreiung der Arbeiter als wirklich nur deren Befreiung; die Linke als vorgeblich befreiter Raum und Modell der Utopien auf den Boden der realen (privaten) Verhältnisse zwischen linken Frauen und Männern heruntergeholt. Es ist angesichts der Reichweite dieser Kritik kein Wunder, daß sie sich immer gegen die Linke, auch autonome, Gehör und Geltung verschaffen mußte. Drei Beispiele aus den letzten 20 Jahren:
»Wir sehen, welche Bretter ihr vor dem Kopf habt, weil ihr nicht seht, daß sich ohne euer Dazutun plötzlich Leute organisieren, an die ihr überhaupt nicht gedacht habt, und zwar in einer Zahl, die ihr für den Anbruch der Morgenröte halten würdet, wenn es sich um Arbeiter handeln würde.« (Helke Sander, Ende der 60er Jahre auf einer Delegiertenkonferenz des SDS; »die Leute« meint die neue Frauenbewegung.)
»Ein Feministinnenaufzug, der sich Pop-Musik spielend, kostümiert, Farbe klecksend und ideologisch einen üblen Gestank verbreitend durch die Gegend bewegt«, so die damals größte ML-Gruppe KBW über eine Frauendemo. Feministinnen, so der KBW, seien »tatsächlich reaktionär« und müßten »schonungslos bekämpft« werden. (Die alten KBW-Kader sind heute oft bei den grünen Realos ...)
Und 1989 konnte ein umfassend gemeintes Strategiepapier für eine »Radikale Linke« ohne jede Erwähnung feministischer Theorie auskommen. Die wurde erst nach Protesten eingebaut; beim Kongreß für eine »Radikale Linke« sollte es zwar besser werden, aber laut TeilnehmerInnen wurden feministische Beiträge zumindest von den altlinken Vornschwitzenden nicht sonderlich beachtet.
Die Konsequenzen aus solchen Widersprüchen faßt noch ein Zitat zusammen: »Autonome Organisierung wurde v.a. gegenüber den traditionellen linken Organisationen betont, die immer den Führungsanspruch über Organisation, Ideologie und Programme erhoben. Der feministische Anspruch auf Autonomie in diesem Sinne bedeutet die Zurückweisung aller Tendenzen, die Frauenfrage und die Frauenbewegung unter andere, scheinbar allgemeinere Themen oder Bewegungen zu subsumieren. Die autonome Organisierung von Frauen ist Ausdruck ihres Wunsches, sowohl den qualitativ unterschiedlichen Charakter als auch die Identität, ebenso eine unabhängige Machtbasis der feministischen Bewegung zu erhalten.« (Mies, 60)
Wenn autonomes Männerverhalten nicht gerade offen in irgendwelchen Ritualen auftritt ­ und dann oft von Frauen angegriffen wird ­ dann ist neutrales Verhalten gegenüber Frauenpositionen angesagt. Dieses neutrale Verhalten vermeidet Zoff mit stärker gewordenen Frauenzusammenhängen, verändert aber wenig an den Strukturen und auch nicht am Bewußtsein. Altes Verhalten wird eher maskiert und Einfallstore für Gewalt bleiben geöffnet, dafür gibt's leider viele Beispiele. »Bis jetzt ist die Denunziation dessen eher moralisch und dieser Bereich wird gerne den Sozialarbeiterinnen und Psychologinnen überlassen und abgeschoben. Ein Politikum ist es jedenfalls nicht. Schon gar nicht in der Linken insgesamt, für Typen sowieso nicht. Ich kann mir aber vorstellen, die Diskussion in unseren gemischten Zusammenhängen dahingehend voranzutreiben, daß wir Frauen von den Typen verlangen, daß sie sich politisch/organisiert zu der von ihnen selbst und ihren Geschlechtsgenossen in der Gesellschaft ausgeübten Gewalt gegen Frauen verhalten, sich auseinandersetzen und sich etwas einfallen lassen und sich entscheiden müssen, ob sie Teil des Problems oder Teil der Lösung sein wollen.« (aus einem Brief einer Mitdiskutantin)
Antipatriarchale Kritik, von Männern übernommen, hat die gleichen Mängel in der Glaubwürdigkeit wie sie gleich im Zitat von Benard in bezug auf das antirassistische Verhalten von Weißen noch erwähnt werden wird. Dennoch müssen Positionen geäußert werden, da erst daran Kritik geübt werden kann. Und Kritik ist eine Voraussetzung der Veränderung. Betretenes Schweigen oder softiemäßiges Anschleimen hält nicht in kritischen Zeiten.
Wo Frauenzusammenhänge weniger wirksam sind, sind auch die weißen Flecken besonders groß. Da spielt aber auch Theoriefeindlichkeit eine Rolle, denn die Unterdrückungsverhältnisse, die mann selbst nicht erlebt, kann er sich nur theoretisch aneignen (mit nachfolgenden praktischen Konsequenzen, klar). Theoriefeindlichkeit rächt sich sonst sehr geschlechtsspezifisch mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen Frauen und Typen in der Linken.
Die abstrakteren Theorie-Texte von autonomen (Kopfrockern) zu Strategien und Globalem nehmen feministische Elemente auch nur in genau dem Maß auf, wie sie von Frauen eingebracht werden.
Meistens bleibt es bei ein paar Anmerkungen zum Patriarchat (»Rasse« kommt fast nie als Kategorie dort vor), die mehr drangeklatscht als verarbeitet aussehen. Die Bedeutung und das Ausmaß patriarchalischer Unterdrückung gehen dort eher unter.
»Der Weiße bietet seine Ablehnung der herrschenden Werte als Beweis der Gemeinsamkeit der Interessen an, stellt die Problematik in allgemeinere Kategorien, die beide »Rassen« umfassen (Entfremdung, Kapitalismus usw.), ist aber nur begrenzt glaubwürdig ­ denn: Seine Verpflichtung kann nie der der Schwarzen gleich sein, weil ihm die Privilegien seiner »Rasse« immer noch verfügbar sind. Der Schwächere ist dann von der Einsicht der Mächtigen abhängig anstatt von deren Gewalt.« Cheryl Benard, 181/182)
Die autonome Linke in der BRD ist mit den Privilegien ihres Weißseins, ihres Deutschseins ausgestattet, ob sie will oder nicht. Daß in der Frauenbewegung wie gesagt zur Zeit die möglichen rassistischen weißen Flecken heftig diskutiert werden, hat die autonome Linke insgesamt bisher völlig kalt gelassen. Daß ihre weißen Flecken etwa weniger korrekturbedürftig wären, wird ja niemand behaupten wollen.
Antirassistische Kampagnen wie gegen Shell und Daimler in Südafrika sind allemal wichtig und richtig ­ aber kein Gegenbeweis. Denn diese Solidarität wird aus einer Distanz heraus ausgeübt, bei der die AdressatInnen kaum direkt an einzelne Linke mit ihren Forderungen und ihrer Kritik herantreten können. Diese Solidarität wird nach hiesigen Regeln und unter Einhaltung hier üblicher Verhaltensweisen praktiziert. Sie erfordert keine hautnahen Reflexionen, weil sie nur wie jedes andere neue Kampagnenthema sonst auch verstanden wird.
Das ist der Unterschied zur Solidarität mit denen, die im Kiez nebenan Rassismen ausgesetzt sind. Die könnten bis in die Plena und Hütten hinein die praktizierte Politik und auch die Lebensstile in Frage stellen (wie jener chilenische Illegale im Exil, der sich darüber wunderte, daß Leute sich hier freiwillig per Lederjacke und Kefiye als Linke zu erkennen geben).
An ihnen würden auch weiße Flecken und rassistisch geprägte Vorstellungen aufbrechen. Z.B.. so: »Für die Linken war es undenkbar, daß man (als Flüchtling/Emigrantin, Anm.) etwas anderes in Anspruch nehmen könnte als ihnen zu gleichen: Sie hätten wohl einen freigeistigen, sozialistischen und internationalistischen Kolonisierten gewollt, aber keinen Mohammedaner, Fetischisten oder Juden!« (Memmi, Rassismus, 53)
Seit über 20 Jahren leben Millionen ImmigrantInnen und Flüchtlingsfrauen und -männer in der BRD. Sie sind nie entsprechend in der 68er-Bewegung oder der autonomen Linken vertreten gewesen. Zum Teil sicher aus ihrem eigenen Wunsch heraus und aufgrund ihrer Klassenlage. Viele ImmigrantInnen verschwanden nach der Maloche eh im privaten Bereich und in den auf ihr Herkunftsland bezogenen Organisationen. Aber die unproblematisierte »rassische« Neutralität der BRD-Linken hat sie auch unsichtbar gemacht, und ihre besondere Unterdrückung hat nur in einzelnen Gruppen und Kampagnen eine Rolle gespielt.
Gebunden an eurozentristische Analysemuster wurden Rassismen nur als Folge von kapitalistischen Einflüsterungen oder als Neo-Nazi-Ideologie erwähnt ­ daß diese Rassismen aber authentische Unterdrückung darstellen und ebenso authentische Lebensweisen erzeugt haben, das fiel flach.
Die Communities der ImmigrantInnen hier sind als Resultate auch von Rassismen zu verstehen und die Kommunikation mit ihnen wird nicht gesucht oder forciert. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, daß die autonome Linke ­ und nicht nur sie ­ ein paternalistisches Verhalten z.B. den »Türkis« gegenüber an den Tag legt. Ohne Kenntnis ihrer Zusammenhänge, ihrer Aktionsgewohnheiten und ihrer berechtigten Ängste vor den Ausländerbullen werden Kampagnen angeschoben und durchgesetzt (siehe z.B. »Rassismus in der Linken«, Schwarzer Faden 32).
Das übliche Argument, daß die meisten TürkInnen gar keinen Kontakt zur BRD-Linken haben wollen, übersieht ­ wenn es nicht eine Verdrehung von Ursache und Wirkung ist ­ daß solidarischer Kontakt zwischen gleichberechtigten Seiten möglich ist, die sich auch kennen müssen. Und nicht jeder persönliche Kontakt muß auch gleich ein politischer sein. Freundschaft basiert auf Respekt. Und genau den haben viele für »die Türkis« z.B. nicht, und die spüren das sehr genau.
Ein paar Beispiele noch für gängige Wahrnehmungsverzerrungen durch rassistische weiße Flecken und eurozentristischen Sichtwinkel: bei Rationalisierungen fliegen nicht (»rassen«neutrale) ArbeiterInnen auf die Straße, sondern zuerst die Nicht-Deutschen; im Trikont (der eigentlich auch viel besser differenziert werden müßte als es hier getan wird) verhungert nicht eine (»rassen«neutrale) Unterklasse, sondern Schwarze Arme; es gibt die Feminisierung der Armut, aber das ist zuerst eine »Türkisierung der Armut«; staatlicher Gewalt sind nicht (»rassen«neutral) Alle-die-Widerstand-Leisten ausgesetzt, sondern AusländerInnen in erster Linie, die kriegen mehr Ärger und mehr Knast. Die Liste der Beispiele ließe sich verlängern.
»Das Problem der Einheit beruht auf der Definition des Feindes. Das heißt, nur Leute, die ihren Feind in einer zumindest sehr ähnlichen Weise identifizieren, können darauf hoffen, ihre Kräfte zu vereinigen.« (Neville Alexander, 21)
Aus der seitenlangen Darstellung und Kritik von weißen Flecken ergibt sich die Forderung nach Konsequenzen von selbst. Der alte Fehler, schlaue Pläne auszufeilen und dann deren Befolgung zu erwarten, kommt jetzt aber nicht. Nur ein paar mehr allgemeine Gedanken und Vorschläge, um das Papier als nicht nur für die Ablage Geschriebenes klarzustellen.
Die Definition des Feindes gelingt mit der triple oppression-Anwendung vollständiger. Unvollständiges Erkennen hatte immer eine Verkürzung der Befreiungskämpfe und ihrer Utopien zur Folge. Entweder wurde der Feind um seine rassistische Seite verkürzt, und die Befreiung der Schwarzen fiel unter den Tisch oder die patriarchalische Seite des Feindes wurde übergangen, und die Frauenunterdrückung blieb oder die kapitalistische Seite des Feindes wurde nicht wahrgenommen, und (nicht nur) die ArbeiterInnen hatten es auszubaden.
Vordringlich als Konsequenz aus der triple oppression:
­ Das Bewußtsein von der Unteilbarkeit der Kämpfe gegen alle Unterdrückungen.
­ Das Bewußtsein vom Vorhandensein von Unterdrückungen, deren privilegierter bzw. selbst unterdrückender Teil mann (auch frau) selbst ist.
­ Das Abgehen von der Orientierung an den eigenen Interessen (Betroffenheitspolitik) in dem Maße wie Unterdrückungen, von denen die Linke (hierzulande) nicht so sehr betroffen ist, als wichtiger erkannt werden.
Der Anspruch auf persönliches Glück muß sich an dem der weniger Privilegierten messen. Der alte Widerspruch zwischen einer Strategie, die schon mal in befreiten Nahräumen eigene Lebensweisen verwirklichen will und einer uneigennützigen revolutionären Arbeit gegen auch fernere Unterdrückungen, der ist in der autonomen Linken immer spürbar gewesen.
Eine Konsequenz aus dem Ernstnehmen der triple oppression wäre die Verfolgung der zweiten Richtung.
Was die Binnenstrukturen der autonomen Linken betrifft, so ergibt sich aus der triple oppression die Notwendigkeit autonomer Organisierungen entsprechend den Unterdrückungen in/neben der autonomen Linken.
Die Frauenbewegung hat sich diese Autonomie längst erkämpft und sich nicht auf einvernehmliche Überzeugungsarbeit bei den Linken verlassen, sondern sie hat sich eine Machtbasis geschaffen. Das ist Vorbedingung für Veränderung, denn auch interne Unterdrückungsverhältnisse sind Gewaltverhältnisse. Und die lassen sich nie harmonisch, sondern nur durch Kräfteverschiebungen lösen. Ohne die würden sich Frauenpositionen bis heute nicht durchsetzen.
Die Anerkennung der triple oppression würde auch eine autonome Organisierung von ArbeiterInnen in/neben der autonomen Linken erfordern, damit auch sie ihre Positionen durchsetzen können und die autonome Linke insgesamt sich mehr an der Front gegen das Kapital bewegen muß. Die bereits vorhandenen ArbeiterInnengruppen sind leider viel zu klein.
Und nicht zuletzt erfordert die Anerkennung der triple oppression Organisation von Nicht-Deutschen, von Schwarzen und ImmigrantInnen.
Erst auf der Basis von Autonomien wären dann wieder Einheiten möglich, die nicht vereinnahmbar, umarmend oder ungleichgewichtig sind, Bündnisse sind besser aus eigener Stärke heraus einzugehen als aus einer durch eigene Schwäche bedingten Not. Auch hier wieder: Freundschaft basiert auf Respekt.
Die weiße Linke in ihrer Gesamtheit hat traditionell die Tendenz, davon überzeugt zu sein, im Besitz einer ziemlich umfassenden, oft starren Wahrheit zu sein. Die Anerkennung der triple oppression hat die Folge, zur Kenntnis zu nehmen, daß »andere« (je nach Geschlecht, »Rasse« und Klassenzugehörigkeit) ebenso über Erfahrungen an Unterdrückung und Widerstand verfügen, Erfahrungen aber, die »uns« subjektiv gar nicht zugänglich sind und es objektiv auch nur eingeschränkt werden können.
Autonomie bedeutet ja eben gerade das Selbstverständnis, daß jede/r (Gruppe) nur selbst bestimmen kann, wie sie/er sich wehren will und kann. Umgesetzt bedeutet dies das Ende jeglichen eurozentristischen und ideologischen »Sendungsbewußtseins«.
Die eingeforderte »Uneigennützigkeit« ist ­ wenn auch zum Teil, da in einer revolutionären Bewegung eine ebensolche Moral ihren Wert haben sollte ­ also nicht nur eine moralische Kategorie. Sie sollte eher Ausdruck der Erkenntnis sein, daß Befreiung nur in der Aufhebung aller Unterdrückungen bestehen kann, also eine politische und inhaltliche Kategorie.
Konkreter: Der Feind in Gestalt des westdeutschen Systems verändert sich an der Spitze der neuen Supermacht Europa zu größter Kenntlichkeit. Die kapitalistische Ausbeutung im Land (in der gerade-noch-DDR besonders) und die imperialistische Durchdringung nehmen sehr stark zu. Obwohl kaum vorstellbar, wird sich die des Trikonts noch verschärfen. Die Rassismen verändern sich, werden insgesamt stärker. Gegen TürkInnen, gegen Roma und Sinti, gegen PolInnen und VietnamesInnen und MozambiquanerInnen. Auch weiße Frauen sollen Positionen wieder verlieren und in die Unsichtbarkeit der Malocherin/Hausfrau zurückgedrängt werden.
Das alles ist so offensichtlich und auch bekannt, daß es hier nicht weiter beschrieben werden muß.
Alle diese Veränderungen können als Unterdrückungen im Sinne der triple oppression analysiert und als Gesamtheit verstanden werden, die bekämpft werden kann. Wobei das Können von dem schon eingeforderten Bewußtsein von der Unteilbarkeit der Kämpfe und auch den dazugehörigen (organisatorischen) Konsequenzen mit abhängen wird.
Das erkennen zu lassen und vielleicht auch etwas mitanzuschieben, ist der praktische Sinn dieses Papiers.
Und dieser Sinn ist ihm hoffentlich anzumerken.

IX.
Einige Lesetips und etwas von der verwendeten Literatur:
Neville Alexander: Wer Wind sät, wird Sturm ernten. ISP-Verlag.
Er ist aus Kapstadt, hat zehn Jahre auf Robben Island gesessen und gehört zum sozialistischen Flügel in Südafrika. Das Buch enthält Reden und Aufsätze zu aktuellen Aufgaben der Schwarzen Bewegung und Theoretisches zu »Rasse«. Besonders lesenswert sind die Kapital Nation und Ethnie in Südafrika; Rasse, Ethnie und Nationalismus in den Sozialwissenschaften des südlichen Afrika und Die Rolle von Frauen in der Gesellschaft.

Maria Mies: Patriarchat und Kapital. Rotpunkt-Verlag, Zürich.
Zusammenstellung der »Bielefelderinnen«-Theorie. Von der Situation des Feminismus über die Entstehung des Patriarchats und Kolonisierung und Hausfrauisierung bis hin zu feministischen Utopien. Ein Kapitel über Frauen und nationale Befreiung. Das Buch lohnt sehr. Einzige Einschränkung: Ihre Schlußfolgerung für eine Konsumbefreiungsbewegung von Hausfrauen sieht sehr nach Mittelklassestrategie aus.

Anja Meulenbelt: Scheidelinien ­ Über Sexismus, Rassismus und Klassismus. Rowohlt-Verlag.
Das Buch ist ganz anders, als ihre alten Bücher vermuten ließen. Es ist die m.W. einzige längere deutschsprachige Darstellung der triple oppression in Theorie und (niederländischer) Wirklichkeit. Viele Schwarze Frauentexte sind wirklich eingearbeitet worden. Als Buch zum Thema triple oppression sehr lesenswert.
Einschränkung: Ihre Problemlösungen sind sehr pädagogisch-individuell; daß es anders zu behandelnde Machtfragen sind, kommt nicht so richtig heraus.

Stuart Hall: Ausgewählte Schriften. Argument Verlag.
Er ist Mitbegründer des »Centre for Contemporary Cultural Studies« in England, sowas wie einer antirassistischen Linken Denkfabrik. Im Buch sind ganz verschiedene Aufsätze, einer zum Politischen und Ökonomischen in der Marxschen Klassentheorie, der für die Kritik des Klassenbegriffs gut ist, und einer, der sich mit Gramscis Erneuerung des Marxismus und den Folgerungen für »Rasse« und Ethnizität beschäftigt. Eher theoretisch und manchmal schwierig zu lesen, aber sonst gibt es wenig aus der Richtung auf deutsch.

Lynne Segal: Ist die Zukunft weiblich? Fischer Taschenbuch
Der Wert dieses Buches ­ das sei vorausgeschickt ­ liegt im ersten Viertel von ca. 300 Seiten, das zu lesen jedoch ein Vergnügen ist. Sie arbeitet sehr gut die im Kern reaktionären Elemente des auch hierzulande populären kulturellen Feminismus (bekannte Vertreterinnen sind z.B. Andrea Dworkin, Robin Morgan, Adrienne Rich) heraus und kritisiert ihn als biologistisch, indem er die Unterschiede und Widersprüche zwischen den Geschlechtern auf ihren natürlichen Charakter, nicht aber auf ihre gesellschaftlichen und historischen Prämissen zurückführt. Die zentrale Kritik Segals besteht darin, daß diese dichotomische Weltsicht (der Mann ist von Natur aus böse, die Frau gut), mit ihren mythologischen und spiritistischen Reisen, die nur Frauen mit genügend Geld und Zeit teilen können, keinerlei Aussicht auf eine Veränderung oder gar Aufhebung patriarchaler Unterdrückung offenläßt (Rezension einer Mitdiskutantin).

Angela Davis: Rassismus und Sexismus: Schwarze Frauen und Klassenkampf in den USA. Elefantenpressverlag, Berlin.
Eine historische Analyse zur Situation und zum Widerstand von Schwarzen Frauen in den USA. Angefangen von der Zeit der Sklaverei über die Frauenwahlrechtsbewegung bis zu aktuellen Diskussionen, stellt sie die objektiven Bedingungen der Schwarzen Frauen in den USA dar. Gleichzeitig bezieht sie Stellung in den aufkommenden verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen bürgerlichen und linken Frauen und gegen die verdeckten und offenen Rassismen von weißen Frauen gegenüber Schwarzen Frauen (und Schwarzen Männern). Ihre Konsequenzen gegen Ende des Buches sind stark von der Linie der USA-KP geprägt und nicht sehr überzeugend (ebenfalls von einer Mitdiskutantin rezensiert).

­ Hazel V. Carby, White Women Listen! Black Feminism and the Boundaries of Sisterhood
­ Pratibha Parmar, Gender, Race and Class: Asian Women Resistance
­ Paul Gilroy, Steppin' Out of Babylon ­ Race, Class, Autonomy (Alle drei Texte in: The Empire Strikes Back, Hutchinson University Library London 1982)
­ Frantz Fanon, Schwarze Haut und weiße Masken, Syndikat Verlag bzw. Suhrkamp.
­ Albert Memmi, Rassismus, Athenäum-Verlag.
­ Jenny Borune, Towards an Antiracist Feminism.
­ dto. Jewish Feminism and Identity Politics, beides Race & Class, London.
­ Leon Poliakov, Über den Rassismus, Klett-Cotta.
­ Peripherie 24, Rassismus (Artikel von John Solomos), Lateinamerikanachrichten-Vertrieb, Berlin.
­ Theorien über Rassismus, Argument Sonderband 164.
­ Assata Shakur, Assata ­ an autobiography, ZED Books, London. Jetzt in Deutsch bei Agipa Press, Bremen ­ sehr lohnendes Buch.
­ Das Argument 173, Geschlecht und Rassismus, Argument-Verlag.
­ Perspektiven 4, Marxismus/Feminismus, Perspektiven Verlag, Marburg.
­ Cheryl Benard, Die geschlossene Gesellschaft und ihre Rebellen ­ Die internationale Frauenbewegung und die schwarze Bewegung in den USA, Syndikat Verlag.
­ Projekt Wüstensand, Die Brotrevolten in Nordafrika. Bibabuze Düsseldorf.
­ Ingrid Strobl, Sag nie, du gehst den letzten Weg, Fischer Taschenbuch.
­ Swetlana Alexijewitsch, Der Krieg hat kein weibliches Gesicht, Verlag am Galgenberg, Hamburg.
­ Anita Kalpaka/Nora Räthzel, Die Schwierigkeit nicht rassistisch zu sein, Express Edition Berlin.
­ Angelika Ebbinghaus (Hrsg.), Opfer und Täterinnen, Greno/Volksblatt Verlag.
­ Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis Nr. 27/1990, Geteilter Feminismus.
­ Chandra Talpade Mohanty, Aus westlicher Sicht: Feministische Theorie und koloniale Diskurse, in: Beiträge... Nr. 23/1988.
­ Denkverhältnisse ­ Feminismus und Kritik, Edition Suhrkamp.
­ Martha Mamozai, Komplizinnen, Rororo Taschenbuch.
­ Martha Mamozai, Schwarze Frau, weiße Herrin.
­ Frauenleben in den deutschen Kolonien, Rororo Taschenbuch.
­ Jochen Blaschke (Hrsg.), »Dritte Welt« in Europa ­ Probleme der Arbeitsimmigration, Syndikat Verlag.
­ Christel Neusüß, Die Kopfgeburten der Arbeiterbewegung, Verlag Rasch und Röhrig.
­ Mahaim/Holt/Heinen, Frauen und Arbeiterbewegung ­ SPD und Frauen, und Frauen, sowjetische Revolution und Frauen, Spanischer Bürgerkrieg ISP-Verlag
­ Silvia Kontos, Die Partei steht wie ein Mann, Stroemfeld Roter Stern.
­ Marie Theres Knäpper, Feminismus ­ Autonomie ­ Subjektivität, Germinal Verlag
­ Erich Fromm/Hilde Weiß, Arbeiter und Angestellte am Vorabend des Dritten Reiches ­ eine sozialpsychologische Untersuchung, dtv Wissenschaft Taschenbuch
­ Sowjetische Frauenpolitik 1917­1939, in: Sowjetunion 1921-39 ­ von Lenin zu Stalin, Reader des »Arbeiterkampf«
­ »Sind wir uns denn so fremd?«, Schwarze Frauen in der BRD, Orlanda Frauenbuchverlag
­ Nawal El Saadawi, Tschador, Edition Con
­ Nawal El Saadawi, Ich spucke auf euch, Frauenbuchverlag
­ Sandra Young, Ein Rattenloch ist kein Vogelnest ­ Geschichte einer schwarzen Jugend, Rororo Taschenbuch
­ Werlhof u.a.; Frauen, die letzte Kolonie, Rororo Taschenbuch.
­ Hirsch/Roth, Das neue Gesicht des Kapitalismus, VSA Verlag.
­ Bosold/Robrecht, Der »andere« Krieg, in TAZ v. 3.6.89, über eine Fachtagung »Frauen als Opfer des Nationalsozialismus«
­ Rossana Rossanda, Marxismus und sexuelle Differenz, Konkret 1/90.
­ Wildcat, besonders Nr. 44 über Erfahrungen von Flüchtlingsinis
­ 1999 ­ Zeitschrift für Sozialgeschichte, besonders 4/89 I.G. Auschwitz ­ Menschenversuche, Volksblatt Verlag Köln
­ Autonomie NF, bes. Nr. 14, Schwarze Risse Verlag
­ Materialien zum Antiimperialismus 1 und 2 (Mittelamerika/Brasilien) Schwarze Risse Verlag
­ »Südafrika«, Broschüre von AKAFRIK, ISSA und IZ3W.
­ Schwarzer Faden, Nr. 32, 3/89,

Juni/Juli/August 1990


Nachbemerkung:
Im Sommer 1990 habe ich eine vorhergehende Diskussion zwischen mehreren Frauen und wenigen Männern, die mir alle seit Jahren schreiben oder mich besuchen, schriftlich zusammengefaßt. Die Diskussion fand unter Knastbedingungen statt. Sie war also zeitraubend und an manchen Punkten, gerade was praktische Konsequenzen angeht ­ unvermeidlich vage. Die Zusammenfassung ist dann erneut diskutiert und verändert worden, bis sie von allen für veröffentlichbar gehalten wurde. Es ist aber immer noch ein Diskussionspapier, nicht alle teilen alle einzelnen Positionen im Papier in vollem Umfang.
Es war zunächst beabsichtigt, den Text ohne VerfasserInnenangabe zu verbreiten, da der Inhalt für sich sprechen sollte. Einige Nachfragen haben dann aber gezeigt, daß im autonomen linken Rahmen (VerfasserInnen-)Namen unverzichtbar zu sein scheinen bzw. deren Nichterwähnung den Eindruck erweckt, es sei geradezu geheim, von wem das Papier stammt.
Wenn nun mein Name druntersteht, soll das nicht überdecken, daß ich auf viele Probleme erst durch Anstöße von Frauen bzw. durch Frauentexte und Texte aus der Schwarzenbewegung gekommen bin.
Diese Einflüsse sind im Text ­ so hoffe ich ­ stark zu spüren. Auch die Überarbeitung der ursprünglichen Diskussionszusammenfassung war eine Co-Produktion; dieser Hinweis soll allerdings eine eventuelle Kritik an mir nicht abbiegen. Auch sollten Reaktionen nicht (nur) auf meinem Zellentisch landen, da die Triple-Oppression-Diskussion eine öffentliche Fortsetzung finden und nicht in irgendwelchen InsiderInnenkreisen stecken bleiben soll.
Im letzten halben Jahr ist die Diskussion der Drei zu Eins-DiskutantInnen weitergegangen; die Frage der Utopien, die über den Scenebereich hinausgehen, spielt dabei ebenso eine Rolle wie das genauere Analysieren der Beziehung Trikont-Metropole im kapitalistischen Weltsystem. Ständig problematisiert wurde und wird, inwieweit Männer bzw. Weiße fähig und berechtigt sind, Themen mitzudiskutieren, die Frauen bzw. Schwarze in erster Linie betreffen.
Ergebnisse dieser Diskussion lassen sich noch nicht zusammenfassen bzw. nicht einfach mit »Ja« oder »Nein« beantworten. Vielleicht wird es später ein weiteres Papier geben.
Ein anderer Aspekt des Textes sei noch betont: Er ist ein Beispiel für Diskussionen wie sie ­ auch ­ zwischen Gefangenen und Draußen geführt werden und geführt werden könnten.

Knast Werl, Januar 1991



Zweite Nachbemerkung
Die Neuauflage ist ein Anlaß darauf hinzuweisen, daß die Diskussionen, die vor zweieinhalb Jahren unter dem Titel »Drei zu Eins« zusammengefaßt wurden, bereits Ende der 80er Jahre liefen. Das Ende der DDR und der UdSSR, der Krieg im früheren Jugoslawien und der zweite Golfkrieg hatten noch nicht stattgefunden. Drei zu Eins entstand vor Hoyerswerda, vor Rostock, vor der faschistischen Anschlagswelle gegen Flüchtlinge, Behinderte, Obdachlose, Schwule und Linke.

In den letzten zwei, drei Jahren hat sich auch die Situation (in) der (autonomen) Restlinken verändert; die Entwicklungen bei den RZ oder der RAF sind nur ein Beispiel dafür, wie schmal der Grat zwischen Umbruch und Desorientierung ist. Ursprünglich sollte Drei zu Eins lediglich eine längere Diskussion schriftlich festhalten, die Veröffentlichung war beinahe zufällig und die DiskutantInnen haben nicht mit der relativ großen Verbreitung des Textes gerechnet. Vieles ist in Drei zu Eins nur angerissen, nur begonnen, denn triple oppression und Rassismen-Kritik waren Ende der 80er Neuland in der BRD, es gab kaum Deutschsprachiges und noch weniger Diskussionen darüber. Die eher praktisch orientierten DiskutantInnen und auch ich, als Gefangener zum Theoretischen eher gezwungen, standen oft genug ratlos vor der Komplexität der aufgeworfenen Probleme einer konsequenten Anwendung des triple oppression-Ansatzes auf die Realität der Welt, auf linke Theorie und Praxis und nicht zuletzt auf uns selbst und in unserer Diskussion. Wir hatten und haben nicht den Durchblick bei allen Aspekten der Grundstrukturen: Klassenunterdrückung, Patriarchat und Rassismen; erst recht nicht den Durchblick bei deren unendlichen Zusammenhängen.
Drei zu Eins war und ist ein Diskussionspapier und eine Kritik an linken Wirklichkeiten, also etwas nie Fertiges. Es ist bestimmt kein Nachschlagewerk, aus dem jede/r nur noch nehmen muß, was sie/er braucht.
Der Kern des Papiers, die Propagierung von triple oppression-Analyse als Mittel zum besseren Verständnis der gesellschaftlichen Totalität und als zueinander-in-Beziehung-Setzung von anti-kapitalistischer, anti-patriarchaler und anti-rassistischer Theorie und Praxis, hat sich nicht überholt. Die Umbrüche und Ereignisse der letzten Jahre zeigen eher die Bedeutung dieses Ansatzes. Nationalismen zum Beispiel entziehen sich traditionellen Analysen, und die Verirrungen, die ein humanistisch maskierter Imperialismus zur Zeit in (ehemals) linken Köpfen anrichtet, sprechen auch für sich. Das Aufkommen der Rechten und ihrer Ideologien läßt sich auch nicht mit Antifa-Vorstellungen aus den 20er und 30er Jahren bekämpfen, die von anti-patriarchaler Kritik und (neuen) Rassismen noch wenig wußten. Die in Drei zu Eins deutlich angegriffenen Binnenstrukturen der autonomen Zusammenhänge verdienen Kritik ­ heute leider keineswegs weniger wie vor ein paar Jahren.
Die Reaktionen auf Drei zu Eins waren manchmal selektiv, so wurde es als »antirassistisches Papier« aufgefaßt und über dieses aktuelle Thema wurden Kapitalismus- und Patriarchatskritik verdrängt. Es wäre eine bitterböse Ironie, wenn die Überwindung des alten »Hauptwiderspruchs« Klassenkampf mit der schleichenden Einführung eines neuen »Hauptwiderspruchs« Rassismen bezahlt werden müßte...
Das in Drei zu Eins vorgeschlagene Denkmodell des »Netzes« war gedacht als Verbesserung gängiger bipolarer Vorstellungen und monokausalen Denkens. Selbstverständlich ist auch ein »Netz« ein aus der Mechanik entnommenes Bild, welches die Komplexität der triple oppression-Verknüpfungen nie vollständig wiedergeben kann. Als Vorstellungsbehelf ist es dennoch ein Fortschritt gegenüber simplen »oben/unten« Schemata und deshalb doch verwendbar.
In Drei zu Eins werden Begriffe verwendet, die eigentlich zuvor für die triple oppression-Analyse neu inhaltlich zu bestimmen gewesen wären. Schlecht sind z.B. die dort eingangs aufgeführten »Definitionen« von verschiedenen Kämpfen, die so trennen, wie nicht (mehr) getrennt werden sollte. Auch der politische Begriff »Schwarz« kann keine festgefügte Zuschreibung sein, da sich manche MigrantInnen und jüdische Frauen ausdrücklich nicht als »Schwarz« in diesem Sinn definieren.
Daß solche Ungenauigkeiten im Papier und bis heute immer wieder unterlaufen, hat seine Ursache in der paradoxen Schwierigkeit, daß neue Begriffe erst mit einer neuen Praxis und einem neuen Verständnis entstehen, während mit den vorhandenen alten Begriffen eben diese neue Praxis und eben dieses neue Verständnis noch nicht völlig zutreffend erfaßt werden können.

In dieser zweiten Nachbemerkung können wegen Platzmangel und Zeitknappheit nicht alle Mängel des Drei zu Eins-Papiers ausgebessert werden. Aber ein paar davon sind dringend festzustellen und weitere können als Beispiele für mögliche Ergänzungen und Verbesserungen der triple oppression-Diskussion verstanden werden.
Zwei erhebliche Fehler zuerst:
In Drei zu Eins fehlt die gesamte Kritik der Behindertenbewegung an dem Fortschrittsbegriff und Produktivismus, wie er zum Teil von Linken aus der bürgerlichen Ideologie übernommen wurde. Die linken »Utopien eines von Leid und Krankheit befreiten Menschen« enthalten eine »versteckte Gewaltförmigkeit, die spätestens da offenbar wird, wo ihr therapeutischer Elan auf Grenzen stößt, weil sich die 'Patienten' als therapieresistent erweisen. (...)
Für alte, kranke, behinderte, sozial 'abweichende' Personen ist in diesem Menschenbild kein Platz. Sie finden sich auf den unteren Sprossen einer Hierarchieleiter von Wertigkeiten wieder, an deren Ende der Status Mensch selbst zur Disposition steht. An diesem Punkt setzen die Tötungs-Phantasien und Tötungs-Pläne der neuen und alten 'Euthanasie'-Propagandisten ein. (...)
Die Dogmatisierung der Produktivkraftentwicklung als Motor des geschichtlichen Evolutionsprozesses behinderte eine Auseinandersetzung mit den konkreten Inhalten und der Qualität des 'wissenschaftlich-technischen Fortschritts'. Und wo der Mensch der Logik der geschichtlichen Entwicklung nicht folgte oder den Erfordernissen einer sozialistischen Arbeitsgesellschaft nicht genügte, erlagen auch kommunistische Wissenschaftler der Versuchung, den Menschen an diese Bedingungen anpassen zu wollen, verbessernd in ihn einzugreifen ­ und sei es über die Indienstnahme der Vererbungslehre und Humanbiologie. Auch linke Utopien von der Vervollkommnung, von einem 'neuen Menschen' sind vor diesem Hintergrund auf ihre unterschwelligen gewaltförmigen Implikationen zu befragen.« (Zitate aus: »Tödliche Ethik ­ Beiträge gegen Euthanasie und Eugenik«, Verlag Libertäre Assoziation). Diese Befragung hat in Drei zu Eins nicht stattgefunden.

Ein ebenso wesentlicher Fehler in Drei zu Eins ist die verkürzte Abhandlung von Antisemitismus. Im Papier wird er lediglich als ein Element des NS behandelt, wodurch seine jahrhundertealte Geschichte vor und nach Auschwitz abgeschnitten wurde. Rassismen in Deutschland sind jedoch ohne Kenntnis der Verfolgung der JüdInnen nicht, oder nur unvollständig verstehbar. Neben dem Drei-zu-Eins-Exkurs zum kommunistischen Widerstand fehlt eine ausdrückliche Darstellung des Kampfes jüdischer PartisanInnen und GhettokämpferInnen gegen die Vernichtungsmaschinerie. In den Erinnerungen von Bernard Goldstein (»Die Sterne sind Zeugen«), Marek Edelmann (»Dem Herrgott zuvorkommen«) und anderen ist er eindringlich beschrieben worden.
In nachfolgenden Diskussionen zwischen alten Drei-zu-Eins-DiskutantInnen tauchten in zwei Punkten Differenzen auf, die hier nun nur aus meiner (K.V.) Sicht beschrieben werden. Eher theoretisch bedeutsam ist die Frage, ob Antisemitismus, wie in Drei zu Eins geschehen, als ein »Sonderfall« von Rassismen richtig erfaßt werden kann, oder ob er in Form »antisemitischer Strukturen« größere Bedeutung und Ausmaße hat. Oder wird damit der Begriff überdehnt und sind die Aspekte der »antisemitischen Strukturen« doch den tripple-oppression-Grundstrukturen zuordbar? Beim zweiten Streitpunkt spielen die unterschiedlichen politischen Biographien und Interessen der Beteiligten mit hinein. Es geht um die Bewertung des linken Antizionismus, wie er als Solidarität mit den PalästinenserInnen im Rahmen des neuen Internationalismus Ende der 60er Jahre entstand. An diesem ursprünglichen Kern muß bei aller Kritik an einigen Aktionen und Erklärungen früherer Jahre meines Erachtens festgehalten werden ­ insbesondere gegen die GolfkriegsbellizistInnen, die die internationale Solidarität gerne als eine »68er-Sünde« abhaken würden. Ob die Bezeichnung Antizionismus noch verwendbar ist, ist eine eher sekundäre Frage.
Entscheidend bei jeder Kritik an Israel ist ihre Abgrenzung gegen antisemitisch eingefärbte Ressentiments und ihr genauer Bezug auf konkrete Fakten, wie z.B. die Vertreibungen und Landnahmen durch zionistische SiedlerInnen in Palästina, die massive Unterdrückung der Intifada, die Folter in israelischen Knästen, die Invasion des Libanon, die Bombardierung von Flüchtlingslagern, die israelische Unterstützung für Militärdiktaturen und Südafrika und die Rolle der Atommacht Israel als Vorposten der Nato. Daran muß 1993 deshalb erinnert werden, weil einige Altlinke jede Kritik an Israel mit einem pauschalen und theoretisch aufwendig hergeleiteten Antisemitismusvorwurf verunmöglichen wollen. (Um Mißverständnissen vorzubeugen: im Drei-zu-Eins-Kreis gibt es solche Altlinken nicht.)
Jenseits aller Differenzen in Einzelfragen ist unbestritten, daß der Stellenwert und die ständige Notwendigkeit einer linken (Selbst-)Kritik des Antisemitismus in Drei zu Eins nicht genug berücksichtigt wurde.

Zu weiteren, weniger gravierenden Mängeln in Drei zu Eins:
Eher eine Auslassung durch begriffliche Faulheit ist die Verwendung von triple oppression (dreifache Unterdrückung) ohne Differenzierung in »verschiedene Kategorien von Unterdrückung: Ausbeutung, Marginalisierung, Machtlosigkeit, kultureller Imperialismus und Gewalt.« (siehe »Herrenvolk...«, S. 58ff.) Diese Kategorien sind nicht vollständig und können im Rahmen der Grundstrukturen nochmal unterschiedlich ausgeprägt und kombiniert sein. »Unterdrückung« ist jedenfalls zu konkretisieren in genaueren Diskussionen.
Zu Recht ist (u.a. von lupus) kritisiert worden, daß in Drei zu Eins von Unterdrückungsverhältnissen gesprochen wird, ohne die in diesen Verhältnissen lebenden und diese Verhältnisse reproduzierenden Subjekte auf ihre Innerlichkeit hin zu beschreiben. So entstand der Eindruck, als gäbe es in den Individuen einen »Ort jenseits von Widersprüchen«, als zöge sich das »Netz« nicht auch durch die Köpfe und Herzen der einzelnen Subjekte hindurch. Die Zerstörung von Verhältnissen ist in Drei zu Eins völlig zu recht gefordert, aber nicht mit einer Emanzipationsstrategie der Individuen verbunden worden. Welche individuellen Lebensentwürfe wären unter triple oppression-Voraussetzungen revolutionär? Wie hätten Revolutionen auszusehen, die emanzipatorische Lebensentwürfe zulassen würden?
Die Vorstellung monolithischer Subjekte, die eine ungebrochene Identität durch ihre gesellschaftliche Stellung quasi zugewiesen bekämen, wäre völlig falsch. Bewußtsein und Absichten sind nichts dem »politischen Prozeß Vorausgesetztes«, sondern sie werden erst durch »materielle Lagen, Erfahrungen, Weltbilder, traditionelle Situationsdeutungen (Alltagsbewußtsein) und 'Werte' so miteinander verknüpft, daß sie als politisch wirksame 'Interessen' erst zur Sprache kommen. 'Objektive' gesellschaftliche Stellungen und die damit verbundenen Erfahrungen setzen sich erst über einen sehr komplexen und widersprüchlichen Vermittlungszusammenhang in 'Interessen' um.« Und weil »jedes Individuum an einer ganzen Reihe von gesellschaftlichen Beziehungen (z.B. Privilegien und Unterdrückungen) teilhat, ist es Sitz einer Pluralität von Bestimmungen, wobei jede bestimmte Subjektpositionen aufbaut. Jedes Individuum ist daher notwendig vielgliedrig, heterogen.« (Hirsch, »Kapitalismus ohne Alternative?«, VSA). Daß Gefühle und die »Persönlichkeitsanteile hinter den Kulissen« Einfluß auf Denken und Praxis nehmen, müßte Gegenstand einer politischen Psychologie der triple oppression sein. Mit Psychologismen hätte sie nichts zu tun, da sie den gesellschaftlichen Rahmen der Subjekt-Binnenstrukturen ständig einbezöge.
Eine andere begriffliche Faulheit mit Folgen ist die Verwendung der Formulierung »weiße Flecken« in Drei zu Eins gewesen. Zwar ist es zutreffend, daß es viele Wissenslücken gibt und schon aus Unwissenheit Fehler unterlaufen, aber es geht bei dem, was in Drei zu Eins mit »weiße Flecken« umschrieben wurde um erheblich mehr. »Wahrnehmungsfilter« (D. King) hängen an subjektiven Realitäten und sind interessengebundene Erkenntnisweisen. Diese Erkenntnisweisen sind keine fehlerhafte Widerspiegelung der wirklichen Welt in den subjektiven Gedanken, sondern eine Art und Weise der »Unsichtbar-Machung« von Realitäten.
Einen »weißen Fleck« auszufüllen bedeutet demnach nicht, ihn wie ein Bild mit hinzugelernten Informationen auszumalen, sondern ihn als bisher verschlossenes Fenster im Gedanken- und Handlungsgebäude zu öffnen und neue Welten zu begreifen und in ihnen versuchen zu leben. Es verändert sich somit nicht einfach ein Stückchen der individuellen oder linken »Landkarte«, es verändert sich die subjektive und kollektive Realität.
Die Aufforderung zur Solidarität und »Selbstlosigkeit« in Drei zu Eins ist gelegentlich als Aufforderung zu einer »Stellvertreterpolitik« verstanden worden. Mit der Verwendung des Begriffs »Selbstlosigkeit« sollte lediglich eine Betroffenheits-Politik kritisiert werden, bei der Verbindlichkeit und kontinuierliche Konsequenz immer wieder von jeweiligen subjektiven Befindlichkeiten zersplittert wird. Der Fehler am Begriff »Selbstlosigkeit« ist aber der, daß er eine unausgesprochene Teilung von »selbst« und »andere« vornimmt. Richtig wäre es, von einem »Zusammenhang von Beziehungen« zu sprechen, in dem das »selbst« immer präsent ist und sich entwickelt, weil es »die anderen« als Beziehungsteil seiner selbst erkennt. Einfach ausgedrückt: Offenheit, sich Einlassen auf und lernen von Personen und Verhältnissen jenseits des eigenen Tellerrands und das Ziehen von persönlichen, praktischen Konsequenzen daraus ist bestimmt keine »Stellvertreterpolitik«, sondern von Subjekten bewußt getragene Solidarität.
Die Angelegenheiten, Kämpfe und Wünsche der vormals »anderen« werden zu eigenen, ohne daß dabei die jeweiligen eigenen Ausgangsbedingungen und Privilegienunterschiede in Vergessenheit geraten oder gar reproduziert werden dürfen.
Es wäre auch gut gewesen, wären in Drei zu Eins längere Abschnitte zu einem neuen Internationalismus, zu den Nationalismen und zu einzelnen Metropole-Trikont-Verhältnissen gewesen. Auch eine Auseinandersetzung mit anti-patriarchalen Ansätzen von Männern und das Wissen und die Erfahrungen der ex-DDR-Linken über Rassismen und Patriarchat im realen Sozialismus hätten ihre Bedeutung gehabt. Die Drei zu Eins-DiskutantInnen haben das seinerzeit nicht geschafft oder hatten keine direkten Bezüge zu diesen Themen ­ es ist aber auch niemand daran gehindert, die Lücken später oder in anderen Zusammenhängen noch zu füllen.
Zum Abschluß, auch wenn es nur kurz angesprochen werden kann, noch etwas Grundsätzliches, was in der alltäglichen Arbeit und hinter dem Problemberg der triple oppression-Diskussion leicht in Vergessenheit gerät. Besonders in einer Zeit, wo Rechte und ihre Ideologien auf dem Vormarsch sind, ist es unverzichtbar, den Begriff »links« erneut als Identitätsbestimmung inhaltlich auszufüllen. Der Kern dessen, was »links« bedeutet, war und ist in dem berühmten Satz von Marx enthalten: »... alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist!«
Der triple oppression-Ansatz kritisiert nicht etwa den dort ausgedrückten linken Universalismus des »Umwerfens aller Verhältnisse«, er kritisiert vielmehr, daß die (alte) Linke ihrem eigenen universalistischen Anspruch nie gerecht wurde. »Der Mensch« war für sie männlich, weiß, Lohnarbeiter und Metropolenbewohner ­ und auch nur die ihn unterdrückenden Verhältnisse suchte sie umzuwerfen.
Gegenüber einem falschen, »unsichtbar-machenden« Universalismus anerkennt der triple oppression-Ansatz drei Grundstrukturen von Herrschaft und respektiert die Autonomien der Frauen, Schwarzen und ArbeiterInnen, ihre jeweilige Kritik an den Verhältnissen und auch ihre (Selbst)Organisationen. Es ist allerdings ein noch praktisch und theoretisch zu lösendes Problem, wo die Grenze zwischen einer erforderlichen universalistischen Strategie des »Umwerfens aller Verhältnisse« und der Respektierung der Autonomien und ihrer Wege zum Umwerfen von Verhältnissen zu ziehen ist. Wichtiger noch: wie sich diese Grenze aufheben ließe.
In dem oben erwähnten Marx-Zitat ist »der Mensch ein bislang lediglich behaupteter, jedoch nie erreichter Zustand, der sich erst realisieren kann in einer Gesellschaft, die jede Wertung von Geschlechtern, 'Rassen' und Klassen negiert. Die also die bislang herrschende Norm aufhebt, welche nicht nur das Verhalten der Menschen bestimmt, sondern auch ­ durch tiefe Verwurzelung ­ ihre Bedürfnisse und Träume.« (Ingrid Strobl, »Angst vor den Frösten der Freiheit«).
Knast Werl, Februar 1993


Anmerkungen:
Folgende Kritiken an Drei zu Eins sind lesenswert und publiziert:

­ lupus: Von Grundlagen und anderen verborgenen Dingen, in: Geschichte. Rassismus und das Boot.
­ lisA: Neuer Wein in alten Schläuchen, in: AK 336 und »17°«
­ drei zu eins oder eins zu drei? in: Graswurzelrevolution 166
­ drei zu eins für wen? in: Wildcat 57, eine Kritik dieser Kritik in Wildcat 58.
Drei Bücher, die sich auf Drei zu Eins nicht unbedingt beziehen, aber für triple oppression-Diskussionen wichtig sind:
­ autonome l.u.p.u.s.-Gruppe: Geschichte, Rassismus und das Boot. Edition ID-Archiv.
Ein Sammelband von Beiträgen, die sich an die hier veröffentlichte »doitschstunde« anschließen und den Zustand der autonomen Linken meist treffend charakterisieren.

­ Andreas Foitzig u.a.: »Ein Herrenvolk von Untertanen«: Rassismus-Nationalismus-Sexismus, Diss-Studien Verlag, Duisburg.
Ein Sammelband mit durchweg guten Beiträgen von Birgit Rommelspacher, Walter Moßmann, Martha Mamozai u.a.

­ ¡basta! Frauen gegen Kolonialismus, Edition ID-Archiv.
Noch ein Sammelband mit Texten von Frauen aus Lateinamerika und den USA hauptsächlich. »Mehrfache Unterdrückung, vielfältiges Bewußtsein« von Deborah King ist für die triple oppression-Diskussion besonders gut, ebenso die »Gratwanderungen ­ Überlegungen zu einem feministischen Internationalismus« des herausgebenden Frauenkollektivs.