Düsseldorf, 1. Juni 2003 |
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PINAR SELEK: Ich bereue... Nein. Das hier ist nicht der Text eines Schlagers. Es ist mein Geständnis. Sie können es lesen, Sie können es auch zerknüllen und wegwerfen. Ich schreibe nicht Ihnen, sondern den zuständigen Behörden. Ich bereue, mein Herr. Ich bereue sogar sehr. Warum? Damit ich ein paar Jahre weniger sitzen muss. Oder vielleicht auch nur, um in ein besseres Gefängnis verlegt zu werden. Tatsächlich, ich bin dazu bereit, auf mein eigenes Leben zu spucken, um nicht in eines dieser dunklen Löcher gesteckt zu werden. Es reicht schon, wenn Sie mich nicht in dieses unendliche Nichts der Isolation werfen. Ich kann nicht unter diesen verschärften Bedingungen leben, die an die Stelle der Todesstrafe gesetzt worden sind! Ich bereue. Dass ich mich gegen den Staat gestellt habe. Dass ich es gewagt habe, meine Muttersprache zu sprechen und zu schreiben, dass ich Lieder gesungen habe, mich so verhalten habe, wie ich bin, dass ich ein sichtbarer Teil des gesellschaftlichen Lebens war. Ich bereue. Weil den Menschen nicht gestattet wurde, Politik zu machen, und lautes Denken verboten war, und erst recht auf kurdisch, bin ich in die Berge gegangen. Dabei überdenken auch wir mit einem kritischen Blick diese Zeit, aber wie auch immer, jetzt wird ja nicht eigenes Denken von mir gefordert, sondern Reue. Ich bereue. Mit meiner Mutter habe ich niemals türkisch gesprochen. Dabei hätte ich ihr unter Schlägen türkisch beibringen können. Das habe ich nicht getan. Meinem kleinen Bruder habe ich den Namen Mazlum gegeben. Die Politiker, die zu uns in die Gegend gelangten, kamen mir unaufrichtig vor. Ich wollte Aufstand üben gegen die Ungerechtigkeit. Ich bereue diese Gefühle. Apo und seine Freunde fand ich aufrichtig und warmherzig. Ich habe daran geglaubt, mit ihnen gemeinsam die Welt verändern zu können. Dass wir ein Leben schaffen können, in dem meine Mutter glücklich ist. Ich bereue. Als Kind hatte ich viele Tagträume. Vergnügte und kunterbunte Sachen... Sachen, die der einfarbigen Stabilität unserer Republik schaden. Ich verfluche diese Sachen und möchte hiermit meine Reue zum Ausdruck bringen. Einmal habe ich auch gegen den Geschichtslehrer rebelliert. Weil er uns geschlagen hat, habe ich die ganze Klasse gegen ihn organisiert. Aus Protest sind wir alle zusammen nicht in seinen Unterricht gegangen. Sie haben uns vor den Disziplinarausschuss gebracht. Aber wir haben Widerstand geleistet und nicht bereut. Deshalb wurden wir auch nicht mehr geschlagen. Ich bereue. Dass ich Widerstand geleistet und nicht bereut habe. Ich bereue, dass ich mich nicht weiter habe schlagen lassen. Wenn ich geschlagen worden wäre, wäre ich nicht in diese Situation geraten. Hätte ich mich doch schon in frühem Alter gebeugt. Ich bereue, dass ich meine Kindheit gelebt habe. Alle Spiele, die ich gespielt habe. Ich eröffne hiermit, dass ich es bereue, geboren worden zu sein. Wer bin ich denn schon, dass ich einfach so zur Welt komme! Für wen habe ich mich denn gehalten? Als ob ich ein Recht auf Leben hätte. Einfach so den ersten Schrei ausstoßen und das Tageslicht zu begrüßen! Ich hätte schließlich Widerstand leisten können, als meine Mutter dabei war, mich zu gebären. Ich hätte einfach in diesem wunderbar ruhigen Bauch ersticken können. Also ich bereue, und das soll jeder wissen. Gestern nacht hatte ich einen Traum. Es muss so ungefähr im Mittelalter gewesen sein... Auf dem Platz war Holz aufgeschichtet. Drumherum warten Menschen. Ich befinde mich in der Mitte von diesem Holzhaufen. Der Henker schaut mir nicht in die Augen. Soweit ich verstanden habe, werde ich beschuldigt, mit dem Teufel gemeinsame Sache gemacht zu haben. Ein Kirchenmann, der dort Dienst tut, will irgendwas von mir. Ich versuche, ihn zu verstehen. Er sagt: "Sag, dass Du bereust! Gestehe Deine Sünden! Bitte Gott um Vergebung! Dann töten wir Dich sofort. Wenn Du aber auf Deiner Unschuld bestehst, werden wir Dich foltern, bis Du bereust, wir werden Dir bei lebendigem Leibe die Haut abziehen, Deine Fingernägel ziehen, Deine Innereien zerfetzen!" Ich schreie. Ich lehne es ab, zu bereuen! Ja, mein Herr, ich bereue, diesen Traum gehabt zu haben. Früher habe ich viel über das Mittelalter gelesen. Alles wegen diesen Büchern... die haben mich vergiftet. Ich bereue, gelesen zu haben... Ich schwöre, nicht mehr zu lesen. In mir bewegt sich etwas. Etwas, das mich sticht und reizt und nicht stillhalten lässt. Ich bereue auch diese Gefühle... Ich bin sündig, schuldig, schmutzig, verflucht, ein armseliger Dreck... Ich gestehe. Und was jetzt? Ich habe alles gesagt, was ich sagen sollte. Wird das den Krieg beenden? Na ja, egal, mein Problem ist ja jetzt auch nicht gerade der Krieg. Ich bereue, ich habe meine eigenen Probleme. Wie jetzt? Reue reicht nicht? Sollen wir kriechen? Uns gegenseitig ohrfeigen? Uns ins Gesicht spucken? Wen soll ich vergewaltigen? Reue bis zum Tod. Die Reue bis zum Tod beweisen. Folter bis zum Tod... Sich bis zum Tod vor sich selber ekeln, ist es das? Ich habe doch gesagt, dass ich bereue. Habe gespuckt auf meine Träume. Lasst mich endlich zufrieden. Gebt mir wenigstens die Erlaubnis, wie eine Kakerlake zu leben. pselek@hotmail.com Quelle: (Özgür Politika, 02.06.20003)
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