Delegation
der Kampagne TATORT Kurdistan, Mai 2014
Massaker in der Region Serekaniye
Während wir uns als
Delegation noch in Silemani, in Südkurdistan befinden, kommen schockierende
Nachrichten aus der Region Serekaniye, die wir vor etwa einer Woche besucht
hatten. Angehörige der djihadistischen Gruppe ISIS (Islamischer Staat
in Irak und Syrien) versuchten am 28.05.14 zunächst die Dörfer Til Xenzir,
Til Bilal, Rawiya und El Ferise zu besetzen. Die Banden hatten sogar Panzer
und schwere Waffen aus Rakka und Til Abyad mitgebracht und es kam zu schweren
Gefechten die zur Stunde noch andauern.
Gegen
3:00 morgens des 29.05.14 kam es zu einer weiteren Angriffswelle auf die
Dörfer Tileli, El Qoncak und Timad im Südwesten von Serekaniye. Diese
Dörfer liegen außerhalb des Kontrollbereichs der YPG im eigentlich schon
ISIS kontrollierten Gebiet und so konnten die Banden sie mit schweren
Waffen und Panzern angreifen. Zunächst fuhr ein Selbstmordattentäter in
das Dorf Timad. Die Autobombe zielte darauf ab, so viele Zivilisten wie
möglich zu ermorden. Die Zahl der Getöteten lässt sich für Timad noch
nicht beziffern. In dem yezidschen Dorf Tileli und El Qoncak verübten
die Banden ein Massaker. Sie töteten 15 ZivilistInnen, sieben davon Kinder
zwischen 11 Monaten und 12 Jahren alt. Bei mindestens einem Kleinkind
wurden die inneren Organe herausgerissen. Die Zahl der Ermordeten droht
weiter zu steigen.
Danach griffen die Banden eine Stellung der YPG an. Der Kommandant der
YPG erklärte: „Nachdem unsere Kräfte die Angreifer aus dem Beriech der
Libi Fabrik und Qoncak und Tileliye vertrieben hatten, haben wir das Ausmaß
des Grauens gesehen. Die Banden hatten vor allem Kinder, Frauen und Alte
massakriert.“ Diese Massaker sind keine Exzesse sondern Teil der Politik
von ISIS und Cebhet al Nusra. Sie schreiben, wie wir selbst auch auf vorhergehenden
Delegationen immer wieder an den Wänden von verwüsteten Dörfern und Stadtteilen
lesen konnten, ganz offen „Wir sind gekommen um zu schlachten“.
Bei den Kämpfen der letzten 48 Stunden starben 86 Bandenmitglieder und
16 KämpferInnen der YPG. Viele der Angreifer kamen aus der Türkei und
anderen Ländern.
Als Delegation haben wie diese Gegend und ihre Geografie kennengelernt.
Als wir uns am Frontabschnitt Til Xenzir aufhielten, wurde deutlich, dass
sich Auseinandersetzungen mit den Islamisten und die bedrohten Dörfer
in der Nähe der türkischen Grenze befinden. Vom Gipfel des Til Xenzir
sind die Stellungen der Djihadisten in den Vororten der Kleinstadt Mabruka
sichtbar. Von hier aus sind es etwa 100 km bis zum befreiten, aber von
Djihadisten belagerten, Kanton Kobanê, und es ist im Moment nicht möglich,
diesen Streifen zu durchqueren. Etwas mehr als einen Steinwurf entfernt
liegt die türkische Grenze. Seit der Hügel von Til Xenzir nicht mehr unter
der Kontrolle von Al Qaida/ISIS ist, sind an der türkischen Grenze Panzer
aufgezogen. Der Hügel wird nachts von der Türkei angestrahlt, was den
Banden die Beobachtung der Bewegungen der YPG erleichtert. Der Kommandant
der Stellung von Til Xenzir zeigte uns den Ort Demhani hinter der türkischen
Grenze, in dem sich der Schwarzmarkt der Banden befindet. Auf dem Markt
von Demhani verkaufen die Djihadisten unter den Augen der türkischen Armee
und des türkischen Staates das Raubgut aus den geplünderten Dörfern von
Rojava ganz öffentlich vom Wasserhahn bis hin zur Haustür. Die Djihadisten
können jederzeit je nach Bedarf die Grenze zur Türkei überqueren. Dafür
gibt es dutzende AugenzeugInnen in den Reihen von YPJ/YPG. Gerade vor
einigen Tagen wurden 22 LKWs herübergeschafft. Auch Augenzeugen aus Nordkurdistan/Türkei
berichten über verletzte Djihadisten in türkischen Krankenhäusern. Mittlerweile
wurde durch Kontrollen und Leaks bekannt, dass die Türkei über 1000 LKWs
mit Waffen nach Syrien schickte, direkt in die Hände von ISIS und Nusra.
Immer wieder ist zu beobachten wie sich hier Einheiten der Djihadisten
mit Fahrzeugen an der türkischen Grenze treffen und Dinge ausgetauscht
werden. So zum Beispiel am 22.01.14: Etliche Fahrzeuge von Al Nusra drangen
über die Grenze von der Türkei/Nordkurdistan nach Rojava ein und töteten
zwei Kämpfer der YPG. Dies alles geschieht von einem NATO Staat aus, etwa
50 km von stationierten deutschen Soldaten entfernt. Die Region entlang
der türkischen Grenze, zwischen dem Kanton Cizîre und dem Kanton Kobanê
ist eine der am stärksten von ISIS besetzten Regionen. Dabei spielt insbesondere
die Stadt Til Abyad mit ihrem Grenzübergang in die Türkei (Akcakale) eine
besondere Rolle. Die Kämpfer der ISIS, die aus aller Welt mobilisiert
werden, überschreiten hier und in Jarablus westlich von Kobanê die türkische
Grenze. Bei diesen Grenzübertritten ist besonders bezeichnend, dass sie
unter Duldung und Unterstützung durch die türkischen Behörden stattfinden,
während regelmäßig Grenzübertritte von ZivilistInnen aus Rojava in die
Türkei häufig mit tödlichen Schüssen beantwortet werden. Die Banden überschreiten
die Grenze leicht in beide Richtungen und werden in türkischen Krankenhäusern
behandelt, unter anderem in dem Krankenhaus von Akcakale bei Urfa. Ebenso
an der Grenze zwischen Ceylanpinar und Serekaniye, bis in den Sommer 2013
wurden hier die Islamisten logistisch und personell massiv durch die Türkei
unterstützt, die Grenze war de facto offen, bis zu dem Zeitpunkt, als
die YPG die Region befreite. Ab dann ließ die Türkei eine Mauer bauen
und auf Menschen welche die Grenze an dieser Stelle überschreiten schießen.
Der umstrittene Bürgermeister der AKP von Ceylanpinar, bei dessen Wahl
vieles auf Wahlbetrug hindeutet, ließ sich immer wieder zusammen mit Mitgliedern
von Nusra und ISIS ablichten und versuchte sogar mit Hilfe dieser Gruppen
die Bevölkerung von Ceylanpinar einzuschüchtern.
Vor
diesem Hintergrund gewinnen die Massaker vom 29.05.14 in der Region Serekaniye
eine internationale Dimension. Hinzu kommt die auffällig hohe Zahl türkischer
Staatsbürger bei den Banden, die für das Massaker verantwortlich sind.
Die linke Demokratische Partei der Völker HDP, die im türkischen Staatsgebiet
aktiv ist, machte folgen deutlich: „Wir sind traurig und wütend wegen
des Massakers. Wir sind traurig, weil ZivilistInnen und vor allem Kinder
weiterhin ermordet werden. Wir sind wütend, weil für diese Grausamkeit,
die Regierung des Landes in dem wir leben, politisch verantwortlich ist.
Für die Unterstützung der Banden durch NATO Staaten werden schwerste Kriegsverbrechen
toleriert und Gruppen unterstützt, deren Praxis einen unbegrenzten Vernichtungswillen
widerspiegelt. Denn dieser Angriff wurde von der, schon früher von der
Türkei mittelbar unterstützten ISIS durchgeführt.“
Delegation
der Kampagne TATORT Kurdistan, Mai 2014
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