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Warten
auf Entschädigung
Beim Giftgaseinsatz in Halabja wurden 1988 5000 Menschen getötet. Deutsche Händler des Todes rüsteten das Baath-Regime im Irak auf Von Nick Brauns Am 16. März 1988 um 11 Uhr vormittags warfen Kampfflugzeuge
im Tiefflug 100-Liter-Bomben mit einem tödlichen Cocktail aus Nerven-
und Senfgas über der irakisch-kurdischen Kleinstadt Halabja ab. Als die
Bewohner den süßlichen Geruch von faulen Äpfeln wahrnahmen, versuchten
einige noch, ihre Zimmer mit feuchten Tüchern abzudichten, doch Atemnot
und brennende Augen trieben sie zur Flucht. Mindestens 5000 der 40.000
Einwohner von Halabja starben an diesem Tag, weitere 10.000 wurden lebensgefährlich
verletzt, viele starben später an den Folgen des Giftes. Europäische Journalisten,
die am Tag nach dem Massaker nach Halabja kamen, verbreiteten die Schreckensbilder
von übereinander liegenden Körpern toter Menschen und toter Tiere in den
engen Straßen. Zuvor rechtzeitig geflohene Peschmergakämpfer der Patriotischen
Union Kurdistans (PUK) des jetzigen US-gestützten irakischen Präsidenten
Jalal Talabani kehrten zurück und plünderten die Häuser der Toten und
die Leichen. Die PUK und mit ihnen verbündete iranische Soldaten hatten
Halabja am 15. März besetzt. Als die irakische Regierung die Bevölkerung
kurz vor dem Angriff in Flugblättern zum Verlassen der Stadt aufgeforderte,
hinderten die PUK-Peschmerga die Zivilisten an der Flucht, um sie als
lebende Schutzschilde zu mißbrauchen. Die Helfer saßen in der Bundesrepublik. Von hier stammten 70 Prozent der irakischen Giftgasproduktionsanlagen. Der Bundesregierung lagen seit 1984 von US-Seite und dann durch den Bundesnachrichtendienst entsprechende Hinweise auf die Beteiligung deutscher Firmen am irakischen Chemiewaffenprogramm vor. 1987 wurden Ermittlungsverfahren gegen mehrere Unternehmen eingeleitet. »Für Deutsche in Deutschland ist Giftgas eine ganz furchtbare Sache – Kunden im Ausland stört das nicht«, rechtfertigte sich der Geschäftsführer von Karl Kolb, Dieter Backfisch. Dessen Firma verkaufte seit 30 Jahren »wissenschaftliche Laborausrüstungen« in den Irak. Im August 1990 wurden sieben Mitarbeiter von Preussag, der Hamburger Firma W.E.T. sowie der Darmstädter Firmen Karl Kolb und Kolb Pilot Plant festgenommen. Nach Regierungsangaben wurde gegen insgesamt 22 Beschuldigte von zehn beteiligten deutschen Unternehmen ermittelt. Einige Angeklagten kamen mit der Behauptung davon, sie hätten gedacht, mit der von ihnen gelieferten Technologie würden Kopfschmerzmittel produziert. 1994/95 wurden gerade einmal drei Händler des Todes zu Bewährungsstrafen verurteilt, in allen anderen Fällen kam es zu Freisprüchen und Verfahrenseinstellungen – zum Teil wegen Verjährung. „Die 1987 eingeleiteten Ermittlungen waren jahrelang verschleppt worden, verschärfte Strafrechtsbestimmungen griffen nicht, Ergebnisse der Erforschung der Anfal-Offensiven und Giftgaseinsätze sowie Erkenntnisse der UNSCOM fanden nicht oder nur in selektiver Form Eingang in die Verfahren“, kritisierte die PDS-Fraktion in einem vom Bundestag im Jahr 2000 zurückgewiesenen Antrag zur Entschädigung der Opfer. Zusätzlich zu den genannten Firmen hat die Hilfsorganisation Medico international 56 deutsche Firmen aufgelistet, die zur irakischen Giftgasproduktion beigetragen haben. Ein einziger Händler des Todes, der Niederländer Frans van Anraat, wurde 2005 von einem holländischen Gericht wegen Beihilfe und Vorschubleistung zu Kriegsverbrechen zu 15 Jahren Haft verurteilt. Das Gebiet um Halabja gehört zu den ärmsten Teilen der kurdischen Autonomieregion im Nordirak, in vielen Dörfern fehlt jegliche Infrastruktur, es gibt kein sauberes Wasser und nur unzureichende Gesundheitsversorgung. Krebs-, Haut-, Atemwegserkrankungen und genetische Mißssbildungen bei Neugeburten gehören bis heute zu den Folgen des Giftgaseinsatzes. Während sich die Parteifunktionäre der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) und der PUK, die die heutige US-gestütze Regionalregierung dominieren, luxuriöse Villen errichten, warten die Bewohner der Region um Halabja vergeblich auf Hilfe und Entschädigung. Die Menschen in Halabja werfen der kurdischen Führung eine Instrumentalisierung der Opfer vor. Vor zwei Jahren kam es am 16. März zu gewalttätigen Protesten, als tausende Demonstranten die Vertreter der Regionalregierung daran hindern wollten, an einer Gedenkveranstaltung teilzunehmen. Die Demonstranten zerstörten Teile des Mahnmals, das sie als »Bank« bezeichneten, mit deren Hilfe sich die Parteibonzen die eigenen Taschen füllten. Ein 17jähriger wurde getötet, als der Sicherheitsdienst der PUK das Feuer auf die Demonstranten eröffnete. Die Clan- und Parteiführer von KDP und PUK machen heute wieder gute Geschäfte mit deutschen Firmen, die sie offenbar nicht durch kritische Fragen nach der Vergangenheit gefährden wollen. „Die Frage nach der Beteiligung deutscher Firmen oder der Entschädigung der Opfer war bislang bei den bilateralen Gesprächen zwischen Mitgliedern der Bundesregierung und der Regionalregierung Kurdistan-Irak kein Thema“, bestätigte die Bundesregierung, die seit Frühjahr 2009 ein Generalkonsulat im kurdischen Regierungssitz Erbil unterhält, auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion DIE LINKE im März 2010. (BT-Drucksache 17/1022) Saddam Hussein wurde wegen eines Massakers an 143 Schiiten hingerichtet, ohne daß Halabja zur Sprache kam. Auch die Todesstrafe gegen den für die Anfal-Offensive verantwortlichen Armeekommandanten Hassan Al-Majid wurde von einem von den US-Besatzern eingesetzten Gericht gefällt. So wurde sichergestellt, daß die alleinige Schuld dem gestürzten Baath-Regime angelastet werden konnte, ohne die Mitverantwortung der damaligen westlichen Verbündeten des Irak als Waffenlieferanten zu beleuchten. Dies ist auch die Sicht der Bundesregierung, die kurz vor dem 22.Jahrestag des Angriffs auf Halabja im März 2010 auf die Kleine Anfrage Linksfraktion feststellte: „Die ausschließliche Verantwortung für die Vorfälle von Halabja liegt bei der irakischen Regierung. Eine wie auch immer geartete Mitverantwortung der Bundesregierung besteht nicht.“ |
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