469 Leichen in 114 Massengräbern

Der Menschenrechtsverein IHD geht laut einem Bericht davon aus, das seit 1989 in der gesamten Türkei 469 Leichen in 114 Massengräbern verscharrt wurden. Bislang seien 171 Leichname aus 26 Gräbern entdeckt und exhumiert worden.

Der Bericht wurde am 11. Februar auf einer Pressekonferenz in Amed (Diyarbakir) vorgestellt. Der Rechtsanwalt Reyhan Yalçındağ, Mitglied des IHD-Ehrenrats und Zeuge bei der Entdeckung einiger der Gräber, wies auf den drei Jahrzehnte andauernden Krieg und seine materiellen und psychischen Folgen für die Region hin.

„Die Türkei hat gegen jede Art nationaler und internationaler Regeln und Abkommen zur Kriegsführung verstoßen. Auch das „Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen“ der Vereinten Nationen ist von der Türkei während dieses Krieges verletzt worden. Sämtliche Akten zu den Verfahren bezüglich der Massengräber sind unter Verschluss. Auch diese Geheimhaltung verletzt Rechtsgrundsätze und hält Betroffene von der Wahrung ihrer Rechte ab“, so Yalçındağ, der daran die Frage anschloss, „ob die Regierung damit der Strafe für Verbrechen entgehen will, die von ihren eigenen Beamten begangen wurden“.

Der Journalist Günay Aslan hatte das Massengrab in Newala Qesaba entdeckt und konnte die Namen von 73 Menschen ermitteln, die in dieser Region begraben wurden. Unter ihnen ist auch Mahsum Korkmaz, eines der Gründungsmitglieder der PKK. Aslan wandte sich mit seinen Erkenntnissen an die Staatsanwaltschaft von Özalp und konnte die Öffnung eines Massengrabs durchsetzen. 1989 konnten dort acht Leichen geborgen werden.

Raci Bilici, Mitarbeiter des IHD in Amed, forderte die Regierung auf, eine DNA-Datenbank einzurichten, die die Identifizierung der menschlichen Überreste aus den Massengräbern erleichtern soll.

Neben Aslan berichtete vor kurzem auch Ekrem Bilek, ein ehemaliger Bürgermeister von Siirt, dass in den 90er Jahren acht Leichname aus einem Massengrab bei Newala Qesaba exhumiert wurden. „Schon bevor ich Bürgermeister von Siirt wurde, wurde in familiären Kreisen davon gesprochen, dass nahe der Mülldeponie von Newala Qesaba zahlreiche kurdische Menschen verscharrt würden. 1989 wurde ich dann zum Bürgermeister gewählt und ich hatte von nun an offizielle Beziehungen zur Gendarmerie. Ich konnte bezeugen, dass alle Gerüchte der Wahrheit entsprachen. Die Behörden lieferten zahlreiche unidentifizierte Tote bei der Stadtverwaltung ab und forderten uns auf, diese zu begraben. Diese Vorfälle lasteten schwer auf meinem Gewissen. Ich forderte die Staatsanwaltschaft von Siirt auf, die Gräber zu öffnen, was nach einiger Zeit auch geschah. Während der Ausgrabungen konnten acht Leichen entdeckt werden, deren Identifikation nicht mehr möglich war. Von den Behörden gab es keine Stellungnahme dazu. Die gefundenen Überreste wurden von uns auf dem Zewye-Friedhof bestattet. Jeder der Toten war von Kugeln durchsiebt.“

Die Frage der Massengräber ist ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangt, seit am 5. Januar die sterblichen Überreste von 12 PKK-Mitgliedern im Hinterhof einer Gendarmeriestation in Mutki entdeckt wurden. Nach Angaben von Familienangehörigen weiterer 36 „verschwundener“ PKK-Mitglieder sollen sich allein dort noch drei weitere Grabstätten befinden, die die Leichname ihrer vermutlich 1992, 1996 und 2003 getöteten Angehörigen enthalten.

Seit dieser Entdeckung wurden zahlreiche weitere Grabstätten gefunden, auch weil sich die Staatsanwaltschaften inzwischen verstärkt dieser Frage annehmen. Die Kurdinnen und Kurden in der Türkei befürchten allerdings, dass die Regierung es bei der Exhumierung der Getöteten belässt und keine Anstrengungen unternimmt, die Mörder zur Verantwortung zu ziehen. In zahlreichen Demonstrationen machen daher die Angehörigen der „Verschwundenen“, die sich in Organisationen wie MEYA-DER oder den Samstagsmüttern zusam­mengefunden haben und vom IHD und der BDP unterstützt werden, auf die Situation aufmerksam und fordern eine vollständige Aufklärung der Vorfälle.

(DIHA, 11.1., 5./9./11.2. 2011, ISKU)

ISKU | Informationsstelle Kurdistan