Erscheinungsverbot
der Tageszeitung Özgür Gündem für einen Monat
Pressezensur
als Teil des „neuen Konzepts“ der AKP?
Der türkische Ministerpräsident
Erdoğan spricht seit einiger Zeit von einem „neuen Konzept“ zur Lösung
der kurdischen Frage. Mit dem einmonatigem Verbot der Tageszeitung Özgür
Gündem stellt sich heraus, dass das „neue Konzept“ auch auf das altbekannte
Mittel der Pressezensur zurückgreift.
Die Tageszeitung Özgür Gündem wurde auf Beschluss des 14. Strafgerichts
von Istanbul mit dem Vorwurf „Propaganda für die Organisation“ [gemeint
PKK] zu machen für einen Monat geschlossen. Nachdem der Beschluss des
Verbotes am letzten Samstag verkündet wurde, stoppte die Polizei in der
Druckerei der Zeitung den Druck der Samstagsausgabe und beschlagnahmte
die bereits gedruckte Auflage.
Nach 17 Jahren Verbot wurde
die Zeitung wiedereröffnet
Die Tageszeitung Özgür Gündem nahm erstmals am 30. Mai 1992 ihre Arbeit
auf. Seit Anbeginn ihrer Arbeit war sie permanenten Angriffen des Staates
ausgesetzt. Insgesamt 76 MitarbeiterInnen der Zeitung, darunter 30 ihrer
JournalistInnen, wurden ermordet. Erstmals wurde die Zeitung am 14. April
1994 verboten.
Özgür Gündem war die erste Tageszeitung der Türkei, die die Morde sogenannter
unbekannter Täter in die Öffentlichkeit trug. So wurden seit Anfang der
1990er mindestens 17000 kurdische Oppositionelle durch staatliche Kräfte
auf offener Straße hingerichtet oder „verschwunden gelassen“. Der größte
Teil dieser Morde, die vor allem auf das Konto der geheimdienstlichen
Organisation JITEM gehen, ist bis heute unaufgeklärt. Den Preis für ihre
Veröffentlichungen dieser unzähligen Morde musste die Zeitung zum ersten
Mal bereits sieben Tagen nach der Aufnahme ihrer Arbeit zahlen, als ihr
Journalist Hafiz Akdemir ermordet wurde. Es folgten binnen zwei Jahren
weitere 75 Morde an den MitarbeiterInnen der Zeitung.
Aktuell 12 Journalisten von
Özgür Gündem in Haft
Nach dem Verbot von Özgür Gündem nahm am 28. April 1994 die Tageszeitung
Özgür Ülke ihre Arbeit auf. Allerdings war auch die neue Tageszeitung
bereits nach kurzer Zeit den brutalen Angriffen des Staates ausgesetzt.
So wurden am 3. Dezember 1994 drei Büros der Zeitung in die Luft gesprengt.
Dabei kam ein Mitarbeiter der Zeitung ums Leben und 21 wurden verletzt.
Erst am 4. April 2011 konnte die Zeitung Özgür Gündem unter ihrem ursprünglichen
Namen ihre Arbeit wieder aufnehmen. Allerdings geht die Repression unvermindert
weiter. Zwölf der aktuell 104 inhaftierten JournalistInnen in der Türkei
sind Mitarbeiter von Özgür Gündem.
Politische Parteien kritisieren
einmonatiges Verbot der Zeitung scharf
Die Abgeordnete der Partei für Frieden und Demokratie (BDP) Pervin Buldan
kritisierte die Entscheidung des Strafgerichts von Istanbul mit scharfen
Worten. „Das einmonatige Erscheinungsverbot von Özgür Gündem ist ein schwarzer
Fleck für die Türkei. Mit dieser Entscheidung hat die AKP unter Beweis
gestellt, dass ihr ‚neues Konzept‘ nichts weiter als ein Spiel ist“ so
Pervin Buldan
Kritisiert wurde das Verbot auch durch Erklärungen von den Vorsitzenden
weiterer politischer Parteien der Türkei wie der ÖDP, der SDP und der
EMEP.
Journalistische Berufsgenossenschaften:
Eine Entscheidung, für die man sich schämen muss!
Auch die journalistischen Berufsgenossenschaften in der Türkei nahmen
klar Stellung gegen diese Entscheidung des 14.Strafgerichts von Istanbul.
Der Vorsitzende des Vereins der zeitgenössischen JournalistInnen Ahmet
Akabay (ÇGD) kritisierte das Verbot von Özgür Gündem mit den Worten: „Die
Tageszeitung Özgür Gündem ist zur Zielscheibe der Regierung geworden.
Zwar sind Verbote von Tageszeitung leider in diesem Land nichts Neues,
aber die ‚Sonderbehandlung‘ von Özgür Gündem kann nicht geleugnet werden.
Es scheint, dass dies nicht der letzte Schritt in diese Richtung ist.
Das ist eine Entscheidung, für die man sich schämen muss!“
Gewerkschaft türkischer JournalistInnen
(TGS): Das ist kein Ausweg
Auch die Gewerkschaft türkischer JournalistInnen gab eine Erklärung zu
diesem Verbot ab. So sagte ihr Vorsitzender Ercan İpekçi, dass die Regierung
mit diesem Schritt die Pressefreiheit derart verletze, dass ein Ausweg
aus diesem Dunkeln immer schwieriger erscheine. Für die Zukunft der Türkei
sei das Verbot der Zeitung kein gangbarer Weg. „In Demokratien kann man
keine Schließung von Tageszeitungen tolerieren. Unser Kampf für Presse-
und Meinungsfreiheit wird trotz alledem weitergehen“, so İpekçi.
Quelle: Yeni Özgür Politika,
26.03, 2012, ISKU
|