Dokumentation
von Folter auf offener Straße als Terrorismus angeklagt
Vielen sind die Bilder
vor Augen, als am kurdischen Neujahrs und Widerstandsfest Newroz in der
kurdischen Stadt Colemêrg (Hakkari) türkische Zivilpolizisten vor laufenden
Kameras den etwa 14 Jahre alten Cüneyt Ertus präsentieren und ihm durch
einen Spezialgriff den Arm brechen. (siehe: http://www.youtube.com/watch?v=paLspzHv1zA).
Viele türkische JournalistInnen waren anwesend, doch nur Hamdiye Ciftci
wagte es diesen Übergriff zu dokumentieren. Folglich wurde nicht etwa
gegen die auf offener Straße folternden Polizisten ein Strafverfahren
eingeleitet, sondern gegen die kurdische Journalistin Hamdiye Ciftci,
die bekannt ist für ihre Artikel über Menschenrechtsverletzungen in der
Region Colemêrg.
Die Anklage ist ein Ausdruck der Repression des türkischen Staates gegen
oppositionelle JournalistInnen. Die Staatsanwaltschaft konstruierte im
Rahmen des KCK-Verfahrens, eine Organisation mit dem Namen KCK-TM, als
deren angebliche Angehörige tausende kurdische PolitikerInnen, BürgermeisterInnen,
JournalistInnen, MenschenrechtlerInnen und viele andere zivilgesellschaftliche
AktivistInnen inhaftiert wurden.
Bei Hamdiye Ciftci wurde dieses Konstrukt folgendermaßen angewandt: Sie
würde als Journalistin ihre Nachrichten auf Befehl der staatsanwaltschaftlich
konstruierten KCK-TM machen und sei damit Mitglied in einer terroristischen
Vereinigung. Sie wurde am 09.06.2010 im Rahmen dieses Verfahrens inhaftiert,
wobei es zu schweren Übergriffen von Seiten der Polizei kam und verbrachte
bis zu ihrer Haftverschonung zwei Jahre in türkischen Gefängnissen unter
extremen Haftbedingungen.
Während das Urteil in diesem Prozess noch aussteht, holt die Staatsanwaltschaft
in Wan zu einem neuen Schlag gegen die Journalistin aus. Vorbereitet von
Hetzkampagne in den türkischen Medien, wurde ein neues Verfahren eröffnet.
Die Staatsanwaltschaft kommt nun direkt auf den Fall Cüneyt Ertus zurück
und wirft Hamdiye Ciftci vor, sie habe durch die Veröffentlichung des
Übergriffs auf den Jungen, „die Personalien von im Antiterrorbereich tätigen
Beamten“ veröffentlicht. Weiterhin wirft die Staatsanwaltschaft Hamdiye
Ciftci vor, sie habe „mit dem Ziel der Propaganda für eine verbotene Organisation
bewusst falsche Nachrichten verbreitet.“
Alle Nachrichten und die im Internet dazu abgegebenen Kommentare wurden
als Schuldbeweis einbezogen, die Staatsanwaltschaft äußerte dies folgendermaßen:
„Diese Nachrichten wurden von der Terrororganisation in der lokalen und
nationalen Presse immer wieder benutzt und die Bürger, welche die Nachricht
lasen, schrieben sehr scharfe Kommentare gegen die Polizei unter dem Einfluss
dieser Nachricht.“
Hamdiye Ciftcis Anwalt Fahri Timur äußerte sich gegenüber ANF folgendermaßen:
„Am berechnendsten ist in diesem Verfahren, dass meine Mandantin aufgrund
der Bilder von dem Jugendlichen C. E. verurteilt werden soll. (…) Obwohl
die Polizisten die Straftat begehen, wird die Journalistin angezeigt.
(…) Die Polizisten, die den Jugendlichen festhalten, zeigen ihn der Presse
und sagen macht Bilder, sie beschimpfen ihn. Dennoch wird gegen die Journalistin
ein Verfahren eröffnet. … Einem festgenommenen und bewegungsunfähigen
Kind wird auf den Bildern der Arm nach hinten umgebogen, er wird beschimpft.
Es gibt keine Auseinandersetzungen oder eine aufgebrachte Menschenmenge.“
Während das Gericht und die Staatsanwaltschaft die Übergriffe auf Cüneyt
Ertus zu negieren versucht, ist sowohl von AugenzeugInnen, als auch von
Menschenrechtsdelegationen aus Deutschland, schwere physische und psychische
Verletzungen von Cüneyt Ertus festgestellt worden. Nicht nur durch den
Übergriff, sondern auch durch die darauffolgende schwere Folter im Gewahrsam
durch Schläge, Tritte und Hochdruckwasserschläuche.
Mit diesem neuen Verfahren droht Hamdiye Ciftci eine erneute Inhaftierung
und unter Umständen langjährige Haftstrafe. Damit soll eine von vielen
kurdischen JournalistInnen mundtot gemacht werden. Was Hamdiye Ciftci
drohen kann wird am Urteil gegen die DIHA Korrespondenten von Bedlis (Bitlis)
Sinan Aygül deutlich, er wurde unter einem ähnlichen Konstrukt Anfang
Dezember 2012 zu zehn Jahren Haft verurteilt.
Quellen: DIHA, YH, ANF, ISKU, 31.12.2012
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