Die Zeit ist gegen uns
Habt ihr euch mal gefragt, warum das Rauchen ausserhalb der dafür vorgegebenen (nicht entlohnten) Zeit verboten ist? Nicht etwa wegen Gesundheitsbedenken. Die Bosse wollen uns vielmehr nicht für die Zeit bezahlen, die wir keine Profite für die Firma machen. Das ist auch der Grund dafür, dass die Geschäftsleitung beim Versagen der Generatoren während des Stromausfalls alles in Bewegung setzte, um uns am Arbeiten zu halten, obwohl die Maschinen nicht liefen. Irgendwann haben sie überlegt, der Nachtschicht Taschenlampen zu geben, damit sie weiter die Kugelschreiber kontrollieren kann!
Höhere Produktionsziele kann sie als Vorwand nutzen, um noch härter gegen die kleinen Freuden vorzugehen, die uns helfen, die Langeweile der endlosen Stunden am Fliessband zu ertragen: Essen, Flirten, Unsinnmachen, Langsamarbeiten, In-die-Länge-Ziehen der Gänge zum Automaten oder zum Klo.
Die Leute, die unsere Bewegungsabläufe zeitlich stoppen, sind keine Freunde oder "KollegInnen": auch wenn sie sich kumpelhaft geben, sie sind sadistische Kerle, die uns mit Freude dem Stress und der Demütigung ihrer "Studien" aussetzen. Ihr Job ist es, unseren Job anstrengender zu machen, indem sie uns wie Laborratten studieren. Der Druck, schnell zu arbeiten, führt jetzt schon zu gesundheitlichen Schäden. Die Beschleunigung des Arbeitstaktes wird die Gesundheits- und Sicherheitsituation noch verschärfen. Wir müssen diesem Druck widerstehen. Obwohl wir gute Gründe haben, nicht mit diesen fetten Bürokraten zu kooperieren, wird rein individueller Widerstand nur dazu führen, dass Leute einer nach dem anderen rausgepickt werden. Vor allem ZeitarbeiterInnen, die jederzeit von einem Moment auf den anderen gekündigt werden können.
Für ArbeiterInnen bedeutet diese "wissenschaftliche" Art und Weise, die Produktion zu organisieren, dass unser Job immer repetitiver (2) und ermüdender wird. Hinter den Studien aller unsrer Bewegungen bei der Arbeit steckt ein Ziel: die Erhöhung der Produktion, egal ob dadurch der Job noch langweiliger wird. Technologie und Organisation werden nicht benutzt, um unsere Arbeitsbedingungen zu verbessern, sondern um unsere Ausbeutung zu intensivieren und uns auf blosse Werkzeuge der Produktion zu reduzieren, auf Maschinen, die Profit abwerfen.
(Gruppen)arbeit - endloser Konkurrenzkampf (3)
Die Zeit- und Bewegungsablauf-Studien sind Bestandteil des "Gruppenarbeits"-Systems an den Fliessbändern von Parker. ArbeiterInnen, die schon länger da arbeiten, (4) werden (zusätzlich zu ihren anderen Aufgaben und ohne höheren Lohn) zu den Augen und Ohren der Geschäftsleitung. Dies in Toyota-Autofabriken entwickelte System stachelt die verschiedenen Bänder an, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen (immer weiter zu unterbieten!) (5). Wer kann die meisten Kugelschreiber machen, also am meisten Profit für die Bosse! Die Atmosphäre in der Halle ist ein bisschen wie bei "Big Brother", wo ArbeiterInnen, die in der Hackordnung höher stehen, andere, weniger abgesicherte ArbeiterInnen für den "Rausschmiss" nominieren. Je nach ihren persönlichen Sympathien und Abneigungen. Es ist ein System, das ArbeiterInnen gegen ArbeiterInnen aufbringt, so dass sich Leute mehr über die Qualität und Geschwindigkeit der Arbeit von KollegInnen aufregen, als über deren gesundheitliche Schäden. Aber Solidarität kann mehr für die Verbesserung unsere Gesundheit und Sicherheit erreichen, als schwachsinnige "Erkenne-die-potentiellen-Unfallgefahren"-Spielchen auf Aushängen in der Kantine!
VollzeiterInnen, obwohl besser bezahlt als die ZeitarbeiterInnen, müssen die Schikanen der Vorarbeiter und ihrer Handlanger ertragen, immer auf der Hut und den Mund haltend für den Fall, dass sie zur Zeilscheibe des Tages erkoren werden. Darüberhinaus haben sie irreparable gesundheitliche Schäden an Handgelenken, Händen und Rücken, Resultat immer derselben stumpfen Tätigkeit, tagein, tagaus, über Jahre. Viele machen Überstunden, damit sie früher in Rente (6) können. In anderen Worten: damit sie so schnell wie möglich aus der Fabrik rauskommen. Diese individuellen Lösungen mögen eines Tages Entlastung bringen, aber um welchen Preis. Durch die Erhöhung der normalen Arbeitsbelastung - mit der Hoffnung auf angenehme Zeiten irgendwann in der Zukunft - setzen sie sich nur noch mehr unter Druck und tragen noch schneller gesundheitliche Schäden davon. Dies wird die jetzige Situation nicht verbessern. Bis jetzt hat es Parker geschafft, dass VollzeiterInnen und Zeitarbeiterinnen keine gemeinsamen Perspektiven entwickeln. Aber die Verbesserung der Bedingungen in der Fabrik ist im Interesse aller ArbeiterInnen.
Just in time - entlassen zu werden? (7)
Die meisten ArbeiterInnenin dieser Fabrik sind von Zeitarbeitsfirmen. Sie werden eingestellt, wenn die Produktion es verlangt, und gefeuert, wenn die Marktbedingungen sich ändern. Deswegen bringen Überstunden - und schneller arbeiten während der "Normalarbeitszeit" - nur den Tag näher, an dem die Geschäftsleitung die ZeitarbeiterInnen rausschmeisst. Ausser den "wenigen Glücklichen", die lang genug durchhalten, um vollwertige Parker-ZeitarbeiterInnen zu werden.
Die 150 Prozent, die für Überstunden bezahlt werden, führen nur zu einer weiteren Erhöhung des Firmenprofits. Wenn ArbeiterInnen sich weigerten, über die normalen Stunden hinaus zu arbeiten, wäre die Geschäftsleitung gezwungen, mehr ArbeiterInnen einzustellen. Das würde sie mehr Geld kosten. Statt den 50 Prozent mehr müßte sie den vollen Lohn zahlen, den die ArbeiterInnen der Spätschicht bekommen! Es ist offensichtlich, dass sie es vorzieht, das nicht zu tun, weil es ihre Profite beschneiden würde.
Auch wenn wir als ZeitarbeiterInnen ein kollektives Interesse haben, gegen die höheren Taktraten und längeren Arbeitsstunden Widerstand zu leisten: unsere anhaltende Unsicherheit zwingt uns, die Arbeitsbedingungen hinzunehmen, wie beschissen sie auch sein mögen. Es ist normal, jede Menge Überstunden zu machen und von 6 Uhr morgens bis 6 Uhr abends zu arbeiten. Bei den Löhnen brauchen wir das Geld. Wenn Parker uns 150 Prozent für die Überstunden zahlt, dann weil die Firma wesentlich mehr Geld verdient, wenn wir länger arbeiten, als wir von ihr kriegen.
Dies sind die Bedingungen der Arbeiterklasse in dieser und anderen Fabriken - und an jedem Arbeitsplatz (Hotels, Call Center, Supermärkte). Es führt in eine Sackgasse, den Job zu schmeissen, um einen anderen anzufangen, mit der Hoffnung, dass der besser ist. Überall sind die ArbeiterInnen gespalten. Die Bosse zwingen uns, miteinander zu konkurrieren, wobei sie verschiedene Mittel einsetzen: unterschiedliche Verträge und Löhne für gelernte und ungelernte ArbeiterInnen, Prämien. Sie bestechen und bevormunden uns (8), und wenn das nichts bringt, schikanieren sie uns einfach. Der einzige Weg, unser Leben zu verbessern, liegt darin, unsere individuellen Überlebensstrategien zusammenzubringen und in kollektive Aktionen zu verwandeln.
Überstunden und Flexibilität: "Die Belegschaft strecken" - und den Arbeitstag
Die meisten Fabriken organisieren ihre Produktion flexibel. Das heisst, sie tun alles, um ihre Lagerbestände so niedrig wie möglich zu halten. Sie produzieren nur das, was sie unmittelbar ("just-in-time") verkaufen wollen, und lagern einen Teil der Arbeitsprozesse aus. Das schafft eine Verbindung zwischen den ArbeiterInnen in unterschiedlichen Fabriken. Ausserdem merken wir, wenn sie die Produktion hochfahren, weil sie mehr ZeitarbeiterInnen einstellen. So können wir erkennen, wann direkte ArbeiterInnen-Aktionen eher Erfolg versprechen: weil sie die Lagerbestände so niedrig halten, kann die Unterbrechung der Produktion, die eine solche Aktion verursacht, uns schnell ans Ziel bringen. Wenn wir uns organisieren und zusammenhalten, können wir die Flexibilität, die den Bossen so am Herzen liegt, gegen sie ausspielen.
Wir müssen anfangen, uns innerhalb und ausserhalb der Fabrik zu treffen, um unsere Arbeitsbedingungen zu diskutieren. Wir müssen rauskriegen, wie die Firma die Arbeitsorganisation gegen uns einsetzt und wie wir sie gegen die Bosse wenden können, um durchzusetzen, was wir wollen. Uns treffen, unsere Probleme austauschen und Lösungen gegen die Unternehmer, Manager und jede Art von Bürokrat finden, das ist der einzige Weg, Vertrauen in uns selbst zu finden und unser Leben zu verbessern. Lasst uns damit anfangen, indem wir dieses Flugblatt verbreiten und mit anderen ArbeiterInnen diskutieren.
Macht Kopien und legt sie dort hin, wo andere sie finden!
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Im englischen Original:
(1) clock: Uhr, Stoppuhr, Stempeluhr
(2) repetitive: sich ständig wiederholend
(3) rat race: rennen wie eine Ratte im Laufrad
(4) senior workers: dienstältere oder ranghöhere ArbeiterInnen
(5) to the bottom: bis zum tiefsten Punkt
(6) retire: in Rente gehen oder aufhören
(7) just in time: gerade rechtzeitig
(8) flatter and patronize: schmeicheln und herablassend behandeln