Es gab hier in der letzten Zeit kaum Kaempfe von ArbeiterInnen, die die Defensive durchbrochen und als Beispiel fuer andere Bereiche der Ausbeutung haetten dienen koennen. Am ehesten noch die PilotInnen der Lufthansa, die dieses Fruehjahr immerhin durch mehrere Streiktage fast 30 Prozent Lohnerhoehung durchgesetzt und damit auf das "Guertelengerschnallen" der letzten Jahre eine Antwort gefunden haben. Aber ist dies auch in anderen Bereichen moeglich, wo die ArbeiterInnen keine millionenschweren Duesenjets fliegen?
Die meisten anderen Auseinandersetzungen blieben auf symbolische Aktionen beschraenkt, wie zuletzt bei den Warnstreiks der Busfahrer-Innen und VerkaeuferInnen, bei denen die Tarifabschluesse unter 3 Prozent lagen und einen Reallohnverlust einbrachten.
In Call Centern
scheint der Boom der letzten drei Jahre vorbei, wo gerade im Ruhrgebiet immer ein Job am Telefon zu kriegen war. Je nach "Marktlage" werden jetzt ArbeiterInnen entlassen. Wenn Neueinstellungen laufen, wird zunehmend nach "Arbeitserfahrung" und einem dieser "Call Center-Zertifikate" gefragt. Die Fluktuation gerade in den schlechter bezahlten und stressigeren Jobs ist weiter hoch.
Auch in Call Centern hat es in der letzten Zeit einige offene Konflikte und Kaempfe gegeben. Wir muessen uns die genauer anschauen, um fuer die zukuenftigen Auseinandersetzungen zu lernen. Unsere Hoffnung ist, dass es dabei nicht mehr nur um die Verteidigung von bestehenden Bedingungen gehen wird, sondern vor allem um die Frage, wer ueber unser Leben bestimmt. Diese Frage wird nur dann in den Mittelpunkt ruecken, wenn wir selbst bestimmen, wie und wofuer wir kaempfen und dies nicht irgendwelchen Apparaten und VertreterInnen ueberlassen.
Bisherige Auseinandersetzungen
Bei den offenen Kaempfen von ArbeiterInnen in Call Centern ging es offiziell um die Hoehe des Lohns, um die Abwehr von Versuchen der Unternehmer, den Druck auf die ArbeiterInnen zu verschaerfen (durch Einsatz von LeiharbeiterInnen, Standortverlegungen/-schliessungen, Tageloehner-Vertraege) und um Angriffe auf die äWuerdeô der Arbeiter-Innen (durch technologische Kontrolle, Management Willkuer etc.). Gekaempft wird also aus aehnlichen Gruenden, wie in anderen Bereichen auch (Fabrik, Bueros...).
In diesem Flugblatt findet ihr eine Auswahl von Berichten zu Auseinandersetzungen in Call Centern. Ausser bei Verizon hatten wir Kontakte mit ArbeiterInnen bzw. Streikenden. Grob haben wir zwei Arten von Auseinandersetzungen gesehen: 1) mehr oder weniger gewerkschaftlich kontrollierte Streiks wie bei der Citibank, British Telecom und Verizon, und 2) kleinere, selbstorganisierte Aktionen von ArbeiterInnen in den Berliner Call Centern von Audioservice, Hotline GmbH und ADM.
1) Bei den Streiks bei der Citibank, Verizon und der British Telecom lag die Begrenzung darin, dass die ArbeiterInnen ueber die Beteiligung an den gewerkschaftlich kontrollierten Aktionen hinaus kaum eigene Wege gefunden haben, die Kaempfe zu organisieren und sich gegen die Unternehmer durchzusetzen. Als Folge dessen konnten Gewerkschaften und andere "ArbeiterInnenvertreter" die Auseinandersetzungen auf Streik- und Verhandlungsrituale reduzieren und benutzten den Unmut der ArbeiterInnen als dosiertes Druckmittel gegenueber den Unternehmern. Bei der Citibank und British Telecom blieben die Streiks mehr "symbolische" Aktionen, die wenig einbrachten. Bei Verizon dagegen waren die ArbeiterInnen entschlossen genug, zwei Wochen fuer ihre Ziele zu streiken und konnten einige Sachen durchsetzen - im Rahmen eines Tarifvertrags. Befreiende Erfahrungen von gemeinsamer Aktivitaet und eigener Staerke gab es auch in diesen Streiks nur, wo ArbeiterInnen Aktionen selbst durchfuehrten: wo sie Streikposten organisierten, Streikbrecher attackierten, usw.
Gewerkschaften und andere Vertretungsstrukturen werden keine Antwort auf die Angriffe der Unternehmer finden koennen: sie sind eingezwaengt in einen gesetzlichen Rahmen (Friedenspflicht, Tarifbestimm-ungs-Trara). Sie spalten uns zusaetzlich durch ihre berufliche und "nationalstaatliche" Begrenztheit und koennen aus der Profit- und Pro-duktivitaetslogik der Unternehmer nicht entfliehen (siehe z.B. den 10 Prozent-Lohnverzicht bei HP, das Einstiegsniedriglohnmodell bei VW).
2) Dass aber auch selbstorganisierte Kaempfe von ArbeiterInnen nicht von allein zu machtvollen und aufregenden Erlebnissen werden, zeigt sich bei den Aktionen der ArbeiterInnen in Berlin. Dort war die taegliche Zusammenarbeit, aber auch ihr Zusammenhalt ausserhalb der Arbeit, die Basis fuer die ArbeiterInnen, um gegen die Unternehmer vorzugehen. Sie organisierten Treffen, besprachen gemeinsame Aktionen usw. In der Konfrontation mit dem Unternehmen wurden aber defensive Massnahmen ergriffen: Unterschriftenlisten, Betriebsratswahlen bzw. Arbeitsgerichte und Hilferufe nach gewerkschaftlicher Vertretung. Wir wissen nicht, warum es kein groesseres Selbstvertrauen in die eigene Staerke gab. Sicher ist, dass trotz oder gerade wegen dieser defensiven Massnahmen die Unternehmer ihre Macht ausspielten: in den angesprochenen Faellen konnten die Bosse die Leute entlassen, da keine entschlossene Antwort (Besetzung des Betriebs, Demos zu anderen Call Centern oder benachbarten Unternehmen...) zu erwarten war. Diese Erfahrung zeigt recht deutlich, dass Petitionen, Gesetze und Verhandlungen ueberhaupt nichts durchsetzen, wenn keine reale Macht der ArbeiterInnen dahintersteht - die Macht zu streiken bzw. auch mit wenigen Entschlossenen den Arbeitsablauf zu verlangsamen und so die Profite der Unternehmer in Frage zu stellen.
Diese offenen Auseinandersetzungen sind in Call Centern bisher die Ausnahme. Auf Stress mit den Bossen und der Arbeit reagieren wir meist individuell: Krankfeiern, Langsamarbeiten oder Job-Hopping machen das Leben leichter. Wir sehen uns aber mehr und mehr mit Problemen konfrontiert, die wir nicht individuell oder durch Kooperation mit dem Management (Verbesserungsvorschlaege...) loesen koennen: Pflichtueberstunden, Einsatz von ZeitarbeiterInnen, Drohungen mit Standortverlagerung etc. Diese Situationen verlangen andere Massnahmen!
Um so mehr, da die Unternehmer in vielen Call Centern mit dem Einsatz von neuen "rationalisierenden" Technologien (Sprachcomputer, Internet-Service) experimentieren. In dieser Experimentierzeit sind sie verstaerkt von unserer Arbeit abhaengig, weil sie bereits Kohle in die Technologien investiert haben, diese aber noch nicht profitabel laufen. Wir muessen z.B. technische Maengel ausgleichen. Auf lange Sicht wird die Einfuehrung dieser Technologien unsere Macht untergraben und zu verstaerktem Arbeitsstress oder Entlassungen fuehren, wenn wir nicht bereits in dieser Uebergangsphase offensiv dagegen vorgehen und die Unternehmerstrategien sabotieren.
Kaempfe entwickeln
Zurueckschlagen koennen wir da, wo wir zusammenkommen und wo es weh tut. Die Zusammenarbeit mit anderen ArbeiterInnen gibt uns die Moeglichkeit, uns gemeinsam gegen die diversen Uebelkeiten des Arbeitsalltags zu wehren: wir muessen uns taeglich mit anderen Arbeiter-Innen absprechen, um unsere Arbeit "ordentlich" erledigen zu koennen. Dabei haben wir Kontakt mit Leuten aus verschiedenen Abteilungen, Standorten und "Berufsfeldern". Ohne diese oft inoffizielle Zusammenarbeit wuerde der Laden zusammenbrechen.
Wir koennen diese Form der Organisierung auch umdrehen (statt Kundendaten halt Sabotagetipps und Streikinfos austauschen) und uns in gemeinsamen Aktionen gegen die Unternehmer durchsetzen. Wir brauchen hier keine "aeussere" Organisierung, die uns "vertreten" soll (wie Betriebsrat oder Gewerkschaften).
Unsere Antwort auf die Krise und die Angriffe der Unternehmer kann nicht in Zurueckhaltung und Verzicht liegen. Sie kann nur darin bestehen, unsere eigenen Beduerfnisse in den Mittelpunkt zu stellen und dafuer zu kaempfen.
Fragen?
Wir koennen keine allgemeinen Vorschlaege dafuer liefern, wie wir aus der Defensive kommen. Aber wir koennen - ausgehend von den bisherigen Kaempfen - Fragen stellen, die uns dabei helfen koennen:
* Welche Kampfformen entsprechen unseren unmittelbaren Faehigkeiten und Beduerfnissen: gemeinsames "Arbeiten-nach-Vorschrift", andere Formen der Sabotage, offener Streik, ...?
* An welchen Punkten koennen wir die Unternehmer empfindlich treffen: zu Zeiten langer Warteschleifen, waehrend Testphasen von neuen Technologien...?
* Wie koennen wir die Betriebsmauern ueberwinden, um die Versuche des Unternehmers zu untergraben, ArbeiterInnen in anderen Call Centern als StreikbrecherInnen einzusetzen?
* Wie koennen wir Verbindungen zu Kaempfen von ArbeiterInnen in anderen Bereichen herstellen und voneinander lernen, weil wir uns gegen aehnliche Bedingungen wehren?
* Wie koennen wir dies tun, ohne unser Schicksal in die Haende der Gewerkschafts- oder anderer Apparate zu legen?
Antworten finden sich nur in den Kaempfen selbst!
[Kasten zur Serie insgesamt:]
hotlines 4: der serie letzte folge
Dies ist das vierte und letzte in einer Reihe von Flugblaettern: 1. zu Arbeitszeitverlaengerung; 2. Arbeitsintensivierung; 3. Sinn und Unsinn der Arbeit; und hier 4. zu Kaempfen von ArbeiterInnen. Alle Flugblaetter und mehr Berichte findet ihr auf der Website www.motkraft.net/prol-position.
Zeit fuer eine kleine Bilanz und einen Ausblick: Als wir im Oktober 2000 mit den Flugblaettern und der Website anfingen, ging es uns in erster Linie darum, die Diskussion ueber die Arbeitsbedingungen und Moeglichkeiten von Kaempfen zu unterstuetzen. Wir wollten einen Austausch von Berichten aus den Call Centern anregen, Informationen zirkulieren lassen, Kontakte zu ArbeiterInnen aufbauen und weitergeben. Das hat zum Teil hingehauen.
Die Flugblaetter fuehrten zu einiger Aufregung und Diskussionen bei der Arbeit. Die ebbten aber jeweils nach ein paar Tagen wieder ab. Wir haben Emails bekommen, in denen wir zum Weitermachen aufgefordert werden, aber es gab wenig eigene Berichte (wie der einer australischen Call Center-Arbeiterin), wenig inhaltliche Diskussionsbeitraege zu den Flugblaettern. Zwar bekommen wir von etlichen Leuten und Gruppen regelmaessig Infos, aber es hat sich keine groessere Diskussion zu den Chancen von neuen Kaempfen entwickelt.
Dafuer muessen wir - auch angesichts der wenigen offenen Auseinandersetzungen in Call Centern - ueber diesen Bereich hinausgehen. Wir denken, dass Call Center nicht isoliert, sondern Orte der Ausbeutung sind wie andere Bueros, wie Fabriken, Baustellen oder Krankenhaeuser. In Call Centern koennen wir von Kampferfahrungen in anderen Bereichen lernen.
Wir werden versuchen, mehr Interviews mit und Berichte von ArbeiterInnen zu bekommen, die in ihrem Betrieb oder ausserhalb was machen oder an einem Streik beteiligt sind. An brisanten Punkten werden wir zudem auch weiter mit Flugblaettern in die Auseinandersetzung eingreifen. Bleibt dran!
Eure hotlines
www.motkraft.net/prol-position
hotlines@motkraft.net