flugblatt zu standardformulierungen bei quelle/essen

text in englisch
(06.11.00) Dieses Flugblatt wurde vor und in Quelle-Call Centern in einigen deutschen Staedten verteilt:

Willkommen bei Quelle, mein Name ist Vorname Nachname. Was darf ich fuer Sie tun?

Standardformulierungen, jede/r die/der bei Quelle arbeitet, kennt sie. Noch ein Beispiel? "Herr/ Frau... Wir machen gerade eine Kundenbefragung. Sind Sie interessiert an Werbemitteln zum Thema ‘Hunde'?"... Alles fing im Sommer diesen Jahres an. Bis dahin war uns freigestellt, wie wir mit den KundInnen reden. Doch dann kamen die Standardformulierungen und das Grauen nahm seinen Lauf. Erst kriegten wir eine freundliche Arbeitsanweisung, doch als die Geschaeftsleitung merkte, dass wir trotzdem reden, wie es uns passt, fingen Sie an uns zu testen und Druck zu machen. Jetzt bekommen wir taeglich interne Kontrollanrufe und die Geschaeftsleitung drohte mit Abmahnung wegen Verweigerung von Arbeitsanweisungen. Sie setzte eine Praemie fuer das "beste" Team" aus, um uns gegeneinander auszuspielen. Sie veroeffentlicht Statistiken und versucht, die "Konkurrenz" zwischen den Standorten der Quelle-Call Center zu schueren (Essen, Berlin, Koeln, Nuernberg-Fuerth, Leipzig, Magdeburg, Mainz, Cottbus, Padborg). In dem Zusammenhang gab es auch wieder das Geruecht, dass Call Center geschlossen werden sollten. Warum eigentlich das Ganze? Die Geschaeftsleitung behauptet, bei den Standardformulierungen ginge es um eine bessere Qualitaet. Aber seht euch die Formulierungen mal an, dann wisst ihr, dass das Bloedsinn ist! Fuer Quelle sind die Standards ein Mittel, eine Atmosphaere der Kontrolle und Konkurrenz untereinander zu schaffen. Sie wollen, dass wir uns gegenseitig Druck machen, die Formulierungen anzuwenden. Manche von uns machen das ja auch mit und bespitzeln die anderen. Du fuehlst dich manchmal umzingelt von zuhoerenden Ohren!
Quelle will auch, dass unsere Arbeitsleistung vergleichbar wird. Wenn alle dasselbe reden, koennen sie auch die Anrufzeiten vergleichen und Druck machen, wenn wir den Kunden nicht nebenbei noch mehr Kram verkaufen.
Die Durchsetzung der Standardformulierungen ist Teil der Strategie, uns gefuegig zu machen und uns mehr Arbeit aufzuzwingen: mehr Gespraeche, kuerzere Gespraeche, weniger Pausen. Wir sollen ja schon 22 Gespraeche in der Stunde erreichen. Wie in der Fabrik, wo alle dieselben einfachen Handgriffe machen und einen Akkord als Zielvorgabe bekommen. Produktiv arbeiten sollen wir, denn die Zeit, in der wir uns zu lange mit einem Kunden aufhalten oder nicht telefonieren und stattdessen mit anderen ArbeiterInnen quatschen, ist unproduktiv und wirft fuer Quelle keinen Gewinn ab.
Im Sommer haben wir auf den Teambesprechungen noch ueber die Formulierungen diskutiert. Heute kriegen wir die Ergebnisse der Testanrufe vorgehalten - zusammen mit einem Anschiss oder Lob - und nehmen das hin. Wir lassen uns von den Qualitaetsbeauftragten nach Problemstellen bei den Formulierungen befragen und ziehen uns dann noch die Gehirnwaesche ueber den Sinn der Standardformulierungen rein.
Die Praemie hat eine gespannte Atmosphaere geschaffen. Es heisst, das andere Team sei besser, erreiche seine 100%, also koennten wir das auch. Weil wir das mitmachen, koennen sie uns gegenseitig erpressen. Wer immer dann die Praemie bekommt: Danach wird es weitergehen mit Standardformulierungen, aber ohne mehr Geld und mit demselben Stumpfsinn Tag fuer Tag.
Was fuer ein Scheiss ist das ueberhaupt, uns vorzuschreiben, wie wir reden sollen?! Schon genug, dass wir gezwungen werden, uns jeden Tag vom Wecker wachruetteln zu lassen und zur Arbeit zu muessen. So kommen wir uns auch noch wie lebendige Automaten vor, die 100mal am Tag das Standardrepertoire um die Wette abspulen.
Manche kuendigen jetzt einfach. Aber ist es wirklich woanders besser? Oder sind nur die Bedingungen auf eine andere Art und Weise beschissen? Wir muessen uns jetzt und hier der Auseinandersetzung stellen. Wir duerfen uns nicht Angst machen lassen, denn wir sind es, die mit den Kunden reden und entscheiden, wie wir mit ihnen reden wollen. Wir muessen es Tag fuer Tag aushalten. Auch wenn die Geschaeftleitung uns zwingen will, ihr nach dem Maul zu reden: Wir brauchen uns das nicht gefallen zu lassen! Lasst uns reden wie wir wollen! Nehmt Kontakt auf mit den ArbeiterInnen in anderen Quelle-Call Centern!

Weg mit den Standardformulierungen!
Keine gegenseitige Kontrolle!
Keine Erpressung!

[Kasten] Wir arbeiten in Call Centern und anderswo und machen eine Flugblattreihe. Damit wollen wir die Diskussion unter ArbeiterInnen unterstuetzen und voranbringen. Es geht darum, dass wir uns nicht alles gefallen lassen und gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorgehen. Das koennen wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Massnahmen der Geschaeftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Staerke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen koennen und z.B. Ueberstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs drauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Staerke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu ueberwinden.
Alle Flugblaetter werden auf der folgenden Website zusammen mit weiteren Infos und Beitraegen dokumentiert: www.free.de/prol-position
Beteiligt euch an der Diskussion und schickt uns Anregungen, Kritik oder Berichte.
Emails: hotlines@free.de
Briefe: hotlines c/o Fabrik, Grabenstrasse 20, 47057 Duisburg


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