zum beitrag zu medion/muelheim vom 30.11.


(08.12.00)

Hallo,
schoen, dass Du wieder geschrieben hast. Hier einige Anmerkungen und Fragen dazu. Einen genaueren Text zu Betriebsraeten und Gewerkschaften werden wir dir demnaechst schicken und auf die Website stellen.

Zum ersten Abschnitt: Hier interessiert uns natuerlich, wie die "solidarische Selbstorganisierung" bei dem duesseldoerfer Mobilfunkunternehmen aussah und wie das mit der engen "Auslegung des Betriebsverfassungsgesetzes" funktionierte. Waere gut, wenn Du das etwas genauer beschreiben koenntest.

Du schreibst: "Durch die Gewerkschaft erlangte man die rechtliche Sicherheit und die Akzeptanz der Arbeitgeberseite." Die "Akzeptanz" bezieht sich doch auf die "Vertretung" der ArbeiterInneninteressen. Ist nicht die Entwicklung der eigenen Staerke, des Selbstbewusstseins der ArbeiterInnen entscheidend? Die Etablierung eines Betriebsrates bedeutet doch, dass die ArbeiterInnen gefaelligst ihre Interessen von diesem vertreten lassen sollen, statt die Sache in die eigenen Haende zu nehmen. Davor aber haben die Chefs am meisten Angst: dass sie die Dinge nicht ueberblicken und kontrollieren koennen. Jeder Betriebsrat, der mit den Chefs verhandelt, wird doch "akzeptiert", weil er den Betriebsfrieden aufrechterhalten soll.
Und warum und wofuer brauchen wir "rechtliche Sicherheit", wenn es darum geht, unsere Interessen durchzusetzen? Die dreimonatige Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft bedeutet einen gewissen Rechtsschutz (also Kohle fuer den Anwalt...). Ein Betriebsrat hat gewissen Zugang zu Informationen und kann die Einhaltung von Betriebsvereinbarungen und Arbeitsgesetzen einfordern. Das nutzen wir alles irgendwie, solange wir SCHWACH sind und es um die VERTEIDIGUNG des Status Quo geht. Aber welche Perspektive liegt darin? Wenn wir aus der schwachen Position raus wollen, muessen wir uns selbst organisieren, die Vermittlungs- und Kontrollversuche der Gewerkschaftsfuehrungen abweisen und in den Auseinandersetzungen mit den Unternehmern die Initiative uebernehmen.

Du schreibst, dass Leute, die sich wehren, schnell abgemahnt oder gefeuert werden. Richtig. Wir muessen Formen des Kampfes finden, die der jeweiligen Situation im Betrieb angemessen sind. Wenn wir nur allein oder mit wenigen das Arbeitstempo senken koennen, dann sollten wir das so organisieren, dass die Chefs nicht ausmachen koennen, woran das liegt. Solche Sachen kriegen wir taeglich auf Arbeit mit. Wenn aber ein ganzes Team die Faxen dicke hat und statt zu arbeiten ueber den Sinn und Zweck der Arbeit diskutiert, koennen sie schlecht alle rausschmeissen. Das muss doch unser Ziel sein: weg von den individuellen Formen, sich die Arbeit ertraeglicher zu machen, hin zu selbstorganisierten Formen des Kampfes, bei denen es darum geht, die Arbeit, Hierarchie, Spaltung, Ausbeutung insgesamt immer wieder an den Pranger zu stellen.

Zum letzten Teil: Du schreibst, dass bei "fundamentalen Belangen" selbstorganisierte Gruppen nicht ernstgenommen werden. Dann nennst du Arbeitszeitregelungen, Urlaub, Loehne, Personalentscheidungen. Betriebsraete dagegen haetten da Mitbestimmungsrechte. Wir brauchen uns nicht darueber zu streiten, was Betriebsraete wirklich "mitbestimmen" duerfen. Entscheidend ist vielmehr, was wir wollen: etwas angenehmere Arbeitsbedingungen, etwas hoeheren Lohn, usw.? Klar, nehmen wir mit. Wenn schon arbeiten, dann moeglichst wenig fuer moeglichst viel Geld. Aber nach einigen hundert Jahren Kapitalismus und etlichen Generationen von ArbeiterInnen, die sich immer wieder konfrontiert sahen mit der Aufforderung "Arbeite! ...oder krepier!" stellen wir uns die Frage, wann endlich damit Schluss ist. Wir koennen unsere Bedingungen in einem Betrieb - mit, ohne oder gegen den Betriebsrat - vielleicht etwas verbessern. Die Chefs werden auf die naechste Schwaeche warten, ueber neue Lohnsysteme, Arbeitsorganisation oder Neueinstellungen versuchen, uns zu spalten, usw., um die Bedingungen wieder zu verschlechtern. Schau dir die Banken an und was da ueber die Einfuehrung der Call Center an den Bedingungen gedreht wird. Wenn jetzt hbv und Basisgewerkschafter versuchen, das wieder zu regulieren und die Bedingungen etwas zu verbessern, sind wir nicht weiter gekommen. Im Gegenteil: wenn die Gewerkschaften es schaffen, die Konflikte in den Call Centern zu kontrollieren, laeuft es weiter in den kapitalistisch geordneten Bahnen: Arbeit, Arbeit, Arbeit (und dank hbv ein Tarifvertrag, der die Lohnhoehe begrenzt und eine Friedenspflicht enthaelt).

Viele Gruesse
prols


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