Vorstellungsgespraech bei ISI Marketing. Viele Frauen arbeiten hier. Die von der Personalabteilung verspricht schoene Dinge: wenn du am Telefon mehr vertickst als deine KollegInnen, dann winken dir Wochenenden im BMW, Reisen nach Aegypten etc. Immerhin versuchen sie, dir den Job etwas zu versuessen. Der sieht so aus:
* Von wegen 22 DM brutto: Festlohn sind 12 DM brutto, Rest sind ungarantierte Praemien.
* Die erste Woche ist "kostenfreies Arbeiten" angesagt: sprich 12 Std. Training und 28 Std. Arbeit (Verkauf am Telefon) werden nicht bezahlt.
* Die erste Zeit arbeitest du ohne Vertrag: den gibt es erst, wenn du genug Kohle fuer's Unternehmen reintelefoniert hast. Schafft mensch in den 28 Stunden nicht zwei Drittel des Verkaufsdurchschnitts, dann gibt es keinen Vertrag: Umsonst geschuftet!
* Nacharbeiten der Krankheitstage oder Lohnkuerzung: wenn du trotz Krankheit zur Arbeit kommst, gibt es die sogenannte "Schnupfenpraemie". Kannst du dich nicht zur Arbeit schleppen, wird dir zur schnelleren Genesung angeboten, deine Krankheitstage nachzuarbeiten oder dir werden Praemien gestrichen.
* Arbeiten vor Arbeitsbeginn: Vorbereitungen fuer deine Arbeit musst du vor dem offziellen Arbeitsbeginn erledigen, wenn du "in die Pause" reintelefonieren musst, wird das von der Pausenzeit abgezogen.
Nach 25 Stunden "kostenfreier" Arbeit am Telefon, keinen Vertrag in der Tasche, aber die Stein- bachschen-Psychos (Chef von ISI) im Kopf, hat es mir gereicht. Ich weiss, dass einem hier nix geschenkt wird und dass Arbeit adelt, aber irgendwo sind Grenzen. Alle, die sich zusammen mit mir beworben hatten, sind abgesprungen.
Vielleicht haetten wir uns zusammen gegen dies wehren und die Bezahlung der 40 Stunden, mehr Kohle statt unsichere Praemien und Vertraege fuer alle durchsetzen koennen. Aber wir haben es nicht versucht. Wir kannten uns nur kurz, hatten kaum Moeglichkeit mit den bereits angestellten ArbeiterInnen zu reden, hatten Schiss. Jetzt geht die Jobsuche fuer alle alleine weiter. Wenn wir Glueck haben, finden wir was Besseres. Wahrscheinlich ist das aber nicht...
Es geht mir gar nicht um "Rache". ISI macht auch nur das, was alle Unternehmen tun: sie nutzen unsere Situation, um die Arbeitsbedingungen weiter zu verschlechtern. Sie gehen davon aus, dass wir "Schwachen" auf dem Arbeitsmarkt (aeltere Frauen, Muetter, "Ungelernte", "AuslaenderInnen") nichts anderes finden, und lassen uns fuer weniger Geld mehr arbeiten. Sie senken den garantierten Lohn und ueberlassen uns mit den Praemien das Risiko, ob sich ihre Produkte verkaufen lassen oder nicht. Sie verlaengern die unbezahlte Arbeitszeit durch Schulungen, "Probearbeiten", usw.. Sie gehen auch davon aus, dass wir uns nicht dagegen auflehnen werden, mit Rechnungen, Jugend-, Arbeits- oder Auslaenderamt im Nacken.
Ich weiss, dass es vielen geht wie mir. Ich weiss, dass viele sich selbst die Schuld geben, wenn sie keinen oder nur diese Jobs finden. Auch wenn ich nicht mehr bei ISI arbeite: ich habe die Geschichte aufgeschrieben, weil ich keine Lust mehr habe, alles schweigend hinzunehmen. Irgendwann haut das vereinzelte "Sich-Durchschlagen", die Hoffnung auf einen besseren Job nicht mehr hin. Die "guten" Jobs sind eine Illusion: was bei ISI laeuft, laeuft auch woanders.
Die Situation bei ISI betrifft nicht nur die, die dort arbeiten. Wenn Unternehmer solche Bedingungen in einem Bereich durchsetzen koennen, dann setzen sie damit auch alle anderen ArbeiterInnen unter Druck. Von daher muessen wir gemeinsam nach Wegen suchen, wie wir uns wehren koennen.
In unserer Situation als "BewerberInnen" bei ISI haette uns geholfen, wenn die "Festangestellten" direkt auf uns zugegangen waeren und uns von vornherein gesagt haetten, wie der Laden laeuft. Vielleicht haette sich so schneller ein Vertrauen aufbauen koennen, um was gegen die Erpressung "Vertrag bei Abo-Schnitt" zu machen. Ausserdem ist uns bei der Arbeit aufgefallen, dass es kaum Austausch zwischen den ArbeiterInnen der verschiedenen ISI- Standorte (Essen, Bochum, Krefeld, Duesseldorf etc.) gibt, was die Chefs dazu benutzen, um uns gegeneinander auszuspielen. Daher verteilen wir dieses Flugblatt in Essen, Bochum und Duesseldorf.
Es gibt Moeglichkeiten, sich zu wehren: wenn sie uns fuer Schulungszeiten, Pausen usw. keinen Lohn geben, werden alle gemeinsam krank. Und wenn sie uns mit Lohnkuerzungen drohen, koennen wir durch langsames "Nach-Vorschrift-Arbeiten" oder Streik klarmachen, wer eigentlich die Kohle reintelefoniert.
Wenn sie uns mies bezahlen, zahlen wir es ihnen zurueck!
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Wir arbeiten in Call Centern und anderswo und machen eine Flugblattreihe. Damit wollen wir die Diskussion unter ArbeiterInnen unterstuetzen und voranbringen. Es geht darum, dass wir uns nicht alles gefallen lassen und gemeinsam gegen Arbeitshetze und Arbeitszwang vorgehen. Das koennen wir nur, wenn wir uns selber organisieren und mit anderen ArbeiterInnen Mittel und Wege finden, auf Massnahmen der Geschaeftsleitungen zu reagieren und eigene Interessen durchzusetzen. Unsere Staerke liegt darin, dass wir uns mit anderen ArbeiterInnen schnell und direkt absprechen koennen und z.B. Ueberstunden verweigern, Arbeitsanweisungen ignorieren oder den Anruf-Akkord runtersetzen. Ohne dass die Chefs drauf vorbereitet sind und ohne Vermittlung und Kontrolle durch Betriebsrat und Gewerkschaften. Wenn wir diese Staerke entwickeln und einsetzen, kann das ein Schritt sein, die Lohnsklaverei insgesamt zu ueberwinden.
Alle Flugblaetter werden auf der folgenden Website zusammen mit weiteren Infos und Beitraegen dokumentiert: www.free.de/prol-position
Beteiligt euch an der Diskussion und schickt uns Anregungen, Kritik oder Berichte.
Emails: hotlines@free.de
Briefe: hotlines c/o Fabrik, Grabenstrasse 20, 47057 Duisburg