zum citibank-streik-bericht vom 26.06.01 (2)


(09.07.01)

Subject: Citibank
Email von: Hannes Oberlindober
Tekomedia GmbH (ehemaliger Betriebsrat im Citibank Call Center in Bochum)

Liebe "hotliner",
als an den Konflikten rund um die Citibank Call-Center Beteiligter moechte ich einiges Ergaenzende bemerken.
Ihr schreibt sinngemaess, dass der Plan der Ausgruendung eines eigenen Call Centers schon eine Art Eingestaendnis der Niederlage war.
Das waere nur dann der Fall gewesen, wenn das Hauptziel aller darin bestanden haette, die Arbeitsplaetze zu erhalten. Der Grundkonflikt mit der betreuenden Gewerkschaft hbv bestand jedoch genau darin, dass viele von uns ueberhaupt nicht der Auffassung gewesen sind, die Arbeitsplaetze bei der Citibank seien erhaltenswert. Angesichts der Geschaeftspraktiken der weltweit fuehrenden Privatbank (vgl. hierzu www.ran.org) hielten es viele fuer sozial nicht vertretbar, auf eine Weiterbeschaeftigung bei der Citibank hinzuarbeiten, die eine Komplizenschaft mit dem seine Ansprueche ("the whole world in one bank") deutlich genug artikulierenden Konzern bedeutet haette. Diese globalen Strategien auch noch als Marketing-Instrument zu stuetzen kann aus meiner Sicht nicht einfach mit dem Bestreben nach Erhalt des sicheren Arbeitsplatzes legitimiert werden. Zudem hat die Call Center-Branche nach wie vor hohen Personalbedarf. Wir waren in einer relativ komfortablen Rolle: der Druck des Arbeitsplatzverlustes war niedrig, der Zorn richtete sich in weiten Teilen der Belegschaft vielmehr auf die "corporate identity" und die Unternehmenskultur der Citibank. Der Vorwurf, den wir uns machen muessten ist, das wir alle nicht viel eher die Konsequenzen daraus gezogen haben und ohne Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzers die massive, oeffentliche politische Auseinandersetzung mit dem Konzern gesucht haben.
Das richtige Signal war dennoch auch zu diesem spaeten Zeitpunkt zu zeigen: wir sind nicht durch die Angst um unseren Arbeitsplatz kompromittierbar. Wir wollten genau umgekehrt die Umstrukturierungsstrategien der Citibank durch Entzug von Arbeitskraft angreifen.
Zwar hat die Bank keinen Betriebsuebergang angestrebt, aber es war klar, dass man mit dem Uebergang von ca. 350 CCAs von Bochum nach Duisburg kalkuliert hatte: man wollte jedoch unter Umgehung der Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates nach eigenem Gutduenken darueber befinden, wen man uebernimmt und wen nicht. Damit hat man sich verkalkuliert.
Noch heute sucht meines Wissens das Call Center der Citibank in Duisburg Personal.
Wir lagen damit sowohl mit einer ueberwiegenden Zahl der Beschaeftigten in Duisburg, als auch denen in Aachen, mit der hbv, der DAG und den Bankangestzellten der Citibank ueberkreuz. Koordonierte Aktivitaeten waeren nur moeglich gewesen, wenn eine Gemeinsamkeit hinsichtlich moeglicher Ausstiegsszenarien bestanden haette.
Unsere Niederlage haben wir nicht gegenueber der Bank erlitten, sondern indem wir aus Gruenden groesserer Schlagkraft gegenueber dem auf Beschaedigungen des "branding" hoechst empfindlich reagierenden Unternehmen (das u.a. Hauptinvestor von Monsanto Inc. ist, verstrickt ist in die Geldwaescheaffaeren um den Bruder des ehemaligen mexikanischen Praesidenten Raul Salinas, etliche Exxon- und Chevron-Projekte kofinanziert, die z.B. in Nigeria verheerende Folgen fuer Umwelt und Menschen haben, Hauptsponsor des republikanischen Wahlkampfes in den USA war, Triebkraft der Erweiterung des NAFTA ist etc. pp.) Streiksolidaritaet fuer Ziele schafften, die nicht unsere waren. Eure Kritik, das wir uns deutlicher vom gewerkschaftlichen "mainstream" haetten abgrenzen sollen trifft daher zu, unzutreffend ist aber, das die Zielsetzung der Gruendung einer eigenen Firma Ausdruck von Resignation war: wir hatten bereits auf der ersten Betriebsversammlung nach Verkuendigung der Schliessung, also noch im Vorfeld der Streikmassnahmen, dieses Ziel formuliert; nicht nur um Arbeitsplaetze zu erhalten, sondern vor allem um zu zeigen, dass selbstorganisiertes Arbeiten ohne Hierarchien in Call Centern im Gegensatz zur tayloristischen Arbeitsorganisation der Citibank-Call Center nicht nur moeglich, sondern sogar wirtschaftlicher ist (Senkung von Overhead-Kosten, Senkung von Fluktuation durch Entscheidungsspielraeume und Gestaltungsspielraeume fuer diejenigen, die Experten des Kundendialogs sind - die Agenten).
Call Center waren in diesen klassischen Weisen nicht effektiv zu bestreiken. Dazu waren die Taetigkeiten zu leicht zu verlagern - schwebende Oekonomie. Stattdessen waere zu nutzen gewesen, dass das Unternehmen an der Kunden/Agent-Schnittstelle eine offene Flanke hat. Statt klassisch Arbeit niederzulegen, haette man massenhaft in der Telefonie auf die Anrufer einwirken koennen und umgekehrt durch anrufe in anderen Call Centern der Bank auf die dort Beschaeftigten einwirken koennen.
Mehrheiten fuer diese Massnahmen konnten wir damals nicht schaffen.
Ob "Citi-Critic" vor sich hinduempelt, vermag ich nicht zu beurteilen. Meines Erachtens hat man sich bei Citi-Critic ein wenig in den Widerspruch verzettelt, einen globalen Konzern nur lokal angehen zu wollen und immer noch die "Wiedereinstellung der Entlassenen" in ein Unternehmen zu fordern, dem man aus vielen Gruenden nicht als Erwerbstaetiger dienen sollte.
Wer uebrigens spielt sich bei Gewerkschaften als Call Center-Experte auf? Mir ist einigemale in Bezug auf meine Person die Verschwoerungstheorie zugetragen worden, ich haette den "Masterplan" gehabt, im Call Center Betriebsrat zu werden, den Betrieb zu ruinieren, Abfindungen zu verhandeln, mit der Kohle ein schwer kapitalistisches Unternehmen aufzumachen und gleichzeitig noch im gewerkschaftlichen Umfeld Karriere zu machen.
Mann.
Wenn ich sowas planen und durchfuehren koennte, haette ich mich schon eher wie Brain in "Pinky und der Brain" zum Weltherrscher berufen gefuehlt.
Spass beiseite. Richtig ist, dass wir unsere publizistischen Kontakte bei der Firmengruendung genutzt haben. Rausgekommen sind bislang 25 unbefristete Arbeitsplaetze - nicht so viele, wie bei der Cif, aber immerhin selbstbestimmt und nach unseren eigenen Vorstellungen gestaltet. 103 Beschaeftigte haben die Arbeitnehmerinitiative zur Gruendung der Tekomedia unterstuetzt - uebrigens ohne den Anspruch auf einen festen Arbeitsplatz.

Ob es ein Rezept sein kann, Kapitalismus mit Firmengruendungen zu bekaempfen? Das wohl nicht. Aber man kann jedenfalls die fruehkapitalistischen Formen der Ausbeutung in sweatshop-artigen Telefonie-Legebatterien als zugleich unsozial und oekonomisch nicht sinnvoll skizzieren, wenn unser Ansatz Erfolg hat.

Ansonsten freut es micht, dass das Thema "Citibank Call Center" immer noch eins ist - Aktivitaeten wie die "Call Center Offensive Berlin" zeigen, dass die Aktioenchen vielleicht doch nicht gaaanz ohne waren.

Liebe Gruesse

Hannes Oberlindober
Tekomedia GmbH


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