lebensgefahr bericht | prols 5/2003
Streiks bei der Bahn, Arbeitsamtkurse zum Hilfslokführer und andere Entgleisungen
[prol-position]

1. Einleitung
Hier ein paar Erinnerungen an einen Arbeitsamt-gesponserten 3-Monats-Kurs zum Rangierlokführer, Jahreswende 2003/2003. Der Kurs fand im Getümmel um das Hartz-Papier und andere rot-grüne Umstrukturierungsankündigungen statt. Interessanter als die Scheingefechte zwischen Regierung, Gewerkschaften und anderen Vertretungsorganen scheint die Frage, ob und wie sie es schaffen, ihre Arbeitsprogramme auf einer konkreten und alltäglichen Ebene durchzusetzen. Dies gilt auch für die Umstrukturierungen bei der Bahn, wo die "Privatisierungs- und Ausgliederungsstreits" von Konzern- und Gewerkschaftsführung oft die eigentlichen Angriffe verdecken. Im Anschluss an den Erfahrungsbericht noch eine Zusammenfassung von Konflikten und Streiks bei der Bahn in der letzten Zeit.

2. Hintergrund
Diese Lokführerausbildung war ein Pilot-Projekt. Das Arbeitsamt suchte im Auftrag der Bahnreinigungsgesellschaft (die im Verlauf des Kurses bei gleichbleibend schlechten Arbeitsverträgen zur DB Services AG mutierte) zwoelf junge Kurzzeitarbeitslose mit Elektro-Facharbeiterbrief, die sich zum "Bereitstellungslokführer" ausbilden lassen. Beim Facharbeiterbrief ging es eher um einen Indikator von durchschnittlichem technischem Auffassungsvermögen, als um irgendwelche Kenntnisse. Das ganze zu folgenden Konditionen: drei Monate Ausbildung bei Weiterzahlung des Arbeitslosengeldes, bei bestandener Prüfung ein unbefristeter Vertrag und 2000 Euro brutto im Monat (plus Wochenend- und Nachtschichtzulagen). Warum braucht die Bahnreinigung "Bereitstellungslokführer"? Sie bietet der DB Regio AG seit Anfang 2003 den Service an, die Regionalzüge von den Werkstätten, Abstellgleisen, Waschstrassen etc. zu den Bahnhöfen zu fahren, wo sie dann von den DB Regio LokführerInnen übernommen werden. Diese Bereitstellungsfahrten taten bisher die StreckenlokführerInnen selbst. Die Ausbildung der StreckenlokführInnen dauert ein- bis zu dreieinhalb Jahre, sie bekommen im Gegensatz zu den neuen "Service-Lokführern" Freifahrtscheine und andere Kostbarkeiten. DB Regio ist das Personennahverkehrsunternehmen der alten staatlichen Deutschen Bundesbahn, die Anfang der 90er formal privatisiert und in unterschiedliche Unternehmensgruppen aufgeteilt wurde. Seit dem sind rund 150.000 Stellen bei der DB weggefallen, was durch das Aufkommen von anderen privaten Bahnunternehmen nur zu einem geringen Teil kompensiert wird.

3. Ausbildung
Im Grunde wurde versucht, die einjährige Ausbildung auf drei Monate zusammenzudrücken, wobei alle Bestandteile (Sicherheitsregeln auf der Strecke, technische Details des Fahrzeugs, Funkverkehr, Rangierzeichen etc.) erhalten bleiben sollten. Das führte aus verschiedensten Gründen zu relativem Chaos und Stress. Die Koordination der Ausbildung musste verschiedenste Hindernisse überwinden: Abteilungsebenen (Koordination zwischen DB Services Zentrale in Köln und uns im Ruhrgebiet), Unternehmensgrenzen (zwischen DB Services als unserem zukünftigen Arbeitgeber und der DB Regio, unserem offiziellen Ausbilder), Sektorenbarrieren (Privatunternehmen Bahn und Arbeitsamt als Geldgeber) und nicht zuletzt unsere mangelnde Motivation und die unserer Ausbilder. Die meisten von ihnen sind "normale" Lokführer, die in der ausbildungsfreien Zeit oder auf Bereitschaft auch noch als solche arbeiten. In der Ausbildungszeit gehen ihnen viele Zuschläge flöten, wodurch sie im Endeffekt weniger verdienen. Zudem macht ihnen zu schaffen, dass sie, indem sie dahergelaufene Installateure im Schnelldurchgang auf die Strecke schicken, ihren eigenen Berufsstand untergraben. Auf unserer Seite entstanden die Konflikte in erster Linie dadurch, das die meisten von uns die ganze Geschichte weniger als Verwirklichung eines Kindertraums ("Lokführer werden") sahen, sondern als Job. Viele von uns hatten Schulden, so dass drei Monate mehr oder intensiver Ausbildung für Arbeitslosenkohle nur auf der Basis akzeptiert wurde, dass danach die versprochenen 2000 Euro brutto plus Zulagen rausspringen würden. Als dann verlangt wurde, während der Ausbildungszeit auch Nacht- und Wochenendschicht zu machen ("Fahren unter Überwachung" sprich wir fahren die normalen Schichten, ein gestandener Lokführer guckt zu) und dass die 2000 brutto inklusive Zulagen sind, es also auf einen Bruttostundenlohn von neun Euro 66 rausläuft, rappelte es im Führerstand. Wir riefen erst beim Arbeitsamt an, dass wir die Nachtschichten nicht für Arbeitslosenkohle machen würden, die verwiesen uns aber an unseren zukünftigen Arbeitgeber, da sie "rechtlich nicht in der Lage seien" uns mehr zu zahlen. Hektisches Telefonieren zwischen privater und öffentlicher Hand. Der Freak von DB Services meinte, er könnte uns nicht mehr zahlen, da es ansonsten ja von unserem Arbeitslosengeld abgezogen würde. Einige machten dann ihrem Motivationsverlust recht deutlich, woraufhin er uns eine Prämie "für erfolgreich bestandene Prüfung" zusagte, die gab es dann auch (ca. 400 Euro brutto). Es gab lange Diskussionen unter uns, ob DB Services uns wirklich dringend braucht, ob wir mehr rausschlagen hätten können etc.. Letztendlich entschieden sich die Dinge aber nicht in der Verhandlung mit den diversen Schergen, sondern auf den Abstellgleisen, auf den Bahnsteigen. Erst überlegten wir, ob wir uns nicht ein Beispiel an dem Bahnreiniger nehmen sollten, der die Woche zuvor den Bremssand statt in den Stutzen fuer den Bremssand auf der linken Lokseite, in den Tankstutzen auf der rechten Seite füllte, knirsch, knirsch. Wir entschlossen uns dann aber fuer Arbeitszeitverkürzung: auf informeller Basis reduzierten wir während des sechswöchigen praktischen Teils der Ausbildung die angesetzte 40 Stunden Woche auf angenehmere 15 Stunden inklusive gelegentlicher Besuche der nahegelegenen saisonbedingten Glühweinstände. Das war vor allem deshalb möglich, weil uns die Kollegen Lokführer nicht verpetzten. Die hatten selbst die Schiene am dampfen, den Kanal voll: Ende 2002 wurde ein Sondertarifvertrag für die DB Regio vorgestellt und anfänglich von der Transnet (große Bahnergewerkschaft) abgenickt, der es in sich hatte.

4. Massive Attacke
Die StreckenlokführerInnen werden von unterschiedlichen Seiten attackiert:
* durch die direkten Angriffe auf ihre vertraglichen Arbeitsbedingungen (z.B. den Sondertarifvertrag) bzw. die Spaltung in ArbeiterInnen mit unterschiedlichen Bedingungen (vor der Privatisierung Anfang der 90er hatten LokführerInnen noch Beamtenstatus, danach gab es mit den jeweiligen Privatisierungsschritten jeweils schlechtere Verträge für die "Neuen") oder in unterschiedliche Unternehmen (die Arbeitsbedingungen bei den "Privatbahnen" werden sowohl von der Bahn als auch von der Gewerkschaft als Drohkulisse benutzt)
* durch neue Arbeitsteilung: Schnell angelernte LokführerInnen übernehmen Teile ihrer Aufgaben, was zu einer Verdichtung der Arbeit führt und ihre Position als "Qualifizierte" schwächt; durch die Besonderheiten des Sondertarifvertrags soll Druck ausgeübt werden, diese neue Arbeitsorganisation zu akzeptieren
* durch neue Maschinerie: die Anlernung von "Mickey Mouse-LokführerInnen" wird auch durch die Technologie der neuen Fahrzeuge ermöglicht (Einführung von PC, Mikroelektronik)

a) Der neue Tarifvertrag und die anschließenden (innergewerkschaftlichen) Konflikte

Ende Oktober 2002 stimmte die Führung von Transnet und GDBA (Gewerkschaft Deutscher Eisenbahnbeamter) einem Ergänzungstarifvertrag für die DB Regio zu, der fr 9000 LokführerInnen und 5000 ZugbegleiterInnen folgende Verschlechterungen eingebracht hätte:

* Weihnachts- und Urlaubsgeld wird um 25 Prozent gekürzt bzw. durch Leistungsprämie ersetzt.
* Samstagszulage wird gestrichen.
* Fahrgastfahrten während der Arbeitszeit (z.B. von Köln nach Bonn, um dort einen Zug abzuholen) werden nur noch mit 50 Prozent angerechnet, bei Pausen innerhalb der Arbeitszeit (z.B. Warten auf einen Zug), werden nur die ersten zehn Minuten mit 100 Prozent angerechnet, danach 50 Prozent.
* Freizeitausgleich für Schichten an Heiligabend und Silvester entfällt.
* Dienstbeginn und Dienstende (bisher am selben Einsatzort) sollen jetzt an unterschiedlichen Orten innerhalb einer "politischen Gemeinde" möglich sein (Agros und Zeitverlust im Berufsverkehr unbezahlt).
* drei Fort- und Weiterbildungstage im Jahr, die nicht auf Arbeitszeit angerechnet werden.
* Zusatzurlaub für Leute im Schicht- und Wechseldienst wird von fünf auf zwei Tage im Jahr reduziert.

Alles in allem um die 18 zusätzliche Schichten im Jahr plus Einkommensverlust von einem Monatsgehalt. Durch die Arbeitszeitverdichtungen könnten um die 1400 Arbeitsplätze draufgehen. Das rechnet sich. Die Transnet und GDBA Führung rechtfertigten diesen Schritt mit der Konkurrenz durch Privatbahnen. Bei den Kollegen gab's dicke Luft, es wurde von Gewerkschaftsaustritten und Streiks gesprochen. Der Typ, mit dem ich an diesem Tag rumkutschte meinte: "Scheiße, ich bin ja Beamter, ich darf ja nicht streiken. Jungs, legt euch einfach vor mich ins Gleis, ich fahr euch schon nicht platt", oder so ähnlich. Die Lokführergewerkschaft GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokführer) witterte Chancen auf Mitgliederzuwachs: es gab Unterschriftenlisten an die Transnet-Führung, auf der mit Austritten gedroht wurde, falls der Ergänzungstarifvertrag zu Stande kommen sollte. Die GDL galt immer als "konservativ" und berufsständisch, hat in den vorangegangenen Jahren ähnliche Scheiße unterschrieben, macht jetzt aber ein bisschen auf Opposition. Sie "vertritt" gut 75 Prozent der Lokführer, wovon aber noch gut die Hälfte verbeamtet ist, also nicht streiken darf. Es war in dieser Situation nicht klar, ob die GDL die Wut der Kollegen instrumentalisiert, oder die nicht-verbeamteten Kollegen die GDL als Instrument benutzt, um streiken zu können. Statt Streik gab es in den kommenden Wochen Keifereien zwischen den Gewerkschaftsführungen. Im Dezember 2002 verkündete die Transnet-Führung dann, dass sie dem Tarifvertrag doch nicht zustimmen wird, was aber nicht am Mitgliederverlust - die GDL sprach von 1000 neuen Mitgliedern in wenigen Wochen - oder sonstigem Druck von unten läge, sondern am Verhalten des Bahn-Managements bezüglich des bahninternen "Bündnisses für Arbeit".
In diesen Tagen zeigte sich auch, dass es bei der Bahn in Deutschland auch auf Grund des faktischen Streikverbots durch Verbeamtung keine wirkliche Erfahrung mit solchen Konflikten gibt. Die Typen rasseln z.T. schon seit 30 Jahren auf ihren Loks rum, ohne einen einzigen Streik mitbekommen zu haben. Einer erwähnte immerhin einen Streik der türkischen Bahnreiniger, wo sie Steine auf Streikbrecher geworfen haben. Die Gewerkschaft tut auch das ihr Mögliche, um die Situation nicht zu verstehen: es gibt z.B. keine wirklichen Erfahrungsberichte von LokführerInnen bei den Privatbahnen, welche momentan gut zehn Prozent des Regionalverkehrs klarmachen, Tendenz steigend. Es wird von vornherein angenommen, dass die Bedingungen dort sehr viel schlechter sein müssen, schließlich gibt es dort keine gewerkschaftliche Vertretung. Ein Kollege erzählte hingegen, dass man bei manchen Privatbahnen mehr verdient.
Spekulatius. Auch interessierte sich kein Schwein aus dem Gewerkschaftsbüro- für unseren Volkshochschul-Rangierkurs, obwohl er im Grunde die reinste Untergrabungsaktion darstellt. Auf Anfrage, ob sie mal den Tarifvertrag für DB Regio Lokführer rausrücken könnten fragten sie erst mal nach der Mitgliedsnummer, sonst nix Information. Angesichts dieser offensichtlichen Kollaborationslinie der offiziellen Gewerkschaften bilden sich quasi zwangsläufig basisgewerkschaftsähnliche Initiativen, wenn auch nicht so stark wie in Frankreich [www.labournet.de/internationales/fr/sudall.html] oder Italien. So zum Beispiel die "Bahn von unten" [www.bahnvonunten.de/] oder eine Betriebsratsinitiative in Berlin [www.tfb-s-bahn.de/].
Interessanter oder zumindest kurioser ein paar selbstgebastelte home-pages von LokführerInnen, die sich während des Konflikts auch zu Diskussionsforen entwickelten (z.B. [www.lokfuehrer-online.de/] oder [www.zugchefa.de/].
Die Gewerkschaften wollen diesen Trend natürlich nicht verpassen und machen ihre eigenen "Lokführer Chat Rooms" [www.transnet.org/lfc/link.php?op=view&lid=3] oder eröffnen "Lokführer Communities" in Österreich [www.eisenbahner.at]. Während der Streitereien um den Ergaenzungstarifvertrag war es auf der Transnet-Site verboten, sich gegen die unternehmerfreundliche Politik der Transnet auszusprechen, Kritik wurde als GDL-Propaganda zensiert.

b) Die neue Arbeitsteilung

Während der Ausbildung hatten wir genügend Zeit, mit den StreckenlokführerInnen darüber zu reden, dass wir in Zukunft einen Teil ihrer Arbeit übernehmen sollen. Die Meinungen gingen auseinander: einige fanden es angenehm, dass sie sich nicht mehr mit dem Vorbereitungsdienst (Bremsen an der Lok und den Wagen checken, Sicherheitseinrichtungen prüfen etc. - besonders angenehm bei nass-kalter Witterung) und dem langsamen Rumkutschieren auf den Abstellgleisen rumschlagen müssen. Die meisten meinten aber, dass es gerade bei der Bereitstellung immer mal Zeit für eine Siesta gab, oder eine Abwechslung vom stupiden Streckenfahren und die Möglichkeit, mit Leuten aus der Werkstatt zu quatschen. Konfrontiert mit dem vorgeschlagenen Ergänzungstarifvertrag, der ja gerade diese Leerlaufzeiten angreift, sahen sich viele dann doch geneigt, die Arbeitsverdichtung zu akzeptieren. Wir konnten nicht rausfinden, an wie vielen anderen Bahnhöfen die Bereitstellung bereits von "angelernten LokführerInnen" gemacht wird, aber die Doppelstrategie von Drohung mit Lohnabzug bei Leerlaufzeiten und Einführung einer neuen Arbeitsorganisation scheint offensichtlich.

c) Die neue Technologie

Die einschneidenden technologischen Veränderungen lassen noch auf sich warten. Theoretisch können moderne Personenzüge zwar ohne Lokführer auskommen, aber halt nur theoretisch. Auf der letzten Bahntechno-Messe wurde ein satellitengesteuertes Navigationsprogramm für den Güterverkehr vorgestellt, das den Güterverkehr flexibler machen, sprich an die flexibleren Takte der Fabrik anpassen soll. Momentan liegt die Anlieferungsmarge bei Blechen z.B. für das Opel-Werk in Bochum bei ca. sieben Stunden, danach stehen die Bänder. Bei anderen Materialien ist entsprechend mehr oder weniger Zeit, so ist die Anlieferung mit einem Güterzug nicht immer just-in-time. Mit kleineren Einheiten soll das Problem gelöst werden: ein Demo-Film zeigt einzelne Gruppen von Containerfahrzeugen, die Dank GPS ohne menschliche Arbeitskraft herummanövriert werden können.
Im Schatten dieser Automatisierungsgeschichten laufen aber kleinere Änderungen, die Auswirkungen auf die tägliche Arbeit und die Zusammensetzung der Arbeitskraft haben:
Anlernzeiten von wenigen Wochen ist nicht zuletzt durch die wunderbare Welt der Informationstechnologie möglich geworden. In den ersten drei Monaten wurden wir für ein neues Nahverkehrs-Triebfahrzeug Baureihe 424/25/26 gedrillt. Erst im Laufe der Ausbildung stellte sich raus, dass wir auch ältere Baureihen (alte DDR-Loks, alte 218-Dieselloks 70er Baujahr) werden fahren müssen, was die Ausbildung um einige Monate verlängerte und uns die Möglichkeit gab, Neu und Alt zu vergleichen. Die neuen Triebfahrzeuge fahren sich eher playstation-mässig, mit Joystick, Windows-Oberfläche etc., bei den Alten würgt man noch an schweren Hebeln. Die Mikroelektronik nimmt einiges an Arbeit und Wissen ab:
Viele Geräte werden am Bildschirm und über Knopfdruck im Führerstand eingeschaltet und überprüft. Bei den älteren Modellen muss man tatsächlich wissen, wo sich die Geräte im Maschinenraum befinden und was im einzelnen zu beachten ist. Für die Überprüfung der Bremstätigkeit muss man bei den alten Kutschen runter von der Lok, an den Wagen lang latschen etc., wo bei den neuen ein Blick auf den Bildschirm reicht. Bei den alten Loks muss man sich viele Abläufe einprägen, die bei den neuen Loks im Computer vorprogrammiert sind. In den alten Loks gibt es lange vergilbte Fehlersuchlisten, in den neuen poppen Fehlermeldungen mit Lösungsvorschlägen auf. Grober Schätzung nach reduziert die neue Technologie die Anlernzeit um mehr als die Hälfte, den Berufsstolz um gut drei Viertel: "Scheiß Cola-Dosen, die fährt doch selbst dein Mutta blind...". In diesem Sinne...

5. Zusammenfassung von Konflikten der letzten Monate auf den Schienen West-Europas

Viele der Konflikte entwickeln sich innerhalb der Umwälzungsprozesses von staatlichen Unternehmen zu privaten, wobei weniger die formalen Eigentumsverhältnisse interessieren, sondern die konkreten Veränderungen, die mit der "Privatisierung" verbunden sind. Viele Bahnunternehmen agieren mittlerweile über nationale Grenzen hinaus, so fährt z.B. DB Regio Nahverkehrszüge in Stockholm oder das englische Unternehmen Arriva Züge in Dänemark. Ende März 2003 sind 50.000 der insgesamt 150.000 europäischen Schienenkilometer des Güterverkehrs für den internationalen Wettbewerb freigegeben worden. Der Börsengang der Deutsche Bahn AG ist für 2005 angesetzt, wobei über die Folgen nur spekuliert werden kann. In den ehemaligen Ostblock-Staaten, wo die Eisenbahnunternehmen, wie z.B. in Ungarn oder Slowakei, schwer verschuldet und gleichzeitig die größten "nationalen" Arbeitgeber sind, wird es in den nächsten Jahren heftigere Anpassungsschwierigkeiten geben. Auch die "Privaten" sind pleite: in England ist jedes Vierte Bahnunternehmen "technically insolvent". Die Internationalisierungsprozess und die Zerlegung der alten Berufe zersetzen auch die alten national-ständischen Vermittlungsstrukturen, Zeit für neue Formen des Kampfs. Erinnert sei an dieser Stelle an die wilden Streiks bei der Bahn in Holland vor drei Jahren, in deren Verlauf sich auch unabhängige Komitees von BahnfahrerInnen bildeten, die den Streik unterstützten oder die Schienenblockaden von RestaurantarbeiterInnen des Eurostars in Paris Ende 2002, die gleiche Bedingungen auf beiden Seiten des Tunnels forderten. Folgende Liste zusammengestellt aus deutschen und englischen Presseartikeln ist alles andere als vollständig und sagt wenig über die Streikenden und ihre Situation an sich:

Oktober 2002

* Überstundenstreik in Österreich
Die österreichische Eisenbahn (OEBB) ist formal immer noch eine Staatsbahn, allerdings laufen derzeit Pläne, sie in fünf Holding-Gesellschaften zu zergliedern. Seit 1998 ist die Beschäftigtenzahl von 55.000 auf 47.200 geschrumpft. Momentan gibt es sieben Privatbahnen auf Österreichs Schienen, die allerdings nur 0,5 Prozent des Schienenverkehrs ausmachen. Das Management der OEBB kündigte ein Sparprogramm an, dass u.a. Einsparungen von 135 Millionen Euro bei den Personalkosten vorsieht und die automatische Beförderung abschaffen will. Als Antwort auf diese Maßnahmen hat die Gewerkschaft zu einem Überstundenstreik aufgerufen. In der betreffenden Woche sind im Raum Wien 80 Züge ausgefallen. Die Gewerkschaft blies die Aktion wieder ab, nachdem die Unternehmensleitung Zugeständnisse bei der Übernahmeregelung von Auszubildenden machte.

November 2002

* Eisenbahner in Bulgarien streiken
3900 ArbeiterInnen legten für eine Stunde die Arbeit nieder bzw. stoppten 79 Züge, um vom Staat ausstehende Löhne in Höhe von 9,2 Millionen Dollar zu fordern. Laut Transportminister richtete der einstündige Streik einen Schaden von 2,6 Millionen Dollar an.

* Eurostar bleibt in Paris stecken
ArbeiterInnen der Firma Momentum, Gastronomieunternehmen des Eurostars, blockierten die Schienen im Pariser Bahnhof Gare du Nord, um für gleiche Bedingungen wie ihre englischen KollegInnen zu protestieren. Es kam zu Verspätungen.

Dezember 2002

* Belgische Gewerkschaften sagen Streik ab
Die belgische Eisenbahngewerkschaft hat ihre Streikdrohung zurückgezogen Sie reagierte damit auf Zusagen der Regierung in Brüssel, die Regelungen zur Frührente mit 55 Jahren zu verlängern

* Italienische BahnarbeiterInnen streiken
Angestellte der Italienischen Staatsbahn streiken für 24 Stunden und mehr Geld.

* "Samstag fahren alle umsonst!
Bei Nederlands Spoorwegen reichte die Androhung, zwar die Züge zu fahren, aber die Kontrollen zu verweigern, um eine 6prozentige Lohnerhöhung durchzusetzen...

Januar 2003

* Schottische Lokführer weigern sich, Kriegsmaterial zu transportieren
Ein Streik zweier Lokführer verhinderte einen Munitionstransport zum größten europäischen Waffenlager der NATO an der Westküste Schottlands, von wo aus er in Richtung Irak weitergehen sollte. Die zwei waren die einzigen Lokführer des Eisenbahnunternehmens EWS, die eine Fahrerlaubnis für diese Strecke hatten.

* Niederrheinische Bahner machen krank
Hohe Fehlzeiten bei der Rheinbahn, Düsseldorf. Ein Personalberater beschäftigt sich derzeit mit Motivations-Strategien zur Senkung des Krankenstandes. Im vergangenen Jahr wurde mit 10,2 Prozent ein Rekordniveau erreicht. Im Jahr 2001 lag der Ausfall noch bei 9,6 Prozent, im Jahr drauf stieg die Zahl auf 10,2 Prozent. Und diese Zahl ist noch geschönt, denn: Im Betrieb, also im Fahrdienst (1800 Mitarbeiter), verbuchten die Statistiker für 2002 sogar einen Ausfall von 12,3 Prozent. Unternehmenschef Herbert Feltz ist unerbittlich: "Motivieren ist eine zentrale Führungsaufgabe." Feltz habe intern als Zielmarke zwei Prozentpunkte ausgegeben, heißt es.

* Italienische Staatsbahn im Streik
Zweiter 24-Stunden Streik in Italien. Gewerkschaft spricht von 80 Prozent Streikbeteiligung, die Presse von einem Ausfall der Hälfte der Züge.

Februar 2003

* Drei-Tage-Streik in der Slowakei
Streik gegen die geplante Schließung von "unprofitablen" Strecken, die als "Rettungsmaßnahme" des mit einer Milliarde Dollar verschuldeten Unternehmens verkauft werden. Dies würde die Entlassung von rund 900 ArbeiterInnen bedeuten. Mit 40.000 Beschäftigten ist die Bahn größter Arbeitgeber des Landes. Durch den Streik war u.a. auch der Braunkohletagebau, Chemie- und Metallfabriken, Ölraffinerien, die Stahlfabrik von U.S. Steel und das VW Werk betroffen. Der erste landesweite Streik seit der "Unabhänigkeit" der Slowakei 1993 wurde nach einer richterlichen Prüfung der Rechtslage und angeblich schrumpfender Streikbeteiligung im Osten des Landes ohne Ergebnis abgebrochen.

* Arriva-Streik in England geht verloren
Die längste Auseinandersetzung in der Geschichte der englischen Bahn ging nach dreizehn Monaten zu Ende, als die englische Transportarbeitergewerkschaft RMT ein Angebot des Bahnunternehmens Arriva für die Zugbegleiter und Schaffner akzeptiere. "Mit dem Deal bleiben wir die schlechtbezahltesten Zugbegleiter aller englischen Bahnunternehmen", meinte ein Typ. Zuvor hatten die Lokführer durch Streik eine 12prozentige Lohnerhöhung durchsetzen können. Dies gelang im Streik des Zugpersonals nicht, das Unternehmen bot 4 Prozent, was das Jahreseinkommen auf rund 16.000 Pfund erhöhen würde. Ein Grund für die Niederlage mag sein, dass es jeweils nur zu eintägigen Streiks der einzelnen Berufsgruppe kam, zwei Mal im Monat und vorher angekündigt. Während der insgesamt 30-Streiktagen arbeiteten Manager als Streikbrecher auf den Zügen. Wahrend der Auseinandersetzungen kam es wohl häufiger vor, dass Schaffner ankündigten, sie würden keine Fahrkarten kontrollieren...

* Irish Rail walks out
Wilder Streik in Cork, nachdem einem Arbeiter "wegen Arbeitsverweigerung" ein Tageslohn abgezogen wurde. Die Presse lässt sich nicht über die Gründe der Arbeitsverweigerung aus, spekuliert aber über Sicherheitsmängel. Der Streik dauert 12 Stunden, 1.500 Passagiere sind betroffen. Die Gewerkschaft ruft die ArbeiterInnen zurück zur Arbeit und setzt sich mit der Unternehmensleitung in Verbindung.

März / April 2003

* Streik von ZugbegleiterInnen in England
Im März/April kam es zu drei Tagesstreiks von ZugbegleiterInnen. Es geht um ihre Arbeitsaufgaben, sie fühlen sich auf "KitKat-Verkäufer" reduziert und betonen ihre Funktion für die technische Zugsicherheit. Insgesamt waren 4.000 ZugbegleiterInnen von 15 Unternehmen zur "Urabstimmung" aufgerufen. In zwei Unternehmen wurde nicht für Streik gestimmt, zwei andere akzeptierten die Forderung der Gewerkschaft nach Festschreibung der Arbeitsaufgaben, um einem Streik zu entgehen. Bei den Lokführern hat die Aufgliederung in über ein Dutzend unterschiedlicher Unternehmen zu starken Lohnunterschieden geführt: innerhalb des UK gibt es 36 unterschiedliche Lohnhöhen für Lokführer, von 23.000 bis 36.000 Pfund Jahreslohn. Letztendlich traten 3.000 Zugbegleiter in Streik, bei einigen Unternehmen fuhr dadurch nur jeder zehnte Zug, bei den meisten liefen aber um die 80-90 Prozent der Züge. Ähnliche Situation wie beim Streik der Arriva Zugbegleiter: Manager werden als Zugbegleiter eingesetzt, manche Zuglinien verzichten ganz auf sie. Es gab nur sehr kurze Streikketten am Morgen, die Streikbruch nicht verhinderten. Laut Gesetz wird den Bahnunternehmen vom Staat pro Streiktag 10 Millionen Pfund Ausfallgeld gezahlt.

* Mitte März: Tages-Streik von WartungsarbeiterInnen
WartungsarbeiterInnen des walisischen Bahnunternehmens Iarnrod Eireann streiken für höhere Löhne.

* Anfang April: Anti-Liberalisierungsstreiks in Frankreich, Spanien, Italien
Koordiniert-symbolische 4-stündige Streikaktionen gegen transnationale Konkurrenz der Bahnunternehmen. Die Beteiligung in England wurde kurzer Hand abgesagt.

* Anfang April: Im Zuge der Gewerkschaftsaktionen zur Verteidigung des Rentensystems kam es auch zu einem 24-stuendigen Streik bei der französischen Bahn.

* Mitte April: Weiterer 24-Stunden Streik für höhere Löhne bei der Italienischen Bahn

* März: Tarifstreiks bei der deutschen Bahn
Transnet und GDBA fordern 5 Prozent für alle 160.000 Angestellten plus Angleichung der Ostlöhne. Die Unternehmensleitung bietet 1,3 Prozent. Es kam zu einzelnen regionalen Warnstreiks während des morgendlichen Berufsverkehrs. In Bayern liefen 220 S-Bahnen sowie Züge aus dem Nah- und Fernverkehr verspätet oder fielen aus. Nach Angaben der Deutschen Bahn waren rund 300 000 Fahrgäste und 160 Züge betroffen. Es gab ebenfalls kurze Streiks in NRW und rund um Magdeburg. Der Lokalpresse ließ sich entnehmen, dass der Streik vor Ort oft wenig Auswirkungen hatte, in ganz Deutschland sollen gerade mal sechs Züge ausgefallen sein. Auf der Website von "Bahn von unten" auch folgende Meldung: "In Hamburg-Langenfelde, wo ein Werk in den Warnstreik trat, solidarisierten sich sofort die Kollegen der Mitropa/NGG und die BRG-Kollegen und streikten mit, obwohl sie keine Tarifrunde haben". Bleibt festzuhalten, dass es der erste Streik seit 1992 war. Der von Transnet und GDBA akzeptierter Schlichterspruch: für die 160 000 nicht verbeamteten Bahnbeschäftigen 2003 zwei Einmalzahlungen von 200 Euro und ab Mai 2004 eine monatliche Gehaltserhöhung von 3,2 Prozent. Die Lokführergewerkschaft GDL akzeptiert das Angebot nicht, sie will einen separaten Spartentarifvertrag für Lokführer und Zugbegleiter. Zur Zeit (Mitte April) sind die Verhandlungen abgebrochen, die nächste Schlichtungsrunde wird Ende April stattfinden. Funktionäre von der Transnet sprechen davon, das ein möglicher Streik der GDL illegal wäre. Der GDL wird vorgeworfen, eine "Pilot-Gewerkschaft" auf der Schiene Gründen zu wollen und die Einheit der BahnarbeiterInnen damit zu untergraben. Damit ist das gewerkschaftliche Dilemma auch gut auf den Punkt gebracht: die "gewerkschaftliche Einheit", sprich Transnet hat den ArbeiterInnen bei der Bahn in den letzten Jahren nur Reallohnverlust und Arbeitsintensivierung eingebracht, kein Wunder dass die GDL jetzt auf der Berufswelle rumreiten und den ArbeiterInnen von einer separaten Organisierung mehr versprechen kann. Frage ist, was die ArbeiterInnen selbst tun werden, ob einzelne anfangen werden zu kämpfen und ob die beruflichen und unternehmerischen Spaltungen dabei überwunden werden.


...interessant zu lesen:
[www.arbeiterpolitik.de/Zeitungen/PDF/2003/Sonderausgabe%20Feb-2003.pdf]


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