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bericht | 11/2002
Call Center in Athen/Griechenland
[english][prol-position]
Teleprime ist ein Call Center-Unternehmen, das Handys verkauft und,
was wichtiger ist, Kreditkarten herausgibt. Es hat viele Läden
(zumindest) in ganz Athen. Im Vorstellungsgespräch wurde mir und
einigen anderen Leuten dieser typische Scheiß über die Firma
erzählt. Es wurde mit uns auch in diesem normalen "freundlichen"
aber auch "ernsten" und "strengen" Ton gesprochen. Wir wurden gefragt,
was wir vom Unternehmen erwarteten, wobei ganz klar diejenigen im
Unternehmen erwähnt wurden, die es "geschafft haben" und viel Geld
verdienen und diejenigen, die nicht fähig waren, sich als Teil des
Unternehmens zu fühlen und schnell gegangen sind. Genau wie in jedem
anderen Call Center behauptet die Teleprime Personalleitung, dass
sie keine hohe Fluktuation haben, weil die Bedingungen gut seien.
Bullshit. Sie erklärten uns dann auch ziemlich kompliziert, wie das
Lohnsystem funktioniere: es gibt keinen wirklichen Lohn sondern
Prämien, die auf Grundlage dessen berechnet werden, wie viel der
Mitarbeiter verkauft, aber es gibt unterschiedliche Berechnungen für
die Handys und die Kreditkarten, unterschiedliche Berechnungen für
die erste (Probe-)Woche, etc. Am Ende dieser langen Erklärung,
begleitet von einer Anzahl von Statistiken und seltsamen Grafiken,
kam der Personalfuzzie zu dem allumfassenden Schluss, dass es
unmöglich ist, dass jemand, der hier arbeitet, weniger als 230 Euro
im Monat bekommen würde (Das ist der Mindestlohn für einen
ungelernten Teilzeitjob in Griechenland). Klar, wenn du nicht mehr
verdienst, bedeutet das, dass du nicht genug verkaufst, also wirst du
sicherlich entlassen werden. Aber das wird nicht passieren, richtig?
Es blieb mir zu diesem Zeitpunkt unklar, ob es einen Minimumlohn
geben würde, oder ob alles auf Prämien basiere. Fakt war, der Job
wurde mir angeboten und ich nahm sofort an.
Es gab nichts, was einem ernsthaften Training ähnelte, außer dem typischen "beobachte die
anderen Angestellten für ein paar Stunden, bis du dich bereit fühlst,
zu starten." Sie geben dir ein Skript, das du auswendig lernen musst
und - wen überrascht's - deiner eigenen Persönlichkeit und deinen Fähigkeiten
anpassen sollst. Im Endeffekt heißt "Training", deinen zukünftigen
Teamleiter zu beobachten, obwohl dieser Ausdruck ein wenig
übertrieben ist. Der "Teamleiter" ist einfach ein anderer Arbeiter,
der den Job schon eine Weile länger macht (mein "Teamleiter" zum
Beispiel war seit 8 Monaten da) und der einen gewissen Grad an
Identifikation zwischen seiner Persönlichkeit und den
Unternehmensprofiten gezeigt hat. Und der offensichtlich ziemlich gut
beim Verticken ist. Es gab auch einen Supervisor für den gesamten
Bereich, eine Möchtergerngeschäftsfrau (möchtergern, weil das nicht
einem typischen Geschäft, sondern einer hektischen und
unorganisierten Abzocke ähnelte). Freundlich in einer kalten,
geschäftsmäßigen Art, streng und übereifrig in Sachen Produktivität
und Disziplin.
Unser Arbeitsplatz sah aus wie ein normales Apartment, das darauf
wartet, vermietet zu werden, ohne Möbel und mit komplett weißen
Wänden, ohne jegliche Dekoration. In den verschiedenen Räumen von dem,
was man normalerweise ein Haus nennen werden würde, standen einige
halbzerstörte Kinderschreibtische, ausgerüstet mit Telefonen und
Stapeln von Papier. Die Arbeiter hier benutzen keine Computer.
Insgesamt haben wir dort mit 30 Leuten gearbeitet. Das Alter variierte
zwischen 20 und 55, und die Mehrheit der Belegschaft waren Frauen.
Am ersten Tag der Arbeit wird dir ein Tisch in einem dieser Räume
zugeteilt, Seite an Seite mit deinem Teamleiter. Du wirst dazu
gedrängt, Telefonanrufe zu machen, obwohl dir immer wieder versichert
wird, dass es kein Theater gibt, wenn du an diesem Tag nichts
verkaufst. Der Teamleiter gibt dir einige Tipps, wie du mit speziell
ruppigen Kunden und Stress umgehen kannst, während dir andere Arbeiter
Hinweise und Ratschläge geben, zum Beispiel dahingehend, wie man vom
ersten Moment an merkt, ob der Kunde interessiert ist oder nicht. Sie
geben dir auch Tipps, wie du deine Präsentation besser machen kannst.
Sie quatschen viel über Ziele, und jeder feiert, wenn einer im Raum was
verkauft. Der Teamleiter übt mehr Druck auf die Arbeiter aus, die
schon länger da sind, und du spürst, dass auch du bald an der Reihe
sein wirst.
Am ersten Tag fängst du mit Handys an. Kreditkarten sind
komplizierter und erfordern ein wenig mehr Erfahrung (ungefähr eine
Woche mehr!) und mehr Verantwortung. Du musst dir im Büro einige
Zettel abholen, auf denen Namen und Telefonnummern stehen. Dir wird
gesagt, dass das alte Kunden von Teleprime sind, die in der
Vergangenheit irgendwas gekauft haben, und es vielleicht wieder tun
möchten Das entpuppt sich schnell als totaler Bullshit, da niemand
von den Leuten, die du anrufst, vorher je was von Teleprime
gehört hat. Weiterhin wird dir gesagt, dass du auch alle Nummern
anrufen sollst, die zwischen denen liegen, die dir gegeben wurden:
zum Beispiel wenn 2000456 und 200462 auf deinen Zetteln steht,
sagen sie dir, dass du auch 2000457,-458,-459 etc. anrufen sollst.
Du startest also mit den Anrufen. Du sagst deinen Text auf, Pause,
atmest ein, versuchst rauszuhören, ob die Person am anderen Ende ein
wenig interessiert ist. Die Zeit vergeht, manchmal kotzt es dich an
(manche Leute sind extrem mies!) und manchmal sind Leute extrem
freundlich. (Obwohl er einen Kauf abgelehnt hatte, wollte der Typ am
anderen Ende wissen, ob mein Boss mich gut behandelt und sagte, ich
solle mir von keinem irgendeinen Scheiß erlauben lassen.) Manchmal
lassen dich die Kunden den ganze Standardsatz aufsagen - der Satz ist
ziemlich lang, also stoppen dich die Leute meist auf halbem Wege - und
grade wenn du denkst "Das ist meine Chance!" sagen sie dir "Nein"
oder schlimmer: "Leck mich"... Du bist angekotzt und im selben
Augenblick auch nicht. Obwohl du weißt, dass du, um Geld zu bekommen,
was verkaufen musst, hoffst du gleichzeitig, dass niemand mit ein
bisschen Grips im Hirn solchen Scheiß übers Telefon kaufen würde...
Du würdest es definitiv nicht tun. Wenn Leute es also einfach
ablehnen, hast du einen Funken Hoffnung, dass nicht jeder da draußen
absolut durchgeknallt ist...
Manchmal passiert es, dass du mit wirklich einsamen Leuten redest. Einmal hatte ich diese alte Lady
dran, die einfach quatschen wollte. Ich redete eine Weile mit ihr,
als ich ihr jedoch zu sagen versuchte, dass ich weitermachen müsse,
wollte sie einfach ein Handy kaufen. Es kam einem so vor, als ob sie
das nur gemacht hat, um weiter mit jemanden zu reden. Am Ende
verkaufte ich ihr das Handy, obwohl mir nicht klar war, ob sie
überhaupt verstanden hatte, worum es ging. Später hörte ich, dass sie
die Annahme des Handys verweigert hatte, und das war echt eine
Erleichterung, weil ich mich deswegen schon ein wenig schuldig
gefühlt hatte.
Ein Mädchen, das mit mir angefangen hatte, war so schüchtern, dass
sie jedes mal, wenn sich jemand meldete, den Hörer auflegte.
Manchmal versuchten ich und andere, ihr zu erklären, dass es keine
große Sache ist. Aber es gab eigentlich nicht viel, was wir tun
konnten. Drei Tage später wurde sie entlassen. Sie hatte nicht einen
einzigen Anruf gemacht.
Es gab während der Arbeit keine Pausen (es war Teilzeit, 5 Stunden am
Tag), aber du durftest an deinem Tisch trinken und rauchen. Die Räume
waren total verqualmt. Du durftest essen, aber dafür war eigentlich
keine Zeit. Nur wenn du die ganze Zeit arbeitetest und Leute anriefst
(vor allem die ersten Tage, die du da warst), konntest du einige
Verkäufe am Tag hinbekommen, und so an ein bisschen Geld kommen. Das
Problem war, wenn du nichts verkauft hast, wurdest du auch für nichts
bezahlt und das war ein Gefühl, als ob du deine Zeit total
verschwendest, ohne wenigstens dafür bezahlt zu werden. Ein wenig wie
Sklaverei....
Einmal in der Woche wurden die ersten paar Stunden im Büro bei dem
Bereichssupervisor verbracht. Der Moment, in dem sie diejenigen loben
würde, die gut gewesen sind und diejenigen runtermachen, die es
nicht gewesen sind. Klare Demütigungsmasche.
Für die meisten jungen Leute dort war das ihr erster Job nach der
Schule. Es gab ein paar Studenten (obwohl die meisten am Nachmittag
da waren und ich am Morgen arbeitete), und einige alleinerziehende
Mütter. Für die meisten Leute, die am Morgen arbeiteten, war dies
ihr regulärer Job, während das für die von der Nachmittagsschicht
meistens der zweite Job war.
Schon bald, nachdem ich den Job bekommen hatte, wurde mir ein anderer
in einem anderen Call Center angeboten, mit ähnlichen Bedingungen,
außer der Tatsache, dass sie einen Minimallohn plus Prämien zahlten
und es näher an meiner Wohnung lag. Ich brauchte nicht lange nachzudenken und ging.
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