kassiber 49 - Mai 2002

Leben und Widerstand im Waller Parzellengebiet

Zwergenaufstand


Mittlerweile dürfte es auch all denen bekannt sein, die nicht begeisterte LeserInnen von Weser-Kurier, taz bremen oder der Schriftenreihe des "Bundesverbandes deutscher Gartenfreunde e.V." sind: Eine Koalition aus bremischen StadtplanerInnen, sozialdemokratischen PolitikerInnen und WirtschaftsfördererInnen hat sich vor etwa zwei Jahren das Ziel gesteckt, endgültig die stadtnahen Kleingartengebiete zu schleifen. Vorgegangen werden soll gegen "illegales Wohnen", "unsachgemäße Nutzung" und "Schwarzbauten".

Was vor allem meint, gegen ein weitgehend unkontrollierbares Gebiet innerhalb der Stadtgemeinde Bremen, inklusive seiner BewohnerInnen, deren Zahl nach Behördenangaben bei etwa 650 (1) liegen soll. Die bilden eine durchaus suspekte Gemengelage aus alten KaisenwohnerInnen, gutsituierten EigenheimbesitzerInnen, ein paar jüngeren und älteren Szenegestalten, KünstlerInnen, Familien, GartenliebhaberInnen mit Hang zum, wie auch immer gearteten, alternativen Leben. Die Ursachen dafür, an einem Leben "im Grünen" festzuhalten, sind ebenso verschieden. Neben dem großen Anteil derer, die jedes Jahr erneut kleinbürgerliche Befriedigung daraus ziehen, wenn es die nicht weniger spießigen Nachbarn offensichtlich trifft, daß der eigene Blumenkohl fünf Zentimeter höher schießt, die Zeit und Geld in den peniblen Ausbau von Veranda und Holzverkleidung stecken, die Werder-Flagge ständig und am Sonntag auch mal die "Stars and Stripes" hissen, und die nun Angst haben, daß ihnen dieses Vergnügen genommen werden soll, gibt es auch andere. Tatsächlich leben auch Menschen "auf Parzelle", die sich eine Behausung im Stadtgebiet nicht leisten können, die von der Behörde jederzeit in Sozialwohnungen verfrachtet werden und dennoch teilweise nicht einmal die Auflagen für eine derartige Weiterbehandlung erfüllen würden. Ansonsten: Stadtmüde, Familien, die mit ihren Kindern nicht unbedingt in Ritterhude und dennoch mit großem Garten wohnen wollen, Menschen, die ihr Leben auf weniger luxuriöse, vielleicht kreativere, Art und Weise gestalten wollen. Schließlich die Alten, die ihr Leben lang im Kaisenhaus gewohnt haben und es womöglich schätzen würden, ließe man sie auch die letzten Lebensjahre mit Blick auf den Garten verbringen anstatt in irgendwelchen Altenverwahrungsanstalten.

Trotz vehementer Proteste seitens der BewohnerInnen, SympathiesantInnen und Wochenendlaubenpieper wird nun also seit Mitte 2000 wieder observiert, begangen (2) und öffentlich Stimmung gemacht. Gemeinsame Entscheidungsgremien kommen genauso lächerlich wie gruselig daher, nicht weniger ekelhaft wird von "sozialverträglichen Lösungen" gesprochen. Tatsächlich wird es immer enger und die Zeit "auf Parzelle" geht wohl für viele bald zu Ende. Wenn, ja wenn nicht die Gartenzwerge irgendwann den Aufstand proben ...


Auch hier: eine Vorgeschichte

Die Geschichte der Bremer Kleingärten und speziell dem Parzellengebiet im Waller Fleet beginnt nicht erst mit dem Erlaß des sogenannten "Kaisen-Rechts" (3). Bereits im Spätmittelalter begannen die StadtbewohnerInnen in militärisch unnötig gewordenen Festungsgräben innerhalb des Stadtgebiets ihr Obst und Gemüse zu ziehen. In Bremen waren es zunächst die Wallanlagen, die für den Anbau von Grünkohl herhalten mußten, bis die Bremer Bürgerschaft 1813 beschloß, öffentliche Gärten anzulegen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden, wie auch in anderen europäischen Ländern, in unmittelbarer Nähe der Stadt "Armengärten" angelegt, die nach dem Vorbild der englischen Kleingartenfürsorge mit einer Art "Hilfe zur Selbsthilfe" den Armen ermöglichte, anzubauen, was sie zum eigenen Lebensunterhalt benötigten.

In dieser Tradition stand auch die Kleingartenbewegung der "Arbeiter- und Schrebergärtner, der Klein- und Familiengärtner" in Bremen vor dem ersten Weltkrieg. Immer wieder, bis in die 30er Jahre hinein, boten die Parzellengebiete Raum, um die existenziellen Notstände der Zeit zu überbrücken. Im Jahr 1931 gab es in Bremen rund 28.000 ParzellistInnen, und längst nicht alle waren Mitglied in bestehenden Vereinen. Das sollte sich mit dem Machtantritt der Nazis zwei Jahre später ändern: Der selbst geschaffene Lebensfreiraum vieler ParzellenbewohnerInnen geriet ins Visier der staatlichen Observation. Vor allem jene KleingärtnerInnen, die bislang in keinen Vereinen erfasst waren, boten, inklusive anderer, von den Nazis als solche empfundenen baupolizeilichen Mißstände, Anlaß zur Überwachung, mit der damals Heinrich Rotermund von der Senatskommission für Bauwesen und Stadterweiterung beauftragt wurde. Nicht von ungefähr boten die schmalen, manchmal schwer zugänglichen Wege, die Grundstücke mit mehreren Eingängen und die vorteilhafte Unübersichtlichkeit gegenüber der Stadt Raum und Schlupfwinkel für den antifaschistischen Widerstand, dem die Nazis vor allem mit Hetzkampagnen, Razzien, Verhaftungen und willkürlichem Abfackeln von Parzellenhäusern, in denen sie politisches Material vermuteten, versuchten beizukommen. Trotzdem wurde die Widerstandsarbeit bis zum Kriegsende praktisch aufrechterhalten. Flugblätter wurden mit Linolschnitten hergestellt, bevor Druckmaschinen da waren, Schreibmaschinen, deren Klappern im Kleingartengebiet natürlich schneller unterging als in den großen Mietshäusern, im gemauerten Misthaufen versteckt, heimliche Treffen in den Gartenlauben abgehalten. Von den Nazis gefasst wurden die AntifaschistInnen meist erst bei der Verteilung der Flugblätter in den Arbeitergegenden Walle und Gröpelingen.

(Daß Parzellengebiete und das Waller Fleet mittlerweile nicht mehr kommunistische oder antifaschistische Hochburgen sind, wird, angesichts der Mythen, die sich auch so hübsch in diversen Geschichten und Büchern (4) verbraten lassen, ganz gern ausgeblendet. Tatsache ist aber, daß noch immer ab und an Reichskriegsflaggen gehißt werden, Faschotrupps im Auto durch die Gegend fahren, Etablissements wie das Gasthaus "Zur Guten Gemeinschaft" seinen KundInnenstamm aus diesem Klientel rekrutieren. Damit können aber etliche KleingärtnerInnen wohl ganz gut leben. Der Anteil an den DVU-Stimmen bei den Bürgerschaftswahlen 1991 und 1995 betrug bei 120 im Gebiet gemeldeten Personen nicht von ungefähr um die 16%.)

Im Krieg schließlich waren die Gärten aber auch Orte des praktischen Überlebens und als die Stadt weitestgehend zerstört war, boten die Parzellengebiete für die Wohnungslosen und Ausgebombten die erste Möglichkeit, zumindest vorübergehend Unterkunft zu finden. Für viele wurde das vorübergehende Wohnen im nur notdürftig winterfest gemachten Häuschen zur dauerhaften Behausung, und so blieben nach dem Krieg, legitimiert durch das Kaisen-Recht, Tausende im grünen Gürtel der Stadt.


Bremer Extrawurst?

Zu Hochzeiten der folgenden Jahre lebten im Bremer Stadtgebiet bis zu 70.000 Menschen "auf Parzelle". Im Vergleich zu Hamburg oder Kiel, in denen in den Kleingärten ab 1950 nur noch vereinzelt oder gar nicht mehr gebaut wurde, erlebte Bremen von Kriegsende an einen unglaublich hohen zahlenmäßiger Aufschwung in der Bebauung. Dies erklärt sich aus einem zumeist grundsätzlichen Bauverbot in den meisten anderen Städten, zu dem sich die Behörden Bremens bis 1955 nicht entschließen konnten (anschließend allerdings haben die ersten Bereinigungswellen bis auf wenige Ausnahmen hinter der Erdbeerbrücke, an der Neuenlanderstrasse, in Woltmershausen und eben im Waller Fleet das Leben im Grünen weitestgehend beendet).

Dazu kommt, daß unter anderem in Hamburg relativ zügig damit begonnen wurde, die "Behelfswohngebiete" in "seriöse" Wohnsiedlungen umzuwandeln. In Bremen zog sich die Fertigstellung von Massenwohngebieten wie Tenever und der Neuen Vahr/ Blockdiek länger hin.

Nicht nur der Zustand des Viertels, in dem angesichts der zunehmenden "Verwahrlosung" dringend breitflächige "Objektsanierung" und eine "Verbesserung der Sozialstruktur" angeraten schienen, führte zur Neukonzeptionierung städtischer Bevölkerungspolitik in den frühen 70er Jahren. Denn abgesehen von baulichen Maßnahmen gehört zur prestigewirksameren Gesamtansicht auch die Verdrängung bestimmter Menschengruppen aus den imageträchtigen Gebieten, am besten unter Zuhilfenahme einer Ordnungspolitik, die rigoros und gründlich vorgeht und ganz nebenbei die verantwortlichen PolitikerInnen als ÜberbringerInnen einträglicher Zukunftsvisionen dastehen läßt.

Da sind gallische Dörfer gänzlich unangebracht und somit schien auch ein neuer Umgang mit dem unübersichtlichen Gebiet im Waller Fleet und seinem weiter angewachsenen unkontrollierbaren Bevölkerungsgrüppchen angesagt. Aber trotz der Forderung seitens der Stadt kam die Behörde nicht in die Gänge, und es wurde weiter gewohnt, gebaut, gegärtnert.

Was der Moderator des "Sanierungsbeirats Waller Fleet" Peter Kudella in seiner Tischvorlage vom 15.1.2002 zum "Abschluß einer Rahmenvereinbarung" mit "fehlendem politischen Handlungswillen" bezeichnet, meint im Grunde nichts anderes als zwei Jahrzehnte behördliches Herumlavieren. Nicht ganz falsch mag allerdings seine Einschätzung sein, daß in der Baubehörde die Annahme, das Problem werde sich im Lauf der Zeit von selbst erledigen, vorgeherrscht haben muß - zumindest dann, wenn auch BausenatorInnen und SachbearbeiterInnen mal in Ruhe ihren Feiertagskaffee auf der Terrasse im Vereinshaus schlürfen wollen.

Da frische Luft aber bekanntlich gut tut, wollten die BewohnerInnen im Waller Parzellengebiet einfach nicht weniger und noch um einiges älter und mehr werden. Von dem eher willkürlichen und noch recht vereinzelten behördlichen Vorgehen gegen sogenannte "Schwarzbauten" ließ sich schon gar niemand abschrecken und schließlich galt immer noch das Kaisen-Wohnrecht. Ob es dann 1974 einem eifrigeren Amtsmenschen zu bunt wurde oder sich die Behörde von den Beschwerden vom Abriß Betroffener (mitunter sicher recht traditionell und weniger solidarisch als beim Hochziehen von einigen Häuschen innerhalb von 2-3 Tagen:"Warum denn nun ich und nicht Nachbar xy?") genötigt sah zu handeln, ist hier nicht mehr nachzuvollziehen und wohl auch egal.


Was geschah nach 1974? Geschah was?

Am 28. Mai 1974 erging die Dienstanweisung 268, die endlich die Verhältnisse ordnen sollte. In ihr wurde ein "Auswohnrecht" für die sogenannten KaisenbewohnerInnen festgeschrieben und die Stadtgemeinde dazu angehalten, von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch zu machen - um damit und unter Zuhilfenahme anderer "weicher" Maßnahmen langfristig eine Bereinigung zu erreichen.

Jedoch - War der vielbeschworene Hauch der 70er ganz laissez-faire auch ins Bremer Bauordnungsamt gezogen? - Tatsache ist jedenfalls, daß sich auch nach dieser Verfügung das widersprüchliche, gar "inkonsequent" zu nennende Handeln und Vorgehen gegen die ParzellistInnen nicht maßgeblich veränderte. Weiterhin wurden bis in die 90er Jahre hinein einzelne BewohnerInnen rechtlich belangt, tatsächliche Kriterien waren dafür hingegen nicht erkennbar. Die massive Wohnungsnot der 80er Jahre mag ein Grund gewesen sein und es daraus folgend natürlich politisch unklug, den ohnehin knappen Wohnraum noch weiter zu begrenzen. Nichtsdestotrotz wurde auch zu Beginn der 90er keine Neuregelung geschaffen. Die Behörde tobte sich vorerst am Weidedamm aus und setzte klare Maßstäbe hinsichtlich des weiteren Umgangs mit "rechtsfreien Räumen".

1994 schließlich sah sich das Oberverwaltungsgericht bemüßigt, das Vorgehen des Amts zu bemängeln und forderte in dem im weiteren vielzitierten Urteil die Beendigung dieser "regellosen Zustände", formulierte allerdings weder ein "Bereinigungsziel", daß den Abriß aller größeren Gebäude vorgab, noch ein konkretes Konzept für die Vertreibung, wie sie die derzeitige Politik der Behörde forciert.

Somit ist der momentane Argumentationsgang der BewohnerInnenfraktionen, die in den letzten Jahren recht vielfältigen Widerstand initiiert haben, nicht von ungefähr auf dieses Urteil ausgerichtet.

Juristisch betrachtet unbestreitbar ist die Tatsache, daß in diesem OVG-Urteil Handlungsbedarf behördlicherseits eingefordert wird. Allerdings wird die Problematik dort weitaus differenzierter betrachtet, als es vielleicht zu erwarten gewesen wäre. So empfiehlt das Gutachten, daß das Urteil stützt, zum Beispiel zu prüfen "in welchem Umfang sich aus den auf dem Kaisen-Erlaß beruhenden Genehmigungen schutzwürdiges Vertrauen für die Bewohner oder deren Rechtsnachfolger gebildet hat oder in der Tendenz Anhaltspunkte für die Fortsetzung der Wohnnutzung nach § 18 II BkleinG (Bundeskleingartengesetz) vorhanden sind". Das heißt, daß es durchaus im Ermessen der Stadtgemeinde Bremen liegt, ein Konzept für Bebauung und Wohnen zu entwickeln, das der Situation der NutzerInnen und BewohnerInnen entspricht. Darum geht es den Behörden natürlich genauso wenig wie vor 10 oder 30 Jahren. Was nicht alle wissen, weil es bis heute wohl auch nur Henning Scherf in einer seiner schwachen bürgernahen Minuten zwischen den Zähnen herausgepreßt hat: langfristig werden die Gebiete am Waller Fleet mit Sicherheit städtischen Bebauungsplänen zum Opfer fallen. Kompromisse, wie sie teilweise an der Munte mit der Umsiedelung der KleingärtnerInnen getroffen wurden, kurz bevor die Technologiepark-Erweiterung daherkam, sind wohl kaum zu erwarten. Spekuliert wird nicht nur mit dem anzunehmenden Unmut potentiell Geduldeter, der sich angesichts von Industrie- und Konsumbelustigungsgebieten gegenüber der Kaffeetafel aufbauen wird. Auch die Grundstücksspekulanten sind schon unterwegs, kaufen reihenweise Parzellen auf und lassen sie bis auf weiteres verwildern - Abrißbagger kommen bekanntlich auch durch das wildeste Brombeergestrüpp. Daß genau diese Parzellen dann mit Vorliebe herangezogen werden, wenn es um die Beweisführung der Stadtverordneten geht, die von Verwahrlosung, illegalen Müllkippen, Abwasserverklappung, Öllagerung und sonstiger Feuergefahr daherseiern, macht die Angelegenheit noch ein wenig perfider. Daß tatsächlich nicht nur Spekulanteneigentum verfällt, sondern auch manche, im baufälligen Zustand gekaufte und oft bereits mit Renovierungsplan versehene Parzelle, ist logischerweise der Tatsache geschuldet, daß sich nicht mal der zuversichtlichste Freak ein neues Dach baut, wenn anzunehmen ist, das just zum Zeitpunkt der Fertigstellung die Baubehörde am Gartentor winkt und von illegal überdachter Fläche spricht. Aus dem gleichen Grund fallen wohl auch immer mehr Häuser ganz überraschend dem "heißen Abriss" zum Opfer, um wenigstens noch Versicherungsgelder abzukassieren.


Ab wann ist ein Gartenhaus ein Gartenhaus?

Die erlaubte Quadratmeterzahl für bebaute Fläche (inklusive Geräteschuppen, Vordächern, Hühnerställen, etc.) beläuft sich derzeit auf ganze 24. Das reicht meist grade noch für die Single-Küche und für die in Bremen durchaus angebrachte Terassenüberdachung - wohnen kann und soll dann ja da auch niemand mehr.

Daß dennoch viele der Häuser auf den 1211 Parzellengrundstücken im Waller Fleet eine größere Grundfläche haben, liegt natürlich zum einen daran, daß mit nachbarschaftlicher Billigung und oft auch tatkräftiger Unterstützung über Jahrzehnte hinweg einfach gebaut wurde, was das Zeug hielt. Solange keine konkrete Bedrohung im Raum stand bzw. das Vertrauen auf Nichtentdeckung groß genug war, kann das ja gut gehen. Zum anderen wird der schon erwähnte 28. Mai 1974, der mit der Dienstanweisung 268, nicht nur als Neubeginn des zuvor unterlassenen behördlichen Vorgehens gehandelt, sondern auch als Stichtag, bis zu dem es im nachhinein mit etwas Glück legitim war, größer zu bauen als auf 24 qm.

Genau dieser Stichtag ist, wenn auch bautechnisch für einige wenige von Vorteil, außerdem nun der Zeitpunkt, auf den sich die Behörde jetzt bezieht, wenn es um die zukünftige Bereinigung geht.

Im sogenannten "Kompromißpapier" wird vorgeschlagen, allen denen, die vor diesem Zeitpunkt in eins der Häuser eingezogen sind, das Wohnen darin bis zum Lebensende zu gestatten. Alle Übrigen haben sich bis 2004 bzw. bis zum Ende dieses Jahres (letzteres betrifft diejenigen, die nach 1995 ins Gebiet gezogen sind) eine neue Bleibe zu suchen. Großzügig sollen Abrißkosten (je früher desto mehr von den 4 Millionen Euro) und Umsiedelung bei sozialer Härte übernommen werden. Die etwas wohlhabenderen "Bereinigungverdrängten" sollen sich gar was Neues bauen dürfen - zum Beispiel im möglichen neuen Bebauungsgebiet am Hagenweg - wo kurz vorher noch Parzellen und Gärten angelegt waren.


Widerstand ist machbar, Frau Nachbarin

Pech nur, daß dieses, manchem Spießbürger womöglich gar nicht so unattraktiv erscheinende, Angebot ganz und gar nicht auf Gegenliebe stößt. Noch stehen die Mistgabeln, die schon so manchen Bauordnungsamtschnüffler unsanft aus dem Garten begleitet haben, momentan eher an ihrem ursprünglich zugedachten Platz. Das mag auch daran liegen, daß sich schon lange keine BausenatorInnen mehr ins Gebiet gewagt haben - der Letzte kam und ging unter Polizeischutz

Die wilden 90er haben auch sonst noch einige Nähkastengeschichten hervorgebracht. So wurde 1995, kurz nachdem sich mit dem OVG-Urteil die Maschinerie der Behörde in Gang setzte und sich auch der dagegen gerichtete Widerstand formierte, regelrecht militant eine Begehung durch das Bauordnungsamt von mehreren Dutzend ParzellistInnen verhindert. Großen Aufruhr hat auch ein damals angestrebter "Sozialplan" der Baubehörde ausgelöst, in dem anhand von Fragebogen- und regelrechten Bespitzelungsaktionen festgestellt werden sollte, welche Menschen, wie, wo, wann im Garten hausen. Anschließend sollte in Zusammenarbeit mit der "Bremischen" (nach der GEWOBA größte städtische Wohnungsbaugesellschaft und in den 70ern extra vom Senat zur Regelung in Sachen Stadterneuerung und Stadtentwicklung gegründet) die zukünftige Unterbringung in Sozialwohnungen geregelt werden. Die gab das heiße Eisen allerdings schnell wieder ab.

Nach diesen und anderen Mißerfolgen hat es dementsprechend ein paar Jahre gedauert, bis sich die Behörde neue Umsetzungsmöglichkeiten der Bereinigungspläne ausbaldowert hat. Die Schiene, auf der sie nun seit dem Jahr 2000 fährt, ist, wie es aussieht, nicht gar so aussichtslos - operiert sie dabei doch mit der, der geschätzten LeserInnenschaft sicher nicht ganz unbekannten, Spaltungstaktik.

Was oder wer sich zuvor alles unter "Widerstand" subsummiert hat, war tatsächlich eine wilde Mischung aus "Anarchie und Spießbürgertum". Auch wenn sich selbstverständlich hoffnungslos übereinander aufgeregt wurde, der Rasen dort zu hoch, das Haus da einfach nur langweilig und sein Besitzer es ohnehin war und durchaus auch politische Differenzen miteinander ausgetragen wurden - nichtsdestotrotz haben sich die meisten in ihrer gemeinsamen Wut auf die Behörde miteinander arrangiert.

Daß von verschiedenen Seiten "organisiert" wurde und die Interessenlage eben durchaus klafft, kommt allerdings erst jetzt wirklich zum Tragen. Da ist zum einen die "Interessengemeinschaft der Parzellenbewohner und Gartengrundstückseigentümer" (IG), zumeist auftretend in Person von Walter Polz, altem SPDler und mit seinen Positionen mittlerweile Vertreter der, gelinde gesagt, konservativen Fraktion. Erste Forderung hier ist die nach dem Wohnrecht im Parzellengebiet - aber nicht für alle. Nur wer mühsam und brav geackert oder glücklich als "Kaisenkind" geerbt hat, soll weiter von der Hollywoodschaukel aufs Eigenheim schauen dürfen.

Auf der "anderen" Seite agiert der Verein "Gartenwohnkultur e.V.", in dem die eher jüngeren, dem alternativen BewohnerInnenspektrum angehörenden, ParzellistInnen dafür eintreten, daß schon auch gegen wilde Bebauung und Nutzung vorgegangen wird, aber vor allem eine neue Stichtagsregelung her muß, tatsächliche Alternativen im Status für alle BewohnerInnen geschaffen werden und sich Bestands- und Gebietschutz durchsetzen müssen, anstatt daß plattgebaggert und umgesiedelt wird. Die Vielfalt des Gebiets erhalten, Wohnrecht für alle und die angemessene Auslegung des OVG-Urteils bleiben die Forderungen, zusammengefaßt in einem "Handlungskonzept zum Waller Fleet", das die Initiative vorgelegt hat .

Beide Vereine berufen sich in ihrem derzeitigen Kampf gegen die Behörde auf das Gutachten des Verwaltungsrechtlers Bernhard Stüer aus Münster. Dieser hat ein weiteres Mal das OVG-Urteil von 1994 geprüft, bestätigt die tatsächlichen Spielräume der Behörde, die einen neuen Stichtag definitiv hergeben würden (die Forderung des Gartenwohnkultur e.V. sieht den 9.11.2000 als erneuten Beginn des Verwaltungshandels an und damit auch als einzig akzeptablen Stichtag), und damit auch das offensichtlich politische Kalkül und Interesse der Stadt, der es nur darum gehen kann, mit einem ´74er Stichtag die Alten, die bleiben dürfen, so nach und nach "in Frieden" wegsterben zu lassen und das Gebiet quasi in ein paar Jahren auf ganz "sozialverträgliche" Art und Weise sich leeren zu sehen.

Peter Kudella, als "Moderator" des Runden Tischs, an dem die derzeitigen Mitglieder des "Sanierungsbeirats" zusammenkommen, personifiziert für die Aktiven berechtigterweise die Behörde. Auch wenn die Stimmverteilung am Runden Tisch ohnehin aufdeckt, daß das Ganze nur als Farce bezeichnet werden kann (bei 13 stimmberechtigten Mitgliedern kommen gerade zwei auf die VereinsvertreterInnen, deren Position weitestgehend nur noch von der Grünenabgeordneten Karin Matthes geteilt wird, die dementsprechend ihre Stimme bis jetzt immer zugunsten der FleetbewohnerInnen abgegeben hat), setzt er gezielt darauf, die "IG" auf seine Seite zu ziehen. Das ist aufgrund der Lobby, die hinter Polz steht und damit das behördliche Handeln öffentlich untermauern würde, nachvollziehbar, aber wahrscheinlich nicht einmal nötig, kommt doch die zu erwartende Entscheidung Walter Polz und seinem Verein ganz zupaß. Schließlich sind die meisten von ihnen schon vor 1974 ins Gebiet gezogen, Polz selbst ist noch Kaisenwohner der zweiten Generation. Mit "Nach uns die Sintflut" wird also am 16.April im "Landheim Walle" der 28. Mai 1974 als Stichtag geltend gemacht werden und sogar, wie praktisch, mit Unterstützung von Teilen der BewohnerInnen. Was danach kommen wird, ist so klar wie unklar. Noch verhalten sich viele potentiell Betroffene still - noch immer in der Hoffnung, der Kelch möge an ihnen vorübergehen. Ein Mitglied des Vereins Gartenwohnkultur hat den ersten und als Präzedenzfall erhofften Prozeß gegen die Behörde, die ihn auf Abriß verklagt hat, verloren. Politisch ist keine Unterstützung zu erwarten, und sich darauf zu berufen, moralisch im Recht zu sein, hat noch keine Behörde zum Einlenken bewegt.


Nachtrag
Alles erwartungsgemäß: der Runde Tisch am 16. April 2002

Auch wenn die Gartenzwerge trommelten, bis die Fensterläden am Landheim Walle geschlossen werden mussten - kein Lärm, keine Musik, keine 100 DemonstrantInnen, die dem Aufruf "Protest - kein Abriss des Waller Parzellengebiets" gefolgt waren, konnten aufhalten, was unaufhaltbar war: den beschlossenen Stichtag 28. Mai 1974 und damit den Abriss von mindestens 120 Häusern, die Räumung deren BewohnerInnen. Was sonst noch draufgehen kann, inklusive - abgesehen von diversen Stechmückenarten und Heuschreckenfamilien. Denn auch Walle ist keine Insel (mehr) und welche aus den Ereignissen am Weidedamm noch nicht schlau genug geworden sind und den Kopf lieber ins Salatbeet gesteckt haben, können spätestens jetzt sicher sein: Bremen neu erleben heißt Bremen erleben ohne Imageprobleme, ohne Dreck und seine VerursacherInnen, ohne bürgerliche Unsicherheiten und ohne - auch wenn manch einem das "Unerwünscht"-Gefühl mal ganz gut tut - dickköpfige Laubenpieper auf rumpligen, matschigen Parzellen.


Franka Wolf


Anmerkungen:
(1) Insgesamt soll jede vierte der 1211 Parzellen im Waller Fleet bewohnt sein.
(2) Meint: die Behörde führt sogenannte "Begehungen" durch, also Kontrollgänge im Gebiet, offiziell mit Ankündigung bei einzelnen ParzellennutzerInnen, manchmal auch nicht, gern mit Fernrohr und Zollstock.
(3) Dieses erlaubte den Menschen durch den "erheblichen Ausfall von Wohnungen durch den Krieg" das Umsiedeln in die Kleingartengebiete, den Bau neuen und die Vergrößerung bereits bestehenden Wohnraums. Es räumte der ersten Generation und der nachfolgenden, bis 1955 geborenen, Wohnrecht auf Lebenszeit ein.
(4) Zum Beispiel in "Die Wiederkehr der Gärten" von E. Meyer-Renschhausen und A. Holl, StudienVerlag, 2000 (Recherche aus den Bremer Kleingärten von I. Buck).
 


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kombo(p) - 25.07.2002