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cm, Konstanz 06. 09. 99

Frankfurt, 28. Oktober 1985: Polizei tötet Antifaschisten

Die NPD will mit einer Veranstaltung im Frankfurter Arbeiterviertel Gallus ihren Bundestagswahlkampf eröffnen, einem Stadtteil, wo sehr viele AusländerInnen wohnen. Ein breites antifaschistisches Bündnis ruft zu einer Gegen-Demonstration auf. Vielen Menschen geht es dabei nicht nur darum, ihre antifaschistische Gesinnung zu bekunden, sondern auch um die aktive Isolierung der Faschisten. Der Eingang des Veranstaltungssaales wird blockiert, um den BesucherInnen der NPD-Veranstaltung den Zugang zu erschweren. Die Polizei greift an und versucht die DemonstrantInnen zu vertreiben. Sie setzt Schlagstöcke und schwere Wasserwerfer ein. Bei der Verfolgung der DemonstrantInnen wird einer von dem Hochdruck-Strahl des Wasserwerfers getroffen. Der Demonstrant taumelt, versucht sich zu fassen, wird jedoch von dem Fahrzeug, in dessen Suchscheinwerfer er ist, erfaßt und überrollt. Es ist der 36-jährige Günter Sare, Arbeiter und Vorstandsmitglied im ältesten Frankfurter Jugendzentrum, dem JUZ Bockenheim. Er stirbt an Ort und Stelle.

Bundesweite Proteste wegen der Ermordung von Günter Sare

Der Tod von Günter Sare löst eine Welle des Protestes aus. Es gibt kaum eine mittelgroße Stadt in der BRD, in der sich nicht spontaner Zorn und Trauer in den Tagen danach unmittelbar entladen, so auch in Konstanz. Bereits am Abend des Todes von Günter Sare findet eine spontane Protestkundgebung statt. Am Samstag , den 5. November folgt eine zweite Kundgebung auf dem Obermarkt.

Protestkundgebung in Konstanz

Aufgerufen zu der Protestkundgebung haben der ASTA der Universität Konstanz, die Alternative Liste und die Volksfront. Etwa 40 Menschen beteiligen sich an der Kundgebung, auf der angesichts steigender faschistischer Hetze, wachsender staatlicher Unterdrückung und zunehmendem Polizeiterror gefordert wird: "Uneingeschränkte Demonstrations- und Versammlungsfreiheit, Schluß mit dem Polizeiterror, Verbot der NPD und aller anderen faschistischen und neofaschistischen Organisationen."

Auf mitgeführten Transparenten wird insbesondere die Rolle der Polizei bei dem Tod von Günter Sare angegriffen: "Knüppelorgie der Polizei - Staatlicher Alltag -Machtausübung" sowie "Polizisten schützen die Faschisten".

Staatsanwaltschaft klagt Antifaschisten wegen Spontandemo an

Die Kundgebung mit anschließender Spontandemo hat Folgen. Einer der Versammlungsteilnehmer wird von der Konstanzer Staatsanwaltschaft wegen "Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz" angeklagt. Sie wirft ihm vor: "Er habe somit als Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung durchgeführt."

Breite Proteste gegen Anklageerhebung

Alternative Liste, Uni-ASTA und Volksfront protestieren in einer gemeinsamen Erklärung scharf gegen diese Kriminalisierung eines Antifaschisten: "Wir wenden uns mit aller Entschiedenheit gegen diesen Prozeß und verlangen die sofortige Einstellung des Verfahrens gegen Christoph B. Wir können nicht akzeptieren, daß dieser Staat sich schützend vor die Veranstaltungen der Faschisten stellt, sie ungehindert zu Wahlen kandidieren und ihre Propaganda betreiben läßt.

Wir können nicht akzeptieren, daß dieser Staat im gleichen Moment sein Strafgesetz wie in diesem Fall gegen die Versammlungsfreiheit demokratischer und antifaschistischer Menschen und Organisationen in Bewegung setzt.

Wir wissen, daß den Konstanzer Behörden die Aktivitäten neofaschistischer Gruppen und Personen bekannt sind und diese nichts dagegen unternehmen, wenn ausländische Menschen bedroht und verprügelt werden, wenn faschistische , ausländerfeindliche Hetze betrieben wird oder wenn Waffen und Sprengstoffe in den Händen von Faschisten sichergestellt werden.

Wir wissen jetzt aber, daß diese Konstanzer Staatsgewalt aktiv wird, wenn Antifaschisten öffentlich gegen faschistische Aktivitäten mobilisieren und das Verbot all dieser Organisationen fordern."

Ebenso fordern der Kreisverband der Grünen, die DFG-VK, der Landesverband der Verfolgten des Nazi- Regimes sowie die Ortsgruppe dieser Organisation in Schreiben an die Vorsitzende Richterin Schretzmann und Staatsanwalt Renz die sofortige Einstellung des Verfahrens.

Eröffnung des Verfahrens 54 Jahre nach der Machtübergabe an die Faschisten

Das Verfahren wird dennoch eröffnet und zwar am 30. Januar 1987, makabrerweise am 54. Jahrestag der Machtübergabe an die Faschisten. Die VVN hierzu in ihrem Protestschreiben: "Vor genau 54 Jahren konnte ein Regime die Macht an sich reißen, weil zu wenige demonstrierten. Das Ergebnis: Halb Europa wurde zerstört, 55 Millionen auf den Schlachtfeldern, in KZ's und Luftschutzkellern ermordet, weil viel zu wenige gegen diesen Machtantritt protestierten und demonstrierten."

"Staat ist am Schutz faschistischer Gesinnung gelegen"

Der Prozeß wird von 40 Menschen verfolgt. Der angeklagte Antifaschist Christoph B. weist in seiner Prozeßerklärunnochmals auf den Hintergrund des Verfahrens hin: "Günter Sare wurde getötet, weil er in den Augen dieses Staates im Unrecht war, wenn er gegen faschistische Propaganda protestiert und das Verbot solcher Organisationen fordert. Man muß festhalten, dieser Staat ist nicht den Faschisten in den Arm gefallen oder hat ihnen das Wort verboten, wenn sie unter dem Geschrei "Deutschland den Deutschen" zur Jagd auf ausländische Arbeiter und politische Flüchtlinge aufrufen und diesem Aufruf Folge leisten. Den Faschisten wird nicht verboten, wenn sie zur militärischen Eroberung "deutscher Ostgebiete" hetzen.

Nein, im Gegenteil. Dieser Staat hat nicht nur in Frankfurt bewiesen, daß ihm am Schutz - milde ausgedrückt - daß am ihm Schutz faschistischer Gesinnung gelegen ist."

Er fordert das Gericht auf, dieses Verfahren einzustellen und statt dessen folgende Fragen zu prüfen:

"- sollen faschistische Organisationen nach Art. 139 Grundgesetz und Kontrollratsrecht verboten werden

- sollen ausländische Arbeiter und politische Flüchtlinge dadurch geschützt werden, daß faschistischer und reaktionärer Hetze Einhalt geboten wird

- sollen sie dadurch geschützt werden, indem ihnen gleiche Rechte und uneingeschränktes Recht auf Asyl gewährt wird

- sollen faschistische Kräfte auch in Konstanz weiter die unangefochtene Möglichkeit haben, ausländische Arbeiter, politische Flüchtlinge und Andersdenkende zu bedrohen oder gar zu verprügeln.

- sollen diese faschistischen Kräfte die Möglichkeit haben, Waffen und Sprengstoffe zu besitzen."

Freisprach des angeklagten Antifaschisten mangels Beweisen

Christoph B. wird freigesprochen, da ihm nicht sicher nachzuweisen ist, "daß er als Leiter eine öffentliche Versammlung unter freiem Himmel ohne Anmeldung nach § 14 Versammlungsgesetz durchgeführt hat." Dies hat den Richter in der mündlichen Urteilsbegründung dazu bewogen, den Staatsschutz zu besseren Ermittlungen aufzufordern. Der verantwortliche Staatsschützer Lang äußert dazu als Zeuge in der Verhandlung, sie könnten nächstens die Faschisten auch mal auffordern, bei solchen Aktionen zu prügeln. - Was die vielbemühte Neutralität der Polizei nicht alles möglich macht.

Die Konstanzer Staatsanwaltschaft erleidet damit vorerst mit ihrer Absicht, der antifaschistischen Öffentlichkeit das Recht abzusprechen, sich spontan und unangemeldet zu versammeln, Schiffbruch. Sie hat der Argumentation der Verteidigung, daß erstens § 26 des Versammlungsgesetzes verfassungswidrig sei, zweitens der Angeklagte nicht zum Leiter einer Eilt-Versammlung bestimmt gewesen sei und drittens bei einer Spontanversammlung sowieso eine Anmeldung nicht erforderlich sei, nichts entgegenzusetzen.

Mörder von Günter Sare welter im Einsatz

Nachtrag: Winfried Reichert und Helwig Hampl, Kommandant und Fahrer jenes Wasserwerfers 9, der am 28.10.85 im Frankfurter Gallusviertel Günter Sare überrollte, werden am 1.3.88 von der Anklage der fahrlässigen Tötung freigesprochen. Einen Vorsatz hatte der Staatsanwalt von vornherein ausgeschlossen. Im Prozeß gegen die beiden Polizeibeamten bestätigt sich ein weiteres Mal, daß Polizeibeamte auch bei noch so brutalen Polizeieinsätzen keine strafrechtlichen Folgen zu befürchten haben. Ihre Kollegen sehen nichts, der Videotrupp der Polizei ist anderswo und selbstverständlich fällt just im entscheidenden Moment die Aufzeichnung des Funkverkehrs ebenso wie die Kamera des Wasserwerfers wegen eines technischen Defekts aus. Taucht dann doch noch ein Beweismittel von unabhängigen ZeugInnen auf, verschwindet es auf unerklärliche Weise - im besagten Fall ist es ein Bild von Günter Sare, 3 Sekunden, bevor er von dem Wasserwerfer überrollt wird. Es verschwindet in der Landesbildstelle in Hessen.

Die Angehörigen von Günter Sare haben Revision gegen diesen Urteilsspruch beim Bundesgerichtshof eingelegt. Bis heute ist über diesen Antrag auf Revision nicht entschieden.