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Stellungnahme des Plenums der Roten Flora zur Israel- Veranstaltung „Was ist hinter der Mauer“ vom 16.07.2012

Stellungnahme

2012-10-10

Am 16.07.12 fand in der Flora eine Informations- und Diskussionsveranstaltung mit einer israelischen Aktivistin mit dem Titel „Behind the Wall /Was ist hinter der Mauer ?“ statt.
Anhand von Zahlen, Fakten und Augenzeugenberichten wollte die Referentin aus Israel über die Situation der Palästineser_innen in Israel und im Westjordanland informieren. Sie ging auch kurz auf die aktuellen Sozialproteste und die Situation von afrikanischen Flüchtlingen in Israel ein. In dem Zusammenhang berichtete sie auch über Demonstrationen, die sie als rechts bzw. „faschistisch“ bezeichnete.
Im Nachhinein wurde die Veranstaltung sowohl von außerhalb als auch innerhalb der Flora massiv kritisiert. Die Kritik richtet sich sowohl gegen die inhaltliche Ausrichtung als auch an die organisatorische Durchführung. Wir sind nicht glücklich mit der Art und Weise des Zustandekommens der Veranstaltung und einige finden Teile des Verlaufs dieses Abends inakzeptabel. Wir halten es daher wichtig, als Plenum der Roten Flora dazu Stellung zu beziehen.

Idee und Wunsch zu der Veranstaltungen kam von der Referentin selbst und wurde im Vorfeld auf dem Plenum angekündigt. Zu allererst gab keine Personen, die sich für Moderation und Organisation einer solchen Veranstaltung bereit erklärten. Aus diesem Grund wurde die Organisierung der Veranstaltung vom Plenum ausgelagert und Einzelpersonen überlassen. Dazu muss selbstkritisch angemerkt werden, dass das Plenum zwar die Brisanz des Themas erkannte, aber nicht in der Lage war, einen Rahmen wie z.B. eine angemessene Moderation sicherzustellen.

Vor allem muss uns die Kritik selbst treffen, da trotz der geäußerten Bedenken die Veranstaltung so in dieser Form stattgefunden hat. Denn diesen Zweifeln lag die Befürchtung zugrunde, dass im Rahmen der Veranstaltung antiisraelische Positionen Raum bekommen, indem nicht die Regierungspolitik Israels Thema wird, sondern die Existenz des Staates Israel infrage gestellt wird. Gerade in den Hamburger Auseinandersetzung um die Blockade des Lanzmann-Films „Warum Israel?“ hat sich gezeigt, dass solche antizionistischen Argumentationsmuster immer noch Verwendung finden. Der Versuch, deshalb die Veranstaltung durch Moderator_innen zu begleiten, die sich dieser Problematik bewusst sind, wurde nicht mehr weiterverfolgt, nachdem die Organisator_innen mitteilten, es gäbe nun eine Moderation. Hier liegt rückblickend eine Ursache des katastrophalen Ablaufs des Abends begründet.

Unsere inhaltliche Kritik, die wir noch im folgenden ausführen, richtet sich in erster Linie nicht an die Referentin, deren Position die einer Kritikerin ihres eigenen Staates Israels ist. Es hätte aber in der Verantwortung der Organisator_innen der Veranstaltung gelegen, sich über Ausrichtung der Veranstaltung zu informieren. Das hätte bedeutet, dass sich die Organisator_innen über die Wirkung einer solchen Veranstaltung innerhalb des spezifisch deutschen Kontextes hätten Gedanken machen müssen. Das war aber im tatsächlichen Verlauf der Veranstaltung nicht erkennbar.
Ziel und Ausrichtung dieser Veranstaltung war es nämlich nicht, einen Versuch zu unternehmen, die komplexe Situation in Israel und den palästinensischen Autonomiegebieten einzuordnen und wo nötig auch die israelische Politik neben einer Auseinandersetzung mit den weiteren Gruppierungen und Akteur_innen zu kritisieren.
Stattdessen bewahrheitete sich die Befürchtung, dass ein faktisches Ergebnis der Veranstaltung die Delegitimierung Israels war.
Wir wollen einer linken israelischen Aktivistin nicht vorwerfen, dass ihre politischen Analysen und ihre Schlussfolgerungen daraus nicht denen entsprechen, die wir vertreten. Einen politischen Gewinn in der inhaltlichen Ausrichtung der Veranstaltung seitens der Referentin, die eher der Dramaturgie einer anti-israelischen Propagandaveranstaltung folgte, sehen wir aber nicht. Im Ergebnis wurde mindestens aus Fahrlässigkeit ein linker israelischer Sprechort als Alibi und vermeintlich objektive Bestätigung deutscher antiisraelischer Position zur Instrumentalisierung angeboten. So dienten weder die von der Referentin angeführten Zahlen, Augenzeugenberichte und Bilder einer Einordnung ihres Berichts in einen Gesamtkontext, noch ging sie in irgendeiner Weise auf die Bedrohung Israels durch seine Nachbarstaaten und auf dem Gebiet Israels operierenden antisemitischen Terrororganisationen ein. Alle sicherheitspolitischen Maßnahmen Israels verkamen so zu einem Selbstzweck, um die palästinensische Bevölkerung zu unterdrücken. Auf die Frage, ob es für die Referentin als bekennende Anarchistin nicht ein Problem darstelle, mit Lokalräten zusammenzuarbeiten, in denen auch die Hamas vertreten ist, die ja nun nicht gerade für selbstorganisierte und aufgeschlossene Strukturen steht war die Antwort der Referentin, dass dies für sie kein Problem darstelle, denn sie habe Freunde bei der Hamas. Überhaupt war ihre Aussagen zur Hamas fragwürdig: sie halte die Hamas durchaus für faschistisch, aber keinesfalls für antisemitisch, was sie u.a. damit begründete, dass die Hamas mit (orthodox-fundamentalistischen) Rabbinern zusammenarbeite. Angesichts der nach wie gültigen explizit antisemitischen Charta der Hamas aus dem Jahre 1988 und der Tatsache, dass seit der „Al-Aqsa-Intifada“ Hamas-Aktivisten insgesamt 425 Anschläge verübten, bei denen 377 Israelis getötet und über 2000 verletzt wurden, eine abenteuerliche Haltung. Die Hamas jedenfalls als potentiellen Bündnispartner darzustellen und nicht als das zu kritisieren, was sie ist - nämlich eine fundamentalistische, islamistische, nationalistische und antisemitische Organisation - ist absolut nicht hinnehmbar.
Zu diesen Ausagen der Referentin haben sich weder die Moderation noch die Organisator_innen verhalten.

Aus unserer Sicht ist aufgrund des Ablaufs und der völlig unkommentierten inhaltlichen Ausrichtung der Veranstaltung der größte Fehler, dass sie in der Form überhaupt in der Flora stattfinden konnte. Eine Kritik an Israel, die den Antisemitismus und die reale Bedrohung Israels nicht berücksichtigt, hat gerade in dem Land der Täter_innen und der Verantwortlichen für Auschwitz nichts zu suchen und hat die Funktion einer generationenübergreifenden Schuldabwehr für die begangenen Taten. Dies gilt umso mehr, als dass antizionistische Positionen in der deutschen Linken in diesem Kontext historisch längst als eine Form eines spezifischen linken Antisemitismus hinlänglich analysiert und erkannt sind. Eine Veranstaltung, die so eh existierende antiisraelische Stimmung anheizt, darf gerade in Deutschland und vor allem nicht in einem linken Zentrum stattfinden. Unabhängig davon, was die eigentliche Intention der israelischen Aktivistin gewesen sein mag, bediente ihr Vortrag die Reproduktion antiisraelischer bzw. antisemitischer Ressentiments von Teilen des Publikums. So war es auch nicht verwunderlich, dass sich im Publikum verschiedene Einzelpersonen und Mitglieder verschiedener Gruppen befanden, von denen sich die Flora bereits in der Vergangenheit mehrfach distanziert hat.

Abgesehen von der inhaltlichen Ausrichtung des Vortrags geht die Kritik an die Moderation und Organisation des Abends.

Dass die Moderation weder einen Redebeitrag aus dem Publikum, in dem der Holocaust geleugnet wurde, noch die oben zitierte Aussage der Referentin bezüglich der Hamas kritisierte, bezeugt, dass sich die Organisator_innen im Vorfeld zu wenig mit dem Thema Antisemitismus auseinandergesetzt haben, mindestens aber nicht inhaltlich darauf vorbereitet waren, sich dazu zu verhalten. Auch die Tatsache, dass einer möglichen Diskussion von Anfang an keinen Raum gegeben wurde, da Fragen nur schriftlich eingereicht werden durften, die die Referentin dann nur selektiv beantwortete, ist schärfsten zu kritisieren. Auch wenn das dem Versuch geschuldet gewesen sein mag, die Übersetzungsarbeit zu erleichtern, wurden dadurch strittige Behauptungen ihrerseits, wie z.B. die Hamas sei nicht antisemitisch und dass Antisemitismus und Antizionismus zwei verschiedene Paar Schuhe seien, nicht mehr kritisierbar.
Ein weiterer Punkt an dem die Veranstalter_innen hätten einschreiten müssen, sind die auf den Flyertischen ausgelegten BDS- Flyer ( „Boycott, Divestment, Sanction“ ), in denen zum Boykott Israels und israelischer Waren aufgerufen wird.

Aus alledem ergibt sich abschließend für uns, dass die Veranstaltung, so wie sie gelaufen ist, in der Flora nicht hätte stattfinden dürfen. Veranstaltungen in denen antisemitische Positionen bekräftigt werden bzw. die dazu führen, Israel zu delegitimieren oder in denen die Zusammenarbeit mit fundamentalistisch religiösen Kräften rechtfertigen, wollen wir in der Flora keine Plattform bieten Die Verselbständigung und Bestärkung eines dämonisierten Bildes Israels in der deutschen Linken, die die drastischen Darstellungen der Referentin als Spachrohr für jene Aussagen nutzen, die sie selber nicht sagen „dürfen“, lehnen wir als Projekt strikt ab.

Plenum der Roten Flora
Oktober 2012