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Eurhythmie? Auf die Füße treten!
Pressemitteilung vom 19.06.2001 der Roten Flora
Kretschmer, die Stadt, der Standort und Gentrification


In den letzten zwei Monaten ist Klausmartin Kretschmer zur Zielscheibe von Kritik aus verschiedenen Richtungen geworden. Uns ist es wichtig klarzumachen, dass es verkürzt wäre, die Kritik allein auf Kretschmer als Person zu richten. Stattdessen muss gesehen werden, dass sich seine privaten ökonomischen Interessen mit den StandortInteressen der Stadt überschneiden und er gerade deshalb von der Stadt protegiert wird. die Stadt, der Standort und Gentrification
Eines der primären Ziele städtischer Politik ist heute die Sicherung und Aufwertung des eigenen Wirtschaftsstandorts. In einigen für den neoliberalen Standortwettbewerb zentralen Wirtschaftszweigen gehen Arbeit und Leben/Freizeit immer mehr ineinander über bzw. liegen geografisch näher beieinander. Dadurch gewinnen gegenüber den harten Standortfaktoren wie Gewerbesteuern, städtischen Subventionen und Infrastruktur besonders in Metropolen wie Hamburg weiche Standortfaktoren wie Kulturangebot, Gastronomie, Urbanität immer mehr an Gewicht. Diese weichen Standortfaktoren sind dabei allerdings nur insofern interessant, als sie ein ganz bestimmtes Klientel ansprechen, nämlich diejenigen Arbeitskräfte, die im KonkurrenzKampf der Metropolen zentrale Rollen spielen. Für die MedienStadt Hamburg ist das heute unter anderem die NewEconomyBranche. Um im Standortwettbewerb die Nase vorn zu behalten, muss Stadtentwicklungspolitik darauf abzielen, interessante Stadtteile bzw. solche, die das Potential dazu haben, für genau solche Klientel nutzbar und attraktiv zu machen. Diese Politik zeigt sich im Moment besonders deutlich im Schanzenviertel.
Dabei haben sich die Strategien, die von Stadtentwicklungspolitik zum Zweck der Aufwertung von Stadtteilen verfolgt wurden, in den letzten 10 bis 15 Jahren aus mehreren Gründen qualitativ verändert. Zum einen gab es die Erfahrung, dass eine Umstrukturierungspolitik mit der Brechstange mitunter zu massivem Widerstand führen kann: Der Versuch, Ende der 80er im damals noch relativ verarmten Schanzenviertel ein MusicalTheater für Besserverdienende anzusiedeln, endete mit der von breiten Teilen der Bevölkerung unterstützten Besetzung des alten Flora-Theaters. Zum anderen hat sich gezeigt, dass gerade alternativ und subkulturell geprägte Stadtteile wie z.B. das Schanzenviertel mit ein bisschen staatlichem Nachhelfen fast von selbst und insofern sehr kostengünstig einen schleichenden AufwertungsProzess durchlaufen, bei dem alternative Strukturen, multikulti-Flair und Sub-Kultur gerade der Motor für eine Entwicklung sind, die genau dies irgendwann selbst verdrängt. Dieser Prozess wird oft mit dem Begriff Gentrification bezeichnet.

Deshalb betreibt die Stadt heute sog. "soziale Stadtteilentwicklung": Über die von ihr eigens dazu gegründete STEG (Stadtentwicklungs- und Erneuerung-Gesellschaft) versucht die Stadt Umstrukturierung den AnwohnerInnen schmackhaft oder zumindest akzeptabel zu machen. Über BürgerInnen-Nähe und vermeintliche BürgerInnenbeteiligung (wie z.B. durch die "AG Umgestaltung Schulterblatt") wird den Menschen vorgegaukelt, sie könnten an wesentlichen Punkten die Entwicklung des Aufwertungsprozesses mitbestimmen. Die Erfahrung hat bestätigt, dass dabei immer diejenigen Vorschläge, die in die AufwertungsInteressen der Stadt hineinpassen, aufgenommen werden, alle anderen sang- und klanglos verschwinden. So wird damit im Idealfall nicht nur potentieller Widerstand von Anfang an ausgebremst, sondern auch das Engagement der BewohnerInnen als Ideenpool für einen Prozess nutzbar gemacht, der sie selbst langfristig verdrängt. Parallel zu dieser integrierenden Bewegung werden bestimmte Gruppen, die schon jetzt nicht mehr ins Bild passen (wie Obdachlose, KonsumentInnen illegalisierter Drogen und Menschen schwarzer Hautfarbe) von solchen Beteiligungsverfahren ausgeschlossen und stattdessen zum Sicherheitsrisiko erklärt und immer weiter kriminalisiert und vertrieben oder abgeschoben. Längerfristig werden aber auch alle, die sich die überproportional steigenden Mieten nicht mehr leisten können, verdrängt. Das BeteiligungsAngebot an große Teile der AnwohnerInnen ist also immer nur die andere Seite von Ausgrenzung und Verdrängung derer, für die das Angebot eben nicht gilt. Und aus diesem Grund hat die Flora auch jede solche Beteiligung konsequent abgelehnt.
der private Investor und die Stadt.

Doch für die Durchsetzung von Aufwertungsprozessen ist nicht nur ein Akzeptanz-Management á la STEG wichtig sondern auch private Investoren. Zum einen braucht die Stadt Menschen oder Firmen, die in die betreffenden Stadtteile ihr Geld investieren, zum anderen folgt aus der Sachzwang-Logik des Neoliberalismus, die Steuerungsinstrumente für solche Aufwertungsprozesse selbst zunehmend in private Hände zu geben. Das tut der verfolgten Politik vor allem deshalb keinen Abbruch, weil die ökonomischen Interessen der privaten Investoren meist mit den StandortInteressen der Stadt zusammenpassen: Wenn z.B. die Überwachung und Kontrolle der Innenstädte immer mehr von privaten Sicherheitsdiensten übernommen und dadurch auch verschärft wird, so dient das im Denken der dort ansässigen Gewerbetreibenden ihrem Umsatz genauso wie im Denken der Metropolen dem Standort.
Der Verkauf der Flora an Klausmartin Kretschmer passt wunderbar in diese Entwicklung: Das, was die STEG in zehn Jahren nicht geschafft hat, nämlich die Rote Flora zu befrieden, soll jetzt der private Investor übernehmen. Durch die Privatisierung von gesellschaftlichen Konflikten wird vor allem auch eine Entpolitisierung dieser Konflikte angestrebt. Der Legitimationsdruck für eine Politik, die sich mehr an Standortkriterien orientiert als an den Bedürfnissen der Menschen, soll aufgelöst werden, indem die Verantwortung für diese Politik privatisiert wird: Wenn ein privater Investor ausschließlich nach ökonomische Gesichtspunkten agiert – wer sollte ihm das übel nehmen?
Auch wenn Kretschmer offensichtlich deutlich skrupelloser vorgeht als die STEG, verfolgt er doch eine ähnliche Strategie: Diejenigen, die für seine kulturellökonomischen Interessen nützlich sind, versucht er zu integrieren – solange sie dazu nützlich sind - die anderen werden übergangen, verdrängt, über den Tisch gezogen. Solange eine bestimmte Sub-Kultur Ambiente und Anziehungspunkte schafft, die (ob gewollt oder ungewollt) als Motor für eine Aufwertung dienlich sind – wie z.B. im Moment Flora oder Pudels – wird versucht Kontakt aufzunehmen und gemeinsame Projekte aufzuziehen. Ist der Aufwertungsprozess einen Schritt weiter, werden diese Projekte genauso wie viele andere jetzt schon über den Tisch gezogen oder plattgemacht.
Wenn der Anthroposoph Kretschmer Orte wie die Flora als "Kraftorte" bezeichnet, so meint er damit offensichtlich das Bronx-Feeling für Besserverdienende, mit dem sich prima Geld machen lässt. Und so wie im Schanzenviertel soll offenbar auch in St. Pauli Süd die Mischung aus sozialer Ungleichheit und Subkultur zur interessanten, authentischen Hintergrundkulisse für ein chices und kaufkräftiges Publikum gemacht werden.
Kretschmer und wir
Damit ist klar, was vom selbst ernannten Wohltäter Klausmartin Kretschmer zu halten ist. Eine Zusammenarbeit kann nie die von ihm oft vorgetäuschte gleichberechtigte Partnerschaft sein, da er als Investor, rechtlicher Besitzer und von der Stadt Protegierter immer in der machtvolleren Position steht. Vor allem aber bedeutet eine solche Zusammenarbeit sich zum Teil des beschriebenen Zusammenspiels von Aufwertung, Integration und Verdrängung machen zu lassen.Deshalb fordern wir alle kulturellen und politischen Projekte und Initiativen auf, jeden Annäherungsversuch von Kretschmer konsequent abzublocken. Lasst die Spaltungs- und Vereinnahmungs-Politik von Stadt, Kretschmer und Konsorten ins Leere laufen!

Kretschmer will Eurhythmie mit "Kraftorten, die Energien bündeln" – wir werden ihm dabei solange auf die Füße treten bis er sein – wie er es nennt -"Gutes im Stillen tun" für sich behält!


Kretschmer, wir dissen dich!


Rote Flora
19. Juni 2001