15.04.2002 - Frankfurter Vorbereitungskreis
ein beitrag aus der so-oder-so nr. 2 vom januar 1999 über menschenrechte für die diskussion auf dem nächsten bundesweiten land-in-sicht-camp-treffen am 25./26.5.2002
die soeben erschienene neue ausgabe der libertad!-zeitung "so oder so" kann bestellt werden unter: www.sooderso.de
Ein Luxusartikel feierte Geburtstag: Sekt in Paris - Bomben auf Bagdad
Eine wahrhaft einigende Forderung in diesen Tagen: den Menschenrechten muß anläßlich des runden Jubiläums und der nahenden Jahrtausendwende weltweit Geltung verschafft werden. Was in der Konsequenz darunter allerdings verstanden wird, wer Adressat 'menschenrechtlicher Initiativen' sein soll, darüber gehen die Meinung dann doch etwas auseinander. Englands Staatschef Blair kennt keinerlei Interpretationsschwierigkeiten mehr in dieser Frage: Der international ausrangierte Pinochet wird vorläufig festgesetzt, die militärische Bosnien-Intervention fortgesetzt, und programmatisch läßt der Labour-Chef im britischen Unterhaus seine Regierungserklärung zur 'Irak-Krise' mit dem Satz beginnen 'Während ich spreche sind unsere Piloten in der Luft um Frieden und Stabilität zu garantieren...'.
Der Jahrestag der UN-Menschenrechtsdeklaration feiert seine 50jährige Wiederkehr in Paris. Ein Jahrestag von einem formulierten 'Ideal', das zukunftsweisend in die Menschheitsgeschichte eingehen sollte. Waren es doch die unmittelbaren Erfahrungen des 2.Weltkrieges und des organisierten Völkermord der Nazis, aus deren Konsequenz die Vereinten Nationen die Allgemeine Menschenrechtscharta verabschiedeten.
Seit Jahren wird publiziert, erklärt und appelliert in Sachen Menschenrechte. Auch die Notwendigkeit weltweiter Demokratisierungsprozesse, die Durchsetzung der Menschenrechte als quasi Doktrin einer zeitgemäßen Außenpolitik sind keine Erfindung einer rot-grünen Koalition. Es war bereits der langjährige BND-Chef und ehemalige Außenminister Kinkel, auf dessen Angebot hin amnesty international anfang der 90er Jahre einen Beratervertrag mit dem Bonner Außenamt schloß.
In ihrer Definition sind die Menschenrechte Instrument zur gesellschaftlichen Regulation der Gesellschaft. Sie bestimmen das 'Freiheitsrecht' des Einzelnen gegenüber dem staatlichen Zugriff. Dar-überhinaus regeln sie im Wortlaut neben der Meinungs- und Religionsfreiheit eine der entscheidenden Grundbedingungen bürgerlicher Rationalität: Das Recht auf Privateigentum als Menschenrecht. Entsprechend stehen die Menschenrechte gemäß der UN-Charta in ihrer aktuellen Definition nicht über gesellschaftlichen Organisationsformen. Sie sind in ihrem Umfang auch nicht reduziert auf den Schutz vor Folter oder die Garantie der Meinungs- und Pressefreiheit.
Historisch sind die Menschenrechte eine Antwort auf die Bedürfnisse einer spezifischen, auf das Individuum konzentrierten gesellschaftlichen Ordnung, deren Herrschaftsprinzipien dem Individualrecht gegenüber der Gesellschaft zentrale Bedeutung gibt. Wird von der weltweiten Durchsetzung der Menschenrechte gesprochen, so wird damit die Allgemeingültigkeit einer bestimmten Gesellschaftsform quasi miteingefordert. Anders ausgedrückt: Die Universalisierung der Menschenrechte impliziert die Globa-lisierung einer gesellschaftlichen Organisation, die in ihren Grundprinzipien auf der Individualität, der Trennung zwischen Religion und Staat, sowie dem Recht auf Privateigentum beruht. Diese Errungenschaften sind nichts anderes als die Grundkonzeption der kapitalistischen Ökonomie, ihrer Philosophie der Moderne und einer auf formaler Gewaltenteilung basierenden Rechtsgeschichte.
Wer nun meint, die allgegenwärtige Forderung nach der Einhaltung der Menschenrechte sei nur ein optischer und demagogischer Trick der Herrschenden, um eine imperialistische Außenpolitik neoliberalen Zuschnitts, versetzt mit dem menschenrechtlichen Diskurs der demokratischen 'Zivilgesellschaft', besser vermarkten zu können, der täuscht. Zumindest auf halber Strecke. Die Menschenrechte sind in ihrem ideologischen Kern kein bloßes Zuckerstück, kein Luxusartikel, der aus Opportunitätsgründen in Bosnien angewandt und in der Türkei vergessen wird. Der eingeforderte Schutz für die Mehrheit der Bürger vor offener staatlicher Despotie ist zugleich die Einforderung nach gesellschaftlichen Bedingungen für ein uneingeschränktes und freies kapitalistisches Akkumulationsmodell. Und das funktioniert in bürgerlichen Demokratien langfristig am besten. Nur notwendigerweise bedient sich der Kapitalismus der offenen Diktatur. Etwa wie in Chile, wo gegen die sozialistische Perspektive einer Volksfront-Regierung quasi wie in einem klinischen Laborversuch Pinochet's Bajonette erstmalig eine ganze Bevölkerung und Volkswirtschaft dem neoliberalen Wirtschatsexperiment unterwarfen - und gewannen.
Aber ist das wirklich vereinbar? 'Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.' Ist dieser erste und programatische Satz der Erklärung von 1948 in seinem Sinn nicht der niedergeschriebene Widerspruch zur Logik kapitalistischer Verwertung? Steht er nicht ebenfalls im Widerspruch zu den patriarchalen und rassistischen Strukturen der vom Westen geprägten Herrschaftsstrukturen?
Natürlich, die Menschenrechte sind teilbar. Um zu diesem Urteil zu kommen müssen nicht erst die Statistiken weltweiter Menschenrechtsverletzungen zitiert werden. Ein Blick auf bundesdeutsche Straßen genügt. In Polizeirevieren wird geprügelt und schikaniert, vor allem nicht-deutsche Kleinkriminelle sind davon betroffen. Aus jedem Abschiebeknast, jedem Sammellager für Asylsuchende gibt es die Meldungen von Protesten und Revolten gegen menschenunwürdige Zustände.
Weltweit ist die Mehrheit der Menschen sowieso von einem Leben in einem Mindestmaß von Würde entfernt. Von 117 Ländern ist offiziell bekannt, daß dort gefoltert oder mißhandelt wird. Von 31 Staaten gibt es Statistiken über 'Verschwundene'. In mehr als doppelt sovielen wird die Todesstrafe verhängt. Wieviele mittels paramilitärischer Truppen oder im Zuge von 'sozialen Säuberungen' morden, bleibt im Dunkeln. Auch die Sklaverei existiert weiter: In den Maqui-ladores, der modernen Schwitzbuden-ökonomie des Neoliberalismus, bei südamerikanischen Großgrundbesitzern, im Frauen- und Kinderhandel...
Auch der 'schmutzige Krieg' war nie nur Exklusivität süd- und mittelamerikanischer Folterdiktaturen. Jahrezehntelang bestimmte er die Konzepte der Aufstandsbekämpfung gegen den 'inneren Feind' in Nordirland und Euskadi. Westliche Demokratien führen vorzugweise gegen militante Oppositionelle den Krieg verdeckt. Ausgefeilt sind die Mittel, das Ergebnis aber ist offenkundig: Folter und Mord an den Außengrenzen der 'Festung Europa', Verrechtlichung rassistischer Polizeikontrollen im Innern von 'Schen-gen-Land'. Ist die Abschaffung dieser Verhältnisse das Ziel, wird uns kein internationaler Strafgerichtshof, kein Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte zur Hilfe kommen. Legitimieren doch diese Institutionen bürgerlichen Rechts in ihrer Kritik und Ächtung undemokratischer Fälle individueller Verfolgung, zugleich auch immer die grundsätzliche Rechtmäßigkeit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaftsordnung.
Der Unterschied zu vor fünfzig Jahren ist: heute wissen alle alles, und wenn vielleicht nicht alles konkret, so wissen wir doch, daß es passiert. Ein gutes Beispiel: Die Türkei. Durch den Druck der kurdischen Bewegung und ihrer Solidaritätsgruppen gibt es hier seit Jahren eine relativ ausführliche Berichterstattung über die staatliche Verfolgungspraxis der Türkei. Diejenigen, die sich für die Menschenrechte einsetzen, werden auf offener Straße erschossen, gefangengenommen oder 'verschwinden'. Ebensowenig wie andere reaktionäre Regime macht die türkische Regierung ein großes Geheimnis darum. Jegliche Menschenrechtscharta führt das ad Absurdum.
Welchen Nutzen haben dann überhaupt derartige Deklarationen und darauf basierende Abkommen, Pakte, und Gesetze zum Schutz der Menschenrechte? Eingeklagt werden können sie. Formal gibt es eine Gerichtsbarkeit. Das ist alles. Manchmal hilft es, und das ist wichtig, aber es sagt grundsätzlich nichts aus über ihre Einhaltung. Menschenrechte sind so doch auch wieder eine Art Luxus, er wird sich zuweilen geleistet, aber ist doch immer auch abhängig von wirtschaftlichen, militärischen oder geostrategischen Interessen. Nicht um Moral geht es, sondern um politische Opportunität.
Auch der eingerichtete Ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg wird diese Abhängikeit nicht aufheben. Kein Internationaler Gerichtshof vermag dies. Nur eins geschieht: Dem Recht des Westens wird Weltgeltung verliehen. Ein Pinochet steht dazu nicht im Widerspruch. Im Gegenteil. Eine denkbare Aburteilung des alten Foltergenerals macht die Sache nur demokratisch effizienter.
'Die Menschenrechte sind der Grundstein der amerikanischen Demokratie', sagte US-Präsident Clinton am Tag der Menschenrechte. Damit schließt er ein: Polizeibrutalität, Folter von Gefangenen, jeden fünften Tag eine Hinrichtung, nicht zu vergessen 10 Milliarden Dollar Einnahmen jährlich durch Rüstungsexporte. Nicht zufällig lehnen gerade die USA einen internationalen Strafgerichtshof ab. Einmischung in die inneren Angelegenheiten von 'God?s Own Country' sind nicht erwünscht: Recht wird allenfalls über andere gesprochen. Auch wenn es ernsthaft fast niemand wirklich bestreitet: Säße Pinochet auf der Anklagebank eines solchen Strafgerichtes, müßte neben seiner alten Waffenschwester Baronin Thatcher ebenso die CIA, IBM und ITT Platz nehmen....
Die Verhältnisse sind nicht so. amnesty international wählt daher den pragmatischen Weg. Die londoner ai-Zentrale benannte jüngst neben Länderreports und oftmals lebensrettenden 'urgent-action' Aktionen bei Gewissensgefangenen als eine der wichtigsten Aufgaben für die Zukunft, internationale Wirtschaftsunternehmen in Menschenrechtsfragen zu beraten und öffentlich rechenschaftspflichtig zu machen.
1954 wurde die UNO als Nachfolgeorganisation des Völkerbundes gegründet, um zwischenstaatliche Beziehungen zu regeln. Von Anfang an spiegelte sich auch dort die weltweite Kräftekonstellation wieder. Natürlich, die Momente sind zahlenmäßig geringer, in denen antiimperi-alistische Positionen dominierten, als die Interessen insbesondere der führenden imperialistischen Staaten. Aber zum Beispiel an der Entwicklung des sogenannten humanitären Kriegsvölkerrechts, wie es sich in den Beschlüssen der UNO niederschlägt, läßt sich die Bedeutung und der Charakter dieser Institution verdeutlichen. Der Erfolg bewaffneter Befreiungskämpfe führte seit den 50er Jahren dazu, daß mit überwältigender Zahl der Mitgliedsstaaten antikoloniale und antirassistische Auseinandersetzungen den Status von internationalen bewaffneten Konflikten erhielten, und somit als legitime Kriegsparteien anerkannt wurden. 1973 legitimierte die UNO-Generalversammlung gegen den Widerstand insbesondere der NATO-Staaten die Gewaltanwendung gegen koloniale und rassistische Unterdrückung.
Heute droht auch dies zur geschichtlichen Episode zu verkommen. Die Einbrüche im weltweiten Kräfteverhältnis zugunsten der Bourgeoisie, die Zermürbung, Erpressung und schließlich Entwaffnung von Befreiungsbewegungen und die Zersetzung ihrer Politik, der innere Zerfall der sozialistischen Staaten seit Ende der 80er Jahre, zusammen hat dies die UNO wieder zu einem Instrument der führenden Staaten und Staatengemeinschaften wie die USA, Westeuropa und Japan werden lassen. Eine Situation, in der die Durchsetzung westlicher Staatsräson mehr und mehr Sache der UNO ist, und die Fortführung des Krieges niedriger Intensität, dem Low-intensity-warfare, unter dem Deckmantel 'Wahrung der Menschenrechte' erfolgt. Zwangsfrieden, Entwaffnung der politischen Gegner und deren Unterwerfung sind die Folgen.
1991 spätestens, während des zweiten Golfkrieges, der militärischen Intervention der USA im Irak, wurde die Rolle der UNO erneut festgelegt. UNO-Schutztruppen gestalten sich nun zu Weltpolizisten, die ihren Sinn im Krisenmanagement finden und keinesfalls in einer Aufhebung der Umstände, die Bürgerkriegssituationen oder Fluchtbewegungen provozieren. Dieser von ihnen 'Friede' genannte Zustand beinhaltet noch nicht mal die Abwesenheit von Krieg, er soll gewaltsam soziale und politische Verhältnisse festschreiben, in denen durch Armut, Hunger, Massenvertreibungen mehr Menschen sterben, als in den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Befreiungskämpfen und Imperialismus.
All das sind Gründe der offiziellen Auslegung und Handhabung der Menschenrechte unseren Widerstand entgegenzusetzen. Auch und gerade in der Solidarität mit den politischen Gefangenen weltweit. Die Verwirklichung der Menschenrechte ist solange eine Frage des Kräfteverhältnisses zwischen Befreiung und Imperialismus, solange es Kapitalismus gibt. Das heißt, daß der Kampf um Menschenrechte der Kampf um die Aufhebung der Bedingungen ist, in denen sie nicht zu verwirklichen sind.
Aus der geschichtlichen Entwicklung sind Menschenrechte ein bürgerlicher Begriff, der nicht unkritisch übernommen werden kann, weil sie die individuellen Rechte des Bürgers, der Bürgerin aus seinen/ihren Pflichten gegenüber dem Staat ableitet. Menschenrechte waren historisch Kampfbegriff des Bürgertums gegen den Feudalismus, dann gegen das Proletariat und die kommunistische Bewegung. Bürgerlich ist dieser Begriff deshalb, weil er eine Ideologie der Gleichheit behauptet, und nicht von Klassenunterschieden, die es zu überwinden gilt, ausgeht.
Wenn wir von Menschenrechten sprechen, meinen wir gerade nicht nur die individuellen und politischen, sondern auch die sozialen und kollektiven, weil wir die Zusammenhänge einbeziehen. An den Besitzverhältnissen ist dieser Widerspruch offensichtlich. Wie kann das Eigentum der einen geschützt sein, während die anderen verhungern.
Auch deswegen ist es für uns ein internationaler Kampf, gerade von den Metropolen aus und dem doch immer noch priviligierten Leben, das wir hier führen.