Never ending story - Kriegsverbrechen der Gebirgsjäger

Da wo die Gebirgsjäger auch heute noch über ihre „großen Leistungen“ während des Zweiten Weltkrieges öffentlich schwadronieren, da müssen diese Erzählungen sehr präzise gefiltert sein. Denn für den deutschen Gebirgsjäger war es dort wo er hauste, bis zum gelegentlichen Massaker nicht weit. Die Massaker in Distomo, Kephallonia und Kommeno haben wir bereits bekannt und in der Gebirgsjägergemeinde in die öffentliche Erinnerung gerufen

Zu weiteren Massakern, die sich eindeutig Ge­birgsjägereinheiten zuordnen lassen, kommt es beim Rückzug der deutschen Armee im Juni 1944 in Italien.1 Im Großraum Camerino und Macerata in den italienischen Marken muss die Front im Juni 1944 zurückweichen. Aus Gefechtskarten und

Aktenverweisen geht hervor, das die in dieser Region stationierte 5. Gebirgsdivision unter Schranck für die Kriegsverbrechen in Camerino und Fabriano verantwortlich war.2 In der zweiten Juni-Hälfte 1944 kamen Abteilungen der deutschen Gebirgsjäger nach Camerino. Konfrontiert sind Besatzungstruppen mit einer relativ starken Resistenza, die regelmäßig versucht Brücken und Nachschubwege zu zerstören.3 Auf die Präsenz der Partisanen reagierte die Militärführung mit der Verschärfung des Anti-Bandenkampfes. Mit dem Befehl des Oberbefehlshabers Südwest Albert Kesselring vom 17. Juni1943 trat eine deutliche Verschärfung ein. Kesselring sah in der „Bandentätigkeit“ eine „ernste Gefahr für die kämpfende Truppe und ihre Versorgung. (…) Der Kampf gegen die Banden muß daher mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln und mit größter Schärfe durchgeführt werden. Ich werde jeden Führer decken, der in der Wahl und Schärfe des Mittels bei der Bekämpfung der banden über das bei uns übliche zurückhaltende Maß hinausgeht.“4 Neben der Massakrierung der Zivilbevölkerung empfahl er auch die Deportation der Verhafteten ins Reich zum „Arbeitseinsatz“.

In der von Gebirgsjägern besetzten Stadt Camerino kommt es zu zwei Massakern an der Zivilbevölkerung. In der Wehrmachtsmeldung vom 24.6.1944 sind die Massaker auf folgende Weise dokumentiert: „Im Abschnitt der 5. Geb. Division werden im Kampf gegen Banditen 70 Banditen erschossen und 18 deutsche Soldaten befreit.“ 5 Zwischen 21. und 22. Juni wurden 22 Personen in der Kleinstadt Camerino ermordet. Sie wurden erschossen auf den Feldern, die sie gerade bearbeiteten. Sie waren Bauern, Zivilisten ohne Waffen. Noch heute erinnern Gedenksteine auf den Feldern an das Massaker.6

Am 24. Juni 1944 wurden wiederum in Camerino insgesamt 85 Zivilisten erschossen.7 „Am 24. Juni 1944, so der Historiker Bruno Pettinari, „wurden

nachmittags an diesem Ort 25 Zivilisten erschossen. Junge Leute, alte Menschen, Kinder, die am gleichen Tag gefangen genommen und hierher gebracht worden waren. Es waren Bauern, Schüler, friedliche Leute, die sich weder den italienischen Faschisten noch den Deutschen gegenüber je irgendetwas haben zu Schulden kommen lassen.“8 Die Soldaten der deutschen Gebirgstruppe trieben italienische Zivilisten vor sich her. Ihre Opfer stellten sie hinter der Kirche in Capolapiaggia auf eine Steinkante und erschossen sie.

Im Stadtteil le Tegge kommt am gleichen Tag es direkt nach dem religiösen Fest zu Ehren von San Giovanni zu einem weiteren Massaker: Um 12:30 Uhr nach dem Glockenläuten begannen Gebirgsjäger mit der Bombardierung der Kirche, wobei 20 Zivilisten getötet wurden. Dann begann die Durch­kämmungsaktion. „Sie kamen den Hügel runter und töteten alle, die sie trafen, darunter einige Personen, die Getreide zur Mühle ins Tal brachten. Es gab 20 Opfer, einige starben unter dem Bombardement und unter den Maschinengewehrsalven,

andere starben in Folge der Durchkämmungsaktionen.9 Am gleichen Tag massakrierten die Gebirgsjäger 6 Zivilisten im nahe gelegenen Fa­briano.10 Sie löschten an diesem Tag die Familie Baldini aus. Nur einer überlebte, Giuseppe Baldini: „Es ist wirklich reiner Zufall, dass ich überlebt habe - wie durch ein Wunder. Als die Deutschen ihre Maschinengewehre abgefeuert haben, sind die Toten auf mich drauf gefallen. Sie waren es, durch sie wurde ich gerettet: die Körper der Toten. Nur deswegen bin ich noch am Leben.“ 11

Die Gebirgsjäger kamen die Felder hoch und trieben Giuseppe Baldini und seine Familie zur Scheune. Wo heute ein Grabstein steht, legten sie die

Gewehre an: „Sie haben mich da hin geworfen, mich zwischen die anderen geworfen und dann haben sie angefangen mit den Maschinengewehren zu schießen, 17 mal haben sie geschossen, ich habe es gezählt, 17 mal und vier Handgranaten.“12

1 Ende Dezember 1944 in Massa Erschießung von 12 schwarzen amerikanischen Soldaten durch Angehörige der Gebirgspioniere. Hinweis Carlo Gentile, Köln (Zeugenaussage Hans Burtcer, Gludenz.) Weitere „Antipartisanen“-Aktionen der Gebirgsjäger in Italien führt Gentile unter Carlo Gentile Operazione Antipartigiane, rapppresaglie; Stragi in italia. 1943-1945.

2 Zum Nachweis der Täterschaft: BA-MA, RH 24-51/89. 19.6.1943 „Bitte der 5 GD um Unterstellung Heeresflak-Abteilung 302.Heeresflakabteilung wird 5. GD unterstellt.“ BA-MA, RH 24-51/152.Rückzugsweg 10.6.44 Sperrgruppe Schrank Straße Camerino Fabriano. BA-MA, RH 24-51/93.Gefechtskarte vom 17.6.1944. Vgl. auch Feurstein, Valentin: Irrwege der Pflicht. 1938-1945, München/Wels 1963, S. 240-246. Valentin Feurstein, General der Gebirgstruppe war Kommandierender General des LI. Gebirgsarmeekorps 1943-1944.

3 Bericht von Oberst Karl Heinrich Klinckowstroem, Chef des Generalstabs des LI. Gebirgsarmeekorps, an das Oberkommando der 10. Armee vom 2. Juli 1944. Zitiert nach Seeckendorf: Die Okkupationspolitik, S. 337.

4 Befehl Generalfeldmarschall Albert Kesselring vom 17. Juni 1944 zur verschärften Partisanenbekämpfung in Italien. Zitiert nach Seckendorf, Martin :Die Okkupationspolitik des deutschen Faschismus in Jugoslawien, Griechenland, Albanien, Italien und Ungarn (1941 bis 1945), S.333.

5 BA-MA, RH 20-10/126, Meldung vom 24.6.44 LI Geb. Korps.

6 Schreiber zählt 13 erschossene Zivilisten: Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, Täter, Opfer Strafverfolgung, München 1996, S. 170.

7 Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, Täter, Opfer Strafverfolgung, München 1996, S. 170.

8 Interview Ralph Hötte mit Bruno Pettinari, Historisches Institut in Macerata. Vgl. MONITOR Nr. 497 am 5. Dezember 2002, Ralph Hötte: Gebirgsjäger: Verbrechen in der Nazizeit. Belege für die Massaker in Camerino sind die Auswertung der lokalen Zeitungen seit 1945 und die Aussagen von über 90 Zeitzeugen. Darüber hinaus zwei Tagebücher von Geistlichen vor, die die Ereignisse als Augenzeugen miterlebt haben: Tagebuch von Don Boccanera und die 1945 gedruckten Erinnerungen von Don Nicola Rilli.

9 Interview Ralph Hötte mit Bruno Pettinari, Historisches Institut in Macerata.

10 Schreiber, Gerhard: Deutsche Kriegsverbrechen in Italien, Täter, Opfer Strafverfolgung, München 1996, S. 170; Italia martire, Sacrificio di un popolo 1940-1945, Roma 1965, S. 336. BA-MA, RH 24-51/89. 19.6.1943 Bitte der 5 GD um Unterstellung Heeresflak-Abteilung 302.Heeresflakabteilung wird 5. GD unterstellt. BA-MA, RH 24-51/152.Rückzugsweg 10.6.44 Sperrgruppe Schrank Straße Camerino Fabriano. BA-MA, RH 24-51/93.Gefechtskarte vom 17.6.1944.

11 20.6.44 Fabriano 6 Zivilisten. Andrae, Friedrich: Auch gegen Frauen und Kinder. Der Krieg der deutschen Wehrmacht gegen die Zivilbevölkerung in Italien 1943-1945, München/Zürich 1995, S. 180. Vgl. BA-MA, RH 20-10/167.

12 Monitor Nr. 497 am 5. Dezember 2002, Ralph Hötte: Gebirgsjäger: Verbrechen in der Nazizeit.