Neofaschismus |
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Nr. 493 / 18.3.2005 Sturmtruppen des Faschismus Italienische Naziskins terrorisieren Linke Vor zwei Jahren, am 16. März 2003, wurde Davide Cesare in Mailand von Faschisten ermordet. Davide, genannt Dax, wurde nur 26 Jahre alt. Er war Mitglied von Rifondazione Comunista (RC) und Aktivist im Sozialzentrum Orso, einem bekannten Stützpunkt des militanten Antifaschismus. (1) Der Mord war der Auftakt einer bis heute andauernden Serie faschistischer Gewalttaten gegen Linke, bei der es nur dank glücklicher Umstände keine weiteren Toten gab. Die Behauptung der Mörder, sie hätten in Notwehr gehandelt, wurde vor Gericht eindeutig widerlegt. Davide Cesares Tod war vielmehr eine "äußerst brutale Hinrichtung", so die Tageszeitung La Repubblica (21.3.2003). Als Dax und zwei Gefährten, Alex und Antonino, am Abend des 16. März 2003 aus einer von Linken frequentierten Bar in der Via Brioschi traten, wurden sie sofort von drei Skins in schwarzen Bomberjacken mit Messern angegriffen. Die Täter, Giorgio Morbi und seine Söhne Federico und Mattia, gehören keiner Organisation an, sie sind aber offensichtlich überzeugte Nazis: In ihrer Wohnung fanden sich NS-Devotionalien und eine Mussolini-Büste, ihr Hund hört auf den Namen Rommel. (2) Dreizehn Mal stach Federico Morbi auf Dax ein, verletzte ihn am Hals und am Bauch; als sein Opfer schon am Boden lag, versetzte er ihm noch sechs Stiche in den Rücken - ganz offensichtlich in der Absicht, ihn zu töten. Derweil verwundeten der Vater und der Bruder Dax' Begleiter ebenfalls mit Messerstichen; Alex wurde an der Lunge verletzt. Das Mailänder Strafgericht verurteilte Federico Morbi im Mai 2004 zu 16 Jahren und acht Monaten, seinen Vater zu drei Jahren und vier Monaten Haft; der minderjährige Mattia erhielt drei Jahre, musste aber nicht ins Gefängnis. Trotz seiner schweren Verletzungen hätte Dax möglicherweise gerettet werden können. Aber die sofort gerufenen Ambulanzen wurden von der Polizei zunächst nicht durchgelassen. Nach Augenzeugenberichten, die auch von den Filmaufnahmen eines Anwohners bestätigt werden, hat die Polizei die Rettung der Schwerverletzten absichtlich behindert. Als Dax ins Krankenhaus San Paolo eingeliefert wurde, war er bereits verblutet. Leute aus dem Sozialzentrum, die im Krankenhaus etwas über den Zustand ihrer Genossen erfahren wollten, wurden von der Polizei verprügelt. Über den brutalen Polizeieinsatz in der Notfallstation schreibt das antifaschistische Ermittlungskomitee in einer Dokumentation: "Blut auf dem Boden, Verletzungen im Gesicht und am Kopf, ausgeschlagene Zähne und gebrochene Nasen, gebrochene Arme und Handgelenke, (...) Verletzte in Handschellen, deren Wunden genäht wurden, sexuelle Belästigungen, Prügel mit Baseballschlägern. Das ist die erschreckende Kontinuität zwischen dem Mord durch Faschisten und dem Polizeieinsatz, begleitet von Rufen wie ,Scheiß-Kommunisten`, ,Zecken` und ,einer weniger, wie Carlo` ..."; gemeint war Carlo Giuliani, der Tote von Genua. Die kommunistische Tageszeitung Liberazione sah in Dax auch ein erstes Opfer des Irak-Krieges - einen Tag vor seinem Tod erlebte Europa die großen Demonstrationen gegen den kurz bevorstehenden Krieg. Berlusconis Italien gehörte und gehört zur "Koalition der Willigen", die mitregierende neofaschistische Partei Alleanza Nazionale und mehr noch die außerparlamentarische extreme Rechte hetzt gegen die KriegsgegnerInnen: Das "Vaterland" befindet sich im Krieg, und Opposition ist für sie Hochverrat. Anschläge, Überfälle, Hassparolen Dass der Hass auf den Pazifismus und der Wille, an der Heimatfront für Ordnung zu sorgen, zu den Motiven der rechten Schläger gehört, ist offensichtlich. Mehr noch: Der Kriegsbeginn veranlasste die extreme Rechte, ihre Angriffe gegen die Linke deutlich auszuweiten. Diesen Zusammenhang sehen auch die Mailänder AntifaschistInnen in ihrem kürzlich veröffentlichten "Report über den Squadrismo der Jahre 2003/2004". (3) Das Wort Squadrismo erinnert an die Aktionen der faschistischen Stoßtrupps (squadre) der 1920er Jahre, die mit ihrem Terror gegen die Arbeiterbewegung Mussolinis faschistischem Regime den Weg ebneten. Sicherlich gibt es bedeutende Unterschiede zwischen der politischen Situation heute und vor über 80 Jahren; insbesondere handeln die faschistischen Schlägertrupps derzeit auf eigenen Rechnung und nicht, wie 1920/21, im direkten Auftrag der Herrschenden. Dennoch ist der Verweis auf den historischen Faschismus berechtigt. Denn die Faschisten sind heute wie damals in Schlägertrupps organisiert, und sie suchen sich ihre Opfer immer öfter gezielt aus. Der Mailänder Report listet eine Vielzahl faschistischer Gewalttaten und Propagandadelikte auf, darunter Brandanschläge und Überfälle auf Sozialzentren, besetzte Häuser, Büros von Rifondazione Comunista, Linksdemokraten (DS), des Gewerkschaftsbundes CGIL oder der Partisanenvereinigung ANPI; wo es den Stoßtrupps gelingt, in die Räume einzudringen, zerstören sie Möbel und Computer; fast immer hinterlassen die Täter auch ihre politische Botschaft in Form von aufgesprühten Hakenkreuzen und Hassparolen; antisemitische und rassistische Hetze findet sich an den Mauern in vielen Stadtzentren. Dass die Täter sich als Erben der faschistischen Vergangenheit sehen, wird an der Auswahl weiterer Angriffsziele deutlich: Dazu gehören Mahnmale für die Opfer deutscher Kriegsverbrechen oder Denkmäler für die KämpferInnen der Resistenza. Am 8. September 2003, dem 60. Jahrestag der italienischen Kapitulation, brannte mitten in Rom die Bühne, auf der Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi eine Ansprache halten sollte - zur Erinnerung an den Beginn des Befreiungskampfes gegen den Faschismus und die deutsche Besatzung. Deutlich zugenommen haben auch die Zahl und die Brutalität tätlicher Angriffe auf gezielt ausgewählte Personen. Dazu gehören MigrantInnen, Punks, Schwule und Lesben, vor allem aber den Rechten verhasste linke AktivistInnen. Etliche Male konnten sich die Angegriffenen nur durch Flucht vor schweren Verletzungen oder Schlimmerem retten. Im August vergangenen Jahres eskalierten die Angriffe, vor allem in der Lombardei. Am 6. August griffen Nazis das Sozialzentrum COX18 in der Via Conchetta in Mailand an und verletzten sechs Genossen, drei davon so schwer, dass sie stationär behandelt werden mussten. Auch in Bergamo wurden drei Linke von Nazis mit Messern verletzt; in Lucca (Toscana) fügten fünf Nazis einem Linken durch Schläge und Fußtritte fünf Brüche im Gesichtsbereich zu. Hinzu kamen weitere Angriffe auf Mailänder Sozialzentren, darunter ein Brandanschlag. Nicht nur in diesen Fällen machten die Täter durch Sprechchöre oder Wandparolen deutlich, welche Ziele sie verfolgen; in Asti begleiteten sie ihren Angriff auf einen Aktivisten des Sozialzentrums mit einem brennenden Hakenkreuz. Dennoch werden in den Polizeiberichten gezielte Gewalttaten von Nazis immer wieder als Begleiterscheinungen von Streitigkeiten unter Jugendlichen oder Bandenkriegen dargestellt. Schon beim Mord an Dax hatte die Polizei gezielt Falschmeldungen verbreitet: Nicht sie, sondern die Linken hätten die Ambulanzen behindert und Sanitäter angegriffen - eine glatte Lüge. Eher als Untertreibung erscheint da die alte Parole "Polizisten schützen die Faschisten" - viele sind selber welche. Messerattacken nehmen zu In Teilen der Presse werden die polizeilichen Falschmeldungen oft bereitwillig übernommen, mitunter auch durch eigene Erfindungen übertroffen. So verbreiteten Zeitungen wie Il Giorno und Il Giornale gezielte Hysterie über die antifaschistische Demonstration am 2. Oktober 2004, mit der der Welle faschistischer Gewalt entgegengetreten werden solle. Il Giorno schrieb von einer "Stadt in Angst" - vor den AntifaschistInnen. Das trug mit dazu bei, dass die radikale Linke auf dieser Demo weitgehend unter sich blieb. Wenig mehr als 2.000 Menschen demonstrierten gegen den faschistischen Straßenterror, darunter auch Hardcore-Antiimps, deren tumbe Bekenntnisse zum bewaffneten irakischen "Widerstand" in der medialen Nachbereitung gegen die gesamte Demo ausgeschlachtet wurden. Über die alltägliche faschistische Gewalt finden sich in den Mainstream-Medien allenfalls Kurzmeldungen in den Lokalteilen. Schon deshalb ist die von organisierten AntifaschistInnen geschaffene Gegenöffentlichkeit notwendig und verdienstvoll. Der schon erwähnte Report über den Squadrismo enthält nicht nur viele Fakten, er zeigt auch Verbindungslinien zwischen den Taten des faschistischen Mobs und dem politischen Klima, das solche Taten begünstigt. "Postfaschisten" als geistige Brandstifter Neben der vom Regierungslager betriebenen Kriegspropaganda und antilinken Hysterie kommen als drittes Element regelmäßig geschichtspolitische Vorstöße hinzu, die auf eine immer weitergehende Rehabilitierung des historischen Faschismus zielen. Jüngstes Beispiel ist ein von Alleanza Nazionale (AN) eingebrachter und von den übrigen Parteien des regierenden Rechtsblocks unterstützter Gesetzentwurf, der die rechtliche Gleichstellung von Mussolinis Veteranen mit den KämpferInnen der Resistenza zum Ziel hat. Senator Oreste Tofani (AN), von Haus aus Geschichtslehrer, sagte zur Begründung, man wolle den Verteidigern der Sozialrepublik von Salò "ihre Würde als Menschen und Soldaten" wiedergeben - und ihnen für ihren Dienst am Vaterland eine Rente zahlen. Eine dreiste Provokation: schließlich waren die "legitimen Kämpfer" nicht nur an der blutigen Verfolgung der PartisanInnen beteiligt, sie unterstützten auch die deutschen Besatzungstruppen bei der Gefangennahme und Deportation von Jüdinnen und Juden. Zu allem Überfluss rechtfertigen die angeblich geläuterten "Postfaschisten" ihre parlamentarischen Initiativen als Beitrag zu "nationaler Versöhnung". Dass sie vielmehr die offenen Bewunderer Mussolinis in Hochstimmung versetzen und die bewaffneten Naziskins unter ihnen zu weiteren gewalttätigen Strafexpeditionen gegen die Linke ermutigen, liegt auf der Hand. Js. Anmerkungen: 1) Orso bedeutet Bär; der Name ist gleichzeitig die Abkürzung für Officina della Resistenza Sociale ("Werkstatt des sozialen Widerstandes"). 2) Der deutsche Feldmarschall Erwin Rommel, bis heute nicht nur von Altnazis als "Wüstenfuchs" verehrt, gab nach der italienischen Kapitulation am 8. September 1943 völkerrechtswidrige Befehle zur Unterdrückung der kriegsmüden italienischen Bevölkerung. 3) zu beziehen über orso@ecn.org
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