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Michael Backmund: Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter
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Michael Backmund
ist Vorstandsmitglied
der Deutschen
Journalisten- und
Journalistinnenunion
(DJU) - Kreisverband
München.
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Reportage
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Michael Backmund: Der Kandidat, die Bombe und der Einzeltäter
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Das Oktoberfest-Attentat vom 26. September 1980
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Ein stummer Zeuge hat die Tatzeit
genau festgehalten. Die große Uhr
mit den schwarzen Zeigern am Taxistand
»Brausebad« blieb um 22.19
Uhr stehen: Ein scharfes Zischen, eine
gelbrote Feuersäule, eine gewaltige
Detonation - für einige Sekunden
herrscht Totenstille. Dann beginnt
das Stöhnen, Wimmern und Schreien
der Verletzten, die verzweifelten Hilferufe
von Menschen, die Freunde
und Angehörige suchen. »Willkommen
zum Oktoberfest« steht über dem
Tatort - dem Haupteingang zur Theresienwiese
in München.
An diesem Freitagabend war Hochbetrieb
auf der »Wiesn«. Der größte
faschistische Terroranschlag der
deutschen Nachkriegsgeschichte traf
am 26. September 1980 eine ahnungslose,
ausgelassene Menschenmenge
auf ihrem Nachhauseweg. Die Opfer
hatten keine Chance: Menschen wurden
von der Druckwelle der Bombe
durch die Luft geschleudert, andere
grauenhaft verstümmelt. Abgerissene
Beine und Gliedmaßen lagen in Blutlachen
herum. »13 Menschen getötet,
211 zum Teil schwer verletzt« lautet
die schreckliche Bilanz in nüchternen
Zahlen - viele Opfer leiden bis heute
an den Folgen.
Die Toten und Verwundeten waren
noch nicht abtransportiert, da
begann schon der politische Streit. Es
war Wahlkampfzeit. Der »Kandidat«
wollte in wenigen Wochen Kanzler
werden. Längst hatte Franz Josef
Strauß diese Wahl zur »Schicksalsfrage
« für Deutschland hochstilisiert:
»Freiheit oder Sozialismus« lautete
die zentrale Parole des Unions-Kandidaten.
Noch am Tatort suchte die
CSU-Prominenz die Attentäter in der
Linken. Motto: Linke Terroristen bomben
unschuldige Oktoberfestbesucher
in die Luft. Ein alter Strauß-Bekannter
wetterte »das habt ihr von eurer
linken Politik«.
Auch Franz Josef Strauß eilte um
1.00 Uhr nachts mit seiner Tochter
zum Tatort. Doch der Kandidat selbst
äußerte sich erst am nächsten Tag
gegenüber einem Millionenpublikum.
In der Bild am Sonntag warf Strauß
dem FDP-Innenminister »schwere
Schuld« und »Verharmlosung des Ter-
rorismus vor«. Gemeint war die RAF.
Kurz zuvor hatte bereits der CDUStahlhelm
Alfred Dregger in einem
Interview darüber spekuliert, dass die
RAF in naher Zukunft einen Anschlag
mit vielen Toten durchführen könnte.
Propaganda in einem Szenario der
»Strategie der Spannung« vermischt
mit dem Ruf nach einem »starken
Mann«, der die Angst vor dem Terrorismus
schürte.
Doch der Bombenanschlag auf der
Wiesn trug eine ganz andere Handschrift:
Unter den Toten befand sich
der 21-jährige Geologiestudent Gundolf
Köhler aus dem schwäbischen
Donaueschingen. Die Münchner
Abendzeitung titelte bereits am Samstagabend
in einer Sonderausgabe:
»Wiesn-Mörder sind Neonazis«.
Damit war der Wahlkampfschlager
der CSU zerstört. Statt einen starken
Staat gegen die linke Gefahr beschwören
zu können, geriet der Kandidat
selbst in die Defensive. Hatte die
bayerische Staatsregierung mal wieder
die Gefahr des Rechtsextremismus
verharmlost? Köhler war Mitglied und
Anhänger der neonazistischen Wehrsportgruppe
von Karl-Heinz-Hoffmann,
robbte bei paramilitärischen
Übungen durchs Gelände, hatte auch
zu anderen faschistischen Organisationen
und Personen Kontakt. Die
Untersuchungen ergaben: Er hatte die
Bombe in den Papierkorb am Eingang
zur Wirtsbudenstraße gelegt.
Als »halbverrückte Spinner, nicht
eine gefährliche Organisation im
eigentlichen Sinne« hatte Bayerns
Innenminister Gerold Tandler noch im
Januar 1980 die Wehrsportgruppe
Hoffmann bezeichnet. Sein Chef Franz
Josef Strauß wetterte bereits im März
1979 im bayerischen Landtag gegen
die Opposition: »Machen Sie sich
doch nicht lächerlich, wenn sie
gewisse Gruppierungen - Sie haben
heute die Wehrsportgruppe Hoffmann
genannt - durch Ihre ständigen, in
der Öffentlichkeit vorgetragenen
überdimensionierten Darstellungen
überhaupt erst der bayerischen Bevölkerung
bekannt gemacht und Ihnen
dadurch eine Bedeutung zumessen,
die sie nie hatten, nie haben und in
Bayern nie bekommen werden.«
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Karl-
Heinz Hoffmann über 400 junge Männer
auf seinem Schloss im bayerischen
Ermreuth zu »Grenadieren
Europas« ausgebildet. Die »schwarzen
Legionäre« sollten gegen »Bolschewismus
und Kapital« und für einen
volksgemeinschaftlichen Führerstaat
kämpfen. Am 30. Januar 1980 verbot
Bundesinnenminister Gerhard Baum
(FDP) die Wehrsportgruppe. »Mein
Gott, wenn sich ein Mann vergnügen
will, indem er am Sonntag auf dem
Land mit einem Rucksack und einem
mit Koppel geschlossenen 'battledress'
spazieren geht, dann sollte man
ihn in Ruhe lassen«, witzelte dagegen
Franz Josef Strauß noch zwei Monate
nach dem Verbot über den fränkischen
Wehrsportgruppenführer vor
einer laufenden Kamera des französischen
Fernsehens. Dem Spiegel hatte
der Kandidat einmal erklärt: »Man
muss sich der nationalen Kräfte
bedienen, auch wenn sie noch so
reaktionär sind - mit Hilfstruppen
darf man nicht zimperlich sein.« Zimperlich
war der Kandidat auch nicht
mit der Auswahl seiner Freunde: Ob
das rassistische Apartheidregime in
Südafrika oder der chilenische Militärdiktator
Pinochet, der Kandidat
pflegte beste Kontakte, wenn es um
den Kampf gegen Subversion und
Kommunismus ging.
Bereits zwei Tage nach dem Attentat
stand für den bayerischen Innenminister
Gerold Tandler von der CSU
trotzdem fest: »Köhler war ein Einzeltäter
«. Zu diesem Zeitpunkt hatte die
Polizei noch nicht einmal die braunen
Kameraden des »mutmaßlichen
Alleintäters« in seiner Heimatstadt
Donaueschingen vernommen. Acht
Monate später legte die Sonderkommission
»Theresienwiese« des Bayerischen
Landeskriminalamtes ihren 187
seitigen Abschlussbericht vor. Danach
soll Köhler die Bombe selbst gebaut,
transportiert und gezündet haben.
Auf dieser Grundlage stellte Generalbundesanwalt
Kurt Rebmann Ende
1982 die Ermittlungen offiziell ein
und führte zum Hintergrund des
Anschlags aus: Wahrscheinlicher als
eine politisch motivierte Tat seien
schwere persönliche Krisen.
Doch das offizielle Tatszenario ist
bis heute umstritten. Die Widersprüche
sind offensichtlich: Mehrere
Zeugen hatten unabhängig voneinander
Gundolf Köhler mit mehreren
anderen Personen in grünen Parkas
noch kurz vor der Explosion am Tatort
miteinander sprechen sehen. So manche
Spur, so manche Zeugenaussage
findet sich allerdings im Schlussbericht
des Generalbundesanwalts überhaupt
nicht wieder.
»Ich empfinde es noch heute als
Unverschämtheit, dass die Ermittlungen
so schnell eingestellt worden
sind«, sagte Katharina P. kurz vor der
Demonstration »Aufstehen gegen
Naziterror, Rassismus und Antisemitismus
« aus Anlass des 20. Jahrestages
des Oktoberfest-Attentates. Beim
Bombenanschlag wurden ihre Kinder
Ignaz (6) und Ilona (8) ermordet, sie
selbst schwer verletzt. »Die Einzeltäter-
Theorie ist falsch. Zeugen, die
etwas anderes gesehen haben, wurden
einfach als inkompetent oder unglaubwürdig
abgetan.«
Auch Werner Dietrich hält die
These vom verzweifelten Einzeltäter
bis heute für unglaubwürdig. Der
Münchner Rechtsanwalt kämpfte im
Auftrag von Attentats-Opfern für eine
Wiederaufnahme der Ermittlungen:
»Bewusst oder unbewusst wurden alle
Spuren und Zeugenaussagen, die der
Einzeltätertheorie widersprechen, nicht
richtig gewürdigt oder beiseite
geschoben.« Die offizielle Version
hält Dietrich für ein »politisch erwünschtes
Ermittlungsergebnis, damit
keine Zusammenarbeit zwischen
Köhler und anderen rechtsradikalen
Personen und Strukturen nachgewiesen
wird.« Denn das hätte die CSU
stark in Bedrängnis bringen können
und laut Dietrich bestätigt: »Alte und
neue Nazis sind gerade in Bayern viel
zu lange falsch eingeschätzt oder verharmlost
worden.«
Zwei Zeugen hatten Köhler gemeinsam
mit vier bis fünf anderen
Personen in seinem Auto bereits eine
Woche vor dem Anschlag in München
gesehen. Eine Generalprobe? Doch
ermittelt wurden die Begleiter offiziell
nie. Im Oktober 1980 prahlte dafür
Walter Behle, der mit seinem Chef
Karl-Heinz Hoffmann gerade in
Damaskus zu tun hatte, an der Bar des
Hotels Byblos: »Das waren wir selbst.«
Der Barkeeper wandte sich umgehend
an die deutschen Behörden. Doch die
Bundesanwaltschaft bezeichnete das
Geständnis kurz und knapp als
»alkoholbedingte Aufschneidereien«,
ein weiteres Geständnis als »nachweislich
unwahr«: Am 2. August 1982
läuft der 21-jährige Neonazi Stefan
Wagner in Frankfurt Amok. Auf der
Flucht vor der Polizei, kurz bevor er
sich mit einem Schuss in den Mund
selbst tötet, bedroht Wagner einen
Mann und sagt: »Ist dir die Wehrsportgruppe
Hoffmann ein Begriff?
Die Polizei ist hinter mir her. Lebend
bekommen die mich nicht. Wenn die
mich greifen, kriege ich mindestens
zehn Jahre Zuchthaus. Ich war bei der
Aktion gegen das Oktoberfest in München
dabei.« Laut Bundesanwaltschaft
hatte Wagner ein Alibi.
»Es bleibt der Verdacht, dass mit
dieser Bluttat eine allgemeine Krisenstimmung
und der Ruf nach einem
starken Mann herbeigebombt werden
sollte, eine autoritäre politische Lösung
mit dem bereitstehenden Kandidaten
Strauß an der Spitze. Ähnliche
Bestrebungen sind für Italien in den
70er und 80er Jahren nachgewiesen,
wo es zahlreiche Bombenattentate
gegeben hat - zuletzt noch sieben
Wochen vor München in Bologna -
und wo die Verstrickung von Politik,
Armee, Polizei und Geheimdienst in
diese Verbrechen nachgewiesen ist«,
resümierte Rechtsanwalt Dietrich in
seiner Rede zum 20. Jahrestag des
Anschlags.
Sein Antrag auf Wiederaufnahme
der Ermittlungen wurde vom Generalbundesanwalt
in Karlsruhe abgelehnt.
Bis heute ist die Forderung der Opfer
nach einem neuen Verfahren nicht
durchgesetzt worden. So ist bis jetzt
offiziell nicht geklärt: Gab es Mittäter,
Auftraggeber, Hintermänner?
»Die Ermittlungen hätten nie eingestellt
werden dürfen«, kritisiert Dietrich
und bleibt bei seinem Verdacht:
»Einige Mittäter laufen wahrscheinlich
noch heute frei herum.«
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Nach dem Oktoberfest-Attentat
Nach dem Oktoberfest-Attentat
Oktoberfest-Attentäter Gundolf Köhler auf dem Titelbild der WSG-Zeitung 'Kommando' (2. von links)
Gundolf Köhler
Walter Behle (rechts) prahlte mit dem Oktoberfest-Anschlag. Links: Uwe Mainka
Literaturtipps:
Der Münchner Autor und Journalist Ulrich Chaussy hat
in einer akribischen Recherche die offizielle Version der
Tat und die Arbeit der Ermittler gründlich demontiert:
»Oktoberfest-Attentat« heißt seine im September 2000
erschienene Hörbuch-CD (62 Minuten, HörbucHHamburg.
Telefon: 040/889 139 46).
»Aufstehen gegen Naziterror, Rassismus und
Antisemitismus«: Dokumentation zum 20 Jahrestag
des faschistischen Wiesn-Attentats vom 26. September
2000. Herausgegeben vom Bündnis gegen Rassismus
mit vielen Redebeiträgen und Texten, 70 Seiten (6 Euro
in Briefmarken, Bestellung bei Claus Schreer, Johannvon-
Werthstraße 3, 80639 München)
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