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»Wilder Streik« bei Ford 1973
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Geschichte
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»Wilder Streik« bei Ford 1973
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Annäherung an ein Ereignis ohne Erinnerung - In diesen Monaten jährte sich zum dreißigsten Mal die Arbeitsniederlegung türkischer
ArbeitsmigrantInnen im Ford-Werk in Köln-Niehl. Dieser inzwischen zur Legende gewordene
Arbeitskampf bildete in den letzten 30 Jahren immer wieder Beispiel und Bezugsrahmen für
die Austragung sozialer Konflikte im Betrieb unter möglichst weitreichender Beteiligung der
»ausländischen KollegInnen«. Außerdem wurde dieser Arbeitskampf zum Beispiel eines
»wilden Streiks«, auch gegen den Willen von DGB und Einzelgewerkschaften, in diesem Fall
der IG-Metall.
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Der politische Umgang mit dem Streik
heute ein knapper Abriss
Hinter all dieser natürlich sehr verkürzt
dargestellten Bezugnahme auf
den Kölner Streik, scheint das Wissen
um die konkreten Ereignisse und die
beteiligten AkteurInnen langsam zu
verschwinden. Dass die Erinnerung an
den Arbeitskampf bei Ford bei den von
staatlicher und gewerkschaftlicher
Seite zu verantwortenden Feierlichkeiten
zum 40-jährigen Jubiläum des
deutsch-türkischen Anwerbeabkommens
im Jahr 2001 keinen Raum fand,
ist nicht verwunderlich.
Auch die radikale Linke hat sich allerdings
der Auseinandersetzung um
diese beiden symbolträchtigen Erinnerungsdaten
bundesrepublikanischer
Geschichte nicht offensiv gestellt. Hervorzuheben
ist hier »kanak attack«,
die sich im Kontext von 40 Jahren
deutsch-türkischem Anwerbeabkommen
darum bemühten, die historischen
Ereignisse um den Ford-Streik zu vermitteln
und zwar gerade auch als ein
Beispiel eines selbstbewussten Kampfes
türkischer ArbeitsmigrantInnen
um Würde ein Begriff, der ja sehr viel
mehr einschließt, als »nur« die
Durchsetzung sozialer Veränderungen
im Betrieb. Außerdem stellte »kanak
attack« im Zusammenhang mit dem
Ford-Streik die wichtige Frage nach
den Bedingungen des Zugangs und der
Nutzung der Ressourcen »Geschichte,
Erinnerung und Gedächtnis« für MigrantInnen
in der BRD.
Das Datum des Ford-Streiks hätte für
die radikale Linke im übrigen aber auch
deshalb beachtenswerter sein sollen,
weil es über das konkrete historische
Ereignis hinaus weist. 1973 war eben
auch das Jahr des von der Bundesregierung
verhängten Anwerbestopps.
Damit wurde eine neue Dimension rassistischer Politik eingeleitet, die
MigrantInnen verstärkt als »Problem«
ansah. Diese Sichtweise wird in der
zeitnahen medialen Berichterstattung
über den Ford-Streik bereits deutlich.
Der Streik was war eigentlich
passiert?
Der Kölner Ford-Streik reiht sich ein in
eine bundesweite Bewegung von wilden
Streiks, an denen sich zwischen
Februar und Oktober 1973 mehrere tausend
ArbeiterInnen mehrheitlich aus
der Auto- und Stahlindustrie beteiligten.
In einigen Betrieben wurden die
Streiks im Zusammenspiel zwischen
Polizei und Werkschutz zum Teil brutal
beendet.
Worum ging es bei dem Streik, der sich
zwischen dem 24. und dem 30. August
1973 auf dem Ford-Werksgelände in
Köln-Niehl abspielte? Der Kölner Automobilhersteller
beschäftigte seit 1961
türkische ArbeitsmigrantInnen. 1973
bildeten die türkischen ArbeiterInnen
mit 12.000 Beschäftigten bereits etwa
ein Drittel der Gesamtbelegschaft. Die
Arbeits- und Lohnbedingungen der türkischen
ArbeiterInnen waren schlecht
und standen hinter denen der deutschen KollegInnen zurück. Sie wurden
zu 90 Prozent in der Fließbandarbeit
eingesetzt, viele von ihnen in der äußerst
arbeitsintensiven Endfertigung.
Den eigentlichen Anlass für den Streik
bildete dann die Entlassung von ca.
300 türkischen ArbeiterInnen im August
1973. Der Grund ihrer Entlassung
war die verspätete Heimkehr aus dem
Urlaub. Auf einer Betriebsversammlung
eine Woche vor dem Streik erklärten
sich die türkischen KollegInnen solidarisch
mit den Entlassenen, während die
meisten deutschen ArbeiterInnen die
Entlassungen zum Teil demonstrativ
begrüßten. Ihnen fehlte das Verständnis
für die Situation der türkischen ArbeiterInnen,
die von den vier Wochen
Werksurlaub schon etwa 10 Tage für
Hin- und Rückreise in und aus der
Türkei verbrauchten und deshalb ihre
Familien nur etwa drei Wochen sahen.
Trotzdem beteiligten sich zunächst
wenn auch zögerlich deutsche ArbeiterInnen
am Streik. Nachdem türkische
KollegInnen sich bereit erklärten, die
liegengebliebene Arbeit der verspätet
Heimgekehrten mit zu übernehmen,
falls die Kündigungen zurückgenommen
würden, die Leitung des Ford-
Werks diese Zusage aber letztlich nicht
einhielt, kam es am Freitag, den 24.
August 1973, zu spontanen Arbeitsniederlegungen
und Demonstrationen auf
dem Werksgelände.
Generell ist festzuhalten, dass die
Streikwilligen während des gesamten
Streiks auf dem Werksgelände präsent
waren und gerade nicht, wie es sonst in
bundesdeutschen Arbeitskämpfen die
Regel war, von daheim aus streikten.
Die der Arbeitsniederlegung folgenden
Streikforderungen der türkischen ArbeiterInnen
machten deutlich, dass die
nicht zurückgenommenen Entlassungen
nur den Endpunkt einer Entwicklung
bildeten, die von einer kontinuierlichen
Verschlechterung der Arbeits-
und Lohnbedingungen des türkischen
Teils der Belegschaft geprägt
gewesen war. So wurde neben der
Rücknahme der Entlassungen u.a. eine
D-Mark mehr Stundenlohn, sechs
Wochen bezahlter Urlaub, eine Reduzierung
der Bandgeschwindigkeit sowie
der Wegfall der Billiglohngruppen gefordert.
Die Reaktion der Werksleitung
sprach für sich: Sie versprach zunächst
lediglich, die Entlassungen zu überprüfen
und stellte eine einmalige Teuerungszulage
von 280,- D-Mark in
Aussicht, die jedoch der gesamten
Belegschaft zu Gute gekommen wäre.
Der Betriebsrat verhielt sich indifferent.
Er verhandelte bis zum Montag,
den 27. August, direkt mit der Geschäftsleitung,
musste dann jedoch
erkennen, dass er bei den Streikenden
über keine Legitimation mehr verfügte.
Die türkischen ArbeiterInnen nahmen
den Streik schnell selbst in die Hand
und ernannten eigene Streiksprecher-
Innen. Als dem Betriebsrat und der IGMetall
klar wurden, dass sie den Streik
nicht mehr kanalisieren konnten, versuchten
sie, die deutschen KollegInnen
durch eigene Demonstrationen auf ihre
Seite zu ziehen, was auch gelang. Am
Mittwoch, den 29. August, streikten
nur noch deutsche Lehrlinge und AushilfsarbeiterInnen
mit ihren türkischen
KollegInnen.
Parallel dazu wandelte sich auch die
Presseberichterstattung. War der Streik
zunächst in Teilen der Presse zwar als
illegal, aber doch verständlich apostrophiert
worden, gewannen vermehrt
Medienstimmen an Boden,die den
sozialen Protest ethnisierten. Plötzlich
ging es nicht mehr um Bandgeschwindigkeiten,
sondern um das »Türkenproblem
« bei Ford. Die SPD-geführte
Landesregierung tat ein übriges, um
zur Kriminalisierung der Streikenden
beizutragen: Innenminister Weyer teilte
am 29. August mit, dass die Streikenden
bei Ford von Kriminalpolizei
und Verfassungsschutz beobachtet
würden. SPD-Bundeskanzler Willy
Brandt hatte die Streikenden bereits
einen Tag zuvor aufgefordert, in »die
Arme der Gewerkschaft« zurückzukehren.
Bestärkt durch das Gefühl, die
öffentliche Meinung auf ihrer Seite zu
haben, beendete die Werksleitung den
Streik nach einer Woche gewaltsam.
Gedeckt durch eine Gegendemonstration
von sogenannten Arbeitswilligen
gelangten Polizeikräfte auf das Werksgelände,
die sofort begannen die AktivistInnen
aus der Streikleitung festzunehmen.
Flankiert wurde diese Aktion
von folgender Schlagzeile der Bild-
Zeitung: »Deutsche Arbeiter erkämpfen
ihre Fabrik zurück«. In Folge der brutalen
Zerschlagung des Streiks wurden
über 100 türkische ArbeiterInnen fristlos
entlassen, etwa 600 nahmen das
»Angebot« an, die fristlose in eine
»freiwillige Kündigung« umzuwandeln.
Der Betriebsrat legte gegen keine der
Entlassungen Einspruch ein.
Der Ford-Streik was bleibt?
Wie wird nun in der Rückschau an den
Streik von 1973 erinnert? Bereits in
einem Film über den Streik von Thomas
Giefer und Klaus Baumgarten aus dem
Jahr 1982 (»Diese Arbeitsniederlegung
war nicht geplant«, WDR-Fernsehfilm)
wird die unterschiedliche Bewertung
des Streiks deutlich. So wird der Streik
aus der Sicht der ehemaligen Streikenden
u.a. als »lange Niederlage« bezeichnet.
Der ehemalige Betriebsratssprecher
Kuckelkorn hingegen räumt
im Film zwar ein, dass der Betriebsrat
die Streikenden nur mangelhaft betreut
hätte, führt als Folge dieser mangelhaften
Betreuung dann aber lediglich
an, dass dadurch die als Streikführer
apostrophierten »Agitatoren«
freie Bahn gehabt hätten. Kein Wort
über die verräterische Rolle des
Betriebsrats gegenüber den türkischen
KollegInnen. Dass gerade ZeitzeugInnen
aus dem gewerkschaftlichen Kontext
bis heute bei der Bewertung der
Ereignisse von 1973 massiv von der
Institution »Gewerkschaft« geprägt
sind, zeigte auch eine vom »Netzwerk
Migration in Europa« in Zusammenarbeit
mit der IG-Metall Köln organisierte
Tagung zum Ford-Streik vom
November 2001. Auch hier wurde die
unrühmliche Rolle von Betriebsrat und
IG-Metall in erster Linie ausgeblendet.
Die Erinnerungsbilder an den Streik
werden also in erster Linie von gewerkschaftlicher
Seite geprägt und formiert.
Dass türkische ArbeiterInnen, die am
Streik beteiligt waren, auch bei dieser
Tagung nur am Rande zu Wort kamen,
führt beispielhaft zurück zu der eingangs
formulierten Frage nach den
schwierigen Bedingungen für die Etablierung
einer Erinnerung an politische
Kämpfe von MigrantInnen in der BRD.
Hierzu ein Beispiel: Im Sommer 2001
wurde mit großem Bahnhof in Berlin
der erste Band der insgesamt dreibändigen
»Deutschen Erinnerungskultur«
vorgelegt. In dieser umfassenden
Sammlung von »Erinnerungsorten«
stößt man zwar auf das Kapitel »Flucht
und Vertreibung«, nicht jedoch auf ein
Kapitel zur Arbeitsmigration in die
BRD. Das Buch präsentiert eine ethnisch
homogene Erinnerungskultur, in
der die Geschichte von MigrantInnen
keinen Platz findet und nicht einmal
im Ansatz davon ausgegangen wird,
dass die Arbeitsmigration in die BRD in
irgendeiner Form Spuren bei der sogenannten
»Mehrheitsgesellschaft« hinterlassen
hätte. Das Buch fügt sich ein
in die Versuche der gegenwärtigen
Bundesregierung, eine »nationale Erinnerungskultur
« zu etablieren. Das geplante
»Zentrum gegen Vertreibungen«
in Berlin gibt diesen Versuchen stellvertretend
manifest Ausdruck.
Was dagegen tun?
»Erinnerung« als wichtige Ressource zu
fassen, als Teil einer Gegenkultur gegen
staatlichen und alltäglichen Rassismus
zu verstehen und gegen erhebliche
politische Widerstände in den öffentlichen
Raum zu tragen und handlungsleitend
für aktuelle Kämpfe zu machen,
ist eben auch von der radikalen Linken
in den letzten Jahren nur unzureichend
versucht worden. Um die Etablierung
einer Erinnerung an soziale
und politische Kämpfe von MigrantInnen
in der BRD voranzubringen und
handlungsleitend für das Agieren in
aktuellen politischen Kämpfen gegen
soziale Ausbeutung und Rassismus zu
machen, ist es aber notwendig zu wissen,
was beispielsweise beim Ford-
Streik passiert ist. Außerdem sollten
ähnliche Ereignisse dem Vergessen entrissen
werden. Erinnert sei hier stellvertretend
an Aktionen der »plakat«-
Gruppe um Mario dī Andrea und Willi
Hoss in den 1970er Jahren bei der
Daimler-Benz AG. Auch im politischen
Umgang mit ihnen spielte die IG-Metall
im übrigen eine sehr unrühmliche
Rolle.
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Alle Bilder sind historische Aufnahmen aus dem Streikgeschehen 1973
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