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Der Begriff Querfront
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Der Begriff Querfront
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Eine historische Betrachtung
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Der Begriff »Querfront« hat derzeit in antifaschistischen Diskussionen Hochkonjunktur: Spätestens
seit Anhänger der Freien Kameradschaften bei ihren nahezu wöchentlichen Aufmärschen verstärkt
mit Palästinensertüchern, antikapitalistischen Slogans und Che-Guevara-T-Shirts in Erscheinung
treten, findet das Schlagwort fast schon inflationäre Verwendung. Die Versuche von Rechtsextremisten
unterschiedlicher Couleur, linke Symboliken, Stile, Dress- und Sprachcodes zu adaptieren,
führen unter AntifaschistInnen nicht selten zu Verunsicherungen und der Frage, wie die
neuen Formen rechtsextremer Inszenierungen theoretisch und terminologisch gefasst werden
können. Oftmals erfolgt in diesem Zusammenhang dann der pauschale Hinweis auf die angeblichen
»Querfrontstrategien« militanter Neonazis oder »neurechter« Vordenker.
Ob der Begriff »Querfront« geeignet
ist, das momentan sich scheinbar vollziehende
Verschwimmen der Grenzen
zwischen »links« und »rechts« präzise
zu beschreiben, ist allerdings zweifelhaft.
Zum einen entstammt der
Begriff einem spezifischen historischen
Kontext, der nicht ohne weiteres
auf die gegenwärtigen Verhältnisse
übertragen werden kann. Zum anderen
suggeriert er eine inhaltliche und
konzeptionelle Kohärenz, die weder
gegenwärtig noch in der Vergangenheit
existiert(e).
Der Begriff »Querfront« bzw. »Querfrontstrategie
« tauchte in den politisch-
ideologischen Diskursen der
Weimarer Republik erstmals am
Beginn der dreißiger Jahre vor dem
Hintergrund des weitgehend autoritär
regierenden Präsidialregimes auf. Keiner
der zwischen März 1930 und
Januar 1933 amtierenden Reichskanzler
Brüning, Papen und Schleicher
konnte sich auf parlamentarische
Mehrheiten oder breiten gesellschaftlichen
Rückhalt stützen. Zwar begrüßten
die unterschiedlichen Fraktionen
der politischen Rechten bis weit ins
bürgerliche Lager die unübersehbare
Aushöhlung der demokratischen
Institutionen, über einheitliche politische
Konzepte oder Strategien verfügten
diese Gruppierungen jedoch
nicht. Insbesondere der von Papen
verfolgte neoaristokratische, bedingungslos
unternehmerfreundliche
Kurs hatte das rechte Spektrum nicht
einen können. Das Kabinett Papens
scheiterte nach nur fünf Monaten im
November 1932.
Sein Nachfolger, der Reichswehrgeneral Kurt von Schleicher, war daher
bemüht, eine breitere gesellschaftliche
und politische Verankerung seines
Präsidialregimes zu erreichen. In
dieser Situation avancierte die Idee
eines »quer« zu den ideologischen
Trennungslinien der Parteien liegenden
Bündnisses, bestehend aus
Reichswehr, Gewerkschaften und dem
»linken« Flügel der NSDAP, für einen
kurzen Zeitraum zu einer ernsthaften
politischen Option. Die jeweiligen
Vorstellungen und Erwartungen, die
die unterschiedlichen Propagandisten
der »Querfront« mit dem Konzept verbanden,
lagen allerdings zum Teil
erheblich auseinander.
Auf einer theoretisch-ideologischen
Ebene war die »Querfront« maßgeblich
von Vertretern des neonationalistischen
TAT-Kreises entwickelt und
in zahlreichen Publikationen, wie
etwa der »TAT« oder der »Täglichen
Rundschau« formuliert worden. Durch
die Herrschaft Schleichers erhofften
sich die Autoren die endgültige Beseitigung
der Weimarer Demokratie
sowie entscheidende Schritte hin zu
einem »auf den Volkswillen« gestützten
autoritären Staat.
Schleichers politische Positionen wiederum
schienen in zahlreichen Punkten
denen des TAT-Kreises zu entsprechen.
Bereits während des Ersten
Weltkrieges war der General dafür eingetreten,
Schlüsselindustrien einer
strikteren staatlichen Kontrolle zu
unterwerfen, Kriegsgewinne zu
besteuern und Preisbegrenzungen
notfalls mit Hilfe bestimmter Formen
von Zwangsverwaltung durchzusetzen.
Auch als Reichskanzler postulierte
er eine nachhaltigere Interessenwahrung
des Staates gegenüber der
Industrie und erwog zudem, Teilverstaatlichungen
durchzuführen.
Die Vorstellungen Schleichers verfolgten
jedoch im Gegensatz zu denen des
TAT-Kreis nicht das Ziel, eine neue
Staatsform zu schaffen und einem
»nationalen Sozialismus« zum Durchbruch
zu verhelfen. Vielmehr war das
Denken und Handeln des Reichskanzlers
von pragmatischen militärischen
Kategorien geprägt. Schleicher ging
es vor allem darum, für sein Präsidialregime,
das langfristig zumindest
partiell Züge einer Militärdiktatur
getragen hätte, eine Massenbasis zu
schaffen.
Tatsächlich wurden im Herbst 1932
sowohl innerhalb des ADGB als auch
im »linken« Flügel der NSDAP Stimmen
laut, die die Beteiligung an einer
»Querfront« nicht ausschlossen. So
konnten seit dem Beginn der 30er
Jahre nationalistische Strömungen im
ADGB Fuß fassen, während gleichzeitig
innergewerkschaftliche Debatten
über die rasant wachsende nationalsozialistische
Bewegung weitgehend
ausblieben. Zudem wurde im ADGB
sowie in den Einzelgewerkschaften
angesichts dramatisch steigender
Arbeitslosenzahlen verstärkt Forderungen
nach staatlichen Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
erhoben, was
erhebliche Konflikte mit der SPD-Führung
hervorrief. Die traditionell
enge Bindung zwischen den Gewerkschaften
und der Sozialdemokratie
schien sich somit zu lockern. Auf der
anderen Seite hatte Gregor Strasser,
der Fraktionsvorsitzende der NSDAP
und Exponent eines »antikapitalistischen
« Flügels der Partei, im Mai
1932 in einer Reichstagsrede ein wirtschaftliches
Sofortprogramm vorgestellt,
das in zahlreichen Punkten
Ähnlichkeiten mit den gewerkschaftlichen
Arbeitsbeschaffungsprogrammen
aufwies.
Im Sommer und Herbst 1932 kam es
zu einer Reihe von Sondierungsgesprächen
zwischen der Führung des
ADGB und Reichsregierung, um die
Optionen einer »Regierung aller Volkskreise
«, unter Einschluss der NSDAP,
auszuloten. Gregor Strasser wiederum
traf sich sowohl mit Schleicher, als
auch mit dem Führer des (sozialdemokratischen)
Reichsbanners. Zum
ADGB hielt er über Mittelsmänner
Kontakt. Ob darüber hinaus direkte
Verhandlungen hinsichtlich einer
möglichen »Querfront« zwischen
Schleicher, Gewerkschaftsfunktionären
und nationalsozialistischen Wirtschaftstheoretikern
stattfanden, ist
bis heute umstritten.
Ab Ende August 1932 erschien zeitgenössischen
Beobachtern die Bildung
eines Kabinetts Schleicher –
Strasser – Leipart (der Vorsitzende
des ADGB) jedoch durchaus als ein
ernsthaftes realpolitisches Szenario.
Dabei blieb es dann aber auch. Als
Schleicher Anfang Dezember 1932
zum Reichskanzler ernannt wurde,
war das Querfrontkonzept bereits
Makulatur. Innerhalb der NSDAP hatte
sich Strasser mit seinen Positionen
nicht durchsetzen können. Am 8.
Dezember trat er von seinem Parteiamt
zurück. Die Gewerkschaften
schreckten letztendlich vor einer eindeutigen
Positionierung zugunsten
des Präsidialregimes zurück, zumal
die SPD massiven Druck auf die
Führung des ADGB ausübte. An der
insgesamt unentschlossenen, lavierenden
und indifferenten Haltung der
Gewerkschaften gegenüber der nationalsozialistischen
Bewegung änderte
sich jedoch wenig – eine Tatsache, die
sich bitter rächen sollte. Das Kabinett
Schleicher bestand nicht einmal zwei
Monate. Am 30. Januar 1933 wurde
Hitler zum Reichskanzler ernannt.
Drei Monate später, am 2. Mai 1933,
begann das NS-Regime mit der Zerschlagung
der Gewerkschaften. Dass
diese Maßnahmen lediglich auf geringen
Widerstand stießen, war nicht
ausschließlich auf den nationalsozialistischen
Terror zurückzuführen,
sondern stellte auch ein Resultat der
seit dem Beginn der dreißiger Jahre
vollzogenen Annäherungsprozesse an
die extreme Rechte dar.
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General Kurt von Schleicher
Verwendete Literatur
Stefan Breuer
Ordnungen der Ungleichheit – die deutsche Rechte im Widerstreit ihrer Ideen 1871-1945
Darmstadt 2001
Stefan Breuer
Anatomie der Konservativen Revolution
Darmstadt 1995
Bernd Martin
Die deutschen Gewerkschaften und die nationalsozialistische Machtübernahme. Von der Anpassungspolitik während der Präsidialkabinette zur Selbstausschaltung im totalitären Staat
In: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 36 (1985), S. 605-631
Axel Schildt
Militärische Ratio und Integration der Gewerkschaften. Zur Querfrontkonzeption der Reichswehrführung am Ende der Weimarer Republik, in: Richard Saage (Hg.): Solidargemeinschaft und Klassenkampf. Politische Konzeptionen der Sozialdemokratie zwischen den Weltkriegen
Frankfurt/Main, 1986, S. 346-364
Kurt Sontheimer
Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des Nationalismus zwischen 1918 und 1933
München, 1994
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