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Antifaschismus?
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Zur Auseinandersetzung mit der antideutschen Strömung
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In den letzten Monaten kam es im Zusammenhang mit
antifaschistischen Aktionen mehrfach zu (körperlichen)
Auseinandersetzungen zwischen Personen aus
antideutschen Gruppen und radikalen Linken. Spätestens
nach den Ereignissen bei der antifaschistischen
Demonstration in Hamburg Ende Januar diesen Jahres –
wo VertreterInnen der antideutschen Strömung
entgegen allen Absprachen mit Israel-Fahnen
versuchten, sich gewaltsam an die Spitze der Demo zu
setzen bzw. diese zu provozieren – und nach ähnlichen
Vorfällen bei einer Demonstration in Hamm oder in
Berlin am 9. November 2003 – ist es notwendig,
eindeutig Position zu beziehen. Es handelt sich hier nicht
mehr um einen »szeneinternen« oder »städteinternen«
Konflikt, denn die Formen der Auseinandersetzung haben
ein Niveau erreicht, das alle innerlinken Umgangsformen
sprengt. Schlägereien auf antifaschistischen Demonstrationen,
die Instrumentalisierung der Israelfahne und
rassistische, religiöse und ethnische Zuschreibungen in
Diskussionen und Publikationen sind mit unserer
Vorstellung von linken, antifaschistischen und
emanzipatorischen Zielen unvereinbar.
Angesichts der jüngsten Ereignisse
müssen wir selbstkritisch feststellen,
dass das AIB zu dem Konflikt zwischen
VertreterInnen antideutscher
Gruppen, die unten genannte Positionen
teilen, und der Antifabewegung
schon eher hätte Stellung beziehen
müssen. Inzwischen denken wir,
dass es längst nicht mehr um
»szeneinterne Schmutzwäsche« oder
um »Randerscheinungen« geht – worauf
wir viele Ausfälle der letzten
Monate gerne reduziert hätten – sondern
um ein grundsätzlich unterschiedliches
Verständnis und Ziel von
(linker) und antifaschistischer
Politik.
Der, durch den Zusammenbruch des
Ostblocks beschleunigte Zersetzungsprozess
der politischen Linken in der
BRD, führte bei einem Teil dieser
Linken zur theoretischen Neubestimmung
ihrer Politik. Ein Produkt dieser
Neubestimmung ist die antideutsche
Strömung. Der auszutragende
Konflikt besteht weniger in der
Verwendung der Fahne der USA oder
Israels, weniger in der Frage Kriegsbefürwortung
oder Kriegsgegnerschaft,
es geht um die Frage der
grundsätzlichen Systemopposition, die
Frage der Ablehnung oder begeisterten
Zustimmung zur warenproduzierenden
kapitalistischen Gesellschaftsform.
Daraus resultierend stehen sich die
vertretenen Positionen unversöhnlich
gegenüber, ist eine solidarische, faire
und konstruktive Auseinandersetzung
kaum mehr möglich. Uns geht es
aber nicht darum, durch platte Polemiken
in der Auseinandersetzung
mitzumischen, sondern klar aufzuzeigen,
dass das Bejubeln des global
durchgesetzten Kapitalismus, rassistische,
religiöse und ethnische Zuschreibungen
in Diskussionen und
Publikationen, die Instrumentalisierung
der Israelfahne und die Forderung
nach Zerschlagung der politischen
Linken mit unseren Vorstellungen
von linken, antifaschistischen
und emanzipatorischen Zielen unvereinbar
ist.
Die ideologischen Grundlagen der antideutschen Strömung
Die Entstehungsgeschichte der antideutschen
Strömung beginnt zur Zeit
der deutschen Wiedervereinigung und
dem daraus resultierenden nationalistischen
Größenwahn, mit einer Auseinandersetzung
mit dem NS und der
»Deutschen Ideologie«. Die daraus
resultierende Ideologiekritik arbeitete
sich treffend an den Defiziten der
traditionellen Linken ab, die Antisemitismus
aus sozialen Interessenslagen erklärte und ihn letztlich verharmloste,
was nicht zufällig in einem
linken Antisemitismus gipfelte. Der
Versuch den Antisemitismus auf das
Wesen des Kapitalverhältnisses zurückzuführen,
blieb stecken. Die
Erkenntnis, dass der Antisemitismus
zum Kapitalismus gehört wie die
Milch zur Kuh, verschwand zunehmend
zugunsten einer reinen Fixierung
auf seine spezifisch deutsche
Prägung, getreu der Formel: Gesellschaft
= Ideologie = Antisemitismus
= deutsches Unwesen. Die zerstörerische
Form des Kapitalismus wurde
allein auf Deutschland projiziert.
Deutschland wurde somit zum Bösen
an sich, dass quasi hinter allem
steckt. Nur dadurch wurde es möglich
Deutschland zum ewigen Gegenspieler
der USA zu imaginieren, der wieder
kurz davor stehe seine faschistischen
Großmachtambitionen auch mit Waffengewalt
gegen die USA durchzusetzen.
Durch die theoretische Verkürzung
resultierte als Lehre aus Auschwitz
nicht die Kritik an der Nation
und ihrem Begriff an sich, sondern
eben ausschließlich an der Nation der
Deutschen.
Die Singularität von Auschwitz wird
von jeglicher Geschichte abgelöst und
aus seinem spezifischen Kontext
gerissen. In der antideutschen Theorie
bleibt die Geschichte stehen,
Auschwitz ist quasi immer und überall
präsent. Diese Enthistorisierung funktioniert
genauso wie bei Rot/Grün wo
mit dem Verweis auf ein »neues
Auschwitz« für den Krieg gegen Jugoslawien
geworben wurde. Dass die
Singularität von Auschwitz aber in der
einzigartigen Synthese einer breiten
Palette von Herrschafts- und Vernichtungsweisen
des warenproduzierenden
Systems und nicht als davon losgelöstes
Verbrechen bestand, wird
nicht gesehen. Auschwitz ist historisch
singulär und wird so nicht wiederkommen,
aber die gesellschaftliche
Form aus der Auschwitz entstand
wirkt weiter. Aus der antideutschen
Enthistorisierung folgt eine Sicht auf
die Welt in den Koordinaten der Anti-
Hitler-Koalition.
Die Fixierung auf die spezifisch deutsche
Form blendet den allgemeinen
Gesamtzusammenhang theoretisch
nicht nur aus. Im Gegenteil. Das
Gedenken an Auschwitz ist demnach
nicht der Ausgangspunkt radikaler
Kritik an den ursächlichen Verhältnissen,
sondern Ausgangspunkt der
völlig unreflektierten positiven
Bezugnahme auf die bürgerliche kapitalistische
Ideologie, verbrämt als
Prozeß der Zivilisation. Die »reale
kapitalistische Zivilisation« wird so
zum emanzipativen kontinuierlichen
Fortschritt erklärt. Das mündet folgerichtig
in eine »Kreuzzugsmentalität«
und der Irak-Krieg wird quasi zur
»militanten Aufklärung«. Völlig kompatibel
zur neoliberalen Entsolidarisierung
und Vereinzelung, wird gerade
der Individualismus zur notwendigen
Voraussetzung jeglicher Emanzipation
verklärt. Für uns besteht
Emanzipation aber gerade in der
Überwindung der Individualität der
totalen kapitalistischen Konkurrenz.
Ohne diese Überwindung ist Solidarität
über persönliche Beziehungen
hinaus nicht denkbar. Um diesen
Widerspruch aufzulösen, wird in der
antideutschen Theorie eine abstrakte
Kollektivität zum alleinigen Gegenmodell
des Individualismus aufgebaut
und zugleich mit der Volksgemeinschaft
in eins gesetzt. Jegliche Form
der Gemeinschaft wird
so zum Faschismus.
Die Linke als Feind
Nicht nur, dass jegliche soziale Frage
völlig negiert, jegliche Form sozialer
Organisierung denunziert wird, Antikapitalismus
bzw. Kapitalismuskritik
wird vehement mit dem Antisemitismus-
Vorwurf belegt. Logischerweise
wird die nicht-antideutsche Linke
zum primären Feindbild. VertreterInnen antideutscher Gruppen propagieren
seit einiger Zeit den Slogan »die
deutsche Linke zerschlagen«. Wir halten
eine derartige Position nicht nur
für gefährlich. Wir ziehen daraus auch
Konsequenzen: Wer die deutsche
Linke zerschlagen will, mit dem kann
es keine Bündnisse und keine Zusammenarbeit
geben.
Das AIB setzt sich seit seiner Gründung
vor 15 Jahren mit Rassismus
und Antisemitismus – natürlich auch
innerhalb der Linken in Deutschland
– auseinander. Zuletzt haben wir die
mitunter stark verkürzte Kapitalismuskritik
in Teilen der sog. Antiglobalisierungs-
Bewegung und die
antiamerikanischen Argumentationsstränge
innerhalb der Anti-Kriegs-
Bewegung kritisiert. Wir führen diese
Auseinandersetzungen mit Gruppen,
die sich der radikalen oder der bürgerlichen
Linken zugehörig fühlen,
weil wir die antifaschistische
Bewegung als eine Teilbereichsbewegung
der Linken verstehen und es
deshalb für selbstverständlich halten,
konstruktiv und solidarisch da zu
intervenieren, wo antifaschistische
Positionen und Erfahrungen in neuen
– und alten – sozialen Bewegungen
schlichtweg nicht reflektiert oder
ignoriert werden. Uns geht es dabei
grundsätzlich darum eine linke
Bewegung mit einem durchaus kritischen
Verständnis von Internationalismus
und zugleich einem Blick für
die realen Machtverhältnisse jenseits
»deutscher wohlstandschauvinistischer
Befindlichkeiten« und Nationalgrenzen
zu stärken und Anschlussstellen
und Einfallstore für eine bürgerliche
und/oder extreme Rechte zu
verhindern.
Wer, wie die VertreterInnen der antideutschen
Strömung, zwischen dem extrem problematischen, mitunter
stark verkürzten und sehr populistischen
Antikapitalismus bei Teilen der
globalisierungskritischen Bewegung
und dem Antisemitismus von einem
Horst Mahler nicht unterscheiden
kann oder will, verharmlost den tödlichen
Antisemitismus der Nazis, relativiert
den Antisemitismus der gesellschaftlichen
Mitte eines Martin Hohmann und verhöhnt die Opfer des
Holocaust. Und nicht nur das. Das
Feindbild »deutsche Linke« zeigt sich
seit einiger Zeit auch in entsprechender
Praxis. So haben es einige antideutsche
Gruppen zu ihrer vorrangigen
politischen Strategie erklärt antifaschistische
Demonstrationen und
andere Aktionen nicht nur pauschal
unter Antisemitismus-Verdacht zu
stellen, sondern davon ausgehend
diese um jeden Preis zu stören. Dass
bei einer solchen Feindzuschreibung
auch das Mittel der Militanz nicht
mehr ausgeschlossen wird, wundert
nicht mehr.
Zum Grundverständnis antifaschistischer Politik
Einer der Grundpfeiler antifaschistischen
Selbstverständnisses ist es jede
Verwendung von rassistischen und
antisemitischen Stereotypen, Ethnisierungen
und rassistischen Zuschreibungen
in der Gesellschaft, aber auch
in der Linken selbst zu bekämpfen.
VertreterInnen der antideutschen
Strömung setzen sich über diese
Prinzipien hinweg, indem sie mit rassistischen
Zuschreibungen arbeiten,
gezielt Islamphobie schüren und
MigrantInnen denunzieren, deren
Herkunft nicht im »Europäischen
Abendland« verortet werden kann.
Gesellschaftliche Verhältnisse lediglich
unter dem Gesichtspunkt ethnischer
und religiöser Zugehörigkeit zu
analysieren, ist Ausdruck eines reaktionären
Politikverständnisses und
schürt chauvinistische Ressentiments.
Das bedeutet, dass ein Politikverständnis,
das auf völkischen Kategorien
beruht und den TrägerInnen
jeweiliger Staatsbürgerschaften –
seien es, um hier im bipolaren
Weltbild von VertreterInnen der antideutschen
Strömung zu bleiben,
StaatsbürgerInnen Israels oder
Deutschlands – aufgrund ihres Herkunftslandes
bestimmte positive oder
negative Eigenschaften zuschreibt,
sich von selbst verbietet. Ein antifaschistisches
Grundverständnis geht
davon aus, dass sich innerhalb eines
jeden Nationalstaats eine Gesellschaft
befindet, in der es unterschiedliche
Gruppen, Segmente und AkteurInnen
mit unterschiedlichen, oft gegensätzlichen
Interessen gibt. Aufgrund von
Gesellschaftsanalysen werden BündnispartnerInnen
oder politische GegnerInnen
bestimmt und nicht anhand
völkischer oder religiöser Zuschreibungen,
die die Betroffenen vereinnahmen.
Kein Wunder also, dass
Rassismus als Themenkomplex nicht
aufgegriffen wird.
Ebenso selbstverständlich sollte es
sein, dass sich ständige Vergleiche
und Gleichsetzungen des (politischen)
Gegners mit dem Nationalsozialismus
und/oder Faschismus verbieten.
Sie tragen zur Verharmlosung
der NS-Verbrechen bei. Gleiches gilt
für den Begriff des Antisemitismus.
Wer Antisemitismus zum politischen
Kampfbegriff macht, um ihn im Kampf
um die theoretische Lufthoheit an
linken Stammtischen taktisch zum
eigenen Vorteil zu gebrauchen, entwertet,
verwässert und verallgemeinert
den Begriff und offenbart, dass
die wirksame Bekämpfung des Antisemitismus
nicht wirklich das Ziel der
eigenen Politik ist. Der Antisemitismus-
Vorwurf ist zur Allzweckwaffe
der antideutschen Strömung verkommen
und wird wahllos auf alle angewandt,
die dem eigenen politischen
Koordinatensystem
nicht entsprechen.
Vereinnahmung von Israel
Derzeit wird das Staatssymbol Israels,
die israelische Nationalfahne, massiv
missbraucht und vereinnahmt. Die
israelische Nationalfahne und der
David-Stern sind Symbole mit einer
jeweils spezifischen politischen, historischen
und religiösen Bedeutung.
Es ist verantwortungslos und anmaßend,
sie taktisch einzusetzen,
sich damit eine Identität zu borgen,
um Kritik an der Politik antideutscher
Positionen als antisemitisch auslegen
zu können.
Der antideutsche Fahnenappell führt
in letzter Konsequenz dazu, sich aus
der Verantwortung antisemitischer
und rassistischer Positionen stehlen
zu können. Dieses Verhalten, von
deutschen, nicht-jüdischen Linken
praktiziert, bedeutet faktisch eine
Vertauschung von Täter- und Opferrollen
und stellt in seiner Extremform
eine neue Art deutscher Schuldabwehr
dar. Opfer von Antisemitismus
sind Juden und Jüdinnen und nicht
die Enkel- und Großenkelkinder der
TäterInnen.
Keine Solidarität mit Nationalstaaten
Für uns als AntifaschistInnen ist es
selbstverständlich, das Existenzrecht
Israels anzuerkennen. Die Notwendigkeit
des Existenzrechts Israels ist
für uns kein Diskussions-, sondern
Ausgangspunkt jeder Betrachtung des
Konflikts zwischen Israel und den
PalästinenserInnen. Gerade weil es
sich um eine Selbstverständlichkeit
handelt, muss sie nicht gebetsmühlenartig
und als identitäres politisches
Glaubensbekenntnis ständig
wiederholt werden.
Nationalstaaten und ihre Staatsvölker
sind Konstruktionen bürgerlicher
Herrschaft, deren Verherrlichung wir
prinzipiell zurückweisen. Das schließt
auch den positiven Bezug auf die
Nationalstaaten (und Flaggen) Großbritanniens,
der USA und der ehemaligen
Sowjetunion mit ein. Der Kampf
der Roten Armee führte zum Ende von
Auschwitz und machte den Sieg über
den Nationalsozialismus erst möglich,
dennoch machten sich die staatssozialistischen
Parteien immer wieder
bei politischen Säuberungen den
gesellschaftlichen Antisemitismus in
Osteuropa zu nutze. Die ehemalige
Sowjetunion als Bollwerk gegen Antisemitismus
hochzuhalten, verharmlost
die antisemitischen Säuberungen
unter Stalin und die antisemitische
Diskriminierungspolitik der 80er und
90er Jahre. Ähnliches ließe sich in
Bezug auf rassistische Unterdrükkungspolitik
in den USA oder kolonial-
rassistische Unterdrückungspolitik
der jeweiligen britischen Regierungen
sagen. Großbritanniens Rolle bei der
Behinderung der israelischen Staatsgründung
müsste eigentlich gerade
bei denjenigen bekannt sein, die die
Fahne Israels für sich beanspruchen.
Kurzum, Fahneneide und Treuebekenntnisse
zu Nationalstaaten verhindern
eine differenzierte politische
Analyse und sind Ausdruck eines
Politikverständnisses, das in den 70er
Jahren von kommunistischen Splittergruppen
und Kleinstsekten gepflegt
wurde. Ein Mittel, um erfolgreich
Politik im Sinne einer antifaschistischen
Bewegung zu machen, sind sie
nicht.
Militanzverständnis
Da Antifaschismus von der antideutschen
Strömung als konsequente
Durchsetzung der »westlichen Werte«
propagiert wird, werden militärische
Interventionen gleichbedeutend mit
»Antifa heißt Angriff« übersetzt. Das
zugrundeliegende Militanzverständnis
ist bodenlos. Es verbindet antifaschistische
Militanz, in der Form
einer Parole, welche leider manchmal
auch unreflektiert in der Auseinandersetzung
mit Neonazis benutzt
wird, mit militärischen Kategorien
und damit mit dem Töten von
Menschen.
Innerhalb der antideutschen Strömung
ist natürlich nicht von einer
homogenen Gemengelage zu sprechen.
Der Begriff der antideutschen
Strömung charakterisiert für uns deshalb
am besten die ideologische
Bandbreite, die sich mit dem oben
beschriebenen aggressiven Versuch
einer Neuausrichtung bzw. Umdefinierung
linker Politik hinein in den
Schoß der kapitalistischen Verhältnisse
verbindet. Eine Umdefinierung,
die die prinzipielle Gleichheit der
Menschen negiert und die Ungleichheit
predigt.
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