Editorial
Neue Dynamik im militanten Spektrum
Antifa Infoblatt #69 Editorial Liebe Antifas, Freundinnen und Genossinnen, liebe LeserInnen! Während der Kampf ums Kanzleramt zwischen dem amtierenden Kanzler Gerhard Schröder und der Union-Spitzenkandidatin Angela Merkel auch eine Woche nach der Wahl für erheblichen medialen und politischen Aufruhr sorgt, ist ein Thema schon am Wahlabend selbst gar nicht erst behandelt worden: Das Abschneiden der extremen Rechten. Hatte man in letzter Zeit den Eindruck, dass nach Antifa-Sommer, NPD-Verbotsverfahren und dem Wahlergebnis in Sachsen das Thema Neofaschismus einen festen Platz auf der medialen und politischen Agenda gefunden hat, wurde man erneut enttäuscht. Dies verwundert umso mehr vor dem Hintergrund, dass die NPD mit 1,8% ihr Wahlergebnis im Vergleich zur letzten Bundestagswahl 2002 vervierfachen konnte und in ihrer Hochburg Sachsen beinahe die 5%-Hürde genommen hat. Doch wie so oft scheint auch diesmal das »Aus den Augen, aus dem Sinn«-Prinzip zu gelten und das Problem mit dem Nichterreichen der 5%-Marke nicht mehr existent zu sein. Davon profitiert natürlich ausschließlich die NPD selber, sie kann unbehelligt von den Augen der Öffentlichkeit ihre Aufbauarbeit in den Schwerpunktregionen Sachsens, Thüringens und Mecklenburg-Vorpommerns fortsetzen. Bereits im Vorfeld der Wahlen wurde als Maßnahme der Wahlwerbung und der Jugendarbeit eine Neuauflage der sogenannten »Schulhof-CD« produziert. Die erste Auflage aus dem Spektrum freier Kameradschaften wurde zunächst zwar medienwirksam verboten, der Beschlagnahme-Beschluss vom Amtsgericht Halle wurde jedoch relativ lautlos wieder kassiert. Das Amtsgericht Stendal wies die Anklage der Staatsanwaltschaft Halle gegen einen 31-jährigen Mann zurück, der die verbotene Schulhof-CD an junge Leute verteilen wollte. Im Urteil wird auf die Meinungs- und Medienfreiheit verwiesen. Das Beispiel zeigt, dass Antifaschismus zuallererst eine politische Aufgabe sein sollte und keine juristische. Das Verfahren gegen die Neonazi-CD war von Polizei und Staatsanwaltschaften hoch gehängt worden und in diesem Zusammenhang kam es zu diversen Hausdurchsuchungen, Beschlagnahmungen und Strafanzeigen. Betroffen waren unter anderem der neonazistische Klub 14 in Dresden, der Brandenburger MHSler Christian Banaskiewicz und der Sachsen Anhaltiner Versandbetreiber Lutz Willert. Auch das Verbot des Markensymbols der Modemarke »Thor Steinar« ist in Brandenburg vorerst gescheitert. Doch das zuständige Gericht verwies in seinem Beschluss auch auf die Notwendigkeit einer politischen Auseinandersetzung mit der zweifelhaften völkischen Symbolik: »Der Senat hält es deshalb auch für denkbar, dass bei weiterer Verwendung in der Öffentlichkeit und Diskussion hierüber (...) die Assoziation zumindest zu dem verfassungswidrigen Kennzeichen der Doppelsig-Rune auch den flüchtigen, nicht genau prüfenden Betrachter ohne Weiteres erreicht (...)« Eben hier wird wieder deutlich, dass eine durch breite, internationale, antifaschistische Öffentlichkeitsarbeit angestoßene gesellschaftliche Auseinandersetzung sinnvoller ist als juristische Verbote. Eine Analyse, die auch für die weitere antifaschistische Mobilisierung gegen die Rudolf Hess-Märsche in Wunsiedel (Seite 26) relevant ist. Die Auseinandersetzung mit »Thor Steinar« ist mittlerweile bis nach Norwegen vorgedrungen. Die norwegische Zeitung »Dagbladet« berichtete kürzlich unter der Überschrift »Das Norges flagg er nazisymbol« über den von »Thor Steinar« selbst konstruierten Bezug zu dem als besonders »nordisch« empfunden Norwegen. Das »Tonsbergs Blad« skandalisierte unter der Überschrift »Tonsberg som nazisymbol« die Verwendung des Städtenamens Tonsberg durch »Thor Steinar«. Daraufhin reichte das norwegische Außenministerium eine Klage gegen »Thor Steinar« bei der deutschen Botschaft in Oslo ein. Dass das Setzen auf Repression und die juristische Ebene in der politischen Auseinandersetzung jedoch ein zweischneidiges Schwert ist, beweisen auch diverse juristische Angriffe auf antifaschistische Strukturen in Berlin (Seite 50). Vielmehr ist es nötig auf die eigene Kraft zu vertrauen und sich vor allem politisch mit den Neonaziaktivitäten auseinanderzusetzen.